Seit dem 30. April 1999 findet wieder das Internationale
Dokumentarfilmfestival München statt, und diese 14. Ausgabe
wird noch bis zum 9. Mai im Filmmuseum, Maxim, Gasteig und
Rio laufen. Erneut bietet sich also Gelegenheit jenseits von
den populären Dokusoaps ca. 150 Dokumentarfilme in angemessenem
Rahmen zu sehen. Ein Schwerpunkt des Programms bilden indische
Produktionen, denen eine eigene Reihe gewidmet ist. Thematische
Schwerpunkte darüber hinaus zu bilden fällt etwas schwer,
denn die Mischung ist wohlüberlegt sehr bunt. So findet man
auch im Wettbewerb verschiedenste Themen, allerdings läßt
sich vieles als eine Parade der Verrückten verstehen. Ob als
biologische Ver-rückt-heit in KOPFLEUCHTEN, kulturelle Merkwürdigkeiten
in DIVORCE IRANIAN STYLE, diktatorischer Wahn in MOBUTU, ROI
DU ZAIRE, bürokratischer Wahnsinn in UN SPECIALISTE oder einfach
nur ganz normale New Yorker Großstadtneurosen in THE CRUISE
- die porträtierten Figuren haben alle ihre Macken weg.
In DIVORCE IRANIAN STYLE konnte man wunderbar seine Vorurteile
über das iranische Scheidungswesen abbauen, aber auch ein paar
Vorurteile bestätigen. Nein, der Durchschnittsiraner kann sich
nicht einfach mit einem Hammer oder ähnlichen Werkzeugen von seiner
Angetrauten trennen, nein, die islamischen Frauen sind nicht
rechtlos, aber ja, das Patriarchat hat im Iran mehr und mächtigere
Fürsprecher als hierzulande. Der Film zeigt die Arbeit eines
Scheidungsrichters, wobei ausschließlich Fälle zu sehen sind, in
denen sich die Frauen von ihren ungeliebten Männern trennen wollen
- offensichtlich die häufigere Variante. Einfach ist es nun
allerdings nicht, denn wenn der Mann nicht sein Einverständnis zur
Trennung gibt, dann muß die Frau ihm schon nachweisen, daß er
seinen Ehepflichten nicht nachgekommen ist (also z.B.
zeugungsunfähig ist) während sie dies eben schon getan hat (also
z.B. nie ohne seine Erlaubnis das Haus verlassen hat). Doch die
Frauen wissen ihre engen Handlungsspielräume sehr wohl zu nutzen
und so wird auch mal gelogen, daß sich die Balken biegen -
Hauptsache man wird den Alten los.
Eine hervorragende, geradezu exemplarische Darstellung einer
Diktatorenlaufbahn bietet MOBUTU, ROI DU ZAIRE. Der glänzend
recherchierte Film besteht neben Archivmaterial (Mobutus Eitelkeit
sorgte für jede Menge Material) vor allem aus Interviews mit
Zeitzeugen, mit Regierungsmitgliedern, Beratern und dem Ex-CIA Chef
des Kongo. Mobutus Aufstieg beginnt in den Fünfzigern: er kam
damals als Journalist nach Brüssel zur Weltausstellung und wurde im
Anschluß Sekretär der ersten unabhängigen Regierung des Kongo. Was
folgt ist ein Lehrstück, eine Anleitung zur Diktatorenkarriere: Man
wird zum obersten Befehlshaber der Armee, weil man gerade der
einzige mit einer militärischen Ausbildung war, als die
Ministerposten verteilt wurden, putscht mit Hilfe der CIA - da die
Regierung unter Kommunismusverdacht steht ein leichtes Unterfangen
- setzt eine neue Regierung ein, um sie nur kurz darauf wieder zu
entmachten. Dann konstruiert man zwei Mythen und nährt sie redlich:
nach außen stellt man die Diktatur als kulturelle Eigenheit der
Bantus dar, nach innen erklärt man, daß es nur zwei Alternativen
gibt: Mobutu oder das Chaos. So kann man dann auch Wahlen
durchführen, bei denen man tatsächlich zwischen zwei Dingen wählen
kann: Mobutu oder das Chaos. Vermutlich gewinnt man diese Wahl, wie
Mobutu es auch getan hat. Wenn dann aber naseweise Studenten kommen
und meinen, daß hier irgendwas faul ist und auch noch so dreist
sind, auf den Straßen zu demonstrieren, dann schießt man einfach in
die Menge (altes Hausrezept), schließt darauf die Universitäten und
zieht alle Studenten in die Armee ein. Usw., usf., etc. ...
Von einem ebenso dunklen Teil der Geschichte erzählt UN
SPECIALISTE, der aus 350 Stunden Film über den Eichmann-Prozeß
montiert wurde. Adolf Eichmann, der zwischen 1941 und 1945 für die
bürokratische Organisation der Judentransporte in die
Konzentrationslager zuständig war, wurde in den Sechzigern von
einem Gericht in Jerusalem nach monatelangen Verhandlungen zum Tode
verurteilt. Leider gelingt dem Film nicht, was der Regisseur sich
nach eigenen Worten vorgenommen hat: ein völlige Konzentration auf
die Person Eichmanns. Und so bleibt auch die zentrale Frage durch
den Film unbeantwortet: war Eichmann ein Lügner, der seine
mordlüsterne Monstrosität hinter einem emotionslosen Bürokratismus
versteckte, wie die Richter nach dem Prozeß glaubten, oder war er
tatsächlich der "kleine" Beamte, der nur seine Pflicht tat, ohne
Alternativen für seine Handlungen zu erkennen - war er also die
Inkarnation der "Banalität des Bösen", wie Hannah Arendt es
sah.
Zuletzt ermunterte es sehr, wenn man auch 'mal einem sympathischen
Spinner bei der Arbeit zusehen konnte. In THE CRUISE wird
uns Timothy ‘Speed’ Levitch vorgestellt: ein exzentrischer
Fremdenführer, der den Touristen auf Doppeldeckerbussen skurrile
Geschichten über New York und von seiner Cruise-Philosophie
erzählt. Wenn auch die oben genannten Filme nicht mehr auf
dem Festival laufen, gibt es noch genügend Gründe, es in den
nächsten Tagen zu besuchen: z.B. THE RECKONING, der vom UN-Kriegsverbrecher
Tribunal in Den Haag gegen Radovan Karadzic und Ratko Mladic
berichtet und die Person Karadzic porträtiert. Es bleibt nur
zu hoffen, daß der eine oder andere Film einen Verleih bekommt
oder im Fernsehen zu sehen sein wird.
Max Herrmann
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