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25.08.1999
 
 
   
 

Bad Influence

 
Ed Gein während seiner Verhandlung
     
 
 
 
 

Zu den größten Meisterwerken Alfred Hitchcocks, den man anläßlich seines 100. Geburtstages am 13. August ausgiebig würdigte, gehört ohne Zweifel PSYCHO. Der Film beruht auf dem gleichnamigen Buch von Robert Bloch, der sich dafür wiederum vom Leben und Töten des Massenmörders Ed Gein inspirieren ließ.
13 Jahre nach PSYCHO nahm sich Paul Schrader unter anderem die Tagebücher von Arthur Bremer, der versucht hatte den Gouverneur George Wallace zu töten, als Vorlage für das Drehbuch zu TAXI DRIVER, dass Martin Scorsese mit Robert De Niro und Jodie Foster grandios verfilmte. 1981 schießt ein gewisser John Hinckley auf den damaligen Präsidenten Ronald Reagan und führt als Auslöser seiner Tat den Film TAXI DRIVER an. Angeblich wollte er mit dem Anschlag Jodie Foster beeindrucken. Beim Prozeß gegen Hinckley wurde der Film vor Gericht gezeigt und "freigesprochen" während Hinckley von den Geschworenen als unzurechnungsfähig eingestuft wurde.
Weitere 18 Jahre später, also heute, verkündet Warner Bros., sie werden voraussichtlich den Film MATRIX nicht auf Video veröffentlichen und dadurch auf einen sicheren Umsatz in achtstelliger Millionenhöhe verzichten. Grund für diesen Schritt ist das Schulmassaker in Littleton.

Der Geist der Zensur geht also wieder einmal um in Amerika, doch diesmal in einer besonders perfiden Verkleidung. Die Zensur heißt diesmal nicht McCarthy, nicht Hayes Office, nicht Verhaltenskodex, nicht Moralwächter, nicht Political Correctness sondern Produkthaftungsgesetz. Hinter diesem so harmlos nach Garantiebestimmungen und Verbraucherschutz klingenden Begriff verbirgt sich möglicherweise die Waffe, die Amerikas Zensoren so lange vergeblich gesucht haben.
Den Besonderheiten des amerikanischen Produkthaftungsgesetzes verdanken wir unter anderem Schmerzensgelder in Milliardenhöhe die Zigaretten- und Automobilfirmen an krebskranke Raucher bzw. Unfallopfer bezahlen mußten. Schaffen es die Zensoren, diese Gesetzte auf die von ihnen verhaßten Filme anzuwenden, würden sie damit die Filmproduzenten gerade da treffen, wo es diese besonders schmerzt; beim Geld. Und das ganze geht ungefähr so:

Als in dem Ort Littleton zwei schwerbewaffnete Jugendliche ein beinahe historisches Blutbad anrichteten, war allen Betroffenen klar, dass daran jemand Schuld sein mußte. Erstaunlicherweise suchte man diese Schuld weder bei den Eltern der Killer, noch beim liberalen amerikanischen Waffengesetz, noch bei der ganz realen Fernsehgewalt mit Reality-TV und live übertragenen Verfolgungsjagten, inklusive tödlichem Schußwechsel.
Die Schuld an all dem wurde schnell der Unterhaltungsindustrie, mit ihrer düsteren Musik wie Rammstein, mit den gewalttätigen Computerspielen und, allen voran, den einschlägigen Actionfilmen gegeben.

Sollte es nun in einem der zwangsläufig folgenden Prozesse tatsächlich den Anwälten gelingen, eine Laienjury davon zu überzeugen, dass manche "Produkte" der Filmstudios aus braven Jugendlichen gewissenlose Mörder machen, wäre damit Tür und Tor für astronomische Schadensersatzzahlungen geöffnet. Die Produzenten würden darauf vermutlich mit dem vollkommenen Verzicht auf alle im Ansatz gewalttätigen Filme reagieren.
Warner Bros. scheint mit ihrem Videoverzicht von MATRIX solchen Forderungen zuvorkommen zu wollen, scheint aber nicht zu bemerken, dass gerade dies wie ein indirektes Schuldeingeständnis aussieht.

„Can we show the toilet ?“ wurde Alfred Hitchcock während der Dreharbeiten zu PSYCHO von seinem Kameramann gefragt, da es damals den Verhaltensregeln Hollywoods widersprach, eine Toilette auf der Leinwand zu zeigen. Hitchcock hat uns die Toilette und noch viele andere Dinge, die damals verboten waren, gezeigt. Er hat gegen die damaligen Regeln und Konventionen gekämpft oder sie geschickt umgangen und dadurch einen Teil der Freiheit, die heute die Filmemacher als selbstverständlich hinnehmen, ermöglicht.
Wenn die großen Hollywoodstudios jetzt beginnen, sich selbst zu zensieren, da ein hysterisches Volk unfähig ist, ein eigenverantwortliches Leben zu führen, dann sind all diese kleinen Kämpfe Hitchcocks und seiner engagierten Kollegen umsonst gewesen.

Michael Haberlander

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