19.02.2015

Tanz auf dem Zuckerhut

SERRA PELADA
Im Goldrausch: Serra Pelada von Heitor Dhalia eröffnet die Schau des brasilianischen Films

Das 10. Cinebrasil (6. Mostra Brasil) zeigt Filme aus Brasilien, ganz »authentisch« und ohne Anbiederung an den westlichen Geschmack

Von Dunja Bialas

Brasilien ist eine einzige Einladung zum Eska­pismus. Salsa, Karneval, Fußball­götter, der Zuckerhut und Rio de Janeiro sind Baude­laire'sche Sprung­bretter zu exoti­schen Träu­me­reien. Bevor die Fußball-WM vor zwei Jahren nach Brasilien kam, war auch noch das Strand­leben von Rio legendär, die Favelas auf den Hügeln ein undurch­sich­tiger Groß­stadt­dschungel, in den sich kaum ein Fremder wagte und in dem fast unbemerkt von der Öffent­lich­keit eine ganze Gene­ra­tion der Dealer und Banden­führer groß wurde. Die brasi­lia­ni­sche Regierung ließ hier vor dem sport­li­chen Event gründlich aufräumen: die Strände haben ihre Lässig­keit und Frei­zügig­keit verloren, die Favelas wurden – unter dem extremen Wider­stand der Bevöl­ke­rung – befriedet, zumindest für eine Weile, bis nach den Olym­pi­schen Sommer­spielen zumindest, die im August in Rio de Janeiro statt­finden.

Seit Ende Januar tourt das 10. Brasi­lia­ni­sche Film­fes­tival »Cine­brasil« durch Deutsch­land, und macht nach Stationen in den wich­tigsten Kino­städten Leipzig und Köln und vor Freiburg, Berlin, Frankfurt, Hamburg und Bonn nun auch vier Tage Halt in München. Das Projekt der Berliner Film­pro­duk­ti­ons­firma »Cinema negro«, die afro-brasi­lia­ni­sches Kino in Deutsch­land im inter­kul­tu­rellen Sinne und im Hinblick auf die exis­tie­rende afro-deutsche Kultur bekannt machen will, hat acht brasi­lia­ni­sche Produk­tionen der letzten drei Jahre versam­melt. Diese werden in München nun im Rahmen der 6. Brasi­lia­ni­sche Filmschau »Mostra Brasil« vorge­stellt.

Brasilien hat als letztes südame­ri­ka­ni­sche Land, erst 125 Jahre oder noch nicht einmal vier Gene­ra­tionen ist dies her, die Sklaverei abge­schafft. Mit deren Nach­wir­kungen befasst sich das Biopic O Senhor do Labirinto (Der Herr des Laby­rinths) über den Brasi­lia­ni­schen Künstler Arthur Bispo do Rosário, der 1909 als Sohn ehema­liger afri­ka­ni­scher Sklaven geboren wurde. Von Hallu­zi­na­tionen verfolgt, verbrachte er sein Leben in der Hölle der psych­ia­tri­schen Insti­tu­tionen von Rio de Janeiro, wo er ein außer­ge­wöhn­li­ches Werk aus urbanem Abfall schuf. O Senhor do Labirinto ist der zweite Film des brasi­lia­ni­schen Filme­ma­chers Geraldo Motto und könnte als eine Art unki­ti­schiger Gegen­ent­wurf zu Wim Wenders Das Salz der Erde durch­gehen.

Sehr zugute halten muss man »Cine­brasil«, tatsäch­lich Filme von brasi­lia­ni­schen Regis­seuren zu zeigen und somit Brasilien als Filmland mit eigener Stimme vorzu­stellen. Das ist bei derar­tigen Länder­fes­ti­vals leider gar nicht so selbst­ver­s­tänd­lich. So findet sich in dem Programm keine einzige europäisch-brasi­lia­ni­sche Co-Produk­tion, was für die Initia­toren auch ein Risiko bedeutet, da so die für »westliche« Augen produ­zierten Filme ausge­schlossen bleiben. Dies macht die Reihe umso inter­es­santer. Bekannte Namen oder gefällige Themen wird man bei der »Cine­brasil« daher kaum finden. Die höchste Popu­la­rität verspricht noch der Doku­men­tar­film Cidade de Deus: 10 Anos Depois, der nach­forscht, was aus den Laien­dar­stel­lern aus City of God geworden ist. Auf den Welt­erfolg von 2002 folgte Ernüch­te­rung, nicht nur bei den brasi­lia­ni­schen Regis­seuren Kátia Lund und Fernando Meirelles. Die Laien­dar­steller, denen City of God ein schmutzig-verfüh­re­ri­sches Denkmal setzte, haben ihr Leben als unauf­fäl­liges Dasein fort­ge­setzt – von ein paar Klein­kri­mi­nellen mal abgesehen und den wenigen, die versuchten, in der Film­branche Fuß zu fassen. Der Film von Luciano Vidigal und Cavi Borges ist eine nüchterne, teils auch ernüch­ternde Bestands­auf­nahme auch darüber, was Film­pro­jekte bewirken können. Oder auch nicht.

Brasilien und Tanz, das gehört unbedingt zusammen. Um Filme de Dança der Regis­seurin Carmen Luz widmet sich der neben dem Fußball wohl wich­tigsten Leiden­schaft des Landes. Ihr Doku­men­tar­film ist eine Hommage an die Einflüsse der Schwarzen auf die Tänze und Choreo­gra­phien des Landes und zeigt eine Geschichte des schwarzen Körpers frei von europä­si­schen Einflüssen.

Einer der brasi­lia­ni­schen Träume ist es, über die Boden­schätze zu Reichtum zu gelangen. Immer wieder kommt es zum koll­ke­tiven Gold­rausch, wie zuletzt 2007, als der »Spiegel« titelte: Rausch am Rio Juma: Tausende Brasi­lianer drängen zum Gold-Fluss im Regenwald. Serra Pelada (Bald Mountain), mit dem die Mostra Brasil beginnt, geht zurück in die 1980er Jahre, in den größten Tagebau der Neuzeit. Der Film des großen bras­lia­ni­schen Regis­seurs Heitor Dhalia erzählt das Zerwürfnis einer Freund­schaft, die über Gold, Gier und Gewalt zerbricht. (Fr., 20.02., 20:30 Uhr, Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig.)

10. Cine­brasil / 6. Mostra Brasil, 20.-24.02.2015, München, Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig