15.01.2015

Der Letzte der Giganten

Cadaveri Eccellenti
Lino Ventura in Cadaveri Eccellenti

Tragödie des Staates: Zum Tod des Filmregisseurs Francesco Rosi

Von Rüdiger Suchsland

Er begann seine Karriere Ende der 40er Jahre als Regie­as­sis­tent von Luchino Visconti und Michel­an­gelo Antonioni. Für seinen Polit­thriller »Hände über der Stadt«, ein nach wie vor aktuelles Drama über verbre­che­ri­sche Immo­bi­li­en­spe­ku­la­tion und poli­ti­sche Korrup­tion bekam er schon 1963 den Goldenen Löwen von Venedig – da hatte er bereits einen Silbernen Bär bei der Berlinale im Jahr zuvor gewonnen – für den Mafiafilm »Salvatore Giuliano«. Jetzt ist der italie­ni­sche Film­re­gis­seur Francesco Rosi im Alter von 92 Jahren in Rom gestorben.

Es gibt zwei Mythen über die Mafia. Der eine ist der nord­ame­ri­ka­ni­sche Mythos: Mafiosi sind Menschen. Marlon Brando, Robert de Niro oder Al Pacino verkör­pern diese schönen Verbre­cher­helden in all ihrer Coolness, sie zeigen sie als gute Söhne, Brüder, Väter, die eigent­lich immer nur ihrer spaghet­ti­ko­chenden Mamma gefallen und die Familie zusam­men­halten wollen. Diese Huma­ni­sie­rung der Mafia weckt Vers­tändnis noch für den unnö­tigsten Mord, denn alles geschieht ja für Mamma.

Der zweite Mythos ist der italie­ni­sche: Mafia ist immer und überall. Eine Krake. Wenn man ihr einen Arm abschlägt, wachsen zwei neue nach. Wir erleben sie als eiskalte Unsicht­bare, als Bestie, und zugleich als omni­prä­sent: Sie hat das Gesicht korrupter Bullen oder schlä­gernder Halb­wüch­siger, von Wirt­schafts­bossen in edlen Anzügen, mit schweren dunklen Limou­sinen. Und das von Poli­ti­kern, die braun­ge­brannt und lächelnd »Verant­wor­tung« sagen und »Macht« meinen, die nicht gekauft werden müssen, weil ihnen der Glanz des Amtes und die Body­guards in Armes­länge Bestechung genug ist.
Sinnlos ist der sysi­phos­hafte Kampf verein­zelter Poli­zisten allein gegen diesen Fami­li­en­clan anderer Art, und am Ende des Films steht immer der Sieg des Unsicht­baren.

Kein zweiter Film­re­gis­seur hat diese Welt so geschickt, so über­zeu­gend und eindrucks­voll insze­niert, wie Francesco Rosi. Seine Filme sind Epen des Verbre­chens. Sie roman­ti­sieren die Mafia allen­falls dadurch, dass sie sie in Eise­s­kälte und Perfek­tion als unbe­sieg­bare zeigen, die vorgibt, die Wirk­lich­keit zu schildern.

Die meisten Filme des 1922 geborenen Italie­ners waren politisch enga­gierte Thriller und Gangs­ter­filme. Fast doku­men­ta­risch und in jedem Detail hyper­rea­lis­tisch (obwohl die einzelnen Bilder bis ins Kleinste insze­niert sind) zeigte Rosi die Zustände des Nach­kriegs-Italiens in den 50er, 60er und 70er Jahren. Salvatore Giuliano (1961), Hände über der Stadt (1963), Der Fall Mattei (1972) und noch Lucky Luciano von 1973 wirken phasen­weise wie Doku­men­tar­filme. Rosi schaut genau hin, aber er bleibt immer skeptisch.

Schon sein erster Film I Magliari, 1958 in Hamburg gedreht, im italie­ni­schen Gast­ar­beiter- und Hafen­mi­lieu, zeigte die fließenden Grenzen zwischen kleinen Straßen­händ­lern und Straßen­gangs – eine west­deut­sche Westside-Story.

Keiner hat den Filz zwischen Mafia, Macht und Kapital so kühl und doch eindeutig anklagend in Film verwan­delt wie er. Wie ein Ermitt­lungs­be­amter verschafft sich der Regisseur stell­ver­tre­tend für die Zuschauer ein objek­tives Bild, doch im selben Moment drückt er sich nicht um dessen Bewertung. Viele Filme Francesco Rosis gleichen einem Prozeß. Die Fakten werden nüchtern und sachlich präsen­tiert, am Ende wird das Urteil gespro­chen.

Aber Rosis Helden sind keine Ankläger, sondern Produkte der Verhält­nisse, und an ihren Defekten, die sie in aller Inte­grität doch nicht verleugnen können, zeigt sich die Gewalt des Systems. Ihre Anklagen sind deshalb indi­rekter, aber um so schärfer. Oft sind es Ermittler, wie der stoische Inspektor Rosas, der gespielt von Lino Ventura in Cadaveri Eccel­lenti (1976) eine Serie von Rich­ter­morden aufklären muss.

Rosi – das konnte man nicht genug schätzen – hat die Wirk­lich­keit nie mit der Wahrheit verwech­selt. Aber seit den 1980ern ging die Zeit über diese Art von Krimi­nal­film hinweg: Im Poli­zei­film der 1980er drehten Poli­zisten durch und richteten ein Massaker unter Verbre­chern an, weil hierin die einzige Alter­na­tive dazu liegt, selbst korrupt zu werden. Dagegen waren Rosis Helden die korrekten, braven Beamten. Stur tun sie ihren Beruf noch im Scheitern perfekt. Und so wie die Mafia – darum liebt sie Hollywood so – die gewalt­tä­tigen Ursprünge des freien Unter­neh­mertum bloßlegt, enthüllen Rosis Filme in ihren melan­cho­li­schen Sisy­phos­helden die Tragödie des Staates im Kampf mit dem Kapi­ta­lismus.

Seit den 70ern wandte sich Rosi daher auch anderen Themen zu: Christus kam nur bis Eboli brachte 1979 noch einmal späten Ruhm, ebenso die Marquez-Verfil­mung Chronik eines ange­kün­digten Todes 1987.

Rosis letzter Film war 1997 Die Atempause – die Verfil­mung der bitteren KZ-Tage­bücher von Primo Levi. Bis zum Schluss blieb Rosi, der seine Filme auf Retro­spek­tiven in Berlin, Locarno und Venedig zeigte und persön­lich beglei­tete, ein enga­gierter Filme­ma­cher.
Er, der als Regie­as­sis­tent von Visconti und Antonioni begonnen hatte, war der letzte dieser unver­gleich­li­chen Gene­ra­tion des italie­ni­schen Kinos. Der letzte der Giganten