15.10.2015

Der Unvoll­endete – Guillermo del Toro, der große Zauber seiner Filme und seine große Kunst des Schei­terns

Szene aus Crimson Peak
Crimson Peak – del Toros bislang düsterster Film in englischer Sprache

Seit Pans Labyrinth und den beiden Hellboy-Comicadaptionen ist der mexikanische Filmemacher und Autor ein internationaler Star in Sachen Fantasy- und Horrorkino. Seine Werke sind düstere Märchen, in denen der alte Kampf des Guten gegen das Böse interpretiert wird als der Kampf der Unschuldigen und der Außenseiter gegen autoritäre Machtmenschen. Das Fremdartige und Übernatürliche ist in ihnen immer Angst- und Sehnsuchtsfantasie zugleich, umgesetzt mit einer visuellen Fantasie, die ihresgleichen sucht. Das gilt auch für seine aktuelle Hommage an den »Gothic Horror« in Crimson Peak.

Von Rüdiger Suchsland

Märchen für Erwach­sene sind alle seine Filme: Voller Zauber, aber immer über dem Abgrund, voller Sehnsucht, aber erfüllt von Schmerzen und Trauer. Seine Filme sind überaus gefühl­voll, sie sind nie ganz zu Ende gedacht und genau in diesen kleinen Leer­stellen, die sie sich selber zuge­stehen, liegt nicht nur ihr Charme, sondern auch die Faszi­na­tion, die sie auf ihre Zuschauer ausüben. Der mexi­ka­ni­sche Regisseur Guillermo del Toro (geboren am Oktober 1964) erzählt vom Fremden, vom Bizarren, vom Phan­tas­ti­schen, und er tut das auf eine seltsame Weise: Er legt eine Verwund­bar­keit und Offenheit an den Tag, die immer spürbar bleiben lässt, dass es die des Regis­seurs selber ist, nicht nur die seiner Figuren. Del Toro ist erfüllt von einer Sehnsucht, die in dem Sinn kindlich ist, als dass sie unschuldig und unge­richtet ist, dass sie da ist, nicht weil der Regisseur es will, sondern weil er nicht anders kann. Dieser Eindruck des Verwund­baren, Offenen, Sehn­süch­tigen unter­scheidet einen del-Toro-Film von anderen, von den durch­schnitt­li­chen Genre­filmen.

Denn Genre sind diese Märchen für Erwach­sene alle. Horror, Fantasy, Science-Fiction, Super­hel­den­film. Aber darin auch Auto­ren­filme, denn sie besitzen eine Konti­nuität und eine Hand­schrift, die mindes­tens auf den zweiten Blick klar erkennbar ist.
Die Lehrjahre als Masken­bildner und Set-Designer sieht man den anspruchs­vollen Bild­welten von del Toros Filmen jederzeit an. Es gibt eine erkenn­bare Lust an Plas­ti­zität und Details der Ausstat­tung. Del Toros Bilder sind oft in ein charak­te­ris­ti­sches gelb­li­ches Licht getaucht, das hier selten morbid oder fahl wirkt, sondern eher dem Geschehen einen goldenen verklä­renden und auch altmo­disch-nost­al­gi­o­schen Schimmer verleiht.

Zugleich wirkt die streng-katho­li­sche Erziehung nach. Mögli­cher­weise darf man del Toro in dieser Hinsicht mit Luis Bunuel verglei­chen, der sich mehr als einmal als »katho­li­schen Atheisten« bezeichnet hat. Denn del Toros Helden sind mora­li­sche Figuren, die sich explizit und unter Einsatz ihres Lebens für das Gute einsetzen. So gibt es große Ähnlich­keiten zwischen dem Superheld Hellboy, den Waisen in The Devils Backbone und dem Mädchen in Pans Labyrinth. Sie sind einsam und verlassen, aber in ihrem Handeln kompro­misslos und entschlossen. Sie sind »rein«. Sie könnten sich opfern. Poten­ti­eller Märtyrer-Exis­tenzen.

Verbunden sind solche Motive mit einem starken Interesse für Tran­szen­denz und Spiri­tua­lität – aller­dings in alle Rich­tungen: Das Über­na­tür­liche ist es, das del Toro anzieht. Sein Wert handelt von Geistern aus dem Jenseits, von sonder­baren, macht­vollen Kräften und vom Unheim­li­chen.

Welt­an­schau­lich ist del Toro in seinen Filmen ein Anarchist: Seine Schurken sind auto­ritäre Charak­tere und Möch­te­gern-»Führer«: Indus­trie­bosse, Militärs oder gleich direkt Fran­cisten und Nazis als Gegen­spieler des »Hellboy«.

Im mexi­ka­ni­schen Kino ist del Toro eher eine Ausnahme. Zwar arbeitete er immer wieder im Dunst­kreis der drei bekann­testen mexi­ka­ni­schen Auto­ren­filmer der letzten zwei Jahr­zehnte, der etwa gleich­alten Alfonso Cuaron, Alejandro Gonzalez Innaritu und Guillermo Arriaga, zu denen man auch noch Carlos Reygadas rechnen kann. Aber er beschritt doch deutlich seinen eigenen Weg stilis­tisch und in der Wahl seiner Themen eher abseits des Auto­ren­kinos. Noch früher als Cuaron und Innarito begann er in den USA zu arbeiten. Viel­leicht hat es damit zu tun, dass del Toro als Einziger der Genannten nicht aus Mexico-City stammt? Er wuchs im nord­west­li­chen Guada­la­jara auf, an dessen lokaler Film­schule er auch studierte. Zudem legte sich del Toro weniger deutlich auf das Regiefach fest. Er gründete früh das Guada­la­jara Inter­na­tional Film Festival und zwei eigene Produk­ti­ons­firmen, »Necropia« und »Tequila Gang«. Mit ihnen und seit 2010 dann mit seiner neuen Firma »Mirada Studios« tritt er immer wieder als Produzent in Erschei­nung, auch als großzügiger Financier und Ermög­li­cher von Werken, die ohne sein Zutun und die Hilfe seines Namens nicht gemacht werden könnten.

Wenn man das bisherige Schaffen von del Toro ordnen will, gibt es mehrere Möglich­keiten: Man könnte zum Beispiel das Werk des Regis­seurs von dem des Produ­zenten unter­scheiden. Aber das führt nicht weit, denn dann stehen acht Filmen als Regisseur 16 Filme als Produzent gegenüber, darunter den spani­schen Block­buster El orfanato und der Anima­ti­ons­film Kung Fu Panda 2.
Zudem müsste man hinzu­fügen, dass del Toro, der schon mehrfach betont hat, dass ihm Literatur noch wichtiger sei, als das Kino, auch seit 2009 vier Romane veröf­fent­licht hat: Die »Strain-Trilogie« (»Die Saat«, »Das Blut«, »Die Nacht«), die inzwi­schen zu einer Fern­seh­serie geworden ist.

»Good times never seemed so good«

Diese Serie, die gerade auf Pro Sieben läuft, ist großartig: »Good times never seemed so good« singt Neil Diamond. Während sein Song »Sweet Caroline« im Radio läuft, wachen die Untoten im Leichen­haus auf und verschlingen den Arzt, der sie eigent­lich gerade obdu­zieren möchte – einer der Höhe­punkte des Auftakts von The Strain, der ersten Fernseh-Serie, die del Toro als Produzent und Autor entwi­ckelte. Dass del Toro im Grunde ein Klas­si­zist ist, zeigt sich hier mit seltener Deut­lich­keit. Denn zwar geht es um das irgendwie immer noch modische Thema Vampi­rismus – der Ansatz ist aber altmo­disch: Vampire als Schre­ckens­ge­stalten, als mörde­ri­sche menschen­feind­liche Kreaturen, mit denen ein gedeih­li­ches Zusam­men­leben keines­falls möglich ist. Kein Hauch der Nied­lich­keiten von »True Blood« oder  Twilight also.
Die Pilot­folge – die einzige, in der del Toro auch Regie führte – gibt den Takt vor: Ein Lini­en­flug­zeug landet im New Yorker John F. Kennedy-Airport. Bis zur Landung war alles normal, doch nun steht die auffal­lend kalte Maschine am Rand des Rollfelds, ohne Lebens­zei­chen der Insassen. Da vieles auf eine Infektion hindeutet, werden Epide­mio­logie-Experten gerufen. Sie finden vier Über­le­bende, über 200 Menschen sind tot – doch das ist nur der Anfang zunächst uner­klär­li­cher Vorgänge. Denn bald wachen die Toten wieder auf. Die Vampire ähneln eher Riesen­in­sekten mit Saugrüs­seln, zugleich pflanzt sich der Vampi­rismus mittels kleiner feiner weißer hungriger Würmchen fort – als wärs ein Film von Cronen­berg. Im Grunde ist »The Strain« eine geschickte, in Seri­en­form gegossene Mischung aus Vampir- und Zombie-Schocker und Bio-Horror, aufge­peppt mit Splatter-Effekten und grundiert mit unüber­seh­barer Geschichts­po­litik. Denn im Zentrum des Bösen stehen sinistre Welt­herr­schafts­pläne untoter Nazis, und die haben – kaum über­ra­schend – etwas mit ameri­ka­ni­scher Außen­po­litik zu tun. Die Helden dagegen sind Juden, Latinos und Armenier.

Erlö­sungs­phan­ta­sien

Eine Weile versuchte man zwischen persön­li­chen Projekten und angeb­li­chen Auftrags­ar­beiten zu unter­scheiden. Doch dem wider­sprach der Regisseur heftig. Man müsse seine Filme ja nicht alle mögen, die sie stünden ihm gleich nahe.
Viel­leicht ist die inhalt­lich sinn­vollste Differenz die zwischen den spanisch­spra­chigen und den englisch­spra­chigen Filmen del Toros. Seine persön­li­cheren Filme, so hat es den Anschein, hat der Mexikaner auf Spanisch gedreht, und mehrfach sogar in Spanien: Nach etwa zehn Kurz­filmen (»Doña Lupe« und »Geometria« sind zugäng­lich) und der Regie von fünf Episoden der mexi­ka­ni­schen »Kult«-Fern­seh­serie »La Hora Marcada« debü­tierte er 1993 mit dem Fanta­sy­drama »Cronos (La invención de Cronos)«. Gleich nach diesem Debüt­er­folg bekam er die Möglich­keit einen Hollywood-Horror­film zu drehen: »Mimic – Angriff der Killer­insekten« ist in seiner Unver­fro­ren­heit wie in seinen offen­kun­digen Schwächen und seinem Billig-Charme ein veri­ta­bler B-Movie. Auf die beiden in den Nachwehen des spani­schen Bürger­kriegs ange­sie­delten The Devils Backbone und Pans Labyrinth sollte ein dritter Film zur spani­schen Geschichte folgen – »3993« – der aber nie gemacht wurde.
Es folgten ein zweiter Hellboy, der unbe­frie­di­gende Ausflug nach Mittel­erde, dann Pacific Rim (2013) – ein von Spezi­al­ef­fekten domi­nierter Science Fiction-Film. Die Geschichte kreist um riesige futu­ris­ti­sche Kampf­ma­schinen, die gegen Außer­ir­di­sche kämpfen und um Mensch-Maschine-Verschmel­zungen, zugleich wird eine Erlö­sungs­phan­tasie erzählt – und trotzdem viel­leicht das am wenigs­tens märchen­haf­testes Werk des Regis­seurs.

Jetzt kommt Crimson Peak ins Kino. Sein neuer Film sei sein düsterster Film in engli­scher Sprache, äußerte sich der Regisseur in Inter­views. Es ist aber auch ein großar­tiger Film, bombas­tisch, elegisch, und schön, für den del Toro, der bereits als Kind Hitchcock zu seinem Lieb­lings­re­gis­seur wählte, und mit 23 Jahren ein Buch über ihn geschrieben hat, Daphne du Mauriers von Hitchcock verfilmtes Rebecca als zentralen Einfluss nennt, aber auch spätro­man­ti­sche britische Literatur wie »Wuthering Heights« und »Jane Eyre« von den Schwes­tern Emily und Charlotte Bronte. Ein schwarzes Melodram, das uns daran erinnert, dass dieses Wort eigent­lich meint: Gesangs­drama.

Den acht Spiel­filmen, die del Toro seit 1993 als Regisseur fertig gestellt hat, stehen nicht weniger als 15 fertige Dreh­bücher gegenüber, aus denen kein Spielfilm wurde. Die Gründe hierfür sind viel­fältig. Es gibt die lang­wie­rige Arbeit am »Hobbit«-Projekt, bei dem Peter Jackson am Ende offenbar doch selber Regie führen wollte, del Toro aber als Drehbuch-Co-Autor aller drei Teile genannt wurde. Aber es gibt auch geschei­terte Vampir- und Pinocchio-Stoffe. Viel­leicht liegt es auch an der Kompro­miss­lo­sig­keit eines Regis­seurs, der sehr genaue Vorstel­lungen von dem hat, was er anpackt. Oder ist hier nicht doch eher einer am Werk, der eine Tendenz hat, sich zwischen sehr vielen Inter­essen zu »verzet­teln«?

Man hat den Eindruck, dass de Toro bis heute, mit 50 Jahren noch nicht wirklich dort ange­kommen ist, wo er hin möchte, dass er noch nicht den Film gemacht hat, zu dem er fähig ist. Del Toro würde auch dieser Fest­stel­lung wider­spre­chen. Mehrfach hat er formu­liert, ein Filme­ma­cher drehe in seiner Karriere immer nur einen einzigen Film, und jede seiner Arbeiten sei ein gleich legitim legitimes Teilstück daran.

Pans Labyrinth bleibt auch heute, nach zehn Jahren derjenige seiner Filme, der del Toro die meiste Aner­ken­nung als Auto­ren­filmer einbrachte, und die meisten inter­na­tio­nalen Meriten. Schließ­lich nahm er damit am Wett­be­werb der Film­fest­spiele von Cannes teil, und gewann später drei Oscars, unter anderen den für die beste Kamera und war immerhin als »bester Regisseur« nominiert. Die Konzen­tra­tion auf dieses Meis­ter­werk ist bei aller Aner­ken­nung seiner Qualitäten viel­leicht doch ein bisschen ungerecht, denn The Devil’s Backbone und zuvor schon Cronos, die ebenfalls unglaub­lich starke und zugleich origi­nelle filmische Entwürfe sind. Viele hätten jeden­falls seit 2006 gern mehrere Filme im Geist von »Pan« gesehen, Filme, die ein ganzes eigenes Universum auf die Leinwand werfen. Mögli­cher­weise wäre dies »At the Mountains of Madness« geworden, die Verfil­mung der gleich­na­migen Novelle von H.P.Lovecraft, an der del Toro mehrere Jahre arbeitete, bevor das Projekt vom Studio gestoppt wurde.

Es gibt Pläne für einen »Fran­ken­stein«-Film und für einen Film namens »Saturn and the End of Days« – alle drei Projekte scheinen für del Toro zurück auf die Fährten von Pans Labyrinth zu führen: »Gothic« Horror-Fabeln, die dem Schrecken Poesie nicht unter­mi­schen, sondern deren essen­ti­eller Bestand­teil sie ist. Wieder märchen­hafte Geschichten, in denen Gegen­welten Abgrund und trös­tendes Refugium zugleich sind. Und die in unge­se­hene, neue, unver­brauchte Bilder gekleidet sind, die in ihrer Phan­tastik den Zuschauer nicht mehr loslassen, sondern zu einem Bestand­teil seines Bilder­kosmos werden.

Mögli­cher­weise findet dieses einfalls­reiche große Kind, diese Spie­ler­natur des Gegen­warts­kinos in einem von diesen Werken ihre persön­liche Erfüllung – über­ra­schen und faszi­nieren dürften sie uns in jedem Fall.