30.04.2014

Geschändet und zu Tode gequält

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Reiten auf der »grausamen Welle«

Ein ungewöhnliches Symposium über zwei ungewöhnliche Hexenfilme

Von Ulrich Mannes

Anfangs entsprach die Karriere des öster­rei­chi­schen Schau­spie­lers Adrian Hoven dem »Traumbuch vieler junger Männer« (1). Zeitweise war er der begehr­teste Filmstar der 50er Jahre und »Liebling aller Frauen zwischen sechzehn und sechzig«. Er bediente souverän die publi­kumsträch­tigen Genres, den Heimat- und Schla­ger­film, spielte an der Seite von Romy Schneider in Mädchen­jahre einer Königin, reihte sich in die „Große Star­pa­rade“ ein, gehörte zu den »dreien von der Tank­stelle«, er »küßte und liebte in Tirol«, fand in »Wien die Stadt seiner Träume« usw. In den 60er Jahren bekam aber auch er die Launen der gras­sie­renden Kinokrise zu spüren. Mit Enga­ge­ments für die etwas härteren Genres, für Krimis und Western, konnte er sich zwar dem »Sammet­käst­chen jung­männ­li­cher Wohl­er­zo­gen­heit« entziehen, aber nicht an die alten Erfolge anknüpfen. Klamm­heim­lich nahm er Mitte der 60er Jahre das Heft selbst in die Hand und gründete eine eigene Produk­ti­ons­firma namens Aquilla, für die er mit hohem Einsatz und einem aufrechten Gespür fürs Abgrün­dige einige denk­wür­dige Filme verant­wor­tete. Seine erste Regie­ar­beit, Das Mädchen mit dem Seiden­schal (1965), ein in den düsteren Ecken von Wien spie­lender Poli­zei­krimi, floppte noch gewaltig. Erst mit den Produk­tionen Necro­no­micon und Rote Lippen, in denen sich ein gewisser Jess Franco mit seinen ganz eigenen Sadomaso-Phan­ta­sien aus dem Genre­getto befreite, erzielte Hoven beacht­liche Erfolge. In Zeitungs­in­ter­views beruhigte Hoven seine Fans, dass er keines­wegs die Absicht habe »ausschließ­lich im Sumpf zu wühlen«.

Dennoch ritt er 1969 erst mal weiter auf der „grausamen Welle“ und widmete sich mit dem Film Hexen bis aufs Blut gequält der früh­neu­zeit­li­chen Hexen­ver­fol­gung, Hexen waren in den späten 60ern nämlich die Bringer im Exploi­ta­ti­on­kino. Und im Herzen Öster­reichs fand Hoven eine inspi­rie­rende Location: das Schloss Moosham im Lungau, wo im 17. Jahr­hun­dert tatsäch­lich Hexen­pro­zesse statt­fanden. Das Schloss bot das perfekte Setting: Räume, Möbel und Requi­siten von histo­ri­scher Echtheit, eine alte Gerichts­stube sowie einen bestens ausgerüs­teten Folter­keller.

Davon konnten sich vor gut drei Wochen die Teil­nehmer eines film­his­to­ri­schen Sympo­siums über­zeugen, das im nahe­ge­le­genen Tamsweg veran­staltet und mit einer Führung durch eben dieses Schloss am Ende aufge­lo­ckert wurde. Man könnte sich fragen, welches der beiden Vorhaben man eines Tages als das aber­wit­zi­gere einordnen wird: Einen Expo­loi­ta­ti­on­film zu drehen (2), dessen »Besetzung auch heute noch wirkt, als wäre sie im Forum einer fiktiven Fantasy Filmma­king League entstanden« (Vice), oder das nun 45 Jahre später nach­ge­reichte Symposium, wofür der Veran­stalter Andreas Ehren­reich, gestützt vom Wiener Institut für Theater-, Film- und Medi­en­wis­sen­schaften, die Salz­burger Wirt­schafts­kammer als Sponsor gewinnen konnte.

Und so näherten sich in den Räumen der Tamsweger Wirt­schafts­kammer-Depan­dance zwei Tage lang Wissen­schaftler aus dem deutsch­spra­chigen und anglo­ame­ri­ka­ni­schen Raum (3) diesem cine­as­ti­schen Wunder­werk (englisch: Mark of the Devil) und nebenbei noch dem drei Jahre später ebenfalls von Hoven im Lungau gedrehten Sequel Hexen – Geschändet und zu Tode gequält (das eigent­lich eine Variation des ersten Teils ist und nur titel­mäßig an der Eska­la­ti­ons­schraube dreht). Aber nicht allein die beiden Filme, der ganze akade­mi­sche Hexen­kosmos kam mit Hilfe ange­sagter inter­dis­zi­plinärer Codes zu seinem Recht. Der Bogen wurde also cross­me­dial und munter asso­ziativ gespannt, er reichte von Georges Bataille und seiner „Philo­so­phie der Trans­gres­sion“ bis zur Analyse der Einflüsse des Genre­kinos auf das poli­ti­sche Klima in den 70er Jahren. Es ging um Paral­lelen zu aktuellen US-Serials, um weibliche Stero­typen, um Märty­rertum und Voyeu­rismus. Es wurden theo­lo­gi­sche, ikono­gra­phi­sche, rechts- und zensur­ge­schicht­liche, gender- und queer-theo­re­ti­sche Refe­renzen aufge­fahren. So rückte der Film manchmal etwas aus dem Blickfeld um plötzlich doch wieder ganz konkret disku­tiert zu werden, z.B. mit der Frage, wer bei der kompli­zierten Produk­ti­ons­ge­schichte nun eigent­lich die Auto­ren­schaft des Films für sich bean­spru­chen kann. Nur ein Teil­nehmer posi­tio­nierte sich als radikaler Außen­seiter und über­schrieb seine Präsen­ta­tion über »Self Narrative, Canon Construc­tion, and Audience Analysis« so: »Why Have I Never Seen Mark of the Devil?«

Diese Frage dürfte sich am Ende für alle Anwe­senden erübrigt haben: Während der zwei Sympo­si­ums­tage gab es natürlich beide Hexen-Filme zu sehen – als abend­liche Video­vor­füh­rungen, zu denen sich sogar ein paar einhei­mi­sche Zuschauer gesellten. Und es gab Ehren­gäste: Am ersten Abend kam Schla­ger­star Michael Holm, der für die Filmmusik von Teil 1 verant­wort­lich war. Am zweiten Abend stießen die Gallo-Ikone Erica Blanc und Adrian Hovens Sohn Percy dazu, die sich im zweiten Teil als Mutter und Sohn den Folter­qualen der Hexen­jäger aussetzen lassen mußten. Die anschließenden Publi­kums­ge­spräche boten viel Anek­do­ti­sches: Michel Holm erzählte, daß er den Deal mit Adrian Hoven im Lärm einer Münchner Disco gemacht hat – ohne wirklich zu wissen, worauf er sich einge­lassen. Percy Hoven feierte mit Erica Blanc ein fröh­li­ches Wieder­sehen und erinnerte sich, daß er als damals Acht­jäh­riger als Gage ein Bonanz­a­fahrrad erhalten hatte (4).

Ob nun dieses Symposium zu einer Umwidmung oder Neube­wer­tung der beiden Hexen­filme führen wird, das soll erst entschieden werden, wenn die ange­kün­digte Publi­ka­tion dazu heraus­ge­kommen ist. Für Adrian Hoven standen die Hexen­pro­jekte aller­dings unter keinem guten Stern: Das Geschäft für den überaus erfolg­rei­chen ersten Teil machten allein seine Copro­du­zenten, und während der Dreh­ar­beiten des zweiten Teils ereilte ihn ein Herz­in­farkt. Er ging also finan­ziell und gesund­heit­lich schwer deran­giert aus dem Abenteuer hervor, drehte danach noch ein paar Filme (darunter Puste­blume mit Rutger Hauer), fand dann Anschluß an die Fass­bin­der­stock­kom­panie und starb 1981 nach einem aber­ma­ligen Herz­in­farkt mit erst 58 Jahren.

(1) Alle Zitate stammen aus zeit­genös­si­schen Pres­se­ar­ti­keln.
(2) Zum ersten Hexenfilm gibt es einen vorbild­li­chen Wikipedia-Eintrag.
(3) Wer wissen will, wer alles am Symposium teil­ge­nommen hat und wie die Präsen­ta­tionen im einzelnen über­schrieben waren, der geht am besten auf die Webseite des Kongresses.
(4) Noch mehr Anekdoten bietet ein VICE- Artikel