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08.05.2008
 
 
     
Kein Frieden mit der Filmakademie
 
Fatih Akin und Hanna Schygulla auf dem roten Teppich
 
 
 
 
 

 

Auf der anderen Seite, und auf der einen: Der Deutsche Filmpreis 2008

Eigentlich ist der deutsche Filmpreis einfach nicht so wichtig. Wenn wir trotzdem darüber berichten, dann, um das klar zu machen, weil es leider viele nicht verstehen. Und wir berichten so ausführlich, weil der Filmpreis, die Art wie er vergeben und verliehen wird, natürlich trotzdem viel über den deutschen Film erzählt. Viel zu viel.

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Tja, gar nicht so einfach anzufangen, wenn man den richtigen, also den angemessenen Ton finden will, um diesen Abend am letzten Freitag des April zu beschreiben.

Die Zeremonie verfolgten wir im Presseraum, wo man nicht stillsitzen muss, wie im Saal, wo man offen lästern kann, und sich nicht so embedded vorkommt. Die meisten Kollegen der sogenannten Qualitätszeitungen sitzen im Saal und müssten sich meiner Meinung nach etwas unwohler und more embedded fühlen, als sie es offenkundig tun, aber das ist ja ihre Sache. Im abgetrennten Raum für die Presse sind die Kollegen, die tatsächlich arbeiten, und jene, die keine Einladung für drinnen bekommen. Hektische, unangenehme Fotografen, einige pöbelnde Provinzhelden, die sich in Svhale geworfen haben und Pressemädchen im "kleinen Schwarzen". Und diejenigen, die wie Ellen Wietstock eben die Distanz bevorzugen und keine Lust haben, sich zumindest durch Anwesenheit integrieren zu lassen. Wir sind auch anwesend, aber unsichtbar und auf Distanz.

Es gibt Wasser und Saft, keinen Alkohol, und Salat und Nudeln. Das Essen später wird besser sein.

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Wir verfolgen die Veranstaltung auf dem Bildschirm. Wir, das sind A., die natürlich auch in den Saal gekommen wäre, und ich.

Es geht los mit Neumann, mit dem Teil der Veranstaltung, die gar nicht fürs Fernsehen aufgezeichnet wird, weil man dem filmglamourdeutschoscargestimmten Volk offenbar eine Politikerrede besser nicht zumuten will, zumal am Anfang, dann fallen sofort die Quoten.

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Neumann redet von Wirtschaft. Wie immer, seid er Kulturminister ist, Filmkultur war früher. Damals war er, das nur kurz zur Erinnerung, auch noch gegen die Übergabe des Filmpreises an die Filmakademie, zu der er jetzt die Politikerrede beisteuert.

Aber es geht ja um Wirtschaft, Filmwirtschaft. Klar, dass es da wieder hieß: "Die jüngste Erfolgsstory des deutschen Films setzt sich fort." Es folgen die Worthülsen von der "internationale Beachtung", "und einer starken Präsenz deutscher Filme bei den Filmfestspielen in Cannes", "Österreicher, die in Deutschland erfolgreich sind." hatten wir schon mal, aber sie werden wieder eingemeindet, da DIE FÄLSCHER den Oscar gewonnen haben, sind wir halt großdeutsch, Besucherzahlen, Marktanteil, KEINOHRHASEN… Filmförderungsgesetz, Babelsberg, DFFF, und dann: "Kultur kostet eben nicht nur Geld, sondern ist auch ein wichtiger wirtschaftlicher Standortfaktor, der Arbeitplätze sichert!" Immerhin "Die Zuschauerzahl allein ist noch kein Grund, einen Filmpreis zu bekommen."

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In "Focus" hatte ein Filmjournalist schon den Ton eingestimmt, am Anfang der Woche, mit der fragwürdigen Schlagzeilen-Feststellung: "In ihrem vierten Lola-Jahr scheint die Filmakademie zu sich gefunden zu haben". Na das is ja eine Nachricht, mein Herr!

Wir zitieren mal weiter aus dem Text, weil der für sich spricht, und den flachen Horizont derjenigen deutlich macht, die jetzt drüben im Saal die Mehrheit bilden: "Vergangenes Jahr riefen dreieinhalb Berliner Filmjournalist(inn)en noch den 'Aufstand der Regisseure' aus und witterten 'Kungelei und Stimmungsmache' beim Deutschen Filmpreis. Regisseure wie Publikum blieben dann doch eher sitzen bzw. feierten in die frühen Morgenstunden hinein. Grund der Entrüstung war, neben einem jährlich aufflackernden Anti-Filmakademie-Affekt, die vorgebliche Brüskierung der 'Berliner Schule', jenes sozialrealistischen Avantgarde-Kinos, das 2006 unterm Strich keine 100000 Zuschauer für sich interessieren konnte."

Das ist also so ungefähr das Niveau: Wir zählen Zuschauer, und wer viele Zuschauer hat, hat recht, und die anderen, sind ja eh nur wenige, sollen die Klappe halten.

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Gucken wir doch mal hin, wer hier warum so jubelpersermäßig schreibt: Es ist doch klar, wer es wieder ist: es sind die Münchner, alte Redakteure bei Focus und neue bei der Süddeutschen, die der Filmakademie schon räumlich nahe stehen, und nicht nur das, und in Berlin eine möchtergern-süddeutsche Tageszeitung des ganz alten Westens, die auch ganz enge persönliche Beziehungen hegt.

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Til Schweiger war da, und rechtzeitig hatte uns auch die Nachricht von seiner geplanten Gegenparty im Cookies erreicht. Trotzdem hat die Akademie so wenig Selbstbewusstsein, dass sie an diesem Abend alle zehn Minuten einen Kotau vor Schweiger macht. Wie unsouverän!

Als dann die Preisträger bekannt gegeben werden, freut man sich mit Benedict Neuenfels, aber dass er den Preis ausgerechnet für LIEBESLEBEN bekommt, für diesen Kackfilm, frustriert. Sieht denn keiner, wie schlecht der gemacht ist, ist das allen egal? Seine Freundin nennt er "meine Kleine" - na danke. "Der kokst so viel, der kann gar nicht stillstehen." lästert meine Nachbarin, und wir überlegen, in wieviel Fällen einer wohl nur weiße Kleidung trägt, damit man das verschüttete Koks nicht sieht. Zu Dörrie, als die dann barfuß (!, au weia) auf die Bühne tritt, sagt sie: "Das is eh 'ne Zicke", zu Friedl "die Qualle sag ich immer",

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So geht's weiter, immer an der Grenze der Peinlichkeit entlang, Schöneberger moderiert ok, nur fragt man sich zwischendurch, wer ihr nur diese bescheuerten Texte schreibt. Dazu zeigt die Kamera gern die heute etwas blöde aussehenden Gesichter von Til Schweiger und Heike Makatsch, die mit halb offenem Mund gucken und noch nicht mal so tun, als ob sie lachen.

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Moral der Kamera: Man geht immer auf die Verlierer. Auch da können sie noch was von Hollywood lernen.

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Rührung entsteht nur im Augenblick der Totenliste: Felmy, Geschonnek, Hansen, Johnson, Kempowski, Marion Michael, Jürgen Roland, Romuald Pekny… Aber Ulrich Mühe kommt dann ganz am Ende nach Wussow, damit alle für ihn klatschen müssen. Es gibt eben auch eine Klassengesellschaft der Toten.

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Dann der Ehrenpreis an den 76-jährigen Alexander Kluge, und der hält ein Plädoyer für den klassischen Film. Die Kamera zeigt die Zuhörer, A sagt: "Da siehst Du, wer denken kann." Die müssen sich auf alle Fälle mal konzentrieren. Sogar bei Heike Makatsch klappt der Mund zu.

Und die ARD kürzt die 8-minütige Rede dann in der Übertragung später erwartungsgemäß auf 2.30 runter (darum werden wir die Original-Rede hier später noch mal dokumentieren). Kluge bezeichnet sich als "Patriot der Filmgeschichte". Und zeigt dann einen seiner Minutenfilme: "Der verschnupfte Filmstar." mit Hannelore Hoger. Ein Bild für das Glück des Kinos. Aber was hat das zu tun mit den Preisen und der Veranstaltung?

Kluge ist ein Aushängeschild des aufklärerischen Autorenkinos. Genau dies wird aber in der Gegenwart von der Akademie in der Regel schnöde ignoriert. Wie auch die Preisvergaben weitgehend belegen. Auch 2008 galt wieder: Alles auf den größten Haufen, nicht Vielfalt.

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Am Ende wurde es offenbar Fatih Akin selbst etwas zuviel… Beinahe beschämt nahm der Hamburger Regisseur die Huldigungen für AUF DER ANDEREN SEITE entgegen. Fünfmal war die komplexe Beziehungsgeschichte über deutsch-türkische Identitäten nominiert, viermal gewann sie, unter anderem in den Kategorien "Bester Spielfilm" und "Beste Regie", und wurde so der große Sieger beim Deutschen Filmpreis. Besonders freuen darf man sich dabei mit Akins Dauer-Cutter Andrew Bird, dessen wichtige Arbeit hier endlich einmal eine verdiente Anerkennung erfährt. Hingegen ist es schon mehr als ein Insiderwitz, dass Akin mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde. Denn für den Film auf der Leinwand, gibt es überhaupt kein Drehbuch. Akin erzählt offen, seine ursprüngliche Version habe "nicht funktioniert"; im Schneideraum mussten er und Bird dann den Film aus den gedrehten Szenen gemeinsam neu erfinden.

Neben der Berlinerin Bettina Blümner die mit ihrem Debüt PRINZESSINNENBAD verdient den Dokumentarfilmpreis gewann, gab es am Freitag auch Verlierer: Vor allem die Münchner Regisseurin Doris Dörrie und ihr eher konventioneller Film KIRSCHBLÜTEN: HANAMI. Es glich schon einer besonderen buddhistischen Übung, wie Dörrie zwar mit sechs Nominierungen als Favoritin ins Rennen ging, aber viermal einen anderen Film an sich vorbeiziehen lassen musste.

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Zweiter Verlierer ist der viermal nominierte Film YELLA von Christian Petzold, unbestritten der künstlerisch gewagteste, und reiftste Film unter den Nominierten. Dass YELLA nur einen einzigen Preis, und zudem mit dem Darstellerpreis für Nina Hoss noch den kleinsten gemeinsamsten Nenner erhielt, dass andere Filmkunst erst gar nicht nominiert wurde, ist in der Gesamtschau ein klares Zeichen dafür, dass die Filmakademie auch im fünften Jahr ihres Bestehens die Autobahn des Mainstream nicht verlässt, dass radikale künstlerische Leistungen und Film-Avantgarde seit sie die Preisvergabe bestimmt, keine Auszeichnungen mehr erhalten.

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Vielleicht ist das von rund tausend stimmberechtigten Akademiemitgliedern auch zuviel verlangt. Denn das hieße für die Mehrheit der über die Hälfte aus Schauspielern bestehenden Film-Lobbyisten, dass sie für etwas stimmen müssten, was ihren eigenen Vorstellungen von Kino widerspricht, ja ihren künstlerischen Horizont oft genug einfach übersteigt.

Die Filmakademie ist eben keine Kunstakademie, in der auch Kritiker und Wissenschaftler ihren Platz haben, in der hohe Ansprüche hochgehalten werden, sie ist eher eine Partygemeinschaft, die zwei drei Mal im Jahr zu Kuschelveranstaltungen zusammenfindet, und zu der einerseits fast jeder Zugang hat, wo andererseits auch viele der bekannstesten deutschen Filmemacher gar nicht Mitglied werden wollen. So auch Fatih Akin, der seine Distanz und Kritik am Vergabeverfahren ungeachtet seines Sieges auch ganz offen ansprach: "Ihr seid ja ne Demokratie, und zu jeder Demokratie gehört auch eine Opposition. Die macht die Demokratie eigentlich vollkommen. Nicht wahr? Ich find's ganz schön, dass ich keinen Regierungsauftrag habe und in der Opposition sein kann. Für mich ist Film in allererster Linie ne Kunstform. Und ich find es so schwierig das zu bemessen."

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Der Grundkonstruktionsfehler der Preisvergabe aber bleibt: Über rund drei Millionen vom Deutschen Bundestag dezidiert für Filmkunst vorgesehene Steuereuros werden von jenen vergeben, die selbst in den Genuss des Geldes kommen - eine einmalige Form der Förderung, während in allen anderen Kultursparten wie bis 2002 auch im Filmpreis unabhängige Jury entscheiden. Nur Filme, die einen gewissen Massengeschmack treffen, haben noch die Chance auf den Filmpreis.

Es spricht für Fatih Akin, dass er, der wie viele andere das Verfahren und die Passivität des zuständigen Kulturstaatsministers kritisiert hatte, auch in der Stunde des Triumphes distanziert blieb: "So sehr mich das freut: Nicht für die Akademie und nicht für Preise machen wir Filme, sondern fürs Leben."

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Akin schließt also keinen Frieden mit der Filmakademie, wie manche gleich wieder hören wollten, und schrieben. Im Übrigen: Frieden schließen tut man nur, wo es Krieg gab. Um Krieg geht es aber nicht, sondern um Politik und um Öffentlichkeit, auch wenn das für einige schwer begreifbar ist.

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Man kann nur Horst Peter Koll im "Filmdienst" zustimmen: "Der Jahr für Jahr unternommene Versuch, dem deutschen Film mit der Verleihung des Deutschen Filmpreises einen 'publikumsaffinen", glamourösen Festrahmen zu verschaffen, ist ebenso ermüdend wie enttäuschend. … Eigentlich sollte man zur Tagesordnung gehen, ließe sich hinter der seltsamen Ambition nicht ein beredtes Grundmissverständnis erkennen. … eine Fernsehveranstaltung, die den dramaturgischen Klischees des Fernsehens folgt, ohne der Spezifik des Kinos auch nur nahe zu kommen. … Nichts wurde an diesem Galaabend spürbar von der Qualität der nominierten und ausgezeichneten Kinostoffe, nichts spiegelte die Poesie der Filme, nichts schaffte ein Äquivalent für das, was sie erzählen, sie beschäftigt und umtreibt: dramatische Begegnungen, Annäherungen von Menschen und Generationen, die Suche nach Spielräumen für gegenseitiges Verstehen … In seiner jetzigen Form vermittelt der Deutsche Filmpreis den Eindruck, dass er tatsächlich die filmkünstlerisch beste Leistung eines Jahres prämiert; … dass sich alle anderen deutschen Filme entweder aus Qualitätsgründen nicht fürs Finale qualifiziert hätten oder im Finale nicht „gut genug“ waren. Was nicht der Fall ist: Künstlerisch außergewöhnliche Filme des Jahres 2007 sind innerhalb des ihnen möglichen Erzähl- und Budget-Rahmens womöglich sogar weit größere Leistungen: FERIEN von Thomas Arslan (ja, ja ... die Berliner Schule), FÜR DEN UNBEKANNTEN HUND der Brüder Reding, KARGER von Elke Hauck oder NICHTS ALS GESPENSTER von Martin Gypkens etwa; auch PRINZESSIN von Birgit Grosskopf, BRINKMANNS ZORN von Harald Bergmann oder SÖHNE von Volker Koepp. Für diese und andere innovative Filme sollte es eine eigene Preiskategorie geben, die Brücken baut und diese Filme als essenziell anteilig an der filmischen Vielfalt respektiert."

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Bis zur Größe des deutschen Films dauert es noch lang, wenn man diese Veranstaltung zum Maßstab nimmt. Festzuhalten ist, dass die Verleihung des Filmpreises erwartungsgemäß die übliche mehr oder weniger peinliche Veranstaltung wurde.

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Rike Schmid hätten wir übrigens sehr gern gesehen. Aber sie war nicht da. Recht hat sie.

 

Rüdiger Suchsland

 

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