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13.05.2004
 
 
       

O Brothers, where's art though?
Die Coen Brüder und ihre Schauspieler

 
 
O BROTHER, WHERE ART THOU
   
 
 
 
 

In diesen Tagen läuft LADYKILLERS, der neue Film der Coen-Brüder, im Wettbewerb des Filmfestivals in Cannes. Die ganz große Euphorie ob dieser Tatsache will in der Filmgemeinde nicht mehr aufkommen, denn der aktuelle Filmoutput der fleißigen Brüder hat in letzter Zeit qualitativ deutlich nachgelassen.

Lange Zeit waren Joel und Ethan Coen, das Musterbeispiel für die wenigen unabhängigen Filmemacher, die sich von Hollywood nicht einnehmen ließen. Ihre Anfänge in den frühen 80er Jahren waren Independent Filme im klassischen Sinne, BLOOD SIMPLE (1984) haben sie mit einfachsten Mitteln und unbekannten Schauspielern realisiert. Bereits mit diesem ersten Film konnten sich die Brüder eine ansehnliche Fangemeinschaft sichern. Auch die folgenden Filme RAISING ARIZONA (1987), MILLER'S CROSSING (1989) und BARTON FINK (1991) waren unabhängig produzierte, mit etwas größeren Budgets und etwas bekannteren Schauspielern realisierte Independent-Filme. In ihnen haben die Coens sich frühzeitig mit den Genres Komödie und Gangsterfilm beschäftigt. Und mit BARTON FINK ihr erstes Meisterwerk geschaffen, das damals in Cannes die Goldene Palme gewann und Joel und Ethan endgültig auch bei den Kritikern etablierte. Noch wichtiger für die Karriere der Coen-Brüder waren vermutlich die ersten Begegnungen mit Schauspielern, die später zu immer wiederkehrenden Größen in ihren Ensembles werden sollten. Frances McDormand spielte bereits in BLOOD SIMPLE zum ersten Mal in einem Film der Beiden die Hauptrolle, John Goodman in RAISING ARIZONA, während John Turturro seit MILLER'S CROSSING dabei ist. Diese Darsteller, und dazu Steve Buscemi, Peter Stormare, Michael Badalucco u.a., tauchten über die Jahre hinweg immer wieder in Coen-Filmen auf, nicht immer in Hauptrollen aber meistens in entscheidenden Positionen. Stets hatte man dabei den Eindruck, dass die Darsteller gerade in diesen Filmen ihre besten Leistungen ablieferten. Auf jeden Fall konnten Joel und Ethan dadurch auf ein vorhandenes Figurenarsenal zurückgreifen, das ihren Filmen stets eine zusätzliche Ebene verlieh. Zudem waren die wiederkehrenden Darsteller ein entscheidender Beitrag zum unverwechselbaren Coen-touch.

Nach dem Erfolg von BARTON FINK dauerte es drei Jahre bis der nächste Film realisiert wurde und es fand zum ersten Mal eine Abkehr von der Arbeitsweise als unabhängige Produzenten statt. Mit THE HUDSUCKER PROXY (1994) haben sich die Coen-Brüder erstmals an einer Hollywood-Produktion versucht - und auch gleich verhoben. Der Film funktioniert nicht so gut wie ihre frühen Werke, da ihr sehr eigener Humor in diesem, eher dem Mainstream angelehnten, Film nicht besonders gut zur Geltung kommt. Genau wie BARTON FINK entstand der Film komplett im Studio, aber auch wenn das Ambiente perfekt ist, funktioniert diese Kulisse nicht für den Film. Der versteht sich als Hommage an die Screwball Komödien der 30er Jahre und wurde auch entsprechend ausgestattet. Da aber diese üppige Ausstaffierung nicht mit dem speziellen Stil ihrer sonstigen Filme übereinstimmt wirkt die Kulisse seltsam leer. Es bleibt nur der Raum, von Inhalt plötzlich keine Spur mehr.
Auffallend ist auch die Besetzung. Nicht untypisch für einen Studiofilm, sind die Hauptrollen mit Tim Robbins, Paul Newman und Jennifer Jason Leigh erstklassig besetzt. Die typischen Darsteller aus dem bisherigen Umfeld der Coens fehlen jedoch komplett und nehmen dem Film dadurch viel vom Charme der früheren Werke.

In der Rückschau kann man THE HUDSUCKER PROXY durchaus als missglückten Versuch abtun, denn schon mit dem nächsten Film bewiesen die Brüder ihr großes Können und schufen mit FARGO (1996) ein weiteres Meisterwerk in ihrem Oeuvre. Mit Frances McDormand und Steve Buscemi waren die bekannten Gesichter zurück und mit ihnen und einem exzellenten Drehbuch auch der alte Coen-touch. Die Figur der schwangeren Polizistin Marge Gunderson ist die vermutlich gelungenste unter den vielen skurrilen und doch liebenswerten Charakteren der Coen-Brüder. Die verschiedenen Handlungsstränge könnten jeweils auch alleine einen ganzen Film füllen, zusammen ergeben sie ein faszinierendes Szenario, das durch die Ankündigung der Film basiere auf einer wahren Begebenheit noch eine zusätzliche Facette erhält.

In THE BIG LEBOWSKI (1998) tummelten sich dann fast alle Darsteller aus der Coen-Filmfamilie. John Goodman, Steve Buscemi, Peter Stormare und John Turturro kehrten zurück in dieser Komödie, deren Humor nicht ganz so verschmitzt ist wie in Fargo. Es fehlt hier die Eigenart der wortkargen Einwohner Minnesotas, was allerdings durch die umso skurrileren Nebenfiguren ausgeglichen wurde. Kleine Details, wie die von Hauptfigur "Dude" im Supermarkt betrachtete Fernsehansprache George Bush Seniors, die zum letztlich auslösenden Moment seines Feldzugs für Gerechtigkeit wird, sind wunderbare Beispiele für den sehr eigenen Humor der Brüder. THE BIG LEBWOSKI lebte weniger von seiner Handlung als von den Details, den Nebenfiguren und einzelnen Sequenzen, die auch für sich alleine stehen könnten.

Mit O BROTHER, WHERE ART THOU (2000) betraten Joel und Ethan dann wieder Neuland. Zum einen war mit George Clooney ein großer Hollywoodstar mit an Bord, zum anderen hat der Film einen gänzlich anderen Ton als ihre vorigen Filme. Das beginnt mit dem Drehbuch, für das sie Homer einen Credit als Koautor zugestehen, was ganz richtig ist, denn der Film erzählt im Prinzip tatsächlich die Geschichte von Odysseus, wenn auch durch die Augen der Coen-Brüder gesehen. Angesiedelt ist er allerdings in den amerikanischen Südstaaten und bezieht auch Thematiken mit ein, die neu in ihrem Werk sind. Ebenfalls ein Novum für die Coens ist der exzessive Einsatz von Musik, sogar von Gesangseinlagen im Film. O BROTHER, WHERE ART THOU wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein typischer Coen-Film. Die Musik irritiert und der Humor ist nicht so offensichtlich wie noch in THE BIG LEBOWSKI. Bei wiederholtem Betrachten des Films offenbart dieser jedoch Qualitäten, die ihn, eben gerade auf Grund dieser zunächst irritierenden und untypischen Elemente, zu einem ihrer interessantesten und nachhaltigsten werden lassen.

Der folgende Film, THE MAN WHO WASN'T THERE (2001), besticht vor allem durch seine fantastische schwarzweiß Fotografie. Schon allein aus diesem Grund ist die Hommage an den Film Noir der 40er Jahre ein Augenschmaus. Der Film zeigt eine perfekt ausgeleuchtete Kulisse, durch die sich der ständig rauchende Billy Bob Thornton langsam und mühevoll auf sein unentrinnbares Ende hin zubewegt. Vom Ton her fällt der Film deutlich aus dem Rahmen. Es gibt natürlich komische Momente, aber der extreme Humor, der die Coen-Filme normalerweise trägt, fehlt. Neben Frances McDormand, die einmal mehr einen Film ihres Mannes in einer Hauptrolle trägt, sucht man in THE MAN WHO WASN'T THERE vergeblich nach den üblichen Verdächtigen, die speziell in den Komödien immer wieder auftauchten. Auf Grund des untypischen Stils fehlen diese Gestalten hier jedoch kaum.

Ganz anders ist das in ihrem letzten in Deutschland veröffentlichten Film INTOLERABLE CRUELITY (2003). Es ist der zweite Versuch der Coen-Brüder im Hollywood Mainstream Fuß zu fassen. Und es ist der erste Film, für den sie nicht das Drehbuch selbst geschrieben haben. Sie sind erst ziemlich spät in das Projekt eingestiegen, wie es in Hollywood inzwischen nur allzu üblich ist. Ihrer bisherigen Arbeitsweise entspricht das jedoch ganz und gar nicht. Das Staraufgebot ist noch mal eine Nummer größer als bei THE HUDSUCKER PROXY. Mit George Clooney und Catherine Zeta-Jones spielen zwei absolute Topstars die Hauptrollen, daneben agieren mit Geoffrey Rush und Billy Bob Thornton auch keine Unbekannten. Außer letzterem ist allerdings niemand dabei, mit dem die Brüder schon vorher einmal gearbeitet haben. Und bei diesem Film fehlen die bekannten Gesichter und der mit ihnen verbundene Humor schmerzlich. Der Film ist wieder eine Hommage, erneut an die Screwball Komödien. Und auf den ersten Blick könnte auch alles so schön funktionieren, Clooney und Zeta-Jones haben das Potential lustig zu sein, nur die Pointen zünden nicht so recht. Die Story steht auf wackeligen Füßen und was noch viel schlimmer ist: Die Regisseure trauen ihr selbst nicht! Während des Films beschleicht einen immer wieder der Gedanke, man bekäme nur etwas vorgeführt. Im Gegensatz zu allen anderen Filmen der Coen-Brüder fehlt hier deutlich die Anteilnahme der Regisseure, ein Mitfühlen mit der Geschichte und den Charakteren. Und gerade davon leben die klassischen Screwball Komödien.

Erstaunlich ist die rasche Abfolge an Filmen, die Joel und Ethan Coen in letzter Zeit gedreht haben. Nun läuft in Cannes der nächste Film, THE LADYKILLERS. Diesmal haben sie das Drehbuch wieder selbst verfasst, allerdings handelt es sich erstmals um ein Remake. Der Film spielt erneut in den Südstaaten, damit hatten sie ja bereits gute Erfahrungen gemacht. Die Darsteller sind jedoch wieder nicht mit bekannten Coen-Gesichtern besetzt. Die Hauptrolle übernimmt Tom Hanks und es besteht natürlich die Gefahr, dass der Film ein Starvehikel wird. Man muß abwarten, die Reaktionen aus den USA nach dem dortigen Kinostart waren nicht gerade berauschend und vielleicht sollten die Brüder eine kreative Pause einlegen und wieder etwas näher an ihre künstlerischen Wurzeln zurückkehren. Es wäre schade, diese kreativen Filmemacher gänzlich an Hollywoods Mainstream zu verlieren.

Tobias Lehmann

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