Adieu mon cinéma |
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Entgrenzung: Stephen Dwoskin mit Moment | ||
(Foto: Stephen Dwoskin / Kurzfilmtage Oberhausen) |
Von Dunja Bialas
»Film und Kunst nach dem Kino« heißt das mittlerweile zum vielzitierten Standardwerk avancierte Buch, mit dem Lars Henrik Gass, Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen, 2011 seine Gedanken zur Aufgabe von Festivals und Museen darlegte, die im Begriff seien, das Kino als Vermittlungs- und Veranstaltungsort von Film abzulösen. Die Demarkationslinie jedoch verläuft schon längst nicht mehr entlang der klassischen Präsentationsorte, weshalb Gass sein Buch letztes Jahr in einer um die digitalen Rezeptionsformen erweiterten Ausgabe neu herausgebracht hat. »Der Film kommt dem Kino abhanden«, lautet die zentrale These. Man könnte hinzufügen: Immer schon. Denn was im Jahrmarktsgeschehen zu Beginn des letzten Jahrhunderts als Spektakel begann, setzte sich in den 1960er Jahren als »Expanded Cinema« fort, bei dem Film auch als Sensation inszeniert wurde, als etwas, das einen Angriff auf alle Sinne starten konnte. Auch der kurze Boom des neuen 3D gehorchte der Kino-als-Spektakel-Tradition.
Gass lädt immer wieder zum Nachdenken über das Kino ein. Dabei fokussiert er stets auch auf das technische Dispositiv, im Zuge der digitalen Wende, die er in der Vergangenheit im Themen-Programm »Flatness« befragte, mit einem 3D-Schwerpunkt, oder gar als »Film without film«, wo der Film (respektive das technisch generierte bewegte Bild) aus dem Kino physisch verschwindet, während die Zuschauer in Erwartung eines äquivalenten, mit anderen Mitteln erzeugten Filmeffekts im Kinoraum verbleiben. Der finnische Filmemacher und bildende Künstler Mika Taanila hatte 2014 die erhellende Schau mit Dias, Leinwand-Happenings und Laterna-magica-Performance kuratiert. Vier Jahre später darf er jetzt eine 2. Staffel kuratieren, die wieder das Kino als Ermöglichungsstruktur für das Bewegtbild befragt. »Conditional Cinema«, eine auf drei Jahre angelegte neugeschaffene Sektion, ging in einem postkinematographischen Setting, welches auf die Projektion eines vorgefertigten Films verzichtet, einem Kino nach, in dem nur noch die unhintergehbaren, im eigentlichen Sinne »unkonditionalen« Vorführ-Dispositive Linse, Leinwand und Lichtstrahl eine Rolle spielen. Widersprüchlich zum Film als »technisch reproduzierbarem« Produkt soll hier das Unfertige hochgehalten, der Film im Modus seiner Möglichkeit gezeigt werden, indem er sich erst im Zuge der Aufführung – durch die Projektionsapparaturen oder das Mitwirken des Zuschauers – zusammensetzt.
Wie schon in »Film without film« begann Taanila auch diesmal äußerst niederschwellig mit einem Mitmachkino, das sich für jeden Kindergeburtstag geeignet hätte. Eingeladen hatte er dazu den Projektionsperformer Peter Miller, der ohne Scheu die berühmte Performance von Peter Kubelka wiederholte, in der ein Zelluloidstreifen als haptisch-begreifbares Kino durch den Zuschauerraum gereicht wird. Ein erkenntnistheoretischer Tiefpunkt war das Verteilen von Helium-Ballons für den »Live-Film« St*r, die die Zuschauer in den Projektionsstrahl eines nichtssagenden Projektionsbildes halten sollten; die Musik verleitete zu zeitvertreibenden Albernheiten.
Deutlich besser wurde es im zweiten Programm, das die dreistündige Super8-Performance für zwei Projektoren, Owen O’Tooles The Filmers' Almanac (USA 1988), zeigte. Hier reichte das Kino-Vorführdispositiv in die unendliche Dimension nichtabschließbarer Kombinatorik hinein. Der Film, ein Ensemblewerk aus den Beiträgen von 133 Filmemachern, darunter Matthias Müller, Mika Taanila, Yann Beauvais, Caspar Stracke oder Lene Rettig, setzte sich aus Kalendertagen des Jahrs 1988 zusammen, an denen je eine Rolle Super8 verfilmt und als filmische Postkarte O’Toole zugeschickt worden war. Mika Taanila und Caspar Stracke projizierten von zwei Projektoren, oft als Doppelprojektion, immer wieder beide Bilder übereinander, oft überließ man auch nur einem Bild die Leinwand. Die Tagebuchästhetik der Filmbeiträge erzählte indes von der Unerschöpflichkeit des Lebens. Den Gedanken wiederum an Peter Kubelkas Monument Film (2012) mit seiner alle Sinne öffnenden, hoch diskursiven Medienperformance, die die Ur-Frage des Kinos stellt – »Was ist Film?« –, sollte man aus Fairnessgründen lieber gleich verscheuchen.
Ernüchternd festzustellen bleibt, dass sich die erste Folge von »Conditional Cinema« am seit der Digitalisierung verlorengegangenen technischen Kino-Dispositiv der analogen Zeit festklammerte. Der Strahl des Beamers wirft heute ein blaues Bild auf die Leinwand, kein weißes Licht mehr wie die Projektoren; der haptische, begreifbare Zelluloidstreifen wurde von nicht anfassbaren, abstrakt bleibenden Bits und Bytes verdrängt. Fraglich bleibt, ob das moderne Kinodispositiv überhaupt darstellbar ist oder gar einen performativen Reiz birgt. Lässt man die Frage zu, wird das Ende des Kinos plausibel.
Dann doch lieber gleich historisch. Das diesjährige »Thema«, die Königsdisziplin der Oberhausener Sektionen, war dem »Abschied vom Kino« gewidmet. Gemeint war damit der Impuls, der vom legendären Experimentalfilmfestival »Exprmntl« im belgischen Knokke ausging, das von 1949 bis 1974 in nur vier Editionen das europäische Experimentalfilmschaffen begründete. Peter Hoffmann vom Hannoveraner Kino im Sprengel hatte Filme zum aktuellen Stichwort »50 Jahre ‘68« zusammengetragen, die im Einfluss von Knokke entstanden waren und mit dem die Filmemacher Abschied vom traditionellen Kino als Ort klassischer Rezeption nahmen, aber – naturgemäß – auch das kohärente Erzählkino hinter sich ließen.
Hoffmanns Fokus lag insbesondere auf dem Vorabend der »Revolution«, mit Filmen ab Mitte der 1960er Jahre bis 1970. Bewusst verzichtete er auf die filmischen Pamphlete der 1970er mit ihren politischen Botschaften, rückte stattdessen die leichtfingrigen Experimente rund um Poesie, Protest und Pop ins Zentrum. Was man heute als Amateurfilm bezeichnen würde, war damals im Zusammenhang mit den Vertretern des New American Cinema, Jonas Mekas und Stan Brakhage, ein Aufbrechen konventioneller Kino-Begrifflichkeit. Gefilmte Tagebücher, Alltagsaufnahmen und auf Film gebannte mehr oder minder sinnfreie Kunst-Aktionen entstanden abseits des Kinos des Neuen Deutschen Films, der vom Oberhausener Manifest bereits 1962 ausgerufen worden war. Während die Oberhausener sich in einen kontrapunktischen Dialog mit im Kino auswertbaren und damit potentiell kommerziellen Filmen begaben, formierte sich parallel das »Andere Kino«, das zunehmend auch alternative Abspielorte aufsuchte.
Das reichhaltige Themen-Programm zeigte auch die Grenzen des Kinos an sich auf, das als kinematographischer Erzählraum einer dokumentarischen Sicht auf die Lebenswelten wich. Hier wird die Geste des Filmens wichtiger als der Film als gestaltetes Werk, wenn Handlungen des Alltags oder der Kunst ohne Werkanspruch auf 16mm gebannt werden. Im besten Fall entstehen dabei filmische Kleinodien, wie etwa Olympisches Feuer, ein spektakulärer aktivistischer Film, der dazu gedacht war, die Aufmerksamkeit auf die 1. Hamburger Filmschau 1968 zu richten. In ihm »klauen« junge Hamburger die Olympische Flamme von Grenoble, indem sie an ihr eine Zigarette anzünden und sie – kettenrauchend – nach Hamburg bringen.
Zur Herausforderung wurde für einige Zuschauer die Dokumentation Nitsch – 7. Abreaktionsspiel (1970) des Wiener Aktionisten Hermann Nitsch, die eines seiner Orgien-Mysterien-Spiele zeigte. Eine orgiastisch-sadistische Entgrenzungsperformance ganz im Sinne von Georges Bataille, die zwar provozierte (»Was soll das?«), vor allem aber auch die Frage nach dem Status des Kinos als Gedächtnis von Kunst aufkommen ließ.
Stephen Dwoskin, britischer Filmemacher amerikanischer Herkunft, bewies indes, dass auch »Aktion« kinematographische Qualität haben kann. In Moment (1969) zeigt er das Gesicht einer liegenden, rauchenden Frau. Madonnengleich von ihrem Haar eingerahmt, gerät sie alsbald in Verzückung. Das alles teilt sich nur durch ihre Mimik mit, ein in sich ruhendes, sanft mitteilendes Meisterwerk über die weibliche Sexualität.
Auch wenn die Alt-68er ausschließlich als Männer zugegen waren, die teilweise eine reichlich verquere, darin jedoch aufschlussreiche Sicht auf weibliche Emanzipation zum Besten gaben (Frauen dominieren, wenn sie den Mann »reiten«), hatte Peter Hoffmann doch immerhin ein paar Filme gefunden, die auch den damaligen Aufbruch der wenigen Filmemacherinnen dokumentierten. Christiane Gehner verlas in Programmhinweise (1970) ein Manifest, ironisch gebrochen durch eine Programmansagerin, dem niederen Frauen-Fernsehdienst, der so heute nicht mehr denkbar wäre. Renate Pfab trieb in Prinz und Wahn (1971) ein Drehbuch von Klaus Wyborny auf die fast selbstironische Spitze, indem sie mit minimalem Kostüm- und Schauspieleinsatz die klassische Mär vom Prinzen inszeniert. Weder Christiane Gehner noch Renate Pfab konnten jedoch ihre Filmkarriere weiter verfolgen.
Ein Höhepunkt des Programms war Kubla Khan des experimentellen Filmemachers Christian Bau, der mit ihm 1969 ein Grundlagenmanifest geschaffen hatte, das die drei Säulen des Undergrounds Sex, Politik und Kunst in einem Triptychon über die kämpferischen Mittel von Liebe, Gewalt und Kunst vereinte. Es steht stellvertretend für eine Zeit, die den Film als demokratisches Ausdrucksmittel entdeckte, ohne zu wissen, wohin damit. Das Kino jedenfalls wurde es nicht.