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06.05.1999
 
 
   
 

Von mehr oder weniger Verrückten... oder: wie spinne ich richtig?

 
MOBUTU; ROI DU ZAIRE
     
 
 
 
 

Seit dem 30. April 1999 findet wieder das Internationale Dokumentarfilmfestival München statt, und diese 14. Ausgabe wird noch bis zum 9. Mai im Filmmuseum, Maxim, Gasteig und Rio laufen. Erneut bietet sich also Gelegenheit jenseits von den populären Dokusoaps ca. 150 Dokumentarfilme in angemessenem Rahmen zu sehen. Ein Schwerpunkt des Programms bilden indische Produktionen, denen eine eigene Reihe gewidmet ist. Thematische Schwerpunkte darüber hinaus zu bilden fällt etwas schwer, denn die Mischung ist wohlüberlegt sehr bunt. So findet man auch im Wettbewerb verschiedenste Themen, allerdings läßt sich vieles als eine Parade der Verrückten verstehen. Ob als biologische Ver-rückt-heit in KOPFLEUCHTEN, kulturelle Merkwürdigkeiten in DIVORCE IRANIAN STYLE, diktatorischer Wahn in MOBUTU, ROI DU ZAIRE, bürokratischer Wahnsinn in UN SPECIALISTE oder einfach nur ganz normale New Yorker Großstadtneurosen in THE CRUISE - die porträtierten Figuren haben alle ihre Macken weg.

In DIVORCE IRANIAN STYLE konnte man wunderbar seine Vorurteile über das iranische Scheidungswesen abbauen, aber auch ein paar Vorurteile bestätigen. Nein, der Durchschnittsiraner kann sich nicht einfach mit einem Hammer oder ähnlichen Werkzeugen von seiner Angetrauten trennen, nein, die islamischen Frauen sind nicht rechtlos, aber ja, das Patriarchat hat im Iran mehr und mächtigere Fürsprecher als hierzulande. Der Film zeigt die Arbeit eines Scheidungsrichters, wobei ausschließlich Fälle zu sehen sind, in denen sich die Frauen von ihren ungeliebten Männern trennen wollen - offensichtlich die häufigere Variante. Einfach ist es nun allerdings nicht, denn wenn der Mann nicht sein Einverständnis zur Trennung gibt, dann muß die Frau ihm schon nachweisen, daß er seinen Ehepflichten nicht nachgekommen ist (also z.B. zeugungsunfähig ist) während sie dies eben schon getan hat (also z.B. nie ohne seine Erlaubnis das Haus verlassen hat). Doch die Frauen wissen ihre engen Handlungsspielräume sehr wohl zu nutzen und so wird auch mal gelogen, daß sich die Balken biegen - Hauptsache man wird den Alten los.

Eine hervorragende, geradezu exemplarische Darstellung einer Diktatorenlaufbahn bietet MOBUTU, ROI DU ZAIRE. Der glänzend recherchierte Film besteht neben Archivmaterial (Mobutus Eitelkeit sorgte für jede Menge Material) vor allem aus Interviews mit Zeitzeugen, mit Regierungsmitgliedern, Beratern und dem Ex-CIA Chef des Kongo. Mobutus Aufstieg beginnt in den Fünfzigern: er kam damals als Journalist nach Brüssel zur Weltausstellung und wurde im Anschluß Sekretär der ersten unabhängigen Regierung des Kongo. Was folgt ist ein Lehrstück, eine Anleitung zur Diktatorenkarriere: Man wird zum obersten Befehlshaber der Armee, weil man gerade der einzige mit einer militärischen Ausbildung war, als die Ministerposten verteilt wurden, putscht mit Hilfe der CIA - da die Regierung unter Kommunismusverdacht steht ein leichtes Unterfangen - setzt eine neue Regierung ein, um sie nur kurz darauf wieder zu entmachten. Dann konstruiert man zwei Mythen und nährt sie redlich: nach außen stellt man die Diktatur als kulturelle Eigenheit der Bantus dar, nach innen erklärt man, daß es nur zwei Alternativen gibt: Mobutu oder das Chaos. So kann man dann auch Wahlen durchführen, bei denen man tatsächlich zwischen zwei Dingen wählen kann: Mobutu oder das Chaos. Vermutlich gewinnt man diese Wahl, wie Mobutu es auch getan hat. Wenn dann aber naseweise Studenten kommen und meinen, daß hier irgendwas faul ist und auch noch so dreist sind, auf den Straßen zu demonstrieren, dann schießt man einfach in die Menge (altes Hausrezept), schließt darauf die Universitäten und zieht alle Studenten in die Armee ein. Usw., usf., etc. ...

Von einem ebenso dunklen Teil der Geschichte erzählt UN SPECIALISTE, der aus 350 Stunden Film über den Eichmann-Prozeß montiert wurde. Adolf Eichmann, der zwischen 1941 und 1945 für die bürokratische Organisation der Judentransporte in die Konzentrationslager zuständig war, wurde in den Sechzigern von einem Gericht in Jerusalem nach monatelangen Verhandlungen zum Tode verurteilt. Leider gelingt dem Film nicht, was der Regisseur sich nach eigenen Worten vorgenommen hat: ein völlige Konzentration auf die Person Eichmanns. Und so bleibt auch die zentrale Frage durch den Film unbeantwortet: war Eichmann ein Lügner, der seine mordlüsterne Monstrosität hinter einem emotionslosen Bürokratismus versteckte, wie die Richter nach dem Prozeß glaubten, oder war er tatsächlich der "kleine" Beamte, der nur seine Pflicht tat, ohne Alternativen für seine Handlungen zu erkennen - war er also die Inkarnation der "Banalität des Bösen", wie Hannah Arendt es sah.

Zuletzt ermunterte es sehr, wenn man auch 'mal einem sympathischen Spinner bei der Arbeit zusehen konnte. In THE CRUISE wird uns Timothy ‘Speed’ Levitch vorgestellt: ein exzentrischer Fremdenführer, der den Touristen auf Doppeldeckerbussen skurrile Geschichten über New York und von seiner Cruise-Philosophie erzählt. Wenn auch die oben genannten Filme nicht mehr auf dem Festival laufen, gibt es noch genügend Gründe, es in den nächsten Tagen zu besuchen: z.B. THE RECKONING, der vom UN-Kriegsverbrecher Tribunal in Den Haag gegen Radovan Karadzic und Ratko Mladic berichtet und die Person Karadzic porträtiert. Es bleibt nur zu hoffen, daß der eine oder andere Film einen Verleih bekommt oder im Fernsehen zu sehen sein wird.

Max Herrmann

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