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02.12.2004
 
 
       

Die Verwandlung
Die Amerikanisierung des Körpers

 
 
Christian Bale ist THE MACHINIST 
   
 
 
 
 

Grau ist nicht nur der Morgen für Trevor Reznick, grau ist für ihn der ganze Tag. Er arbeitet in einer Fabrik in irgendeiner namenlosen Vorstadt: Es raucht und dampft aus den Maschinen, an denen er sein monotones Tagwerk verrichtet, immergleiche Handgriffe an riesigen Metallungetümen. Es sind die "fordistischen" Arbeitsverhältnisse des klassischen Industriezeitalters, die hier fortexistieren; eine dreckige, harte Arbeit, die den ganzen Körper in Beschlag nimmt, ihn selbst zu einem Teil der Maschinen werden lässt - Arbeit, wie wir sie eher aus alten Schwarzweißfilmen kennen. Darum passt es gut, dass die ganze Welt, wie sie uns Regisseur Brad Anderson zeigt, in einheitliches Grüngrau gehüllt ist, alle anderen Farben herausgeblichen wurden, sodassß THE MACHINIST fast wie ein Schwarzweißfilm wirkt. Jedenfalls erscheint alles hier merkwürdig zeitlos, unserer Alltagswelt enthoben, es könnte Science-Fiction sein, es könnte aber auch in den 60er-Jahren spielen.

Vielleicht befindet sich der Grauschleier aber auch in Trevor Reznicks Kopf, lässt der Film uns nur teilhaben an dessen ureigenem Blick auf die Welt. Von Anfang an wissen wir, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Es könnte sein, dass der ruhige, einsame Mann einen Mord begangen hat, denn die ersten Bilder zeigten uns, wie er eine Leiche beseitigte. Aber vielleicht war das auch nur ein böser Traum, ebenso wie die Merkwürdigkeiten, die ihm widerfahren. Reznick hat, das erfahren wir schnell, ziemlich lang nicht geschlafen, ein ganzes Jahr, behauptet er. Und auch wenn man das nicht glauben will, verunsichert wieder der Blick auf ihn: Reznick sieht nicht einfach schlecht aus, er wirkt wie ein lebender Leichnam. Abgemagert bis auf die Knochen, kommen einem am ehesten die Bilder von Lagerinsassen in den Sinn.

Was Hauptdarsteller Christian Bale für diese Rolle mit seinem Körper gemacht hat, ist mehr als außergewöhnlich. Fasziniert und angewidert zugleich blickt man auf seinen ausgemergelten Körper. Von 30 Kilo, die er abgenommen habe, ist die Rede. Aber genau solche Mitteilungen und die sich mit ihnen automatisch einstellende Mischung aus Neugier und Abwehr sind es, die das ganze Verfahren, mit dem sich hier ein Darsteller in bester Method-Acting-Tradition seine Rolle "einverleibt", auch wieder fragwürdig machen. Denn was da wirklich noch Spiel und Kunst, und was hingegen "nur" Effekt ist, der sich durch den Anblick einstellt, ist äußerst schwer zu sagen. Hat man es nicht einfach mit einer Gimmick-Performance zu tun, auf der modischen Behauptung basierend, etwas sei authentischer, weil es der Darsteller körperlich beglaubigt, sozusagen in seinen Körper einschreibt? Aber gibt es andererseits wirklich einen Unterschied zwischen Christian Bales Abmagerung und der dicken Nase, die sich ein Gerard Depardieu ins Gesicht klebt, um Cyrano de Bergerac zu spielen?

Und warum muss Renee Zellweger sich eigentlich 18 Kilo Fett anfressen? Weil man sie zwei, dreimal mit nackten Schultern sieht? Nein: weil darüber geschrieben wird, wie sie sich das Fett anfrisst und wieder herunterhungert, weil sie in Interviews erzählen kann, wie leicht das alles geht - "ein Vorbild für uns Frauen", für die Amerikanisierung, Disziplinierung des Körpers, Coverstory bei Frauenzeitschriften garantiert.

Seit der "(Wieder-)Entdeckung des Körpers" Anfang der 90er kam forciertes Körperspiel immer stärker in Mode, die Verwechslung dessen, was ein Schauspieler seinem Körper antut, mit der Verkörperung einer Figur. Zumal es lohnenswert ist, wenn sich ein "schöner" Schauspieler für eine Rolle künstlich hässlich macht: Hilary Swank gewann den Oscar für BOYS DON'T CRY, Adrien Brody für DER PIANIST, Nicole Kidman - mit falscher Nase - als Virginia Woolf, zuletzt dann Charlize Theron, die - beileibe keine schlechte Schauspielerin - für den eher mittelmäßigen MONSTER den Oscar gewann, ausgerechnet einen Auftritt, in dem jede darstellerische Subtilität unter zentimeterdickem Make Up, künstlichem Gebiss und künstlichen, bzw. angefressenen Fettpolstern, Strubbelhaaren und Klamotten derart perfekt versteckt worden ist, bis davon nichts mehr übrig blieb. Vor lauter Manierismen konnte man gar nicht mehr erkennen, ob sie womöglich tatsächlich gut gespielt hat.

Natürlich wirkt all das auch recht narzisstisch, weckt den Verdacht der Eitelkeit: Der Darsteller steht förmlich an der Bühnenrampe, und brüllt ins Publikum: "Schaut her, was ich mit meinem Körper mache!", "Wer so intensiv, mit 100%tigem Einsatz spielt, 'sich in die Rolle einbringt', der muss doch ein toller Schauspieler sein." Identifikation, letztendlich Identität zwischen Darsteller und Rolle dient als Qualitätsbeweis. Das ist natürlich nur ein neuer Mythos: Dass ausgerechnet DER Schauspieler der beste sei, der in der Rolle aufgeht, der sie "ist". Vielleicht ist gerade das Gegenteil der Fall, und DER Schauspieler der bessere, der etwas perfekt spielen kann, was er eben gerade nicht ist, es also ohne solche äußeren Hilfsmittel herstellen muss.

Andererseits: Man kann diesem Auftritt seine Intensität nicht absprechen. Man kommt nicht darum herum, diese Figur des Maschinisten selbst körperlich zu erfahren und Christian Bale in THE MACHINIST als eine produktive Zumutung zu empfinden. Diese wird noch durch einen zweiten Aspekt verstärkt: Trevor Reznick entspricht der - gleichfalls im Gegenwartskino sehr beliebten - Figur eines Helden mit schweren Schuldgefühlen und Verfolgungswahn. THE MACHINIST ist ein Paranoia-Thriller. Die finstere Perspektive, die der Film entfaltet, ist, ebenso wie das Verhältnis der Hauptfigur zu den Mitmenschen, etwa der ihn liebenden Hure Stevie (Jennifer Jason Leigh) oder der alleinerziehenden Mutter Marie (Aitana Sánchez-Gijón) in die er scheinbar auf seine verquere Art verliebt ist, vom Wegsehen geprägt, von einem Blick, der etwas ausschließt, weil er es nicht aushält.
Sehr ähnlich funktionierte zum Beispiel die Hauptfigur in Cronenbergs SPIDER - und ebenfalls wurde der Abgrund des Traumas vor allem durch Farbgebung und Production Design als ein innerer manifestiert. Unter den prominenteren Filmen der jüngsten Zeit mag man auch an 21 GRAMM, FIGHT CLUB, MEMENTO, THE MYSTIC RIVER und eben MONSTER denken, die mit jeweils unterschiedlicher Ausgangssituation um das gleiche Thema kreisen: Der Leidensdruck durch Verdrängtes und die Subjektivität allen Gedächtnisses. Die Behauptung, dass man manches nicht vergessen kann, mag puritanischem Schuldfetischismus, der Liebe zum schuldig-sein ebenso entsprechen, wie der gegenwärtig beliebten Verklärung jedweder Form von Erinnerung. Aber THE MACHINIST zeigt auch, wie schmerzhaft und opferreich die Anstrengung sein kann, etwas Verdrängtes ins Bewusstsein zurückzuholen. Es kann einen vernichten.

Rüdiger Suchsland
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