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25.11.2004
 
 
       

Traditionalismus im Kleid der Weihnachtskomödie
BAD SANTA vs. VERRÜCKTE WEIHNACHTEN

 
 
VERRÜCKTE WEIHNACHTEN im Anflug 
   
 
 
 
 

Zu schön, um wahr zu sein: Da schneit am Heiligen Abend die Tochter Blair doch noch ins Haus, obwohl sie eigentlich dieses Jahr während der Feiertage auf Friedensmission in Peru sein sollte. Die Freude von Mutter Nora Krank kennt keine Grenzen, die chaotische Vorbereitung ist vergessen. Vater Luther kommt mit dem Trubel zwar noch nicht ganz klar, aber bald hat sich die gesamte Nachbarschaft um den Weihnachtsbaum versammelt. Gemeinsam wird ein fröhliches peruanisches Weihnachtslied gesungen, hat doch Blair von der Reise nach Südamerika gleich ihren Zukünftigen mitgebracht. So singen und musizieren schwarz und weiß, US-Bürger und Ausländer, Priester und Polizisten bei den Kranks in ihrem bunt beleuchteten Vorortshäuschen, auf das ganz zart der Schnee rieselt. Das Fest der Liebe als grenzenlose Erfüllung aller Träume, davon erzählt VERRÜCKTE WEIHNACHTEN.

Alljährlich kommen zur Weihnachtszeit ganz besonders friedvolle Familiengeschichten ins Kino. Mit beschaulichem Personal - Menschen wie du und ich erleben die Tage rund um das Fest - liefern sie gleichermaßen wunderbar gefilmte wie wohl überlegte Bilder von Gesellschaft und Individuum. Dieses Jahr gibt es zwei Werke dieses Genres, die unterschiedlicher nicht sein können. Neben VERRÜCKTE WEIHNACHTEN von Joe Roth steht da BAD SANTA von Terry Zwigoff. Dem Rothschen Konservatismus scheint das obszöne Universum von Zwigoff erstmal komplett zu widersprechen. Die Unterschiede in der Herangehensweise und im Stil sind fundamental; beide Filme zeigen exemplarisch, in was für zwei Richtungen sich der Weihnachtskomödie im Jahr 2004 bewegen kann. Beide stehen jedoch ebenso deutlich in der Tradition harmonisierender Filme, die rund um Dickens' EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE immer wieder das gleiche Thema variieren: ein mehr oder weniger mieser Charakter, manchmal auch eine Vielzahl davon, zeigt sich zum heiligen Fest von seiner schlimmsten Seite, wird dann von herzlichen Menschen zum Guten bekehrt.

Setzten die ersten Verfilmungen - 1935 Henry Edwards' SCROOGE, dann vor allem 1951 A CHRISTMAN CAROL von Brian Desmond Hurst - noch die Moral groß in Szene, hat sich die Thematik im Laufe der Jahre publikumswirksam verselbstständigt. So auch beim für die 90er Jahre vorbildhaften Weihnachts-Klamauk KEVIN - ALLEIN ZU HAUS (1990) von Chris Columbus. Hier trägt das Schlechte die Gesichter reuloser Einbrecher und auch das, des frechen Kevin, der sich in seinem Ausschluss aus der Familie sichtlich wohl fühlt, am Ende aber zu aller Zufriedenheit wieder eingemeinschaftet wird. Unter dem Dach der Familie sind alle sicher, so die simple Botschaft.

Jamie Lee Curtis und Tim Allen spielen in VERRÜCKTE WEIHNACHTEN die Kranks, das typisch amerikanische Ehepaar. Nora ist Urtyp aller Hausfrauen: eine begeisterte Köchin; eine leidenschaftliche Supermarktgeherin; eine Frau, die auch ohne Job glücklich ist, die abgöttisch ihre Tochter verehrt, zum Einschlafen ein Buch liest, keinen eigenen Stil hat und zur neurotischen Hysterie neigt. Luther ist Urtyp eines leitenden Angestellten: geizig und herzlos; mürrisch bei der Arbeit; ein opferungsbereiter Ehemann und ein liebevoller Familienvater. Jeweils Samstags haben Nora und Luther Sex, leben ansonsten zufrieden in ihrem Häuschen, mit ihrem kleinen Vorgarten und dem silbernen Auto. Genauso wie alle in der Straße, die von Dan Aykroyds Vic Froymeyer kontrolliert wird. Als Tochter Blair Krank in diesem Jahr das Weihnachtsfest scheinbar nicht zu Hause verbringen wird, stiftet Luther Nora zum Weihnachts-Boykott an, das letztjährige Fest hat sie schließlich über sechstausend Dollar gekostet. Nun lockt die Luxuskreuzfahrt für nur dreitausend Dollar. Das Haus bleibt also ungeschmückt, die Kranks verbarrikadieren sich gegenüber den Sternsingern, gehen lieber ins Solarium und wehren die wütenden Proteste der Nachbarn im Stile eines Häuserkampfes ab.

Das Lachen über das amerikanische Idyll soll natürlich schon zu Beginn von VERRÜCKTE WEIHNACHTEN Sympathie für seine Charaktere wecken, vor allem für diejenigen, die der Gleichförmigkeit scheinbar den Rücken zukehren. Dass man Weihnachtsmuffel in sein Herz schließt, darauf baut auch BAD SANTA, jedoch in weit stärkerem Maße. Denn Billy Bob Thornton als abscheulicher Kleinkrimineller Willie T. Stokes, der sich nur das Weihnachtsmannkostüm über zieht, um mit seinem kleinwüchsigen Kumpanen Marcus die Kaufhäuser auszurauben, ist mehr als ein Anti-Weihnachtsmann. Er ist Einzelgänger, raucht, säuft, liebt Frauen mit dicken Hintern, hasst Kinder und Geschenke; er flucht während eines Adventstages mehr, als andere im ganzen Leben. Stokes stellt keine bewusste Abkehr vom System Weihnachten und Gemeinschaft dar. Er ist die personifizierte Asozialität, die mit bitterer Ehrlichkeit die Oberfläche der weihnachtlichen Wohltätigkeiten einreißt, damit zugleich eine Gesellschaft der Nächstenliebe in Frage stellt. Stokes ist im Grunde ein spontaner Egoist, dem Angestellten Luther Krank nicht unähnlich: er verschafft sich Geld, wenn keiner aufpasst; er nistet sich in einem Haus ein, wenn ihn dort der 8-jährige Thurman, dessen Mutter tot und dessen Vater im Knast ist, als echten Weihnachtsmann verehrt; er holt sich die Befriedigung, wenn ihm ein Weihnachtsmann-Groupie über den Weg läuft. In seinem Alkoholismus ist Stokes letztlich aber eine arme Gestalt, die der Zuschauer mit ihren Rüpeleien gegen das Gut-Mensch-Sein ins Herz schließt.

Aufgrund des Protest-Themas mit BAD SANTA identisch, macht jedoch VERRÜCKTE WEIHNACHTEN auf allen filmischen Ebenen von Anfang an deutlich, dass es ihm nur um eine Stabilisierung der scheinbar der Lächerlichkeit preis gegebenen Gesellschaft geht. Auch wenn Luther beim Einkauf für seine Frau seine Unlust an Festen entdeckt - das Hin und Her zwischen Auto und Laden endet für ihn völlig durchnässt -, so ist dies hier als reiner Slapstick inszeniert. Das Wasser spritzt von allen Seiten wie bei SINGING IN THE RAIN, schöne Kameraeinstellungen machen es zur herrlichen Unterhaltung. Ernsthaft bissig wird es nie. Kein Zufall, da als Produzent für VERRÜCKTE WEIHNACHTEN Chris Columbus in der Verantwortung steht, der außerdem noch das Drehbuch nach einer Romanvorlage von John Grisham verfasst hat. Die Nähe zu Columbus' eigener KEVIN-Reihe oder zu MRS. DOUBTFIRE ist dagegen frappant, vor allem was den körperlich vorgetragenen Humor angeht.

Im Gegensatz dazu macht BAD SANTA von Beginn an seinen schwarzen Humor deutlich: Wenn zur Off-Stimme von Billy Bob Thornton ein verträumtes Klavier spielt, haben auch hier die Produzenten kräftig mitgewirkt. Und zwar die Coen-Brüder, die ihren THE MAN WHO WASN'T THERE auch mit Thorntons Off-Stimme und mit sehr ähnlicher Klaviermusik eröffnet hatten, was aber die Einleitung zu einem zeitlupenhaften Schwarz-Weiß-Film mit einem zurückhaltenden Thornton war, also das genaue Gegenteil des schrillen BAD SANTA. Ein doppelter Boden ist hier mit scharfer Ironie schon früh installiert.

VERRÜCKTE WEIHNACHTEN gefällt sich in der üblichen Gag-Inszenierung, etwa wenn Nora auf dem Bauch durch die Horde Nachbarskinder rutscht, die für das Aufstellen von Frosty, dem Schneemann, protestieren. Dagegen führt BAD SANTA seinen Santa Claus da hin, wo das Weihnachtsfest besonders weh tut: in die Shopping Mall. Dort, wo der Geschenkidee Tempel erbaut sind, wo die Kinder die Dominanz des Materiellen erfahren, da pisst sich der lustig kostümierte Stokes wegen des Dauerkonsums von Hochprozentigem in die Hose, da scheucht er angenervt die Kinder von seinem Schoß, da schreit und spuckt er Mutter und Kind an, die doch nur ihre Wünsche vortragen möchten - während ein Schlager samtig: "It's the most wonderful time of the year" durch die Hallen flötet. Der Zuschauer ist bei den ganzen verkitschten Einfkaufsritualen längst auf der Seite des ungehobelten Fremdlings, wenn er im Suff, von zahlreichen Kinderaugen beobachtet, in ein paar Pappesel fällt, auf diese dann mit größter Zerstörungswut eindrischt und sie in einer Gewaltorgie zerfetzt.

Die Fallhöhe zwischen herzlichem und herzlosem Charakter ist bei BAD SANTA viel höher, als bei einer gut ausbalancierten Komödie wie VERRÜCKTE WEIHNACHTEN. Natürlich soll auch Thornton als übler Rabauke bekehrt werden, was durch den kleinen Thurmon geschieht, der als dicker, rotznasiger Außenseiter am Ende die Vatergefühle von Stokes weckt. Auch wenn er Stokes beim Brettspiel - durch den geschickten Wechsel von verschieden nahen Kameraeinstellungen als spannendes Duell gefilmt - mit kindlicher Lust zur Weißglut bringt. Wo Thorntons Figur ab der Filmhälfte ganz langsam immer gefühlvollere Züge zeigt, sich stets eine gesunde Portion Unverschämtheit bewahrt, dreht sich VERRÜCKTE WEIHNACHTEN zur gleichen Zeit plötzlich um 180 Grad. Die Vorbereitungen für das Blitz-Weihnachtsfest, weil Tochter Blair nun doch nach Hause kommt, vereint die Nachbarschaft wieder. Auch hier sind die Sympathien der Zuschauer eigentlich auf der Seite der so aufopferungsvoll kämpfenden Weihnachtsgegner Kranks. Umso schmerzlicher ist dann die Mühe, mit der der Film seinen ersten Teil als scherzhafte Verirrung darzustellen versucht. Die Nachbarn helfen auf einmal den Kranks, weil doch Nora "schon mal alle Kinder gesittet" hat. Und selbst der vorher noch so schön ungesellige Luther wird bald zum großherzigen Wohltäter. Einigen Slapstick hat sich VERRÜCKTE WEIHNACHTEN dann auch noch für die Szenen der Restaurierung von Eintracht und Gemeinschaft aufgespart, die Wiederherstellung des anfangs in Frage gestellten Systems der Konsum-Weihnacht soll ja auch Spaß machen. Beide Filme handeln am Ende von Nächstenliebe und Großzügigkeit, wobei Stokes bei einem Shoot-Out und einer Verfolgungsjagd seine Wohltätigkeit fast mit dem Leben bezahlt. Gegenüber diesen herrlich schroffen Filmzitaten wirken die mit dickster Orchestermusik untermalten Barmherzigkeiten von Luther und Nora fast irreal.

In beiden Filmen finden sich neue Paare, sogar kleine heilige Familien. Hier das kinderliebende Weihnachtsmann-Groupie Sue, das auf Stokes wartet und sich Thurmans annimmt. Dort die blonde, jungfräulich erscheinende Tochter Blair mit ihrem Enrique, zusammen das leere Abziehbild eines Panamerikanischen Musterpärchens. Beide Filme feiern den Sieg von Gemeinschaft und Tradition. Überall sind Verbrecher im Gefängnis gelandet, hat das Rechtssystem ganze Arbeit geleistet. Bei BAD SANTA ist es aber Stokes selbst, die geläuterte Hauptfigur, auf dessen Rückkehr aus dem Knast hoffnungsfroh gewartet wird. Zwigoff zeigt eine offene Gesellschaft, deren Protagonisten gerade durch ihre ungehörigen Macken interessant sind. Dagegen lässt VERRÜCKTE WEIHNACHTEN seinen Einbrecher kurz am Wohlstandsleben Teil haben, dann aber von einem kleinen Jungen und dem Weihnachtsmann persönlich wieder einfangen und abführen. Verbrechensbekämpfung ist hier Kindersache. In dieser aalglatten Utopie einer (amerikanischen) Gemeinschaft haben Gesetzesbrecher nichts verloren, die Nachbarn feiern gemeinsam, nach Außen wird dicht gemacht.

Längst hat sich die Weihnachtskomödie denjenigen angekommen, die aus dem Gewöhnlichen herausbrechen. Wer früher als unchristliche Gestalt das unvorteilhafte Negativbeispiel abgab, wird nun als Sympathieträger eingesetzt und steht im Mittelpunkt der Geschichte. In welchem Maße er dann aber wieder in das Gesellschaftssystem zurückfindet, oder wie er dorthin zurückgebracht wird, daran zeigt sich die Ideologie und eigentliche Absicht des Films. Der dreiste BAD SANTA steht da dem rührseligen VERRÜCKTE WEIHNACHTEN deutlich gegenüber.

Thomas Schöffner

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