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...and that's what makes it dangerous
Auf zur Rettung des Videodroms

  08.12.1999
 
 
 
 

"I'm against comedy on TV - it leads to comedy in the streets."
Jack Benny

Dass vor einigen Jahren mit schöner Regelmäßigkeit ein Münchner Staatsanwalt im Werkstattkino auftauchte, um daselbst Filme zu beschlagnahmen, die er der geistigen Volksgesundheit nicht zuträglich fand - das konnte man als übliche weiß-blaue Provinzposse hinnehmen, höchst ärgerlich zwar, aber letzlich vergleichsweise belanglos, nachdem sich der Staub der Aufregung wieder gelegt hatte.
Jetzt aber hat offenbar nach ein paar Wanderjahren der für solche Aktionen verantwortliche Ungeist die Hauptstadt unserer neuen, ach so weltoffenen, kosmopolitischen, liberalen Republik erreicht. In Berlin Kreuzberg marschierten am 23. November Staatsanwalt, Kripo, Sittenpolizei, Wirtschaftsamt und eine Horde Schupos ins Videodrom und beschlagnahmten, was nur in Beschlag zu nehmen ging.
Das Videodrom ist - für die, die's nicht wissen - wohl Deutschlands wichtigste Videothek. Hier bestellt nicht nur, für wen Film nicht mit Lucas und Disney beginnt und endet - fast alles, was hierzulande in Filmwissenschaft und -publizistik Rang und Namen hat, ist in der Kundenkartei (die nun beim Staatsanwalt ruht). Das Videodrom hat sich in den gut 10 Jahren seines Bestehens zu einer der ersten Adressen gemausert auf der Suche nach seltenem Filmmaterial. Wo der Mainstream endet, fangen die Bestände des Videodrom erst an.
Nun aber fühlten sich die lieben Staatsvertreter mal wieder berufen, heldenhaft in die Bresche zu springen und mündige BürgerInnen vor sich selbst zu schützen. Denn was die sich beim Videodrom holten oder bestellten, dass soll - so der Verdacht - in vielen Fällen jugendgefährdend (au weiha!) und gewaltverherrlichend (Schockschwerenot!) gewesen sein.
Es ist wie immer: Wenn Spannungen in der Gesellschaft an mehreren Orten als Gewaltausbrüche unübersehbar werden, dann knüppelt man erstmal zurück, wo sich's am leichtesten und beliebtesten knüppeln läßt - bei der Kunst. Warum Bildungs-, Familien-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Frage stellen, wenn man Filme verbieten kann. Ganz klar: Wenn ein Schüler seine Lehrerin bestialisch ersticht, dann ist da dran irgendwie ein Film schuld, der auf deutsch TÖTET MRS. TINGLE heisst - auch wenn der überhaupt erst eine Woche später in die Kinos und darin weit und breit niemand zu Tode kommt.
"The movies made them do it" ist zur Zeit wieder ein gern gehörter Kampfschrei. (Und selbstverständlich weiß inzwischen - speziell in den USA - jeder Schwerverbrecher oder dessen Anwalt, dass man sich ein paar Jährchen Knast sparen kann, wenn man erzählt, wie's böse, böse Filme waren, die einen vom Unschuldslamm zum Berserker mutieren ließen.) Stört doch nicht weiter, dass noch keine seriöse Studie zum Thema dieses herrlich naive Ursache-Wirkung-Modell irgendwie bestätigen konnte.

Eine Aktion wie die gegen das Videodrom ist halt wunderbar geeignet, um den Anschein "Staatsorgane - die tun was" zu wahren. Man pickt sich ein profiliertes, aber schwaches Objekt heraus und macht es systematisch fertig - und schon ist die Welt wieder sicher für unbescholtene Schrebergärtner.
Das Videodrom bedient Leute, die mit Mainstream allein nicht zufrieden sind - suspekte Spinner also - und ist ein kleines Unternehmen, dass an Finanzkraft und Lobby nicht übertrieben viel vorzuweisen hat. Das Perfide bei der Sache: Der Verdacht eines Vergehens gegen herrschendes Recht reicht aus, um den Laden zu stürmen und dicht zu machen - und wenn der lahmgelegte Betrieb, seiner Geschäftsgrundlage entzogen, in der Zeit bis zur Ausräumung des Verdachts bankrott geht, dann ist das einzig und allein sein Problem.
Leider ist nicht zu erwarten, dass ob der gefährdeten Arbeitsplätze Gerhardman einfliegt und ein kerniges "Wir packen das" von den Lippen läßt - so ein kleines Stolpersteinchen auf dem Weg zur totalglobalisierten corporate consumer culture wie das Videodrom, wo das Abseitige, nicht in den Einheitsbrei zu Rührende noch hochgehalten wird, würde er wahrscheinlich selbst nicht ohne Genuss wegkicken.

Was das Videodrom jetzt braucht, ist Unterstützung. Die kann zunächst mal einfach in Form einer Unterschriftenliste ausfallen, zu faxen an 030/695 098 79. Was man sonst noch tun kann, ist - ebenso wie Antwort auf weitere Fragen - zu erfahren unter 0171/266 377 9.
Dem Staatsanwalte und Konsorten aber sei gesagt: Geben Sie Gedankenfreiheit!

Thomas Willmann

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