11.06.2015

ADIDAS, MCDONALD’S & BUDWEISER präsentieren: Der artechock-Text zu FIFAs UNITED PASSIONS!

United Passions
Spiel, Spaß, Spannung

Das Sepp Blatter-Hagiographie UNITED PASSIONS ist in den USA angelaufen

Von Anna Edelmann & Thomas Willmann

»You always forgive, just as one should never forget.«
Sepp Blatter steht im Schlaf­zimmer vor dem Spiegel, rückt die Krawatte, zupft die Manschetten.
Schon nicht schlecht, aber das geht doch noch besser.
Er spult noch einmal die DVD zurück. Wirft einen Blick auf Tim Roth in der Rolle seines Lebens. Seines Lebens.
Studiert die Mimik, den Rhythmus.
Versucht, zu sich selbst zu finden.
»Are you talking to m... errr:
You always forgive, just as one should never forget.«
Ja, fast.
Aber Sepp Blatter weiß doch, dass er ein noch besserer Schau­spieler sein kann.

Das mit dem Vergeben, aber nicht Vergessen, sagt Sepp Blatter nach seiner umkämpften Bestä­ti­gung im Amt als FIFA-Präsident am 29. Mai 2015. Er sagt es auf die Frage nach seinem Umgang mit den Abweich­lern.
Und viel­leicht sagte er das nach jedem Angriff auf seine Macht.
Aber dieser Satz fällt auch fast identisch in United Passions, in einer Szene vor der ebenso kontro­versen Wieder­wahl 2002. Und es drängt sich einem der Verdacht auf, dass nicht die Wirk­lich­keit Vorlage der Fiktion war, sondern dass Blatter selbst seine filmische Hofma­lerei nach­träg­lich kopierte.

United Passions ist Kino in Zeiten des Neo-Feuda­lismus: Scheinbar ein regulärer Spielfilm – eine Art Biopic des Fußball-Welt­ver­bandes von seiner Gründung 1904 bis zur Vergabe der WM an Südafrika 2002. Besetzt mit gestan­denen Stars wie Gerard Depardieu, Tim Roth, Sam Neill und unserem deutschen Film-Libero Thomas Kret­sch­mann. Gedreht von Frédéric Auburtin, der sich in dem Episo­den­film Paris, je t'aime immerhin unter Regis­seure einreihen durfte wie Joel & Ethan Coen, Gus Van Sant, Tom Tykwer, Alfonso Cuarón und Olivier Assayas.
Doch $25 Mio. des Budgets von $30 Mio kamen (laut New York Times) direkt von der für gemein­nüt­zige Kunst­för­de­rung ja allgemein bekannten FIFA.
United Passions ist der viel­leicht teuerste Imagefilm aller Zeiten – ein »vanity project«, eine Selbst­be­weih­räu­che­rung Don Blatters und seiner famiglia.

Die anfangs anzi­tierte Szene gibt, isoliert betrachtet, durchaus eine Ahnung, dass der Regisseur, und von den Darstel­lern zumindest Tim Roth (der sich als einziger bemüht, nicht allein seinen Scheck einzu­lösen, sondern zu Schau­spie­lern und seinem Unbehagen Gestalt zu verleihen), sich nicht kampflos der reinen Hagio­gra­phie ergeben wollten. Blatters Leinwand-Inkar­na­tion sitzt im abge­dun­kelten Privatjet und erklärt, fast schon im Halb­schlaf, einem Getreuen wie er mit seinen Wider­sa­chen umzugehen gedenkt. Roth murmelt den Satz fast gnädig sanft – und es ist genau diese Beiläu­fig­keit, welche die Drohung wirklich gespens­tisch werden lässt.
Was für ein Film hätte das werden können, hätte er seine verein­zelten solchen Andeu­tungen einlösen dürfen! Ein FIFA-Exposé, unter anderen Bedin­gungen und mit anderen Leuten hinter der Kamera, wäre ja durchaus ergie­biger Kino-Stoff: Etwas im Stil von Moneyball oder The Insider, ein Game Of Goals oder House Of Yellow And Red Cards.
Freilich ist so etwas unter der gestrengen Aufsicht von Mäzenen fast unmöglich. Ein bisschen, letztlich harm- und konse­quenz­lose Schmug­gel­ware, um das eigene künst­le­ri­sche Gewissen zu beschwich­tigen – zu mehr hat es bei United Passions nicht gereicht. (Ist’s Zufall oder Absicht, dass das erste Treffen zwischen Blatter und dem Chef des zukünf­tigen Sponsors Adidas auf dem Parkplatz einer Schweizer Tank­stelle eher wirkt wie ein Drogen­deal? Ist’s Zufall oder Absicht, dass der Film Sam Neill in der Rolle von João Havelange den Namen seines Nach­fol­gers konse­quent als »Mr. Bladder« – zu Deutsch: »Herr Blase« – ausspre­chen lässt?)

Mit einem Jahr Abstand zur Urauf­füh­rung, und dem Ende von Blatters Regime, geben sich der Regisseur und Tim Roth offen kritisch gegenüber dem Projekt, selbst­kri­tisch gegenüber ihrer will­fäh­rigen Teilnahme. Mit gutem Grund: So, wie er gestattet wurde, dient United Passions allein dazu, unge­bro­chen das Selbst­bild der FIFA dem Fuß(ball)volk zu kredenzen.
Im Film besiegt die FIFA im souver­änen Sturmsolo die Apartheid (»Die UN-Reso­lu­tion ändert daran gar nichts! Wir werden unsere Entschei­dung nicht zurück­nehmen. Südafrika wird solange nicht wieder in die FIFA aufge­nommen, bis es die Apartheid-Proble­matik nicht geregelt hat!«) und grätscht dem Rassismus in den Lauf; zeigt allen Sexisten die Gelbe Karte; durch­schaut vor allen Poli­ti­kern die Bösheit des Nazi-Regimes – und kann nur knapp die Gräuel des Zweiten Welt­kriegs nicht verhin­dern. (»We weren’t there«, schluchzt Depardieu als Jules Rimet, »wir hätten da sein sollen!« – und es klingt weniger nach Selbst­be­zich­ti­gung als nach einer Anklage an die Welt, die FIFA nicht als Retter gerufen zu haben.)
Und wäre der Film nur etwas später entstanden, hätte er vermut­lich auch die jüngste phil­an­thro­pi­sche Leistung der FIFA zumindest in der Nach­spiel­zeit unter­ge­bracht: Die Eindäm­mung Ebolas. Denn der Größen­wahn in der Selbst­wahr­neh­mung wie -darstel­lung ist keine Erfindung von United Passions – auf Blatters letztem FIFA-Kongress wurde unter Programm­punkt 11.7 stolz demons­triert, wie sie mit ihrer »Wasch Deine Hände!«-Kampagne unter Mithilfe von Cristiano Ronaldo und Philipp Lahm die Seuche vom Platz gestellt hat.
Man könnte dem Film abnehmen, dass er solche Hybris nicht teilt sondern bloß­stellt, wenn er einen FIFA-Präsi­denten sagen lässt: »Die von uns veran­stal­teten Welt­meis­ter­schaften tun mehr für den Welt­frieden als jede UN-Reso­lu­tion.« Aber er legt diese Worte João Have­lanche (Sam Neill) in den Mund – den er nicht aus aufklä­re­ri­schen Gründen latent zum Sünden­bock auser­wählt, bei welchem auch Themen wie Korrup­tion und die Dominanz macht- statt sport­po­li­ti­scher Motive aufscheinen. United Passions bedient damit nämlich genau Blatters Legen­den­schrei­bung der Gewinner: Er insze­niert seinen Vorgänger als Bösewicht – und ausge­rechnet Blatter als unbe­stech­li­chen Menschen­freund, der mit allen unlau­teren Machen­schaften bei der FIFA aufräumt.
Schade, dass sich der Film nicht für mehr als 100 Jahre Zeit nehmen konnte – man hätte zu gerne noch die mutig der Borniert­heit der Welt­ge­meinde trotzende Vergabe der WMs an Russland und Katar gesehen.

Kein Wunder, dass dieses Auftrags­werk Blatter und die Seinen begeis­tert. FIFA-Gene­ral­se­kretär Jérôme Valcke nannte ihn »offen, selbst­kri­tisch und höchst unter­haltsam«. Aber kann er ernsthaft glauben, dass das irgend­je­mand außerhalb des Zirkels der von dem Film Geschmei­chelten ähnlich empfindet? Doch viel­leicht ist es beim unwi­der­spro­chenen Narzissmus so, dass man wahrhaft überzeugt ist, alle müssten die gren­zen­lose Faszi­na­tion für die eigene Herr­lich­keit teilen.
Mal objektiv betrachtet: Für wen hätte dieser Film von Interesse sein sollen? Für Fußball­fans, die lieber die VIP-Logen als das Spielfeld sehen? Für das Publikum, das schon Episode One: The Phantom Menace wegen seiner aufwändig insze­nierten Vertrags­ver­hand­lungen mehr als alle anderen Star Wars-Teile liebte? Für Cineasten, die den Blick hinter die Kulissen schätzen, aber befürchten, durch die zu scho­nungs­lose Ausein­an­der­set­zung mit den Realitäten des dreckigen Geschäfts wie in Jerry Maguire oder Any Given Sunday die Freude am Sport zu verlieren?

Mit dieser Frage­stel­lung scheinen schon Regisseur und Dreh­buch­autor konfron­tiert gewesen zu sein. Wir freuen uns ja durchaus an der Vorstel­lung, dass Frédéric Auburtin und der fran­zö­si­sche Schrift­steller Jean-Paul Delfino bei der FIFA vorstellig wurden und hoff­nungs­froh der Authen­ti­zität zuliebe um Einsicht baten in die internen Akten und die Erlaubnis zur Beiwoh­nung nich­töf­fent­li­cher Sitzungen. Und die dann nach Abklingen ihrer Verwun­de­rung über das ihnen entge­gen­schla­gende Gelächter schlicht beschlossen:
»Warum lassen wir nicht einfach den Wikipedia-Artikel zur Geschichte des Welt­fuß­ball­ver­bandes mit verteilten Rollen vorlesen?!«
»Ja aber wird das nicht lang­weilig?«
»Und wenn jeder einen anderen lustigen Akzent hat?!«
»Super!«
United Passions ist ein Spurt durch die FIFA-Geschichte, bei dem jedes Hindernis – von unfer­tigen WM-Stadien bis zu Welt­kriegen – in exakt einer Szene Erwähnung findet, um in der nächsten bereits bewältigt zu sein. Ohne dass der Prozess dazwi­schen drama­tur­gisch Gele­gen­heit bekäme, in Form von Spannung aufzu­keimen. Die Figuren kommu­ni­zieren ausschließ­lich in Dekla­ra­tionen, die Zwischenüber­schriften aus einer FIFA-Werbe­bro­schüre sein könnten. Wann immer der Film einen Punkt erreicht, wo ein zu inhalts­rei­cher Hand­lungs­fort­schritt droht, verfällt er in Montagen, wo er nebenher zeit­ef­fi­zient die immer mal wieder erwähnten, eigent­li­chen Sport-Großer­eig­nisse im Sekun­den­takt abar­beitet. (Die größte sport­liche Leistung, die der Film ausführ­li­cher zeigt, ist dass Gerard Depardieu seine diversen Zentner mindes­tens 15 Meter fort­be­wegt, ohne sich abzu­stützen.)
Und als Bemühung um struk­tu­relle Pfeiler dienen United Passions berüh­rende Szenen eines Straßen­fuß­ball-Matches multi­eth­ni­scher Kinder in einem Krisen­ge­biet, bei dem das einzige Mädchen von der bloßen Zuschauerin zur unfähigen Torfrau zur Schützin des (total nach aktuellen FIFA-Regeln!) Golden Goals wird. Was freilich lediglich wirkt wie Werbe­un­ter­bre­chungen durch einen Adidas-Spot, den der Verband noch ungenutzt rumliegen hatte.
So kommt es zu solch bizarren Szene wie jener, wo – unpar­tei­isch hin oder her – beim Final-Sieg von Uruguay gegen Brasilien 1950 Jules Rimet mit der Trophäe wie in einer Todes­vi­sion durch den Spie­ler­tunnel und den Freu­dens­taumel stapft, als wäre eben ein Krieg verloren gegangen. Ohne dass irgend­etwas vorher oder nachher in dem Film je recht­fer­tigen würde, woher in jenem Moment diese Emotio­na­lität rührt.

Außer den selbst­ver­liebten Geld­ge­bern kann es niemanden ernsthaft verwun­dert haben, dass der Film lediglich in wenige Länder wie Serbien, Russland oder Portugal verkauft wurde. Und dass er nun am Woche­n­ende seines Kino­starts in den USA laut Hollywood Reporter ganze $918 einspielte – inklusive Kinos, in denen er binnen drei Tagen ganze zwei Zuschauer fand.
Freilich ist es leicht, sich darüber zu mokkieren und amüsieren. Aber bei aller Häme (begüngs­tigt durch das epochale Timing des US-Starts nach Blatters unmit­telbar auf seine Wieder­wahl folgenden Rücktritt) verdrängt dies nur das Beängs­ti­gende an (dem bezeich­nend unlei­den­schaft­li­chen) United Passions: Der FIFA ist das Einspiel­ergebnis letzt­end­lich egal. Sie hat die (angeblich) $25 Mio. von vorn­herein unter »Sonder­aus­gaben« verbucht. Und ist absolut nicht auf die Einnahmen an der Kinokasse ange­wiesen.
Der Film feiert die FIFA-Funk­ti­onäre nicht nach den gewöhn­li­chen Formen des Funk­tio­nie­rens von Filmen: Die Inves­ti­tion speku­lierte nur bedingt auf einen Gewinn durch Besu­cher­zahlen – der wäre allen­falls ein will­kom­mener Neben­ef­fekt gewesen. Und nicht etwa, weil künst­le­ri­scher vor monetärem Mehrwert ging. Der Film beweist schlicht, wie genügend Kapital sich auch im Kino ein Denkmal setzen kann. Wie man sich nach eitlem Gutdünken einen Spielfilm und das dazu­gehö­rige Renommée durch ange­heu­ertes Talent kaufen kann. Cannes-Premiere mit Rotem Teppich inklusive. (Weshalb zur ewigen Schande des Festivals United Passions sich vor dem Vorspann schmücken darf mit dem »Cannes – Sélection offi­ci­elle«-Emblem.)
Tim Roth immerhin – der für den damaligen, ja auch allgemein nicht gerade heiß­ge­liebten Eröff­nungs­film Grace of Monaco vor Ort war – hatte bezeich­nen­der­weise am Abend der Urauf­füh­rung ander­wei­tige Verpflich­tungen. Während Gerard Depardieu mit breitem Obelix-Grinsen und empor­ge­recktem Sieger-Daumen sich Arm in Arm mit Sepp Blatter feiern ließ. Depardieu hat die Zeichen der Zeit erkannt: Er ist schon längst bereit­willig Freund und Maskott­chen aller Despoten. War vermut­lich auch glücklich, für die Dreh­ar­beiten Aser­bai­dschan einen Besuch abzu­statten. (Eine der beein­dru­ckendsten Darstel­ler­leis­tung liefert eine osteu­ropäi­sche Straßen­ecke in der Rolle des »Swinging London«.)

Wir steuern auf eine Renais­sance feudaler Kunst zu: Beherrscht nicht von den Gesetzen der Markt­wirt­schaft, sondern vom Wunsch des Geldadels und der neuerstarkten Auto­kraten nach Reprä­sen­ta­tion, nach Volkes Bewun­de­rung. Wahr­schein­lich steht Putin längst vor dem Spiegel und überlegt, ob er nicht Daniel Craig ein Angebot machen soll, das der nicht ablehnen kann. Wahr­schein­lich wartet Rupert Murdoch nicht mehr ewig darauf, dass jemand anderes erkennt, dass er beim richtigen Licht­ein­fall durchaus täuschende Ähnlich­keit mit Michael Fass­bender hat. Und wahr­schein­lich gibt es mehr als genug Ölma­gnaten, die durch­schnitt­liche Hollywood-Budgets mit ihren wöchent­li­chen Ausgaben für diamant­be­s­täubte Platin-Ohrs­täb­chen verglei­chen und sich denken: »Ach ja, wieso eigent­lich nicht?«