In letzter Zeit geschieht es immer öfter, dass ich im Kino sitze
und mir in Anbetracht einiger amerikanischer Filme verwundert die
Frage stelle: Dürfen die das ? So sehr hat sich die Political
Correctness bereits in unseren Köpfen festgesetzt, dass wir nun mit
Verwunderung auf ungewohnt dreiste oder explizite Szenen reagieren.
Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet aus dem Land, das
uns die PC-Welle beschert hat, nun auch die schonungslosesten
Kampfansagen gegen diesen Tugendterror kommen.
Als die Farrelly Brüder VERRÜCKT NACH MARY in die Kinos brachten,
waren viele Kritiker darüber empört, dass das Publikum über
Behinderte, eingeklemmte Geschlechtsteile und Sperma im Haar lachte
und bescheinigten allen weiteren vermeintlichen Teenagerfilmen
dieser Art keine große Zukunft. Doch der finanzielle Erfolg
von VERRÜCKT NACH MARY blieb kein Einzelfall und zusammen mit den
anderen Filmen der Farrellys (etwa KINGPIN) steht er für eine neue
Unverfrorenheit, die immer mehr Regisseure für sich entdecken.
Gemeinsam mit AUSTIN POWERS II, BOWFINGER oder GNADENLOS SCHÖN
pflegen die Farrellys zum Beispiel ein sehr gewagtes Bild der Frau.
Die Heldinnen ihrer Filme sind meist blonde "Bimbos", deren
körperliche Ausstrahlung ganz offensichtlich auf die Lendengegend
der männlichen Zuschauer abzielt. Bei genauer Betrachtung erweisen
sich diese Frau jedoch als bedeutend intelligenter und vernünftiger
als ihre männlichen Partner, deren triebgesteuerte Vorgehensweise
keine Peinlichkeit ausläßt. Vielleicht ist es dieses Bild von
der kontrollierenden Frau, das die Sittenwächter und Feministinnen
versöhnlich stimmt, denn wie wäre es sonst zu erklären, dass eine
Mrs. Schickfick (im Original noch eindeutiger als Felicity
Shagwell) an der Seite von AUSTIN POWERS oder eine sich konsequente
hochschlafende Landschönheit in BOWFINGER (in beiden Rollen Heather
Graham) keinen Sturm der Entrüstung mehr hervorruft, während früher
sogar Feldzüge gegen Stöckelschuhe in der Werbung geführt wurden
?
Ebensowenig empören sich heute die Wächter des guten Geschmacks
über Ekelszenen, die früher einmal dem Trash- und Horrorpublikum
vorbehalten blieben. War bei TRAINSPOTTING der Tauchgang in der
schlimmsten Toilette Schottlands noch ein Diskussionsthema, so
stört es heute keinen mehr, sich mit den abstoßenden
Körperfunktionen von Fat Bastard in AUSTIN POWERS oder der
verkohlten Hand von Ellen Barkin in GNADENLOS SCHÖN
auseinandersetzten zu müssen. Zudem wird es in Hollywood zum
regelrechten Trend, sich vor der Kamera zu übergeben, man siehe nur
DETROIT ROCK CITY, BIG DADDY und die regelrechte Brech - Orgie in
GNADENLOS SCHÖN.
Doch auch etwas sehr demokratisches hat der neue Hang zur
Schamlosigkeit. Vor dem Witz sind wieder alle gleich. Frühere Tabus
und Schutzzonen für bestimmte Bevölkerungsgruppen wurden
abgeschafft, weshalb man nun auch wieder über die Missgeschicke und
Leiden von Kindern, Behinderten, Verkrüppelten, ethnischen
Minderheiten und Haustieren lachen kann. Zu genaueren
Informationen und Anleitung darüber befragt man am besten die
Produzenten der Serie (bzw. des Films) SOUTH PARK.
Wie notwendig diese Abwehrhaltung gegen die zum Teil absurden
Auswüchse der Political Correctness ist, zeigt sich schließlich am
Umgang mit den in Amerika so beliebten swearwords. Da eine
Reihe von Schimpfworten in der amerikanischen Öffentlichkeit nun
einmal verboten sind, behilft man sich als Filmemacher einfach mit
einem der unzähligen, oft zweideutigen Synonyme, die als
unverfänglich gelten. Für die Einführung des Wortes shag in den
amerikanischen Sprachschatz wird man Mike Myers deshalb sicher ein
Denkmal bauen. Und wenn der Chefkoch aus SOUTH PARK, alias
Isaac Hayes, im Soundtrack zum Film unbehelligt singen kann: "Suck
on my chocolate salty balls !" dann bezieht er sich natürlich auf
die köstlichen braunen Gebäckkugeln die er zubereitet hat. Ein
Schelm wer etwas anderes denkt.
Michael Haberlander
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