KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
     
 

Sag mir, wo die Kritiken sind, wo sind sie geblieben...

  10.06.1999
 
 
 
 

Oder: Warum Artechock momentan nicht so großartig ist wie gewohnt, es aber bald noch viel mehr sein wird

Sie, liebe Leser, sind ja manches von uns gewohnt. Aber doch eher nicht, daß zwei Wochen ins Land gehen, ohne daß bei Artechock Kritiken zu den aktuellen Filmen zu finden sind. Da ist dann wohl unsererseits eine Entschuldigung und eine Erklärung fällig.
Also:
1. Entschuldigung. Soll möglichst so schnell nicht wieder vorkommen.
2. Das Filmfest München naht. Und da dieses Jahr Artechock die Ehre hat, dessen Internet-Auftritt zu betreuen, kommen wir hier kaum noch zum Schreiben. Dafür gibt's wunderschöne Filmfest-Seiten - und im Zuge der ganzen Aktion demnächst auch ein wunderschönes Artechock Re-Design. Das wir dann wieder fleißig mit Inhalt füllen werden...
Es wird also letzendlich doch alles besser und eines Tages vielleicht sogar gut.

Damit Sie jetzt aber nicht aus lauter Verzweiflung ob der fehlenden cineastischen Handreichungen unsererseits ihre kostbare Zeit und ihr mühsam verdientes Geld in die flaschen Filme investieren, wenigstens ein kurzer Überblick über die wichtigsten Filme, die derzeit über Münchner Leinwände flackern:

ALLES ROUTINE (OFFICE SPACE): Beavis & Butthead-Schöpfer Mike Judge begibt sich ins Reich des Realfilms, mit durchaus akzeptablem Resultat. Nicht, daß er uns etwas Neues erzählt: Daß Büroarbeit die Hölle ist, wissen wir sowieso. Und wie Judge afro-amerikanische Kultur zum unverdorbenen Garant für authentisches Leben stilisiert, und wie er letzlich dann doch zum recht versöhnlichen Fazit kommt, daß kapitalistische Arbeit schon in Ordnung ist, wenn sie nur ein bißchen weniger entfremdet ist, ist weniger toll als das konsequent anarchische Treiben seiner Cartoon-Helden. Aber die Gags zünden, und allein für den psychopathischen Milton ("Gonnashowthemgonnaburndown the building") lohnt sich der Film allemal.

AUF DEN ERSTEN BLICK (AT FIRST SIGHT)
: Ich hab' ihn nicht gesehen (no pun intended), aber Max sagt: "Hoffnungslose Schmonzette (oder: Gnadenlose Schmonzette... oder: gnadenlos peinvolle Schmonzette?)" (Und er steht da auch voll dahinter!)

BARRACUDA
: Im Ansatz gut - der nette, alte Nachbar von nebenan entpuppt sich als Psychopath, der eine Schaufensterpuppe als Frau hat, und macht sich den jungen Protagonisten zum Gefangenen. Aber nach ca. 20 Minuten ist der Großteil des Pulvers verschossen, und dann reichen Intelligenz und Können der Macher nicht mehr so recht, um auch den Rest des Filmes noch wirklich interessant zu gestalten. Aber es gibt durchaus Schlechteres...

z.B.: DIE MUMIE (THE MUMMY): Ein Film, der sich auf der Flucht vor seiner bodenlosen Hohlheit hysterisch vorwärtsstürzt in pausenlosen blinden Aktionismus. Warum jemand soviel Zeit, Geld und Arbeit investiert in den Versuch, billige Abenteuerserials der 20er und 30er wiederaufleben zu lassen, ist mir schleierhaft - zumal die für solche Projekte mit der INDIANA JONES-Trilogie gelegte Meßlatte auch noch weit unterschritten wird. (Daß das Ganze mit Karl Freunds wunderbarem THE MUMMY nichts zu tun hat, ist eh' klar - aber da der Film da gar keinen Bezug will, wäre es auch unfair, ihn zu verlangen.) Aber anscheinend bin ich der einzige, der sich durch die bloße Tatsache, daß es auf der Leinwand dauernd Knall und Peng und Bumm macht, noch lange nicht unterhalten fühlt, der einzige, der über den uninspirierten, kindischen Pseudo-Humor nicht lachen kann, der einzige, dem der abgelutschte Plot und die 0,5-dimensionalen Pappcharaktere dermaßen am Arsch vorbeigehen... Also - gehn's halt nei, wie alle anderen auch, und fressen's ein Eimer Popcorn, damit der Abend wenigstens irgend eine Substanz Gehabt hat. Ich kann Sie eh' nicht abhalten, ich weiß...

Während jetzt aber THE MUMMY in allen Kinos rauf- und runtergenudelt wird wie blöd und somit wohl als veritabler, großer Film gilt, wird der ungleich interessantere und vielschichtigere
SOLDIER (zu gut deutsch: STAR FORCE SOLDIER) in zwei Schundkinos verheitzt und wird offenbar als tumbes B-Picture für Prol-Publikum verstanden. Dabei ist einiges los in dem neuesten Film von Regisseur Paul Anderson (SHOPPING und der ebenfalls bös unterschätzte EVENT HORIZON) und Drehbuchautor David Webb Peoples (BLADE RUNNER, UNFORGIVEN, 12 MONKEYS). Das Ganze beginnt als pazifistisch angehauchte Fabel über das soldatische Weltbild, gönnt sich dann lange, lyrische Momente und endet schließlich in einer Riefenstahl-ähnlichen Fetisch-Schau von schweiß- und bluttriefenden Männer-Körpern. Aber mit etwas Glück erzählt uns die werte Kollegin Regine Welsch demnächst noch ein bißchen mehr über das alles, denn die findet den Film richtiggehend genial (so weit würde ich dann doch nicht gehen mit meiner Begeisterung - ich finde SOLDIER sehr faszinierend, aber kein Meisterwerk). Hoffen wir also, daß Regine sich zum Verfassen eines ihrer bekannt schönen Texte überreden läßt - und gucken einstweilen den Film.

VERFÜHRERISCHE FALLE (ENTRAPMENT)
kann man sich auch anschauen, muß man aber wirklich nicht - Connery ist chronisch unterfordert, Catherine Zeta-Jones lang nicht so toll, wie sie selbst zu glauben scheint, und Buch und Regie wissen mit den interessanten Ansätzen, die sie bieten, selbst absolut nichts anzufangen.

ENTRAPMENT würde ich wirklich nur denen empfehlen, die sonst schon alles gesehen haben. Es gibt nämlich wesentlich sinnvollere und gewinnbringendere Möglichkeiten, einen Kinoabend zu gestalten.
Erstmal wäre da - für alle, die tapfer darauf gewartet haben, und für alle, die sich schon die Synchro angetan haben, aber den Film noch mal so erleben wollen, wie er gehört - im Maxim endlich die lange ersehnte OmU-Fassung von FESTEN (DAS FEST). Hinein, hinein, hinein, kann ich nur raten - denn bekanntlich ist ein Dogma 95-Film (laut Dogma-Regel No.2) nur dann wirklich ein solcher, wenn ausschließlich am Drehort aufgenommener Ton zu hören ist. Und jetzt hoffen wir dann auch ganz fest noch auf IDIOTERNE (IDIOTEN) im Original!
Dann Mike Hodges: Die halbe Retro im Filmmuseum ist leider schon wieder vorrüber - aber einige schöne Filme kommen da noch, und am Wochenende ist der Meister selbst zu Gast! Also: Pflicht!
Wer's aber am Sonntag verpaßt, der sollte sich wenigstens anderweitig CROUPIER ansehen. Kein Glanzstück an Production Values, keine berauschende optische Oberfläche, gewiß. Aber an Tiefe und Komplexität kommt in der derzeitigen Kinolandschaft wenig ran. Dazu jedoch mit etwas Glück demnächst mehr in einem ausführlichen Text.
Und dito zu meinem persönlichen Tip der Woche:
THE WISDOM OF CROCODILES (DIE WEISHEIT DER KROKODILE) - ein wunderbar sinnlicher, vielschichtiger, genau gearbeiteter und zurückhaltender Beitrag zum Vampirfilm-Genre, der auf diesem tausendfach durchgepflügtem Untotenacker mit ganz neuen Ansätzen glänzt. Aber auch für alle, die einfach nur gutes Kino lieben, ein Muß.

So, das sollte dann wenigstens bis nächste Woche über den Mangel an Artechock-Kritiken hinwegtrösten - und wenn alles so geht, wie es soll, dann melden wir uns da wieder mit einem reichhaltigeren Angebot an Texten zurück.
In der Hoffnung, Sie auch dann wieder als treue Leser begrüßen zu dürfen.

Thomas Willmann

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]