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10.07.2008
 
 
       
Es muss wohl aus Liebe sein...
Blonde Mähne, volle Lippen, kräftige Wangen - Julie Christie hat definitiv ihren eigenen Kopf
     
 
 
 
 

Wenn man am Ende eines Abends von Julie Christie mit einem breit gelächelten „Sleep well!“ verabschiedet wird, und später erzählen kann, man habe ihr viermal Feuer gegeben, dann kann es kein ganz schlechter Abend gewesen sein.

Wer das Glück hatte, Christie zu bemerken, wie sie sich beim Filmfest München, wo vergangene Woche eine kleine Werkschau mit ihren Filmen lief, fast anonym unter die Gäste einer Party mischte, und dann den richtigen Ton fand, um nicht gleich abgewiesen zu werden, der konnte neben ihr Platz nehmen, und ihr auf Augenhöhe begegnen - was bei diesen tiefblauen Augen schon allein ein besonderes Erlebnis ist. Auch heute, mit 67, ist Christie eine strahlende Erscheinung: Das Kinn spitz und vorgeschoben, die starke Unterlippe leicht heruntergezogen, im wahren Leben noch etwas schlanker ausssehend, als auf der Leinwand, erinnert sie äußerlich noch immer ein wenig an ihre Anfänge im britischen „Free Cinema“.

Für viele war sie eine der schönsten, wenn nicht die allerschönste Frau im Kino der Sechziger. Ihr Gesicht schien all das auszudrücken, was die Epoche an Utopien parat hielt, und doch Sicherheit zu geben, Vertrauen zu erwecken, etwas Klassisches, durch Zeiten und Kulturen Kompatibles zu enthalten. Julie Christie war "ein Typ" des Jahrzehnts, ohne je so "typisch" zu sein, wie eine Twiggy, wie Jane Fonda oder Anna Karina, aber andererseits auch nie so völlig zeitlos der Epoche enthoben, wie Catherine Deneuve oder Jeanne Moreau.

Ihre Schönheit hat immer leicht die anderen Seiten der Julie Christie überdeckt. Mit ihrer wilden blonden Mähne, den vollen Lippen und kräftigen Backenknochen wirkte sie romantisch, wie prädestiniert für jene Rolle der Lara in David Leans globalem Hit DOKTOR SCHIWAGO, der sie im Nu auf höchste Höhen des Starglamours und der Weltberühmtheit katapultierte. Ihr öffentliches Abbild war dann das des sinnlichen Naturgeschöpfs. Doch sieht man heute alte Fotos von ihr aus jenen Jahren wieder an, glaubt man oft zu erkennen, dass sie sich nicht ganz wohl fühlt auf ihnen, nicht ganz bei sich ist, zwar mitmacht, aber doch eigentlich nur eine weitere Rolle spielt.

Im Rückblick waren es kurze, knapp 15 Jahre, in denen Julie Christie ein Weltstar war. Es begann mit John Schlesinger. Der hatte die gerade 20jährige, die auch schon in belanglosen Kinokomödien und höchst seriösen Theaterrollen aufgetreten war, im Fernsehen entdeckt, in der Science-Fiction-Serie "A for Andromeda". In BILLY LIAR (1963) fiel sie auf, als ein Little Lost Girl aus der Provinz der englischen Lower Middle Class auf dem Weg nach London, in ein vielleicht freieres Leben. Christie bestand darauf, dass BILLY LIAR in der Werkschau gezeigt werden müsse, trotzdem sie nur eine Nebenrolle spielt, „mit diesem Film“ erklärt sie „entdeckte das britische Kino die Klassengesellschaft, und ergriff Partei für die Unterprivilegierten jenseits der oberen Mittelklasse.“ Tatsächlich erfasst dieser Film den Augenblick zwischen Nachkriegszeit und „Swinging London“, man kann man in BILLY LIAR sehen, dass die 60er-Jahre schon existierten, aber es handelt noch von der Zeit unmittelbar davor, vom Aufbruch in die phantastische hedonistische Periode, die kommen sollte.
Im zweiten Schlesinger-Film DARLING bezauberte sie dann alle als egozentrisches, melancholisches Modell, gewann einen Oscar und war über Nacht in eine der Ikonen der Epoche verwandelt worden, in den Inbegriff des neuen Cool, des klassenlosen, freien Geists dieser Dekade. Da hatte Lean ihr mit der Hauptrolle als süßes Russenmädchen im Schneegestöber von DOKTOR SCHIWAGO bereits den ersten jener Auftritte angeboten, der Christie einen Platz in der Filmgeschichte sicherte, von dem Christie aber im Rückblick offenkundig wenig beeindruckt ist: „Ich weiß, er wird immer zu Weihnachten wieder aufgeführt. Ich bin froh, dass ich ihn gemacht habe, denn ohne ihn säße ich heute nicht hier. Darum möchte ich auch nichts dagegen sagen.“

Davor hatte die Tochter eines wohlhabenden britischen Teeplantagen-Farmers schon einiges erlebt: In unruhigen Zeiten, am 14.April 1941 in Indien geboren, war sie dort auch aufgewachsen. Kurz nach der Unabhängigkeit trennten sich auch die Eltern, und Christie besuchte in England ein halbes Dutzend Internate. Nach DOKTOR SCHIWAGO kam gleich Truffaut, in dessen in England gedrehtem FAHRENHEIT 451 sie an der Seite von Oskar Werner eine Doppelrolle spielte: Einmal blond, einmal brünett - ein Traumauftritt, der auch die zwei Seiten der Christie gleichberechtigt miteinander konfrontierte. Der dritte epochale Film der Darstellerin, die sich von Anfang an rar machte, war dann der an der Seite von Donald Sutherland in DON‘T LOOK NOW ("Wenn die Gondeln Trauer tragen") von Nicholas Roeg. Überhaupt scheint Roeg, schaut man genau hin, der Schlüssel zu Christies Karriere und zu ihrem Bild in unseren Köpfen zu sein. Denn er war zuvor bereits der Kameramann von Lean und Truffaut, ebenso wie in Richard Lesters PETULIA (1968) und Schlesingers DIE HERRIN VON THORNHILL (1967).

Auf die Frage, was Roeg ihrer Kunst hinzugefügt habe, stutzt sie: „Well, er hat mich immer sehr schön beleuchtet. Das ist ein phantastisches Geschenk für eine Schauspielerin. Als Filmemacher ist er brilliant.“ Um dann den Mensch zu loben: „Er verehrt Frauen einfach wundervoll, er liebt das Leben, und er ist eine wundervolle Person am Set. Wie kein zweiter: Sein Denken ignoriert das Filmsystem, besonders seine Moral - eine ungemein interessante Person, die man gern um sich hat.“

Berühmt wurde Christie auch durch die bedeutendste ihrer vielen Romanzen, jene mit Warren Beattie, mit dem sie drei Filme drehte. „Warren war das Gegenteil von Hal Ashby. Er hatte ein so starkes Ego, Hal war immer bescheiden und zurückhaltend.“ Bemerkenswert ist, mit wie wenigen Rollen Christie ihren Ruhm, erlangte: Nur elf Filme drehte sie zwischen 1963 und 1978, darunter zweimal mit Robert Altman McCABE & MRS. MILLER (1971) und NASHVILLE (1975), Hauptrollen in ROSEMARYS BABY oder THE GODFATHER ("Der Pate") lehnte sie dagegen ab! Heute ist sie nur noch gelegentlich auf der Leinwand zu sehen: Ob HAMLET (1996), BELPHÉGOR (2001), TROJA und HARRY POTTER (2004). Zuletzt hat Christie 2007 eine Alzheimerkranke in AN IHRER SEITE gespielt, der ihr prompt wieder eine Oscarnominierung einbrachte. Seit 1978 ist sie - wie es scheint: glücklich - verheiratet ausgerechnet mit einem Journalisten, was deshalb bemerkenswert ist, weil sie diese Zunft sonst eher wenig schätzt.

Eine eigene Meinung hat Christie zu allem: Warum man heute den Observer nicht mehr lesen kann, und die besten Filme aus China und dem Iran kommen. Zugleich fragt sie ihren Gesprächspartner ungeduldig aus: „Sind Sie eine Cinephiler? Wo waren Sie am 11.9. 2001? Was hat es im deutschen Kino mit dieser ‚Berliner Schule‘ auf sich?“ Christie ist zwar Vegetarierin, aber dafür raucht sie wie ein Schlot, und das Weißweinglas ist an dem Abend in München auch schneller leer, als es dem ums Mithalten bemühten Gegenüber lieb ist.

Aber sobald sie einmal eine gewisse Nähe zuläßt, erscheint Christie dann eben völlig unprätentiös und offen. Ihre vielbeschriebene Poesie liegt dabei vor allem in der Souveränität, in der sie sich äußeren Erwartungen verweigert. Wenn man ihr Feuer gibt, und das Gesicht kurz aufleuchtet, glaubt man für Augenblicke all ihre Rollen darin aufscheinen zu sehen. Aber wie das Licht ist der Eindruck im Nu wieder verschwunden, reine Projektion. Und Christie gehört ganz sich selbst, hat definitiv ihren eigenen Kopf. Wenn Julie Christie etwas tut, muss es wohl aus Liebe sein.

Rüdiger Suchsland

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