20.11.2008

Let's Make Opinion – Wenn in Dokumentarfilmen Meinungen wichtiger als Fakten werden

»Let's Make Money«
Millionen, Billionen, Billiarden, Trillionen?

Wie sich die Zeiten ändern: Noch vor wenigen Jahren war der Dokumentarfilm in der Krise. Heute gibt es zu jeder Krise einen Dokumentarfilm

Von Michael Haberlander

Unter den zahl­rei­chen Subgenres, die der Doku­men­tar­film in den letzten Jahren hervor­ge­bracht hat, ist das der „Anti­glo­ba­li­sie­rungs­doku“ eines der erfolg­reichsten. Erkennen kann man diese Filme an ihrer Themen­wahl (Klima­wandel, Armut, Umwelt­zer­störung, Krieg, etc.), an ihrer (nicht immer offen ersicht­li­chen) Partei­lich­keit und der daraus resul­tie­renden Verwen­dung von Erzähl­mit­teln, die auch vor Popu­lismus, Agitprop und Verein­fa­chung nicht zurück­schre­cken, die somit ihr Ziel (den Zuschauer aufzu­rüt­teln, aufzu­regen, anzu­sta­cheln) über die bishe­rigen Prin­zi­pien des objektiv beob­ach­tenden Doku­men­tar­films stellen.

Bis zu einem gewissen Grad ist es eine Frage des persön­li­chen Geschmacks, ob man sich einen Doku­men­tar­film anschaut, um eine (wenn auch nicht unbedingt Wahrheit so doch) Wahr­haf­tig­keit hinter dem darge­stellten Thema zu entdecken oder, um sich seine bereits (latent) bestehende Meinung zur Schlech­tig­keit der Welt bestä­tigen zu lassen.
Aus rein cine­as­ti­scher Sicht muss man aber ausdrück­lich darauf hinweisen, dass diese Art von Filmen strickt vom klas­si­schen Doku­men­tar­film-Ideal zu trennen sind.

Wichtig ist diese Abgren­zung, da der Doku­men­tar­film bis vor einigen Jahren ein Garant für unab­hän­gige und sachliche Darstel­lung der Realität war, weshalb ihm eine ähnliche Glaub­wür­dig­keit wie dem seriösen Jour­na­lismus zuge­spro­chen wurde.
Filme wie aktuell Let’s Make Money ziehen nun großen Vorteil aus dieser Repu­ta­tion, ohne es wirklich zu verdienen.

Wer Erwin Wagen­ho­fers vorher­ge­henden Film We Feed the World gesehen hat, konnte bereits dort studieren, wie man die Wahrheit im eigenen Sinne gestaltet, ohne dabei explizit lügen zu müssen. Da sind die Bösen über­heb­lich, egois­tisch und durch­ge­knallt, die Guten dagegen hilflos, vernünftig und verzwei­felt, die Miss­stände sind eindeutig, die Lösungen einfach.
Weil mich Popu­lismus grund­sätz­lich nervt, egal aus welcher Ecke er kommt, habe ich mir Wagen­ho­fers neues Werk Let’s Make Money bewusst nicht ange­schaut, da alle Anzeichen darauf hindeu­teten, es hier im Prinzip mit dem selben Film zu tun zu haben, nur dass diesmal die Finanz­welt und nicht die Lebens­mit­tel­in­dus­trie der totalen Perver­sion überführt wird.

Allein der Trailer zum neuen Film zeigt nun sympto­ma­tisch, wie Wagen­hofer und Co. den von ihnen gewünschten Effekt erzielen.
Es geht dabei um eine kleine Szene aus dem Film, in der der Steu­er­ge­rech­tig­keits­ak­ti­vist John Chris­tensen davon spricht, welch enormes Privat­ver­mögen (vermut­lich) in diversen Steu­er­pa­ra­diesen schlum­mert und so der Sozi­al­ge­mein­schaft entzogen ist. »11,5 trillions Dollar«, sagt Chris­tensen auf englisch und »11,5 Tril­lionen Dollar« über­setzen dazu die Unter­titel.
»Wahnsinn!«, denkt man unwei­ger­lich. »Was für ein Betrag und was für eine riesige Schwei­nerei!«
Dummer­weise ist aber im Engli­schen (vor allem im ameri­ka­ni­schen Sprach­ge­brauch) eine trillion keines­wegs das gleiche wie eine deutsche Trillion, genau so wenig wie die englische billion im Deutschen einer Billion entspricht, sondern einer Milliarde. 11,5 trillion sind deshalb in unserer Sprache 11,5 Billionen.

Ist das jetzt schlimm? Was macht es schon für einen Unter­schied? Millionen, Billionen, Billi­arden, Tril­lionen? Wer kennt sich da noch aus, wer kann sich unter diesen Zahlen überhaupt noch etwas vorstellen? Geht es nicht um die grund­sätz­liche Aussage, nämlich dass unvor­stell­bare Geld­mengen an der Steuer vorbei­ge­schleust werden? Warum also auf einem kleinen Über­set­zungs­fehler herum­reiten?
Nun, weil dieser „kleine“ Fehler eine große Wirkung hat und sein Auftreten mehr ist, als nur eine unbe­deu­tende Nach­läs­sig­keit.

Wer den Filmtitel und das Wort Tril­lionen googelt, stellt schnell fest, mit welcher unglaub­li­chen Selbst­ver­s­tänd­lich­keit die Zahl der 11,5 Tril­lionen Dollar sowohl von der Bericht­erstat­tung zum Film, als auch von diversen Blogs und Chats über­nommen und einschlägig kommen­tiert wurde. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis diese Zahl ihren Weg in die allge­meine Diskus­sion findet und sie einem plötzlich von allen möglichen Leuten im Brustton der vollsten Über­zeu­gung als Beleg ihrer Argumente um die Ohren geknallt wird und man sich wieder mal wundert, woher solche angeblich fundierten Daten kommen.

Aber woran liegt das, dass diese offen­sicht­lich absurde Zahl (zur Verdeut­li­chung: 1 Trillion Dollar sind das 1.000.000-fache von einer Billionen Dollar, also des wahn­wit­zigen Betrags, den Amerika zur Rettung seiner Banken aufwendet) so ohne weiteres hinge­nommen wird? Weil sich keiner was darunter vorstellen kann? Weil das alles viel zu abstrakt ist?
Nur zum geringen Teil. Es liegt vor allem daran, dass diese Zahl in einem Doku­men­tar­film vorkommt und man das dort gesagte grund­sätz­lich schon mal für richtig hält, siehe oben.

Und es liegt daran, dass die Zahl einfach zu verfüh­re­risch ist. Wo in den Nach­richten die Milli­arden und Billionen nur so rumfliegen, da ist die Trillion einfach noch geiler, die noch bessere Nachricht, das noch größere Erre­gungs­po­ten­tial. Genau aus diesem Grund dürfte Wagen­hofer der Fehler auch unter­laufen sein.
Bei einer Infor­ma­tion, die so wunderbar ins Konzept des eigenen Films passt, die beim Zuschauer mit großer Wahr­schein­lich­keit den gewünschten Unglauben und die erhoffte Empörung auslöst, die so „sexy“ ist, da kann man als Regisseur schon mal „betriebs­blind“ werden und Fünfe grade bzw. eine Billion eine Trillion sein lassen.

Ein schlichtes Versehen zur Entschul­digen vorzu­schieben, lässt den Regisseur leider in keinem besseren Licht dastehen. Denn es geht hier nicht um den Fehler in einem nach­träg­lich von einer fremden Firma einge­fügten Unter­titel zum Einsatz im Ausland, sondern um die vom Regisseur persön­lich gestal­tete Origi­nal­ver­sion.
Und nicht nur dort taucht der Fehler auf, sondern eben auch im Trailer (gewis­ser­maßen dem Aushän­ge­schild des Films) sowie auf der offi­zi­ellen Inter­net­net­seite.
Hat Wagen­hofer das einfach übersehen? Wohl nur, wenn er während des Herstel­lungs- und Vermark­tungs­pro­zesses dauerhaft die Augen und Ohren fest verschlossen hatte.

Ist es ihm dann viel­leicht nicht aufge­fallen, ist er am Ende also auch ein Opfer der unvor­stellbar großen Zahlen geworden? Schon möglich, aber sollte nicht gerade er, der hinter die Kulissen schaut, der in die Materie einge­taucht ist, der uns das Unvor­stell­bare begreif­lich machen will, vor solchen Täuschungen gefeit sein?
Wo bleibt da die klas­si­sche Arbeit eines Doku­men­tar­fil­mers, der das, was er in seinen Film hinein­nimmt (zumindest halbwegs) auf seine Plau­si­bi­lität überprüft? In dem frag­li­chen Gespräch errechnet der Inter­view­partner mit einer einfachen Formel, welche theo­re­ti­schen Steuern (rund 250 Milli­arden) den Staaten dadurch entgehen. Hätte Wagen­hofer sich fünf Minuten Zeit genommen, das einmal am Computer nach­zu­rechnen, hätte er den Fehler zwangs­läufig erkennen müssen.
Dass er sich gerade mit Zahlen vertut, ist um so erstaun­li­cher, da der Film (wie übrigens nahezu alle Anti­glo­ba­li­sie­rungs­dokus) eine leiden­schaft­liche Zahlen­hu­berei zur Belegung seiner Argumente betreibt.
Wie man es dreht und wendet, die Sache hinter­lässt einen schlechten Nach­ge­schmack.

Das alles ist wohl­ge­merkt keine richtige Kritik zum Film Let’s Make Money (den ich nach wie vor nicht gesehen haben), sondern die Anmerkung zu einem kleinen Aspekt und dem gesamten dahinter stehenden Konzept.
Niemand soll sich deshalb davon abhalten lassen, diesen Film anzu­schauen und ihn mögli­cher­weise gut zu finden.
Man sollte ihm nur nicht blind vertrauen und sich immer vor Augen halten, dass es dem Regisseur weniger um die objektive Darstel­lung eines Sach­ver­halts, als vielmehr um die Vermitt­lung einer Meinung geht.