Zu den größten Meisterwerken Alfred Hitchcocks, den man anläßlich
seines 100. Geburtstages am 13. August ausgiebig würdigte, gehört
ohne Zweifel PSYCHO. Der Film beruht auf dem gleichnamigen Buch von
Robert Bloch, der sich dafür wiederum vom Leben und Töten des
Massenmörders Ed Gein inspirieren ließ. 13 Jahre nach PSYCHO
nahm sich Paul Schrader unter anderem die Tagebücher von Arthur
Bremer, der versucht hatte den Gouverneur George Wallace zu töten,
als Vorlage für das Drehbuch zu TAXI DRIVER, dass Martin Scorsese
mit Robert De Niro und Jodie Foster grandios verfilmte. 1981
schießt ein gewisser John Hinckley auf den damaligen Präsidenten
Ronald Reagan und führt als Auslöser seiner Tat den Film TAXI
DRIVER an. Angeblich wollte er mit dem Anschlag Jodie Foster
beeindrucken. Beim Prozeß gegen Hinckley wurde der Film vor Gericht
gezeigt und "freigesprochen" während Hinckley von den Geschworenen
als unzurechnungsfähig eingestuft wurde. Weitere 18 Jahre
später, also heute, verkündet Warner Bros., sie werden
voraussichtlich den Film MATRIX nicht auf Video veröffentlichen und
dadurch auf einen sicheren Umsatz in achtstelliger Millionenhöhe
verzichten. Grund für diesen Schritt ist das Schulmassaker in
Littleton.
Der Geist der Zensur geht also wieder einmal um in Amerika, doch
diesmal in einer besonders perfiden Verkleidung. Die Zensur heißt
diesmal nicht McCarthy, nicht Hayes Office, nicht Verhaltenskodex,
nicht Moralwächter, nicht Political Correctness sondern
Produkthaftungsgesetz. Hinter diesem so harmlos nach
Garantiebestimmungen und Verbraucherschutz klingenden Begriff
verbirgt sich möglicherweise die Waffe, die Amerikas Zensoren so
lange vergeblich gesucht haben. Den Besonderheiten des
amerikanischen Produkthaftungsgesetzes verdanken wir unter anderem
Schmerzensgelder in Milliardenhöhe die Zigaretten- und
Automobilfirmen an krebskranke Raucher bzw. Unfallopfer bezahlen
mußten. Schaffen es die Zensoren, diese Gesetzte auf die von ihnen
verhaßten Filme anzuwenden, würden sie damit die Filmproduzenten
gerade da treffen, wo es diese besonders schmerzt; beim Geld. Und
das ganze geht ungefähr so:
Als in dem Ort Littleton zwei schwerbewaffnete Jugendliche ein
beinahe historisches Blutbad anrichteten, war allen Betroffenen
klar, dass daran jemand Schuld sein mußte. Erstaunlicherweise
suchte man diese Schuld weder bei den Eltern der Killer, noch beim
liberalen amerikanischen Waffengesetz, noch bei der ganz realen
Fernsehgewalt mit Reality-TV und live übertragenen
Verfolgungsjagten, inklusive tödlichem Schußwechsel. Die Schuld
an all dem wurde schnell der Unterhaltungsindustrie, mit ihrer
düsteren Musik wie Rammstein, mit den gewalttätigen Computerspielen
und, allen voran, den einschlägigen Actionfilmen gegeben.
Sollte es nun in einem der zwangsläufig folgenden Prozesse
tatsächlich den Anwälten gelingen, eine Laienjury davon zu
überzeugen, dass manche "Produkte" der Filmstudios aus braven
Jugendlichen gewissenlose Mörder machen, wäre damit Tür und Tor für
astronomische Schadensersatzzahlungen geöffnet. Die Produzenten
würden darauf vermutlich mit dem vollkommenen Verzicht auf alle im
Ansatz gewalttätigen Filme reagieren. Warner Bros. scheint mit
ihrem Videoverzicht von MATRIX solchen Forderungen zuvorkommen zu
wollen, scheint aber nicht zu bemerken, dass gerade dies wie ein
indirektes Schuldeingeständnis aussieht.
„Can we show the toilet ?“ wurde Alfred Hitchcock während der Dreharbeiten
zu PSYCHO von seinem Kameramann gefragt, da es damals den
Verhaltensregeln Hollywoods widersprach, eine Toilette auf
der Leinwand zu zeigen. Hitchcock hat uns die Toilette und
noch viele andere Dinge, die damals verboten waren, gezeigt.
Er hat gegen die damaligen Regeln und Konventionen gekämpft
oder sie geschickt umgangen und dadurch einen Teil der Freiheit,
die heute die Filmemacher als selbstverständlich hinnehmen,
ermöglicht.
Wenn die großen Hollywoodstudios jetzt beginnen, sich selbst
zu zensieren, da ein hysterisches Volk unfähig ist, ein eigenverantwortliches
Leben zu führen, dann sind all diese kleinen Kämpfe Hitchcocks
und seiner engagierten Kollegen umsonst gewesen.
Michael Haberlander
|