27.11.2008

Weckruf

Miguel Gomes' Dieser schöne Monat August
Beobachtet oder gestellt? Fuchs vor Hühnerstall – Miguel Gomes' Dieser schöne Monat August
(Foto: Viennale | Miguel Gomes)

Our Beloved Month of August des Portugiesen Miguel Gomes war die Entdeckung der diesjährigen Viennale

Von Dunja Bialas

Der Regisseur Miguel Gomes hat dieses Jahr in Cannes für Furore gesorgt. Mit seinem fast dreis­tün­digen, semi-doku­men­ta­ri­schem Film Aquele Querido Mês de Agosto (Our Beloved Month of August), der in der »Quinzaine des réali­sa­teurs« seine Welt­pre­miere feierte, brachte er das Schub­la­den­denken der anwe­senden Film­kri­tiker gehörig durch­ein­ander. Zugleich setzte er einen Meilen­stein, indem er anschei­nend aus der Not leicht­füßig eine Tugend werden und nebenbei auch noch das herkömm­liche Erzähl­kino ziemlich alt aussehen ließ.

Die Viennale hat dem 36-jährigen Miguel Gomes dieses Jahr ein Special gewidmet und sein noch sehr über­sicht­li­ches Filmwerk bekannt gemacht. Zwei abend­fül­lende Filme hat er bislang reali­siert, dazu kommen eine Handvoll Kurzfilme, in denen sich schon die unbe­schwerte Leich­tig­keit seines gefei­erten Cannes-Films abzeichnet.

Dass Gomes von der Viennale als Regisseur angekün­digt wurde, der seit 2004 fiktio­nale mit doku­men­ta­ri­scher Erzähl­weise verbindet, kann als Miss­ver­s­tändnis über seine Film­uni­versen angesehen werden, und trifft sein Film­schaffen dennoch wiederum, viel­leicht fälsch­lich, auf den Punkt. Gomes' Film­uni­versen sind hoch arti­fi­zi­elle Systeme, in denen er seine Figuren in reinen Konstel­la­tionen agieren lässt, und die darge­stellte Welt deutlich über­zeichnet. Knallig bunt geht es in seinen Filmen zu, Figuren verbinden sich nur noch in ange­deu­teten Geschichten zuein­ander, populäre Songs werden zum roten Faden, der das Film­gerüst zusam­men­hält. Dort, wo nicht mehr im klas­si­schen Sinne erzählt wird, ergeben sich Momente eines souver­änen Kinos, eines, dessen Bilder­prä­senz für sich steht und doch in den Zwischen­räumen imaginäre Geschichten zulässt. Wie in seinem ersten Kurzfilm Entranto von 1999, dem Gomes den Unter­titel einer »musi­ka­li­schen Romanze« gegeben hat. Lose erzählt er eine Coming-of-Age-Geschichte, in der ein sehr andro­gynes Mädchen, Rita, zwischen zwei Jungs, Rui und Nuno, steht. Eine unter­schwel­lige Anzie­hungs­kraft verbindet die drei zu einer menage à trois, ohne dass dennoch viel zwischen ihnen passieren würde. Die Bilder erzählen von einem statisch-dyna­mi­schen Mitein­ander, mal liegen sie eng anein­an­der­gerückt zu Dritt am Strand, mal sehen wir Rita entrückt und allein auf einem Dorfball tanzen. Der Film erscheint wie eine Anein­an­der­rei­hung schon fast surrealer, nicht mehr auf eine reale Welt rück­be­zieh­barer Momente – wie etwa wenn von einem Flugzeug aus rote Werbe­flyer herab­regnen und sich auf den hellen Sand legen wie Rosen­blätter aus dem All. Falls Gomes durch diese Film­ta­bleaus überhaupt erzählt, dann ist es eine äußerst lako­ni­sche Erzähl­weise, die getragen wird von Musik­stü­cken, die immer wieder in die Abfolge der Szenen einge­flochten werden und den denkbar schlech­testen Dorf­diskos entstammen. Gomes lässt durch seine lücken­hafte, frag­men­ta­ri­sche Darstel­lungs­weise ein höchst sommer­li­ches Gefühl entstehen, unver­bunden und intensiv wie das Erleben eines Abends im Süden, nachdem man sich einen leichten Sonnen­stich geholt hat.

Ein leichter Sonnen­stich der Absur­dität durch­dringt in positiver Weise auch den in Cannes gefei­erten Aquele Querido Mês de Agosto. Gomes scheint mit ihm in Vielem an seinen ersten Kurzfilm anzu­knüpfen. Wieder geht es um eine Coming-of-Age-Geschichte (diesmal ist es eine bande à quatre, die sich im Verwirr­spiel der Liebe wieder­findet), dazu kommt noch die Möglich­keit eines inzes­tuösen Verhält­nisses zwischen Vater und Tochter, die ihrer verschwun­denen Mutter zum Verwech­seln ähnlich sieht. Die Figu­ren­kon­stel­la­tion löst sich schließ­lich wie in einer klas­si­schem Komödie zugunsten der jungen Liebenden (Cousin und Cousine) und gegen die »dummen« Alten auf. Aber nicht diese von Abgrün­dig­keit durch­setzte Feuil­leton-Geschichte macht den Film aus; will man von ihm sprechen, so muss ein völlig anderer Zugang gewählt werden, um das unfassbar Schöne, den reinen Sonnen­schein, den der Film ausstrahlt, zu begreifen.

Der Film erzählt – wie schon der Kurzfilm – nicht auf konven­tio­nelle Weise. Vielmehr ist mehr als sein Drittel ein fast unver­bun­denes Anein­an­der­reihen von einge­fan­genen, scheinbar oder anschei­nend (je nachdem, welche Inten­tio­na­lität man dem Regisseur unter­stellen mag) doku­men­ta­ri­schen Momenten: ein Hühner­ge­hege, um das der Fuchs schleicht und plötzlich mit einem Satz die Hühner in alle Rich­tungen fliehen lässt; ein gejagtes Wild­schwein, dem man beginnt, das Fell abzu­ziehen; ein hinkender Dorf­bur­sche, der von seinem alljähr­li­chen Sprung von der Brücke in den Fluss beim Dorf Arganil berichtet; das Interview des Filme­ma­chers mit einem Engländer, der sich in dem portu­gie­si­schen Dorf nieder­ge­lassen hat, weil er es für das immer­wäh­rende Urlaubs­pa­ra­dies hält, während seine weibliche Beglei­tung beharr­lich von Ressen­ti­ments und Rassismus gegenüber Fremden spricht. Die Moment­auf­nahmen sommer­li­chen Tuns oder Nichttuns rhyth­mi­siert Gomes durch die Auftritte von Dorfbands und Karaoke-Abende, deren Namen in doku­men­ta­ri­scher Manier einge­blendet werden. Die Musik ist eher trashig, oft melan­cho­lisch, versonnen und hoffend. Mittel­mäßige Kapellen spielen hier vergnü­gungs- und liebes­hung­rigen Dorf­be­woh­nern ein Ständchen und bringen sie mit den schnul­zigen Texte ihrer Lieder zum Träumen.

Gomes hat diesen ersten Part des Films, der mehr als eine Stunde einnimmt, aus einer Art Verle­gen­heit heraus gedreht. So jeden­falls will es die Legende, die sich um die Entste­hung des Films rankt, und die im Film selbst thema­ti­siert wird. Gomes kam im August 2006 in das Städtchen Arganil in Zentral­por­tugal, einer Gegend, die ihm seit seiner Kindheit bekannt ist für das ausge­las­sene Abfeiern im Monat August. Vor der karne­val­esken Kulisse der Sommer­fe­rien wollte er ein musi­ka­li­sches Melodram drehen mit der oben skiz­zierten Coming-of-Age-/Inzest-Geschichte. Nur hatte er leider zu wenig Mittel für seinen Film auftreiben können, und kam also mit seinem Filmteam an den Ort ohne die Möglich­keit, Schau­spieler enga­gieren zu können. Aus Verle­gen­heit – »und weil man nun mal schon da war« – so wird gesagt, begann er, seine Umgebung doku­men­ta­risch abzu­filmen. In der Montage hat er dieses Material der Wirk­lich­keit zu unver­bun­denen szeni­schen Momenten zusam­men­ge­schnitten, ein post­kar­ten­ar­tiges Aufbe­wahren von Erleb­nissen, die er in diesem Drehmonat hatte.

Der Film thema­ti­siert die Misere, kein Geld für Schau­spieler zu haben und dem eigent­li­chen Film­pro­jekt nicht gerecht zu werden, auf einer Meta-Ebene, einem Film-im-Film, in dem Regisseur und Produzent zusammen an einem Tisch sitzen, der Produzent sorgen­voll über das Drehbuch gebeugt, der Regisseur zerknirscht sein Vorgehen erläu­ternd. Eine dieser Metaszenen wird dann Schar­nier­funk­tion über­nehmen, und in der Frage nach den Schau­spie­lern, die aufgrund mangelnder Gelder nicht gecastet werden können, in den gespielten Teil des Films über­leiten.

Diesen zweiten Teil reali­sierte Gomes dann ein Jahr später, wieder im August, am selben Fleck. Seine finan­zi­elle Not hat sich nur zum Teil gelöst. Profes­sio­nelle Schau­spieler wurden nicht gefunden, der Produ­zenten spielt höchst­per­sön­lich den unter Inzest­ver­dacht stehenden Vater, und die beiden Mädels, die im Film agieren, stammen selbst aus dem Dorf. Sie bewarben sich infolge eines Casting-Aufrufs, was im Film miter­zählt wird. Diese selbst­re­fle­xive Brechung der Spiel­hand­lung wird immer wieder als Hinweise auf den Akt des Filmens aufge­griffen: des öfteren sind Tonarme im Bild zu sehen, der Kame­ra­mann wird von den Prot­ago­nisten erwähnt. Die erzählte Ebene wird damit immer wieder verlassen und von außen ange­blickt, woraus ein leicht­füßiges Sich-nicht-ernst-Nehmen des Films entsteht.

Es dauert lange, bis sich aus den eher unver­bun­denen Moment­auf­nahmen des Dorf­ge­sche­hens und den vielen poten­ti­ellen Prot­ago­nisten die eigent­li­chen Hand­lungs­träger und ihre Geschichte heraus­schälen. Gomes kommt auch hier immer wieder auf seine doku­men­ta­ri­sche »Expo­si­tion« zurück, indem Motive oder Gesprächs­themen wie ein Echo wieder­kehren, und vor allem, indem er die Haupt­figur, Tânia, Popstar des Dorfes sein lässt. Sie lässt, wie die doku­men­ta­ri­schen Bands zuvor, die Dorf­be­wohner durch die Texte ihrer Lieder träumen, und Gomes lässt sie mit ihren Texten zugleich auch die melo­dra­ma­ti­sche Handlung des Films kommen­tieren, gleich einem antiken Chor, der von außen auf das Geschehen blickt und dem Ganzen ein zusätz­li­ches Durch­schlupf­loch bietet, um der Fiktion zu entkommen.

In Aquele Querido Mês de Agosto ist alles erlaubt: von den doku­men­ta­ri­schen Bildern in die Fiktion hinein­zu­g­leiten, und wieder zurück; aus den gefilmten Bildern heraus­zu­treten in die Ebene des Filmens, und einfach wieder hinein (wie ein Blick in und hinter den Spiegel). Was dabei Ernst ist, also unin­sze­nierte, doku­men­ta­ri­sche, »echte« Wirk­lich­keit, und was Spaß, also freies Spiel der Insze­nie­rung, das bleibt letztlich schwer entscheidbar. Wie im Vexier­bild, je nachdem, welche Ebene fokus­siert wird, erscheint das eine oder das andere mehr plausibel. Fest steht: das Verwirr­spiel mit den Ebenen des Realen und des Fiktiven hat die narra­tiven Konven­tionen aus ihrem Korsett befreit, und das Jonglieren mit den doku­men­ta­ri­schen Versatz­stü­cken ist die geniale Voraus­set­zung für diesen sommer­leichten Film.