Nachdem manche Kinos die dritte Änderung ihres Programms
gesendet haben, ist die Faxfolie am Ende, aber die Programmseiten
sind nun trotzdem erfolgreich erstellt - nur die Kurzbeschreibungen
fehlen, die versprochenen Kritiken sind nicht da, noch ist kein
einziges Bild rausgesucht, und Magazinartikel gibt's auch
nicht. Ein ganz gewöhnlicher Mittwochabend im Leben eines
Artechock-Redakteurs also, und kein Grund zur Beunruhigung. Frisch
an's Werk heißt die Devise. Eben will der beherzte Filmjournalist
zu virtuellem Pergament, Cyber-Tintenfaß und elektronischem
Gänsekiel greifen - da zirpt's und blinkt's und wuselt's und
schwurbelt's direkt über seiner linken Schulter. Und plötzlich hat
er da ein kleines Männchen sitzen, das einen mönchsähnlichen
Kapuzenmantel trägt und unerklärlicherweise die Gesichtszüge von
Victor Mature. Es ruckt hin und her, bis es endlich bequem hockt,
und holt dann - bbbbbzzzzzzzwwwwwwuuuuuaaaaaauuuuunnnnggggg - ein
blaues Laserschwert unter seinem Gewand hervor und beginnt, sich
damit die Fingernägel zu säubern. Sekunden darauf: Zirp, Blink,
Wusel, Schwurbel über der rechten Schulter. Ein zweites Männlein,
gekleidet in Schwarz, mit einer kantigen Helm-Maske auf, unter der
ein graumellierter Vollbart hervorguckt. Auch dieses Männlein zieht
ein - diesmal rotes - Laserschwert, wobei sich dem Blick unter dem
schwarzen Umhang kurz ein Holzfällerhemd darbietet. In der Luft
hängt plötzlich der Gestank von Geld. Viel Geld. Das Männlein
auf der linken Schulter hebt zu sprechen an:
Du wirst doch nicht etwa?
Der Artechock-Redakteur tut unverständig und fragt:
"Was werde ich nicht?"
Du weißt genau, was ich meine!
"Ich habe nicht die geringste Ahnung, ehrlich!"
Es scheint, als würde der Helm des rechten Männleins breit
grinsen. Amüsiert läßt es seine Beinchen baumeln.
Du wirst doch nicht etwa einem der belanglosesten Filme des
Jahres einen Magazinartikel widmen!
"ENTRAPMENT? Nein, nein, keine Angst, der ist ja schon längst aus
den Kinos raus; warum sollte ich da jetzt noch drüber
schreiben?"
(erbost): Ich meine STAR WARS - EPISODE I, und das weißt Du
ganz genau!!!
"Ähem, nun ja..."
Das Grinsen rechts scheint noch breiter zu werden.
Keine Zeile hat dieser dröge Dreck verdient, und Deine Kritik
hat sich schon zum halben Roman ausgewachsen! Ist Artechock nun
dem Guten und Wahren verpflichtet, oder was?
"Äääääääähhhhhh, ja, da hast Du völlig recht. Ich fänd' ja auch
viel interessanter, über..."
Plötzlich ertönt von rechts eine Stimme, die erstaunlich sanft
und einlullend klingt...
Leser...
"Was? Laser?"
Leser...
Hör nicht auf ihn! Hör nicht auf...
Das bringt Leser, ganz viele Leser...
Na und, na und, aber was für welche!
STAR WARS ist alles, worüber die Leute diese Woche etwas hören
wollen - schreib' was anderes, und Du weißt gleich, daß Du's für
Dich alleine tust...
"Ja, da hat er jetzt nicht Unrecht..."
Sklave des Kommerz! Unseliges Bauernopfer im Schachspiel des
Marketing! Verräter und Verkäufer Deiner Prinzipien!
Das Männlein tobt so sehr, daß es beinahe von der Schulter fällt
und sich nur im letzten Moment mit einem flink aus dem
Jedi-Werkzeuggürtel geschossenen, enterhakenbewehrten Drahtseil
retten und wieder nach oben hangeln kann.
Du mußt doch die Leute warnen. Mußt ihnen doch sagen, daß sie
nicht Zeit und Geld für diesen Film verschwenden sollen. Das ist
Dein Auftrag.
Glaub' ihm nicht! Er will nur, daß Du drüber schreibst! Ist
ihm doch egal, wie! Hauptsache da steht STAR WARS, STAR WARS, STAR
WARS! Es geht doch nur darum, daß das Ding im Gespräch ist und
alle Leute es für ein wichtiges Ereignis halten!
Willst Du sie in ihr Unglück laufen lassen, Deine armen
Leserschäfchen?
Die rennen doch alle rein, gleich was Du schreibst! Nicht
einen wirst Du davon abhalten, nicht einen!
Aber es ist Deine Pflicht als Chronist des Kinogeschehens...
Es ist nun mal für viele Leute der wichtigste Film des
Jahres.
Das linke Männlein fängt an, in einer recht kläglichen Imitation
von Flavor Flav' "Don't Believe the Hype" zu singen.
Leute kampieren für diesen Film einen Monat auf dem
Bürgersteig - und Du willst nur seine Qualität zum Maßstab seiner
Wichtigkeit machen?
Und was ist mit dem Artikel zu Hitchcocks Hundertstem, den Du
schreiben wolltest? Und mit meinem Nachruf? Und den halbfertigen
Kritiken, die sich bei Dir auf der Festplatte stapeln? Und dem
Bericht vom Fantasy Filmfest, der schon fast fertig und LÄNGST
überfällig ist? Hm? Alles nicht wichtig?
Das rechte Männlein gröhlt währenddessen lautstark "Resi, I hol'
di mit'm Traktorstrahl ab".
Plötzlich wird das linke Männlein ganz ruhig, macht komische
Gesten mit der Hand, und sagt mit tiefer Stimme:
Du brauchst diesen Magazinartikel nicht zu schreiben.
(wie benommen): "Ich brauche diesen Magazinartikel nicht zu
schreiben."
Es ist nicht das Thema, das Du suchst.
"Es ist nicht das Thema, das ich suche."
Alarmiert schreckt das rechte Männlein auf - es sieht seine Pläne
in echter Gefahr! Einen Moment blickt es verzweifelt um sich,
sucht nach einem Ausweg, dann steht es plötzlich völlig ruhig da,
das Grinsen scheint auf den Helm zurückzukehren, und es ruft:
Ui, schau, da! Jar Jar Binks!
Wie eine Furie fährt das linke Männlein herum und zückt das
gesamte, nicht unerhebliche Waffenarsenal, das er unter seinem
Gewand verborgen hat.
Wo? Diesmal kriege ich ihn! Sterben soll er! Und
leiden!
Die Zeit reicht dem schwarzgekleideten Männlein, mit einem Satz
einen Rückwärtssalto über den Kopf des Artechock-Redakteurs hinweg
zu schlagen und mit angriffsbereitem Laserschwert neben seinem
Gegenspieler zu landen. Dieser wendet sich blitzschnell herum -
doch zu spät. Es scheint noch, als ließe er sein blauglühendes
Fechtwerkzeug selbst erlöschen, da fährt auch schon die feindliche
Lichtklinge auf ihn herab - und trifft nur einen leeren
Kapuzenmantel, der in sich zusammensackt. Etwas verwirrt
darüber, aber zufrieden, läßt sich das schwarze Männlein auf der
Schulter nieder.
Der Redakteur greift in die Tasten.
Gemeinsam könnten wir mächtiger sein, als Du es Dir je zu
träumen wagtest, tönt's in sein Ohr.
"Ach, halt's Darth Maul," erwidert er und schreibt...
Thomas
Willmann
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