15.05.2014

Ein anderes Kino ist möglich

La Bataille de 10 millions
Mit Zeigestock bewaffneter Charismatiker: Fidel Castro in Chris Markers La Bataille de 10 millions

Zu Besuch beim Filmkollektiv Frankfurt anlässlich des Programms »Chris Marker in Latein- und Südamerika«

Von Dunja Bialas

Vor zehn Tagen wurde in Ober­hausen ein mani­fes­t­ar­tiges »Flugblatt für akti­vis­ti­sche Film­kritik« in die Welt gebracht. Die fünf Vorstands­mit­glieder des Verbands der deutschen Film­kritik, darunter die Verfas­serin dieses Artikels, bemän­gelten darin u.a. den Zustand der deutschen Kino­land­schaft: »Film­ver­leiher und Kino­be­treiber haben in den letzten Jahr­zehnten das Programm­kino aufge­geben und es durch Arthouse ersetzt. Ein alter­na­tives Programm zum Main­stream gibt es fast nirgends mehr.«

Diese wenigen Zeilen brachten den fünf Film­kri­ti­kern ihrer­seits Kritik ein – von Betrei­bern kommu­naler Kinos, die sich durch die Sätze in ihrem Enga­ge­ment für ein anderes Kino ignoriert fühlten.

Ein anderes Kino, darunter auch das der kommu­nalen Initia­tiven, ist möglich und findet statt – genau das auch ist die Kern­aus­sage des akti­vis­ti­schen Flug­blatts. Ein anderes Kino ist dabei jedoch nicht ohne Subven­tion und persön­li­cher Initia­tive reali­sierbar – dies fest­zu­stellen folgt einer langen Tradition, die bereits in den 70er Jahren ihren Anfang nahm, in der Zeit, in der das Programm­kino sukzes­sive vom Main­stream abgelöst wurde, und in der sich die große Bewegung der kommu­nalen Kinos formierte.

Aus den Gras­wur­zel­be­we­gungen örtlicher Cineclubs hat sich so, auch unter dem Dazutun von Hilmar Hoffmann, dem damaligen Kultur­re­fe­renten Frank­furts, der eine »Kultur für alle« forderte (also für breite Schichten der Bevöl­ke­rung, die er in den örtlichen Volks­hoch­schulen sah), eine viel­fäl­tige Kultur alter­na­tiver Kinos entwi­ckelt, die man heute unter Bestand­schutz stellen sollte. Auch damals schon ließ man sich vom Gedanken leiten, dass auch das Kino ein Träger von Kulturgut sei, wie die subven­tio­nierten Thea­ter­häuser, und nicht unter die Zwänge der kommer­zi­ellen Film­aus­wer­tung geraten sollte.

Allzu­gerne wird sich auf den Errun­gen­schaften der Vergan­gen­heit ausgeruht. Einmal instal­liert, geraten auch die kommu­nalen Kinos, um ihre Existenz durch Besu­cher­zahlen zu recht­fer­tigen, in den gefähr­li­chen Sog des allge­gen­wär­tigen Main­streams, unter den sich auch das Arthouse-Kino subsu­miert, das Kino für den guten Geschmack, wenn auch fern der Block­buster-Produk­tionen.

Das Film­kol­lektiv Frankfurt, das erst letztes Jahr von den drei befreun­deten Film­au­toren und –wissen­schaft­lern Louise Burkart, Felix Fischl und Gary Vanisian gegründet wurde, versucht mit dezi­dierter Program­matik gegen diese Entwick­lung anzugehen. Sie verstehen sich als »Projek­ti­ons­raum für unter­re­prä­sen­tierte Film­kultur«, der in wech­selnden Häusern die Utopie eines anderen Kino­pro­gramms umzu­setzen sucht. Mani­fes­t­artig haben sie drei Grund­sätze formu­liert, die ihnen Hand­lungs­an­wei­sung sind: »1. Wir wollen (…) gewagte, unab­hängig kura­tierte Film­pro­gramme, die aus inhalt­li­chen und/oder prag­ma­ti­schen Gründen unter­re­prä­sen­tiert sind. – 2. Wir wollen einen Raum für Diskus­sion schaffen (…) – 3. Wir werden unsere Film­pro­gramme im Origi­nal­format und der origi­nalen Sprach­fas­sung zeigen.«

Neben der Auffüh­rung des monu­men­talen Expe­ri­men­tal­films You killed the Under­ground Film von Wilhelm Hein, der dieses Jahr den Ehren­preis der deutschen Film­kritik verliehen bekam, oder die umfas­sende Retro­spek­tive zum Werk des slowe­ni­schen Regis­seurs Karpo Godina, verwan­deln sie auch nicht­thea­trale Räume zum Kino, wie es im Rock­market, einem offenen Raum für Veran­stal­tungen in Frankfurt, unter dem Vorzei­chen des histo­ri­schen Horror­films geschah (gezeigt wurde White Zombie von 1932).

Zur Utopie eines anderen Kinos gehört auch die Hinwen­dung zum Poli­ti­schen. In diesen Tagen des frühen Mai, der früh­lings­haft nicht nur in Ober­hausen von einem erstarkten Willen zur Einmi­schung kündet, zeigte das Film­kol­lektiv im Filmforum Höchst das poli­ti­sche Kino Chris Markers in fünf Filmen, die sich mit dem südame­ri­ka­ni­schen Kontinent, Diktatur, Revo­lu­tion und Anti-Kolo­nia­lismus beschäf­tigen.

+ + +

»Es ist schwierig zu bestimmen, was einen Revo­lu­ti­onär ausmacht« – Fidel Castro

Zwei der gezeigten Filme seien hier exem­pla­risch für das bespro­chen, was die Film­ar­beit des Kollek­tivs bedeutet.
Der noch zu Lebzeiten Markers von ihm selbst geschmähte und immer noch mit einem Auffüh­rungs­bann belegte Cuba sí (1961), eine affir­ma­tive Feier des Aufbruchs der kuba­ni­schen Revo­lu­tion unter Fidel Castro, bildete den Auftakt. Marker versam­melt hier doku­men­ta­ri­sches Material aus verschie­denen Quellen (auch Bild­ma­te­rial des kuba­ni­schen »Doku­men­ta­risten« Santiago Álvarez ist darunter) und montiert es zu einem asso­zia­tiven Bilder­reigen, in dem sich aber weniger Marker als Propa­gan­dist der kuba­ni­schen Revo­lu­tion mani­fes­tiert, wie ihm seiner­zeit mit dem Verbot des Films durch das gaul­lis­ti­sche Innen­mi­nis­te­rium sugge­riert wurde, sondern, aus heutiger Zeit betrachtet, sich bereits der große Essayist ankündigt. So unter­teilt Marker sche­men­haft seinen Film in zwei Kapitel, »Le Château« und »Le Jardin«, in denen er die Armut beklagt und eine Art para­die­si­sche Utopie durch Kommentar und Bilder formu­liert. Fidel Castro, der sich wie Jahre später im Inter­view­film Coman­dante von Oliver Stone von 2003 für die Kamera produ­zieren darf, erscheint noch ungeübt, mit selbst­in­sze­nierter oder ange­dich­teter Schüch­tern­heit.

Fast zehn Jahre nach der eupho­ri­schen Feier des kuba­ni­schen Wegs will Marker seinen eigenen Film revi­dieren. La Bataille de 10 millions von 1970, in der es im Kern um das Anpeilen ökono­mi­scher Unab­hän­gig­keit durch eine Rekord­ernte von 10 Millionen Tonnen kuba­ni­schen Zuckers ging, zeigt als kommu­nis­tisch-roten Faden Castros selbst­kri­ti­sche Mara­thon­rede, in der er das Scheitern des ausge­ru­fenen Ziels einge­steht. Markers Film ist hier um Analyse und einen objek­tiven Kommentar bemüht, und verliert darüber in weiten Teilen seine verfüh­re­ri­sche Poesie, die ihn noch in Cuba sí zum Nach­denken über Armut, Tod und Erlösung aufschwingen ließ. Dennoch, auch hier seziert er in der Montage das Bild­ma­te­rial. Wir erkennen die Körper-Rhetorik Castros, wie er sich gekonnt vor dem Redner­pult in Szene setzt und die vor ihm aufge­bauten Mikro­phone tätschelt, als seien sie die Kinder der Revo­lu­tion. Ein Charis­ma­tiker, der hier spricht, und der mit Zeige­stock und Zigarre seiner Politik Gehör verschaffen will.

+ + +

Vergleiche schaffen, über die Aussagen von Bildern nach­denken, dem Wert des Propa­gan­dis­ti­schen, damals und heute in der Retro­spek­tive, nachgehen – der Wunsch nach Debatte, den das Film­kol­lektiv als zweiten Grundsatz seiner filmi­schen Arbeit formu­liert, löste sich gleichsam natürlich durch die Film­zu­sam­men­stel­lung ein. Werk-Apokry­phen zugäng­lich machen, sie als – in gutem Zustand erhaltene – 16mm-Kopien zu zeigen und damit auch Film­ge­schichte in ihrer Mate­ria­lität erfahrbar zu machen, alles das sind wichtige Bestand­teile, um Diskurse anzuregen. Diese erst, so kann es wiederum im Flugblatt für akti­vis­ti­sche Film­kritik nach­ge­lesen werden, schaffen Kultur und Wissen, und – auch wenn es pathe­tisch klingt – ermög­li­chen den mündigen Kultur­men­schen. Das Film­kol­lektiv Frankfurt ist ein Beispiel dafür, dass jenseits von etablierten Insti­tu­tionen eine andere Film­ar­beit machbar und auch notwendig ist. Kura­to­rium, poli­ti­scher Wille, sowie ökono­mi­sche und örtliche Freiräume durch die Kultur­po­litik sind dafür die wichtigen Voraus­set­zungen.