Die Frage, was den deutschen Film zum einen erfolgreicher und zum
anderen interessanter machen könnte, liefert seit Jahren Arbeit für
unzählige Symposien, Workshops und Tagungen und sichert zudem das
Auskommen notleidender Medienpolitikern und Fördergremien.
Was den finanziellen Erfolg der Filme betrifft, so gibt es
ehrlich betrachtet wohl nur die schlichte Erkenntnis, dass es keine
Patenrezepte gibt. Das Scheitern von kopierten Erfolgsrezepten
beweist das immer wieder. Um die Qualität des deutschen Films
zu Erhöhen, gibt es dagegen diverse Ansätze, wobei der verstärkte
Einsatz von Lokalkolorit im Kino zu den einfacheren gehört.
Zunehmend sehen deutsche Filme so aus, als ob sie in einer
normierten Mustergroßstadt gedreht worden wären. In dieser
Musterstadt gibt es die "Infrastruktur" (Szenelokale für den
sozialen Umgang, Werbeagenturen zum arbeiten und großflächige
Appartements zum wohnen) die man scheinbar benötigt, um Til
Schweiger und Katja Riemann artgerecht zu halten. Geschäftsmänner
nennen diese Tilgung von regionalen Eigenheiten "für den
internationalen Markt produzieren". Nun ist es schon tragisch
genug, dass in solchen Filmen München genau so aussieht wie Hamburg
oder Berlin wie Hannover, doch ist es immer noch dem Wunsch einiger
Regisseure nach einer amerikanischen Stadtästhetik vorzuziehen.
Die Crux an dieser US-Standardcity (zu sehen etwa letztens im
Fernsehen bei dem unsäglichen BANDITS) ist jedoch die, dass man
hier einem Phantom nachjagt. Es gibt nicht DIE amerikanische
Stadt.
Die besseren amerikanischen Filmemacher wissen einfach, dass
jeder der möglichen Drehorte in den USA eine eigene Stimmung
besitzt, die einem, geschickt eingesetzt, viel Arbeit ersparen
kann. Las Vegas ist der perfekte Hintergrund für LEAVING LAS VEGAS
oder FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS während FARGO untrennbar mit
Minneapolis verbunden ist, THE BIG EASY für New Orleans steht und
die Stadt New York nicht nur ethnisch sondern auch filmisch in
viele Teile zerfällt; siehe MANHATTEN, HARLEM NIGHTS, IN DEN
STRASSEN DER BRONX, LITTEL ODESSA usw. usf. Wie verschieden mit
diesen örtlichen Begebenheiten dabei umgegangen wird, zeigt sich an
drei aktuellen Filmen. Während in der Retro-Teenagerkomödie DETROIT
ROCK CITY die legendäre Autostadt nur als Sinnbild für das pralle
Leben dient, befasst sich L.A. WITHOUT A MAP sehr genau mit den
Eigenheiten der Stadt und ihrer Bewohner und läßt kein gutes Haar
daran. NOTTING HILL schließlich beißt sich wie ein Vampir an dem
gleichnamigen Londoner Stadtteil fest und saugt aus ihm den Charme
und die Ausstrahlung, die seiner blutleeren Geschichte fehlt.
In Deutschland bemerkt man langsam wieder, welche Möglichkeiten
hinter dem Lokalkolorit einer Stadt oder einer Gegend stecken
können. DIE MUSTERKNABEN profitierten von Köln deshalb ebenso wie
die rennende Lola von Berlin oder die Helden aus BANG BOOM BANG vom
Dortmunder Umland oder die aktuell im Kino zu sehenden ABSOLUTEN
GIGANTEN von Hamburg. Es wird sich zeigen, ob sich dieser
Trend fortsetzt, oder ob es den Regisseuren dieser Filme so gehen
wird wie Detlev Buck, der mit WIR KÖNNEN AUCH ANDERS noch Einblicke
in das unbekannte Deutschland lieferte, mit MÄNNERPENSION sich
schon einer fiktiven Stadt annäherte und mit LIEBE DEINE NÄCHSTE in
einer belanglosen Fantasiewelt angelangt ist. Ähnlich erging
es Helmut Dietl, dessen ROSSINI noch wunderbar vom Münchner
Schickimicki zehrte während sein LATE SHOW im atmosphärischen
Nirgendwo spielt.
Bleibt die Frage, woher dieser Hang vieler deutscher Regisseure
zur geographischen Nivellierung kommt. Vielleicht liegt es am
ohnehin gestörten Verhältnis der Deutschen zu ihrer Heimat oder an
der lächerlichen Vorstellung, einen internationalen Film durch
Ausschluß aller regionalen Eigenheiten erschaffen zu können.
Möglicherweise ist das filmische Durchschnittsdeutschland auch die
Folge einer absurden Förderpolitik, die Filmemacher zu einem
sogenannten Fördertourismus mit all seinen Nachteilen zwingt.
Wie wichtig Lokalkolorit sein kann, zeigt schlußendlich auch ein
Blick ins Fernsehen. Während die Öffentlich Rechtlichen durch die
verschiedenen Rundfunkanstalten zur Vielfalt beinahe gezwungen
sind, überziehen die privaten Sender ihre Eigenproduktionen mit
einer gleichmacherischen Soße, die in den STRASSEN VON BERLIN die
gleiche Stimmung aufkommen läßt wie beim BERGDOKTOR. Dann doch
lieber (wie letztens zu sehen) die Münchener TATORT - Kommissare im
Glockenbachviertel.
Michael Haberlander
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