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28.10.1999
 
 
   
 

Der Unbekannte: Orson Welles

 
© Münchner Filmmuseum The Unknown Orson Welles
     
 
 
 
 

Als vor einigen Monaten der 100. Geburtstag von Alfred Hitchcock begangen wurde, ließ sich anhand von Dokumentationen und Berichten eindrucksvoll ablesen, welchen Einfluß er nicht nur auf die Filmgeschichte, sondern auch auf die uns umgebende Alltagskultur hatte und immer noch hat.
Die vom 21.10. - 24.10.99 im Filmmuseum gelaufene Orson Welles - Konferenz unter dem Titel "Der unbekannte O. W." dagegen war eine Veranstaltung für Kenner, Spezialisten und Cineasten was zwangsläufig zur Frage führt: Wieviel Welles steckt noch in der heutigen Zeit?

Während z.B. eine regelrechte Welle von Hitchcock - Remakes über uns hereinbricht, ist die in meinen Augen ziemlich flaue Verfilmung des Drehbuches THE BIG BRASS RING durch Georg Hickenlooper der einzige mir bekannte Versuch, sich in letzter Zeit einen von Welles Stoffen anzueignen.

Ähnlich verhält es sich mit Parodien oder Persiflagen, die trotz allen Spottes immer auch einen großen Teil von Bewunderung für ihre Vorlage in sich tragen. Erstaunlich ist die Zahl von Veralberungen der Duschszene aus PSYCHO oder Bezügen auf die bekannten Szenen aus VERTIGO oder DIE VÖGEL.
Aber wie viele Parodien auf CITIZEN KANE oder TOUCH OF EVIL sind dagegen bekannt ? Haben die Komiker zu viel Respekt vor dem großen Orson oder würde heute das Publikum Witze über zerbrechende Schneekugeln und brennende Schlitten gar nicht mehr verstehen ?

Oder reden wir von Epigonen und Nachfolgern.
Brian de Palma hat seine Karriere darauf aufgebaut, ein zweiter Hitchcock zu sein und über die filmische Erbschaft von Martin Scorsese wird schon zu Lebzeiten verhandelt (Tarantino oder doch Paul Thomas Anderson ?).
Aber bei Welles ? Sicher, Bogdanovich ist ein grenzenloser Bewunderer aber setzt er das Werk von Welles in irgendeiner Weise fort ? Mehr in diesem Sinne handelte da sogar der "schlechteste Regisseur aller Zeiten" ED WOOD, so zu sehen im gleichnamigen Film von Tim Burton.
Für kurze Zeit sah es so aus, als ob in Kenneth Branagh ein neuer Welles heranreifen würde und die oberflächlichen Gemeinsamkeiten waren wirklich nicht zu übersehen. Da war auch das Meisterwerk in jungen Jahren (HENRY V), die Begeisterung für Shakespeare und die Klassiker der Weltliteratur wie FRANKENSTEIN (dessen Verfilmung in meinen Augen misslungen ist, auch wenn mir der Kollege Willmann hier entschieden widerspricht) und die geradezu manische Personalunion von Schauspieler, Autor und Regisseur.
Doch sieht man genauer hin, so fehlen Branagh die Besessenheit, der grenzenlose Egoismus und die tragische Größe selbst im Scheitern, die Welles so einzigartig gemacht hat.

Nun besagen fehlende Remakes, Parodien und Epigonen wenig über die Qualitäten des Künstlers Welles, denn dass er großartige Werke geschaffen hat will wohl niemand bestreiten. Aber gerade diese Diskrepanz zwischen offensichtlicher Genialität und der eigenartig unscharfen und nebulösen Aura, die sein Leben und Werk umgibt, zeugt von der wahren Leidenschaft des ewigen DRITTEN MANNES.

Welles war ein fanatischer Geschichtenerzähler, wobei hier durchaus auch die umgangssprachliche Bedeutung des Wortes als Lügner gemeint ist. In seinem Film F FOR FAKE hat er den Lügnern, Fälschern und Betrügern ein Denkmal gesetzt, sein Hörspiel WAR OF THE WORLDS ist der Urvater der Medienlüge und über sich selbst, etwa seine familiäre Abstammung, verstreute er die wildesten Gerüchte.
Zudem wollte er immer auch ein Zauberer sein. In der Rolle des mit einem Cape bekleideten Magiers ließ er sich nur zu gerne ablichten.
Diese beiden Leidenschaften verband er in seiner Rolle als Harry Lime, dem mysteriösen DRITTEN MANN, der selbst seinen Tod vorgaukelte, der auftauchte und verschwand wie ein Gespenst und der den ganzen Film über im wörtlichen Sinne ungreifbar blieb.

Durch sein so vielfältiges, verworrenes und zum Teil fragmentarisches Werk ist Welles zum Harry Lime der Filmgeschichte geworden. Obwohl immer präsent und von der Filmgemeinde in Ehren gehalten bleibt er ein Phantom, dass jedoch zum richtigen Zeitpunkt auftaucht und sich wieder in Erinnerung ruft.

Michael Haberlander

(Zur Vertiefung das ORSON WELLES SPECIAL)

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