17.10.2019

Riot Queers

X&X
Konzentriertes Cross-Gender-Experiment: Anna Odells X&Y

Das 4. Queerfilmfestival zeigt in München ein hochkarätiges Highlight-Filmprogramm

Von Hanni Beckmann

Nicht nur zum Mond, sondern sogar zu den Sternen: dahin sollte es für die queere Community anno 1969 gehen, nachdem es in New York zu heftigen Aufständen gekommen war: in der Chris­to­pher Street, an der Ecke der 7. Avenue im Greenwich Village, lag das Stonewall Inn, ein beliebter Treff­punkt der Homo- und Trans­se­xu­ellen. Dort kam es Ende Juni zu einer Razzia durch die Polizei, bei der „Knüppel aus dem Sack“ gespielt wurde. Das war damals schon fast Alltag. Zum ersten Mal aber wider­setzten sich die Anwe­senden der Gewalt und den Verhaf­tungen. „Riot“ war los. Das war die Geburts­stunde der welt­weiten queeren Bewegung, die im Laufe der Jahr­zehnte immer mehr ausge­weitet wurde und heute unter der regen­bo­gen­far­benen Buch­sta­ben­an­samm­lung „LGBTQI+“ firmiert.

Das Münchner Queer­film­fes­tival nimmt den „Riot“ zum starken Anlass ihres Programms. »Für uns bedeutet das den Aufruf zum poli­ti­schen Denken«, sagt das Team um Silvia Häutle, Vorsit­zende des Vereins Queer e.V., der im Münchner „Schwulen Kommu­ni­ka­tions- und Kultur­zen­trum“ SUB behei­matet ist. Mit ihrem Programm aus queeren Höhe­punkten des vergan­genen Jahres liefern sie der Münchner Szene die besten Filme zum Thema.

Ein erstes Highlight ist am heutigen Donnerstag mit Xavier Dolans Matthias & Maxime zu sehen. Der (muss man das dazusagen?) schwule kana­di­sche Regisseur galt lange als Wunder­kind poppig über­höhter Werke, jetzt behauptet er sich in zunehmend reifem Alter als Autor intimer Erzäh­lungen. Diesmal steht ein Kuss am Beginn großer Lebens­ver­än­de­rungen, zarte Bande werden geknüpft, alte Fahr­wasser verlassen.

Die Schwedin Anna Odell macht am Freitag weiter mit einer Gender­komödie, die sie passen­der­weise mit X&Y betitelt hat. Eine Künst­lerin besetzt einen berühmten männ­li­chen Schau­spieler, um sich selbst zu spielen. Heraus­ge­kommen ist ein konzen­triertes Cross-Gender-Expe­ri­ment, das sich klug mit Verklei­dungen und Körper­kon­struk­tionen befasst.

Mit vier Veran­stal­tungen wartet das Queer­film­fes­tival mit einem Saturday-Peak auf, bei dem sowohl gear­beitet als auch gefeiert wird. Der „Beyond Color Workshop“ um 14:30 Uhr nimmt sich des sensiblen Themas des Rassismus in der LGBTIQ+ Community an, Betrof­fene berichten von ihren Erfah­rungen. Zu mitternächt­li­cher Stunde wird dann im Folks!-Club unter dem Motto „What the Hell is Queer?“ hemmungslos gefeiert. Zwei latein­ame­ri­ka­ni­sche Filme zeigen, dass der Kontinent besonders tolle Werke zum Thema liefert. Der mexi­ka­ni­sche History Lessons von Marcelino Islas Hernández zeichnet das Porträt einer Sech­zig­jäh­rigen mit Krebs­dia­gnose, die against all odds den Mut fasst, ihr Leben nochmal neu aufzu­rollen, auch sexuell. Albertina Carris Die feurigen Schwes­tern über eine polyamore Liebes­be­zie­hung in Argen­ti­nien ist auch ein überaus sinn­li­ches Roadmovie, dessen Ziel am Horizont die Befreiung aus dem Patriachat ist.

Für die Liebe entflammen: Titel­ge­bende Flammen gibt es dann noch einmal am Sonntag in Céline Ciammas berü­ckendem Film Porträt einer jungen Frau in Flammen, der in Cannes mit der Queer Palm ausge­zeichnet wurde. Im späten 18. Jahr­hun­dert soll die Pariser Malerin Marianne auf einer Insel an der breto­ni­schen Küste ein Gemälde von Héloïse anfer­tigen, die gerade aus einer Klos­ter­schule entlassen wurde und bald verhei­ratet werden soll. Aus Protest gegen diese arran­gierte Ehe weigert sich die junge Frau aber, Modell zu sitzen. Das ist „Riot“ vor seiner Zeit, und der Beweis, dass das Private auch in der Epoche der Aufklä­rung politisch war, lange vor 1968 und den Aufständen von Stonewall.

4. QueerFil­mFes­tival vom 16. bis 20. Oktober 2019 in München (diverse Spielorte, u.a. City Kinos, Folk!-Club). Mehr Infor­ma­tionen und alle Filme gibt es hier: https://qffm.de