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09.09.2004
 
 
         

Von Menschen und Kinos in München

 
       
 
 
 
 

Als am 26.8.04 der sehr sehenswerte Dokumentarfilm METALLICA – SOME KIND OF MONSTER anlief, gab es in ganz München nur ein einziges Kino, das den Film zeigte. Aber nicht etwa eines der renommierten Filmkunstkinos trat hier für die cineastische Vielfalt ein, sondern ausgerechnet der Multiplex-Mathäser, dem bei seiner Eröffnung im Mai 2003 oft genug unterstellt wurde, er werde die Kinokultur in München nachhaltig verschlechtern.
Anlaß genug, einen Blick auf die Möglichkeiten des Filmkonsums im Allgemeinen und die aktuelle Münchner Kino-Infrastruktur im Speziellen zu werfen.


Warum guckst du?

Bevor man daran geht, über die Kinostadt München ein Urteil zu fällen, sollte man vorab klarstellen, was man von einem "guten" Kinoangebot erwartet. Kinobesucher ist eben keineswegs gleich Kinobesucher und die Gründe, warum man ins Kino geht, differieren stark.
Im Folgenden geht es nicht um die große Masse der Kinobesucher, die im Kino Zerstreuung, Unterhaltung und Gesellschaft sucht (und findet). Die Grundversorgung dieser Gruppe mit den aktuellen Kinohits ist wohl immer und überall sichergestellt.
Hier geht es um die bedeutend kleinere Gruppe der leidenschaftlichen Cineasten (die natürlich auch einmal den ein oder anderen Blockbuster sehen), die aber wiederum in zwei (vermeintlich identische) Gruppen unterschieden werden müssen: die Kinogeher und die Filmfans (dies sind wohlgemerkt keine "amtlichen" Bezeichnungen, sondern von mir relative frei gewählt).

Beide teilen zwar ihre Leidenschaft für den Film, doch während für die einen Filmgenuß ausschließlich in einem Kino (oder ZUMINDEST auf einer großen Leinwand mit richtiger Projektion) möglich ist, geht es den anderen in erster Linie um das Medium Film, weshalb man notfalls auch auf das Fernsehen (womit fortan verkürzt auch Medien wie Video, DVD usw. gemeint sind) zurückgreift.
Die Anforderungen der letztgenannten Gruppe sind dann auch die Parameter für die folgende Betrachtung.


Mathäser – Some kind of monster?

Als Filmfan hat man sich von der Eröffnung des neuen Mathäsers tatsächlich nicht viel erhofft (dagegen einiges befürchtet). Die hitzigen Diskussionen um den negativen Einfluß von riesigen Multiplexkinos ist in letzter Zeit wieder etwas abgeflaut, aber vor zwei, drei Jahren sah man darin das schlichte Böse. Kleinere Kinos würden deswegen reihenweise dichtmachen, auf den zahlreichen Leinwänden der Großkinos wäre aber nur die allgegenwärtige Massenware zu sehen, für Filmkunst bliebe kein Platz mehr. Außerdem seien die Multiplexe herzlose Kommerzbetriebe, kalt, laut, kunstfeindlich, pfui!

Was das Kinosterben betrifft, läßt sich schwer feststellen, welche Auswirkung die Eröffnung eines solchen Kinos tatsächlich hat (auch wenn in diesem Zusammenhang gerne sehr schnell, sehr einfache und oft sehr falsche Schlüsse gezogen werden). Grundsätzlich aber bedienen Multiplexe vor allem den Massenmarkt und gefährden somit weniger die Filmkunst, als vielmehr die Vielzahl mittlerer Kinos, die mit ihrem Standardprogramm auch in Prä-Multiplex-Zeiten nicht zur cineastischen Vielfalt beigetragen haben (das trifft auch auf viele Kinos auf dem Land und in kleineren Städten zu, die ihrem Ruf als kulturelle Bastion nur sehr selten gerecht werden und die aus eben diesem Grund vor den Multiplexen zittern).

Dem natürlichen Verdrängungskampf vielen in München in den letzten Jahren (von der Eröffnung des Mathäsers zum Teil schon zeitlich ganz unabhängig) das Stachus Kinocenter, die Karlstor Kinos und die Elisenhofkinos zum Opfer, was der Filmfan im Hinblick auf deren technische Ausstattung und ihre Programm verschmerzen kann. Das einzige Filmkunstkino, das schließen mußte, war der legendäre Türkendolch in Schwabing, doch auch hier läßt sich wohl kaum ein Zusammenhang zum neuen Großkino in Münchens Mitte herstellen.

Dagegen muss man anerkennen, dass das Mathäser durch seine Programmgestaltung durchaus zur Kinovielfalt in München beiträgt. Etwa durch Originalversionen (deren Angebot nie groß genug sein), eingestreute Filmklassiker (zwar in homöopathische Dosen, aber immerhin) und eben durch Filmen wie dem oben genannten METALLICA-Film oder auch Helge Schneiders JAZZCLUB, die in München sonst nicht oder fast nicht zu sehen waren.

Aber kann man als echter Cineast ein Kino wie das Mathäser überhaupt goutieren? Denn so wie der "echte" Musikfan immer noch Vinyl-Platten bevorzugt und der "echte" Weinkenner keine Kunststoffkorken in der Flasche toleriert, so verachtet der "echte" Cineast die unpersönliche Abfertigung in modernen Popcornpalästen und zieht sich zurück in die heimeligen kleinen Traditionskinos mit persönlicher Note. Oder auch nicht, womit wir wieder bei der vorhin getroffenen Unterscheidung zwischen Kinogehern und Filmfans angelangt sind.

Warum man ein kleines, muffiges Kinos mit unbequemen Sitzen, schlechter Ton- und Bildtechnik und mürrischen Studenten an der Kasse, einem modernen, technisch perfekten Kino mit devot freundlichem Servicepersonal vorzieht, läßt sich schwer erklären und hat - wie bei den genannten Wein- und Musikfreunden – weniger mit rationellen Überlegungen als vielmehr mit Emotionen und (beinahe mystischen) privaten Erkenntnissen zu tun.
Der Streit um diese (eigentlich nicht zu kritisierende) persönliche Präferenz bekommt aber schnell ein anderes Gesicht, wenn es um die alles entscheidende Frage geht: To see or not to see?


Wo laufen sie denn?

Denn im Kinoalltag hat man leider nur selten die Wahl, den Film XY in einem großen oder einem kleinen Kino zu sehen. In der Praxis muss man froh sein, wenn ein anspruchsvoller Film in zumindest drei Kinos startet und nach zwei Wochen sich noch wenigstens auf dem Spielplan eines dieser Kinos findet.
Wer sich dann den Luxus erlaubt, einen guten Film bewußt zu verpassen, weil er nicht im "richtigen" Kino läuft, der ist rein cineastisch betrachtet– mit Verlaub – ein Narr. Ebenso ist das stolze Bekenntnis von Kinogehern, sie besäßen keinen Fernseher, keineswegs ein Ausdruck besonderer Cinephilie, sondern eher das Zeugnis einer unverständlichen Selbstbeschneidung.

NATÜRLICH ist der Idealfall immer noch, einen guten Film in aller Ruhe in einem guten Kino zu sehen aber die Liste der Störfaktoren, die einem einen Kinobesuch richtig verderben können, ist leider lange, beginnt bei störenden Zuschauern (mein persönliches Bestiarium der nervenden Kinobesuchers übersteigt die Vielfalt von Brehms Tierleben mit Leichtigkeit), geht über unfähige Projektion und endet bei schlechten Kopien.
Vereinfacht gesagt: Ein schönes Kinoerlebnis ist von einem Fernseher nie zu schlagen, einen katastrophalen Kinobesuch jedoch tausche ich gerne gegen ein gepflegtes Heimkinovergnügen (nicht zu vergessen, dass ein schlechtes Film-Fernseheerlebnis der cineastische worst case ist).

Aber auch hier muss man wieder auf die Grundsatzfrage zurückkommen: Was tun, wenn der Film überhaupt nicht im Kino läuft, womit wir schließlich und endlich bei der Frage nach dem Münchner Filmangebot angelangt sind.
Im Prinzip ist das Angebot sehr gut, sicher nicht so berauschend wie in Paris oder New York, aber sicher besser als in vielen vergleichbaren Städten (von den kleineren Städten gar nicht zu sprechen). Es gibt ein sehr renommiertes Filmmuseum, Klein- und Kleinstkinos mit wunderbar ausgefallenem Programm (Werkstattkino, Maxim, Lupe 2), drei bis vier Kinos die sich den Originalversionen verschrieben haben (das Theatiner vor allem den französischen Filmen), eine Hand voll guter Filmkunstkinos und auch in den zahlreichen "normalen" Kinos finden sich regelmäßig sehenswerte Werke zwischen Blockbuster und Independent.

Im Verhältnis muss man also zufrieden sein, ein erfülltes Kinojahr ist einem in München sicher. Andererseits kann es für den echten Fan natürlich nie genug sein. Ein Blick auf die diversen Festivals zeigt uns immer wieder schmerzlich, dass es da noch viel Gutes gäbe, das es nie in unsere Kinos schafft, selbst von bekannten Regisseuren wie Woody Allen, dessen ANYTHING ELSE zwar gerade bei uns läuft, dessen vorheriger HOLLYWOOD ENDING aber nie zu sehen war. Hier trifft die Hauptschuld natürlich die Verleiher und nicht die Kinos, so wie es auch dem Verleih anzurechnen ist, dass David Cronenbergs SPIDER so spät zu uns kam. Dagegen haben es aber die Kinos zu verantworten, dass dieser Film nach lächerlichen zwei Wochen schon wieder verschwunden war. Leider kein Einzelfall, deshalb hier der Ratschlag: anspruchsvolle, kleine Filme immer gleich in der ersten Woche nach dem Start anschauen.

Wirkliche Vorwürfe kann man den Kinos bei solchen Kurzlaufzeiten auch nicht machen, denn oft genug sind die Besucherzahlen ruinös schlecht (die Schuld liegt also auch beim Publikum) und zum anderen drängen Woche für Woche (im Schnitt 4 - 6) neue Filme nach, viele davon sehenswert. Die ewig beschworene Krise der Kunstform Kino (das Kino-Geschäft ist wieder eine andere Sache) ist somit genau so fiktiv, wie die Krise der Literatur, die jedes Jahr mehr Neuerscheinungen hervorbringt.

Unter diesen Vorzeichen kann es dann schon einmal passieren, dass man manch interessanten Film nicht im Kino zu sehen bekommt, aber deswegen ganz darauf verzichten? Klüger ist es, ihn auf dem Bildschirm nachzuholen (so wie man es mit 95 Prozent der Kinogeschichte trotz regelmäßiger Retrospektiven ohnehin machen muss) und auf eine Wiederaufführung zu hoffen, um ihn im Kino nachzuholen.
Das eigentliche "Filmerlebnis" findet ohnehin nicht in einem dunklen Saal, einer Open Air Arena oder dem eigenen Wohnzimmer, sondern in unseren Köpfen statt.

Michael Haberlander

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