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19.08.1999
 
 
   
 

The Good, the Bad and the Redakteur
oder: Wie Artechock der dunklen Seite der Macht anheimfiel

 
Besser ist das...
     
 
 
 
 


Nachdem manche Kinos die dritte Änderung ihres Programms gesendet haben, ist die Faxfolie am Ende, aber die Programmseiten sind nun trotzdem erfolgreich erstellt - nur die Kurzbeschreibungen fehlen, die versprochenen Kritiken sind nicht da, noch ist kein einziges Bild rausgesucht, und Magazinartikel gibt's auch nicht.
Ein ganz gewöhnlicher Mittwochabend im Leben eines Artechock-Redakteurs also, und kein Grund zur Beunruhigung. Frisch an's Werk heißt die Devise. Eben will der beherzte Filmjournalist zu virtuellem Pergament, Cyber-Tintenfaß und elektronischem Gänsekiel greifen - da zirpt's und blinkt's und wuselt's und schwurbelt's direkt über seiner linken Schulter. Und plötzlich hat er da ein kleines Männchen sitzen, das einen mönchsähnlichen Kapuzenmantel trägt und unerklärlicherweise die Gesichtszüge von Victor Mature. Es ruckt hin und her, bis es endlich bequem hockt, und holt dann - bbbbbzzzzzzzwwwwwwuuuuuaaaaaauuuuunnnnggggg - ein blaues Laserschwert unter seinem Gewand hervor und beginnt, sich damit die Fingernägel zu säubern.
Sekunden darauf: Zirp, Blink, Wusel, Schwurbel über der rechten Schulter. Ein zweites Männlein, gekleidet in Schwarz, mit einer kantigen Helm-Maske auf, unter der ein graumellierter Vollbart hervorguckt. Auch dieses Männlein zieht ein - diesmal rotes - Laserschwert, wobei sich dem Blick unter dem schwarzen Umhang kurz ein Holzfällerhemd darbietet. In der Luft hängt plötzlich der Gestank von Geld. Viel Geld.
Das Männlein auf der linken Schulter hebt zu sprechen an:

Du wirst doch nicht etwa?

Der Artechock-Redakteur tut unverständig und fragt:

"Was werde ich nicht?"

Du weißt genau, was ich meine!

"Ich habe nicht die geringste Ahnung, ehrlich!"

Es scheint, als würde der Helm des rechten Männleins breit grinsen. Amüsiert läßt es seine Beinchen baumeln.

Du wirst doch nicht etwa einem der belanglosesten Filme des Jahres einen Magazinartikel widmen!

"ENTRAPMENT? Nein, nein, keine Angst, der ist ja schon längst aus den Kinos raus; warum sollte ich da jetzt noch drüber schreiben?"

(erbost): Ich meine STAR WARS - EPISODE I, und das weißt Du ganz genau!!!

"Ähem, nun ja..."

Das Grinsen rechts scheint noch breiter zu werden.

Keine Zeile hat dieser dröge Dreck verdient, und Deine Kritik hat sich schon zum halben Roman ausgewachsen! Ist Artechock nun dem Guten und Wahren verpflichtet, oder was?

"Äääääääähhhhhh, ja, da hast Du völlig recht. Ich fänd' ja auch viel interessanter, über..."

Plötzlich ertönt von rechts eine Stimme, die erstaunlich sanft und einlullend klingt...

Leser...

"Was? Laser?"

Leser...

Hör nicht auf ihn! Hör nicht auf...

Das bringt Leser, ganz viele Leser...

Na und, na und, aber was für welche!

STAR WARS ist alles, worüber die Leute diese Woche etwas hören wollen - schreib' was anderes, und Du weißt gleich, daß Du's für Dich alleine tust...

"Ja, da hat er jetzt nicht Unrecht..."

Sklave des Kommerz! Unseliges Bauernopfer im Schachspiel des Marketing! Verräter und Verkäufer Deiner Prinzipien!

Das Männlein tobt so sehr, daß es beinahe von der Schulter fällt und sich nur im letzten Moment mit einem flink aus dem Jedi-Werkzeuggürtel geschossenen, enterhakenbewehrten Drahtseil retten und wieder nach oben hangeln kann.

Du mußt doch die Leute warnen. Mußt ihnen doch sagen, daß sie nicht Zeit und Geld für diesen Film verschwenden sollen. Das ist Dein Auftrag.

Glaub' ihm nicht! Er will nur, daß Du drüber schreibst! Ist ihm doch egal, wie! Hauptsache da steht STAR WARS, STAR WARS, STAR WARS! Es geht doch nur darum, daß das Ding im Gespräch ist und alle Leute es für ein wichtiges Ereignis halten!

Willst Du sie in ihr Unglück laufen lassen, Deine armen Leserschäfchen?

Die rennen doch alle rein, gleich was Du schreibst! Nicht einen wirst Du davon abhalten, nicht einen!

Aber es ist Deine Pflicht als Chronist des Kinogeschehens... Es ist nun mal für viele Leute der wichtigste Film des Jahres.

Das linke Männlein fängt an, in einer recht kläglichen Imitation von Flavor Flav' "Don't Believe the Hype" zu singen.

Leute kampieren für diesen Film einen Monat auf dem Bürgersteig - und Du willst nur seine Qualität zum Maßstab seiner Wichtigkeit machen?

Und was ist mit dem Artikel zu Hitchcocks Hundertstem, den Du schreiben wolltest? Und mit meinem Nachruf? Und den halbfertigen Kritiken, die sich bei Dir auf der Festplatte stapeln? Und dem Bericht vom Fantasy Filmfest, der schon fast fertig und LÄNGST überfällig ist? Hm? Alles nicht wichtig?

Das rechte Männlein gröhlt währenddessen lautstark "Resi, I hol' di mit'm Traktorstrahl ab".

Plötzlich wird das linke Männlein ganz ruhig, macht komische Gesten mit der Hand, und sagt mit tiefer Stimme:

Du brauchst diesen Magazinartikel nicht zu schreiben.

(wie benommen):
"Ich brauche diesen Magazinartikel nicht zu schreiben."

Es ist nicht das Thema, das Du suchst.

"Es ist nicht das Thema, das ich suche."

Alarmiert schreckt das rechte Männlein auf - es sieht seine Pläne in echter Gefahr!
Einen Moment blickt es verzweifelt um sich, sucht nach einem Ausweg, dann steht es plötzlich völlig ruhig da, das Grinsen scheint auf den Helm zurückzukehren, und es ruft:

Ui, schau, da! Jar Jar Binks!

Wie eine Furie fährt das linke Männlein herum und zückt das gesamte, nicht unerhebliche Waffenarsenal, das er unter seinem Gewand verborgen hat.

Wo? Diesmal kriege ich ihn! Sterben soll er! Und leiden!

Die Zeit reicht dem schwarzgekleideten Männlein, mit einem Satz einen Rückwärtssalto über den Kopf des Artechock-Redakteurs hinweg zu schlagen und mit angriffsbereitem Laserschwert neben seinem Gegenspieler zu landen. Dieser wendet sich blitzschnell herum - doch zu spät. Es scheint noch, als ließe er sein blauglühendes Fechtwerkzeug selbst erlöschen, da fährt auch schon die feindliche Lichtklinge auf ihn herab - und trifft nur einen leeren Kapuzenmantel, der in sich zusammensackt.
Etwas verwirrt darüber, aber zufrieden, läßt sich das schwarze Männlein auf der Schulter nieder.

Der Redakteur greift in die Tasten.

Gemeinsam könnten wir mächtiger sein, als Du es Dir je zu träumen wagtest,
tönt's in sein Ohr.

"Ach, halt's Darth Maul,"
erwidert er und schreibt...

Thomas Willmann

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