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Grau ist nicht nur der Morgen für Trevor Reznick, grau
ist für ihn der ganze Tag. Er arbeitet in einer Fabrik
in irgendeiner namenlosen Vorstadt: Es raucht und dampft aus
den Maschinen, an denen er sein monotones Tagwerk verrichtet,
immergleiche Handgriffe an riesigen Metallungetümen.
Es sind die "fordistischen" Arbeitsverhältnisse
des klassischen Industriezeitalters, die hier fortexistieren;
eine dreckige, harte Arbeit, die den ganzen Körper in
Beschlag nimmt, ihn selbst zu einem Teil der Maschinen werden
lässt - Arbeit, wie wir sie eher aus alten Schwarzweißfilmen
kennen. Darum passt es gut, dass die ganze Welt, wie sie uns
Regisseur Brad Anderson zeigt, in einheitliches Grüngrau
gehüllt ist, alle anderen Farben herausgeblichen wurden,
sodassß THE MACHINIST fast wie ein Schwarzweißfilm
wirkt. Jedenfalls erscheint alles hier merkwürdig zeitlos,
unserer Alltagswelt enthoben, es könnte Science-Fiction
sein, es könnte aber auch in den 60er-Jahren spielen.
Vielleicht befindet sich der Grauschleier aber auch in Trevor
Reznicks Kopf, lässt der Film uns nur teilhaben an dessen
ureigenem Blick auf die Welt. Von Anfang an wissen wir, dass
etwas mit ihm nicht stimmt. Es könnte sein, dass der
ruhige, einsame Mann einen Mord begangen hat, denn die ersten
Bilder zeigten uns, wie er eine Leiche beseitigte. Aber vielleicht
war das auch nur ein böser Traum, ebenso wie die Merkwürdigkeiten,
die ihm widerfahren. Reznick hat, das erfahren wir schnell,
ziemlich lang nicht geschlafen, ein ganzes Jahr, behauptet
er. Und auch wenn man das nicht glauben will, verunsichert
wieder der Blick auf ihn: Reznick sieht nicht einfach schlecht
aus, er wirkt wie ein lebender Leichnam. Abgemagert bis auf
die Knochen, kommen einem am ehesten die Bilder von Lagerinsassen
in den Sinn.
Was Hauptdarsteller Christian Bale für diese Rolle mit
seinem Körper gemacht hat, ist mehr als außergewöhnlich.
Fasziniert und angewidert zugleich blickt man auf seinen ausgemergelten
Körper. Von 30 Kilo, die er abgenommen habe, ist die
Rede. Aber genau solche Mitteilungen und die sich mit ihnen
automatisch einstellende Mischung aus Neugier und Abwehr sind
es, die das ganze Verfahren, mit dem sich hier ein Darsteller
in bester Method-Acting-Tradition seine Rolle "einverleibt",
auch wieder fragwürdig machen. Denn was da wirklich noch
Spiel und Kunst, und was hingegen "nur" Effekt ist,
der sich durch den Anblick einstellt, ist äußerst
schwer zu sagen. Hat man es nicht einfach mit einer Gimmick-Performance
zu tun, auf der modischen Behauptung basierend, etwas sei
authentischer, weil es der Darsteller körperlich beglaubigt,
sozusagen in seinen Körper einschreibt? Aber gibt es
andererseits wirklich einen Unterschied zwischen Christian
Bales Abmagerung und der dicken Nase, die sich ein Gerard
Depardieu ins Gesicht klebt, um Cyrano de Bergerac zu spielen?
Und warum muss Renee Zellweger sich eigentlich 18 Kilo Fett
anfressen? Weil man sie zwei, dreimal mit nackten Schultern
sieht? Nein: weil darüber geschrieben wird, wie sie sich
das Fett anfrisst und wieder herunterhungert, weil sie in
Interviews erzählen kann, wie leicht das alles geht -
"ein Vorbild für uns Frauen", für die
Amerikanisierung, Disziplinierung des Körpers, Coverstory
bei Frauenzeitschriften garantiert.
Seit der "(Wieder-)Entdeckung des Körpers"
Anfang der 90er kam forciertes Körperspiel immer stärker
in Mode, die Verwechslung dessen, was ein Schauspieler seinem
Körper antut, mit der Verkörperung einer Figur.
Zumal es lohnenswert ist, wenn sich ein "schöner"
Schauspieler für eine Rolle künstlich hässlich
macht: Hilary Swank gewann den Oscar für BOYS DON'T CRY,
Adrien Brody für DER PIANIST, Nicole Kidman - mit falscher
Nase - als Virginia Woolf, zuletzt dann Charlize Theron, die
- beileibe keine schlechte Schauspielerin - für den eher
mittelmäßigen MONSTER den Oscar gewann, ausgerechnet
einen Auftritt, in dem jede darstellerische Subtilität
unter zentimeterdickem Make Up, künstlichem Gebiss und
künstlichen, bzw. angefressenen Fettpolstern, Strubbelhaaren
und Klamotten derart perfekt versteckt worden ist, bis davon
nichts mehr übrig blieb. Vor lauter Manierismen konnte
man gar nicht mehr erkennen, ob sie womöglich tatsächlich
gut gespielt hat.
Natürlich wirkt all das auch recht narzisstisch, weckt
den Verdacht der Eitelkeit: Der Darsteller steht förmlich
an der Bühnenrampe, und brüllt ins Publikum: "Schaut
her, was ich mit meinem Körper mache!", "Wer
so intensiv, mit 100%tigem Einsatz spielt, 'sich in die Rolle
einbringt', der muss doch ein toller Schauspieler sein."
Identifikation, letztendlich Identität zwischen Darsteller
und Rolle dient als Qualitätsbeweis. Das ist natürlich
nur ein neuer Mythos: Dass ausgerechnet DER Schauspieler der
beste sei, der in der Rolle aufgeht, der sie "ist".
Vielleicht ist gerade das Gegenteil der Fall, und DER Schauspieler
der bessere, der etwas perfekt spielen kann, was er eben gerade
nicht ist, es also ohne solche äußeren Hilfsmittel
herstellen muss.
Andererseits: Man kann diesem Auftritt seine Intensität
nicht absprechen. Man kommt nicht darum herum, diese Figur
des Maschinisten selbst körperlich zu erfahren und Christian
Bale in THE MACHINIST als eine produktive Zumutung zu empfinden.
Diese wird noch durch einen zweiten Aspekt verstärkt:
Trevor Reznick entspricht der - gleichfalls im Gegenwartskino
sehr beliebten - Figur eines Helden mit schweren Schuldgefühlen
und Verfolgungswahn. THE MACHINIST ist ein Paranoia-Thriller.
Die finstere Perspektive, die der Film entfaltet, ist, ebenso
wie das Verhältnis der Hauptfigur zu den Mitmenschen,
etwa der ihn liebenden Hure Stevie (Jennifer Jason Leigh)
oder der alleinerziehenden Mutter Marie (Aitana Sánchez-Gijón)
in die er scheinbar auf seine verquere Art verliebt ist, vom
Wegsehen geprägt, von einem Blick, der etwas ausschließt,
weil er es nicht aushält.
Sehr ähnlich funktionierte zum Beispiel die Hauptfigur
in Cronenbergs SPIDER - und ebenfalls wurde der Abgrund des
Traumas vor allem durch Farbgebung und Production Design als
ein innerer manifestiert. Unter den prominenteren Filmen der
jüngsten Zeit mag man auch an 21 GRAMM, FIGHT CLUB, MEMENTO,
THE MYSTIC RIVER und eben MONSTER denken, die mit jeweils
unterschiedlicher Ausgangssituation um das gleiche Thema kreisen:
Der Leidensdruck durch Verdrängtes und die Subjektivität
allen Gedächtnisses. Die Behauptung, dass man manches
nicht vergessen kann, mag puritanischem Schuldfetischismus,
der Liebe zum schuldig-sein ebenso entsprechen, wie der gegenwärtig
beliebten Verklärung jedweder Form von Erinnerung. Aber
THE MACHINIST zeigt auch, wie schmerzhaft und opferreich die
Anstrengung sein kann, etwas Verdrängtes ins Bewusstsein
zurückzuholen. Es kann einen vernichten.
Rüdiger Suchsland |