"Ich gebe nicht viel darauf, was die Leute denken" (Elia
Kazan)
Das klassische Hollywood hat viele Gesichter: Zu ihren schönsten
gehören jene, die gegen den Apparat der großen Studios ankämpfen,
die Grenzen überschreiten, und die, indem sie sich "against all
odds" durchsetzen, dann paradoxerweise auch das System und den
american dream glorios bestätigen.
Elia Kazan war immer ein Außenseiter. Der 1909 in der Türkei
geborene Regisseur gehörte meist zu denen, die - "politisch
inkorrekt" - sich mehr Feinde als Freunde machten. Schon sein
erster großer Film GENTLEMEN'S AGREEMENT entlarvte kurz nach
Kriegsende den Antisemitismus, den es auch in den USA gab. Auch
viele weitere Filme Kazans waren anstößig: Sei es das meisterliche
Gefühlsdrama ENDSTATION SEHNSUCHT, sei es das Revolutionsepos VIVA
ZAPATA (beide 1951), oder sei es BABY DOLL (1956) - sie alle
erzählten jenseits der privaten Geschichte auch konsequent viel
über gesellschaftliche Lügen und provozierten daher. Erst
recht Feinde machte Kazan sich, als er 1952, in der Zeit der
"Hexenjagd" McCarthys Kollegen an die rechten Häscher verriet.
Obweohl er sich verteidigt: "Ich habe mich für den Antifaschismus
und die Wahrung der Rechte des Individuums engagiert", haben ihm
dies bis heute viele nicht verziehen.
Er blieb trotzdem immer ein Mann des Hollywood-Systems. Die 50er
waren seine größte Zeit, da wurde er zu einem der erfolgreichsten
Regisseure, mit der John Steinbeck-Verfilmung JENSEITS VON EDEN
machte er James Dean und sich selbst unsterblich. Zu seinen
zahlreichen schauspielerischen Entdeckungen gehören nicht nur
Marlon Brando und James Dean, sondern auch Karl Malden und Eli
Wallach.
Kazan ist nicht zuletzt auch einer der großen Porträtisten
Amerikas. Wo andere sich ins Interieur zurückzogen und dort ihre
Geschichten vom Zerfall aller bürgerlichen Moral und dem
Zusammenbruch der Familie erzählten, ging er hinaus an
zeitgenössische Schauplätze. Und das mit sozialem Engagement: sein
Lieblingsfilm "WILD RIVER (1961), eine düstere Feier des
amerikanischen Südens, fragte nach der Realität der großen
Sozialreformen der 30er.
In seinem letzten Film schuf Kazan dem alten Hollywood, mit dem
er so oft im Clinch gelegen hatte, eines der anrührendsten
Denkmäler: 1976 verfilmte er F. Scott Fitzgeralds THE LAST TYCOON
mit Robert de Niro. Ein Film ganz auf der Höhe seiner Gegenwart und
doch in Farben, der Ruhe der Bewegungen, der Klassizität von
Bildern und Handlung aus einer anderen Zeit. Dieses Jahr bekam
er endlich den Ehren-Oscar, verliehen durch seinen Bewunderer
Martin Scorsese. Am vergangenen Dienstag wurde Elia Kazan, der
letzte Haudegen einer vergangenen Epoche, 90 Jahre alt.
Rüdiger
Suchsland
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