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Das habt ihr aber toll gemacht!
Die grassierende Seuche der "Making of"s

  24.06.1999
 
 
 
 

Früher war das Leben eines Filmfans mühsam und beschwerlich. Wollte man mehr über einen geliebten Film erfahren, blieb einem nichts anderes übrig, als sich durch mehr oder minder obskure Zeitschriften zu lesen und viel Geld in den Kauf von (meist ausländischen) Büchern zu investieren. Konnte man derart Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, nach dem regulären Kinostart ergründen, wie etwa die Spezialeffekte im EXORZISTEN oder in 2001 entstanden, freute man sich wie ein kleines Kind und prahlte mit dieser Kenntnis vor anderen Cineasten. Mochte man darüber hinaus etwas über die menschlichen Produktionsbedingungen erfahren, las man die Biographien der beteiligten Künstler und baute sich aus den verschiedenen Erzählungen eine eigene Vorstellung von den Dreharbeiten zusammen.
Nur wenige, ausgewählte Filme hatten damals das Glück, daß ihnen ein ganzes Buch gewidmet wurde und nur eine Handvoll brachte es zu einem filmischen Making of, daß wiederum für sich selber als Dokumentarfilm bestehen konnte (etwa HEART OF DARKNESS über die Dreharbeiten zu APOCALYPSE NOW).

In diesen seligen Zeiten, die noch keine zehn Jahre zurückliegen, sahen viele Regisseure generell keine Veranlassung, sich durch ein Making of in die Karten schauen zu lassen und Vorabberichte über die Dreharbeiten setzten sie mit Spionage gleich. Seit diesen Tagen hat sich einiges verändert

Heute wird, sowie in Hollywood ein Produzent sauer aufstößt, eine Webseite, auf der man von nun an alle Entwicklungsstadien des neuen Filmes beobachten kann, eingerichtet. Heute braucht die Filmindustrie Making of’s, Outtakes, Trailer und sonstigen Unsinn, um die immer unersättlicheren Speicherkapazitäten von DVD und Laserdiscs auszufüllen. Heute ist die Technikgeilheit so groß, daß jede neue Tricktechnik in den Medien wie die Neuerfindungen des Rades gefeiert wird.
Heute genügt es den Verleihern nicht mehr, an Journalisten (die dummerweise meist eine eigene Meinung haben) glorifizierende Pressemappen zu verteilen, weshalb man jetzt das gesamte Publikum in diesen Genuß kommen läßt. Heraus kommt dabei eine 45minütigen Making of - Sendungen, die uns vor allem das Privatfernsehen zum Start jedes größeren Hollywoodfilms präsentiert. Wenn sie die Versprechungen von Teleshoping Angeboten für die Krönung aller Lügen halten, dann sei ihnen das Studium einer solchen "Reportage" empfohlen.

Die Dreistigkeit, mit der in diesen Sendungen für den besprochenen Film geworben wird, ist dabei ebenso ekelerregend wie die endlos nette Grundstimmung.
Während die Clips aus dem tatsächlichen Film noch ein wenig zur Meinungsbildung des Zuschauers beitragen können, beginnt bei der Präsentation der Hinter-den-Kulissen - Szenen eine abstoßend freundliche Lobhudelei, die selbst einem Zeugen Jehovas zuviel wird.
Da wird auf dem Set gelacht und Spaß gemacht, da wird konzentriert gearbeitet, da werden scheinbar unlösbare Probleme aus der Welt geschafft, da sieht man die Stars einmal ganz entspannt und privat, da herrscht Harmonie zwischen Schauspielern, Regisseur und Produzent, da trotzt man geduldig widrigen Umständen wie schlechtem Wetter und bei all dem ist man gut gelaunt.

Als ob diese Schönfärberei nicht schon zuviel wäre, dürfen sich dazwischen beinahe alle Beteiligten auch noch selber zu Wort melden, um eine Flut von Komplimenten über ihre Mitarbeiter und Kollegen auszuschütten. Die Schauspieler wollten immer schon mit dem Regisseur zusammenarbeiten (selbst wenn er gerade sein Debüt gedreht hat), die Schauspielkollegen sind so wahnsinnig professionell und nett, der Produzent lobt den Regisseur als großen Künstler und guten Freund, der Regisseur dankt dem Produzenten für die gewährten Freiheiten und den Schauspielern für ihr Engagement, der Kameramann dankt dem Kabelträger und dem Kaffeekoch usw. usf.

Man fragt sich, wo auf einmal die diktatorischen Regisseure geblieben sind und wo die exzentrischen Schauspieler (man vergleiche dazu etwa den in Cannes gelaufenen Dokumentarfilm MEIN LIEBSTER FEIND von Werner Herzog über seine Arbeit mit Klaus Kinski) ? Wo sind die allmächtigen, gnadenlosen Produzenten, wo die eigenwillig sturen Techniker, wo die verzweifelten Drehbuchautoren.....?
Warum beschwert sich plötzlich niemand mehr über das Aufstehen um 4.00 Uhr morgens, über das endlose Schminken, die nervtötende Warterei zwischen den Aufnahmen, die 30 oder 40 mal wiederholten Szenen, die willkürlichen Änderungen im Drehbuch........?
Wer sehen will, was für ein Wahnsinn und welche Qual das Filmemachen wirklich sein kann, dem seien Filme wie THE PLAYER, MISTRESS, DANGEROUS GAME oder LIVING IN OBLIVION ans Herz gelegt.

Jetzt ist der Gedanke, von allen Beteiligten dieser Making of - Berichte aus Werbegründen belogen zu werden ärgerlich und abstoßend. Was mich tief im Inneren aber viel mehr beunruhigt, ist die Vermutung, daß diese allumgreifende Harmonie echt ist.
Als bei einem Interview mit Will Smith zu seinem Film DER STAATSFEIND NR. 1 das Gespräch auf seine Kollegin Lisa Bonet kam, schwärmte dieser eben nicht von der verführerischen Schauspielerin, sondern von deren kleiner, reizenden Tochter, die so schön mit Wills kleinem Sohn auf dem Set gespielt hat.
"So cute, so sweet !!!" ruft der Amerikaner bei einer solchen Gelegenheit laut aus, während ich froh bin, daß W.C. Fields das nicht mehr miterleben muß.

Michael Haberlander

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