"I'm against comedy on TV - it leads to comedy in the
streets." Jack Benny
Dass vor einigen Jahren mit schöner Regelmäßigkeit ein Münchner
Staatsanwalt im Werkstattkino auftauchte, um daselbst Filme zu
beschlagnahmen, die er der geistigen Volksgesundheit nicht
zuträglich fand - das konnte man als übliche weiß-blaue
Provinzposse hinnehmen, höchst ärgerlich zwar, aber letzlich
vergleichsweise belanglos, nachdem sich der Staub der Aufregung
wieder gelegt hatte. Jetzt aber hat offenbar nach ein paar
Wanderjahren der für solche Aktionen verantwortliche Ungeist die
Hauptstadt unserer neuen, ach so weltoffenen, kosmopolitischen,
liberalen Republik erreicht. In Berlin Kreuzberg marschierten am
23. November Staatsanwalt, Kripo, Sittenpolizei, Wirtschaftsamt und
eine Horde Schupos ins Videodrom und beschlagnahmten, was nur in
Beschlag zu nehmen ging. Das Videodrom ist - für die, die's
nicht wissen - wohl Deutschlands wichtigste Videothek. Hier
bestellt nicht nur, für wen Film nicht mit Lucas und Disney beginnt
und endet - fast alles, was hierzulande in Filmwissenschaft und
-publizistik Rang und Namen hat, ist in der Kundenkartei (die nun
beim Staatsanwalt ruht). Das Videodrom hat sich in den gut 10
Jahren seines Bestehens zu einer der ersten Adressen gemausert auf
der Suche nach seltenem Filmmaterial. Wo der Mainstream endet,
fangen die Bestände des Videodrom erst an. Nun aber fühlten
sich die lieben Staatsvertreter mal wieder berufen, heldenhaft in
die Bresche zu springen und mündige BürgerInnen vor sich selbst zu
schützen. Denn was die sich beim Videodrom holten oder bestellten,
dass soll - so der Verdacht - in vielen Fällen jugendgefährdend (au
weiha!) und gewaltverherrlichend (Schockschwerenot!) gewesen
sein. Es ist wie immer: Wenn Spannungen in der Gesellschaft an
mehreren Orten als Gewaltausbrüche unübersehbar werden, dann
knüppelt man erstmal zurück, wo sich's am leichtesten und
beliebtesten knüppeln läßt - bei der Kunst. Warum Bildungs-,
Familien-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Frage stellen, wenn
man Filme verbieten kann. Ganz klar: Wenn ein Schüler seine
Lehrerin bestialisch ersticht, dann ist da dran irgendwie ein Film
schuld, der auf deutsch TÖTET MRS. TINGLE heisst - auch wenn der
überhaupt erst eine Woche später in die Kinos und darin weit und
breit niemand zu Tode kommt. "The movies made them do it" ist
zur Zeit wieder ein gern gehörter Kampfschrei. (Und
selbstverständlich weiß inzwischen - speziell in den USA - jeder
Schwerverbrecher oder dessen Anwalt, dass man sich ein paar
Jährchen Knast sparen kann, wenn man erzählt, wie's böse, böse
Filme waren, die einen vom Unschuldslamm zum Berserker mutieren
ließen.) Stört doch nicht weiter, dass noch keine seriöse Studie
zum Thema dieses herrlich naive Ursache-Wirkung-Modell irgendwie
bestätigen konnte.
Eine Aktion wie die gegen das Videodrom ist halt wunderbar
geeignet, um den Anschein "Staatsorgane - die tun was" zu wahren.
Man pickt sich ein profiliertes, aber schwaches Objekt heraus und
macht es systematisch fertig - und schon ist die Welt wieder sicher
für unbescholtene Schrebergärtner. Das Videodrom bedient Leute,
die mit Mainstream allein nicht zufrieden sind - suspekte Spinner
also - und ist ein kleines Unternehmen, dass an Finanzkraft und
Lobby nicht übertrieben viel vorzuweisen hat. Das Perfide bei der
Sache: Der Verdacht eines Vergehens gegen herrschendes Recht reicht
aus, um den Laden zu stürmen und dicht zu machen - und wenn der
lahmgelegte Betrieb, seiner Geschäftsgrundlage entzogen, in der
Zeit bis zur Ausräumung des Verdachts bankrott geht, dann ist das
einzig und allein sein Problem. Leider ist nicht zu erwarten,
dass ob der gefährdeten Arbeitsplätze Gerhardman einfliegt und ein
kerniges "Wir packen das" von den Lippen läßt - so ein kleines
Stolpersteinchen auf dem Weg zur totalglobalisierten corporate
consumer culture wie das Videodrom, wo das Abseitige, nicht in den
Einheitsbrei zu Rührende noch hochgehalten wird, würde er
wahrscheinlich selbst nicht ohne Genuss wegkicken.
Was das Videodrom jetzt braucht, ist Unterstützung. Die kann
zunächst mal einfach in Form einer Unterschriftenliste ausfallen,
zu faxen an 030/695 098 79. Was man sonst noch tun kann, ist -
ebenso wie Antwort auf weitere Fragen - zu erfahren unter 0171/266
377 9. Dem Staatsanwalte und Konsorten aber sei gesagt:
Geben Sie Gedankenfreiheit!
Thomas
Willmann
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