28.10.2015

Die Spitze des Eisberges

Stories of our Lives
Eindrück­li­cher Episo­den­film:
Stories of Our Lives

Bei den 5. Afri­ka­ni­schen Filmtagen in München werden vor allem zeit­genös­si­sche Filme präsen­tiert, die die Eman­zi­pa­tion des afri­ka­ni­schen Kinos veran­schau­li­chen.

Von Axel Timo Purr

Das afri­ka­ni­sche Kino boomt. 2009 überholte Nollywood, das Synonym für die nige­ria­ni­sche Film­in­dus­trie, Hollywood und etablierte sich nach Indiens Bollywood als zweit­größte Film­na­tion der Welt. Die 2014 erstmals für den Film­sektor von der nige­ria­ni­schen Regierung veröf­fent­lichten Wirt­schafts­zahlen erhärten diese Entwick­lung: Nollywood ist mit einem Umsatz von 3,3 Milli­arden US Dollar und allein 2013 mit 1844 produ­zierten Filmen ein wirt­schaft­li­ches Schwer­ge­wicht, nicht nur nach nige­ria­ni­schen Richt­li­nien. Dass diese Entwick­lung nicht nur national bzw. auf den afri­ka­ni­schen Kontinent beschränkt ist, zeigen andere Entwick­lungen: Anfang 2015 verein­barte Nollywood-Produzent Kunle Afolyan mit Netflix, dass sein neuester Film October 1 auch auf Netflix gezeigt wird, neben bislang 10 weiteren nige­ria­ni­schen Produk­tionen und der gerade auf Netflix releasten Lite­ra­tur­ver­fil­mung des nige­ria­ni­schen Romans Beast of No Nation von Uzodinma Iweala.

Guckt man genau hin, über­rascht diese wirt­schaft­liche Eman­zi­pa­tion des afri­ka­ni­schen Film­markts im Grunde kaum, hat diese Entwick­lung im Grunde schon während der großen natio­nalen Unab­hän­gig­keits­welle in den 1960er Jahren begonnen.

Die 5. Afri­ka­ni­schen Filmtage in München erinnern an dieses erste Kapitel afri­ka­ni­scher Film­ge­schichte mit einem Klassiker aus dem Senegal, Ousmane Sembènes erstem abend­fül­lenden Spielfilm La noir (Mittwoch, 28.10., 18.15 Uhr), in dem sich der sene­ga­le­si­sche Schrift­steller und Filme­ma­cher 1966 kritisch mit der afri­ka­ni­schen Arbeits­mi­gra­tion nach Europa ausein­ander setzte und damit eine Thematik behan­delte, die seit der Entste­hung des Films vor rund 50 Jahren bis zum heutigen Tag nichts an Aktua­lität eingebüßt hat. Senegals filmische Produk­tion erlitt seit der ersten Hochphase in den 1960ern und 1970ern zwar markante Einbrüche, ist aber in den letzten Jahren unter neuer staat­li­cher Leitung wieder dabei sich zu erholen.

Nach diesem Ausflug in die afri­ka­ni­sche Film­his­torie widmen sich die Afri­ka­ni­schen Filmtage noch am selben Abend mit der Mock­u­m­en­tary Black President (Mittwoch, 28.10., 20.15 Uhr) den Schwie­rig­keiten zeit­genös­si­schen afri­ka­ni­schen Kunst­schaf­fens in einer vermeint­lich globalen, inter­na­tio­nalen Kunstwelt. Was sich uns hier auf äußerst subtile Weise offenbart, ist die weiterhin bestehende, hege­mo­niale Stellung der west­li­chen Welt, sowohl innerhalb des wirt­schaft­li­chen, als auch des kultur- und gesell­schafts­po­li­ti­schen Systems. Im Rahmen eines Publi­kums­ge­sprächs werden Regisseur und Produ­zentin Fragen zu Black President beant­worten

Im weiteren Verlauf des Festi­val­pro­gramms werden zeit­genös­si­sche Filme präsen­tiert, die nicht nur die Eman­zi­pa­tion des afri­ka­ni­schen Kinos von häufig vorherr­schenden, in der Vergan­gen­heit Europas konstru­ierten und tradierten Bildern eines vermeint­lich dunklen Konti­nents veran­schau­li­chen, sondern auch ein Bewusst­sein für die Konse­quenzen des Kolo­nia­lismus für Afrika und die Welt schaffen.

So steht im Mittel­punkt des aufwendig produ­zierten, südafri­ka­ni­schen Dramas The Forgotten Kingdom (Freitag, 30.10., 18.15 Uhr) die Dualität zwischen tradi­tio­nellem Land- und modernem Groß­stadt­leben. Auf humor­volle und sensible Weise vermit­telt Fanie Fourie's Lobola (Donnerstag, 29.10., 18.15 Uhr), dass die Nachwehen der Apartheid weiterhin fester Bestand­teil des südafri­ka­ni­schen Alltags sind. Der mehrfach ausge­zeich­nete Spielfilm Timbuktu (Donnerstag, 29.10., 20.15 Uhr) versucht hingegen in einem diame­tralen Ansatz über unge­wöhn­lich poetische Bilder die tragische Rolle zu beschreiben, die der isla­mis­ti­sche Terro­rismus im heutigen Afrika spielt.

Das ägyp­ti­sche Melodram Décor (Freitag, 30.10., 20.15 Uhr) verdeut­licht, dass psychi­sche Erkran­kungen auch außerhalb der westlich sozia­li­sierten Welt durchaus als globale Realität und nicht ausschließ­lich als Konstrukt der europäi­schen Sozial- und Geis­tes­wis­sen­schaften verstanden werden. Im Zeichen der nach­träg­li­chen Konsti­tu­ie­rung von Identität widmet sich die Gangster-Komödie O Grande Kilapy (Samstag, 31.10., 18.15 Uhr) im 1970er Jahre Stil Scorseses dem Werdegang eines ango­la­ni­schen Woma­ni­zers. Abschließend konfron­tiert der eindrück­liche Episo­den­film Stories of Our Lives (Samstag, 31.10., 20.15 Uhr) mit der Diskri­mi­nie­rung junger LGBTIs in Kenia. Damit steht seine Thematik stell­ver­tre­tend für viele weitere Länder, in denen die Freiheit sexueller Orien­tie­rung weiterhin eine Utopie darstellt.

Zwischen der Ausein­an­der­set­zung mit den Auswir­kungen der Geschichte auf die Gegenwart Afrikas, tages­po­li­tisch brisanten Themen und einer Filmäs­t­hetik, die sich nicht mehr über die Abgren­zung zum europäi­schen oder US-ameri­ka­ni­schen Film defi­nieren lässt, bildet diese kleine Werkschau so etwas wie die Spitze eines Eisbergs, die zumindest ahnen lässt, was sich auf der verbor­genen Seite befinden könnte.

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Die 5. Afri­ka­ni­schen Filmtage finden vom 28. bis 31.10.2015 im Vortrags­saal des Gasteig statt. Weitere Infor­ma­tionen und Trailer zu den Filmen unter http://www.aft-munich.com/