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Auf dem Set von APPARTMENT fiel sie unangenehm auf, weil
sie nie ihren Text gelernt hatte, und wenn, dann improvisierte
sie wild herum. "Wir haben uns dann an sie gewöhnt," sollte
Jack Lemmon später sagen, " vor allem, weil sie ein Klassemädchen
ist."
So ging es Shirley MacLaine auch öfter in ihren Filmen: Die
Leute merkten erst nach einer Weile, was sie an ihr hatten.
In jungen Jahren spielte sie häufig das Mädchen, in das sich
der Hauptdarsteller gleich zu Anfang hätte verlieben sollen.
Meist ist sie intelligent, humorvoll und extrem partykompatibel,
aber der depperte Held steigt erst den schlüsselreizenderen
Weibern hinterher. So dauert es manchmal zwei Stunden, bis
bei ihm das Zehnerl fällt und dem Zuschauer kommt diese Anlaufphase
sehr zu Gute, denn kaum eine Filmminute mit Shirley MacLaine
ist Zeitverschwendung.
Die erste Hauptrolle hatte sie in Hitchcocks IMMER ÄRGER MIT
HARRY, womit sie bereits in ihrer besten Sparte, der Komödie,
angelangt war. Schon beim zweiten Streich durfte sie in ARTISTS
AND MODELS vom Cartoon-Experten Frank Tashlin zeigen, daß
es möglich ist, gegen den überpräsenten Jerry Lewis in einer
grell-satirischen Comicwelt zu bestehen. Bald kamen ernstere
Rollen, auch hier mit dem gewohnten MacLaine-Effekt. In SOME
CAME RUNNING etwa mußte Frank Sinatra zwanzigmal hinschauen,
um ihre Qualitäten zu entdecken, und in CHILDREN'S HOUR, William
Wylers Drama über die lesbische Liebe, war es gar Audrey Hepburn,
die um ihre Kollegin weinen durfte.
Selten sah man Shirley Maclaine schmachtend oder als simplen
Love interest, stattdessen wählte sie sich Drehbücher, in
denen sie charakterliche Facetten spielen konnte, die sonst
nur ausgewachsenen Männerstars zugestanden werden. Sie war
der ideale Widerpart zu Jack Lemmon, zunächst als depressives
Liftgirl in Billy Wilders THE APARTMENT. Der Film wurde zwar
mit Oscars überhäuft, MacLaine ging aber leer aus. Auch in
Hollywood hing der Groschen ziemlich lange im Getriebe herum.
Den Preis für die beste Hauptdarstellerin erhielt damals Elizabeth
Taylor, die im Verleihungsjahr grade ein vielbeachtete Operation
hatte. "Ja, ich habe verloren," schrieb die Verliererin an
ihren Regisseur, "aber gegen einen Luftröhrenschnitt.".
Nach Wilders IRMA LA DOUCE, der Pariser Huren-Farce, sollte
sie noch weitere patente Prostituierte spielen, dann wieder
fragile Mädchen, aber nie das brave Frauchen. In EIN FRESSEN
FÜR DIE GEIER von Don Siegel konnte sie als verschlagene Sister
Sara - Die Rolle hat sie übrigens Elizabeth Taylor weggeschnappt
- zeigen, daß Clint Eastwood nur dann als geheimnisvoller
Westerner durchgeht, wenn alle Co-Akteure ihn ausgiebig bestaunen.
Er war nicht der einzige Macho-Star, den sie vom Sockel schubste.
Als ihr die Drehbücher später zu dünn wurden, verlegte sie
sich auf das Schreiben diverser Autobiographien und esoterischer
Anfeuerungsliteratur, sowie auf wohltätige Aktivitäten. Hin
und wieder trat sie als glamörose Rampensau auf, etwa wenn
sie als einziges weibliches Mitglied des Sinatra-Clans unterwegs
war.
Erst 1984 setzte der MacLaine-Effekt beim Oscar-Komitee ein,
als sie für ZEIT DER ZÄRTLICHKEIT ausgezeichnet wurde, nachdem
sie zuvor x-mal nominiert war. Seitdem taucht sie sporadisch
auf der Leinwand auf, selten als Mutterfigur, sondern meist
als resolute Dame, die ihre Familien terrorisiert oder sich
viel jüngere Liebhaber zulegt, wie zuletzt in der ZÄRTLICHKEIT-Fortsetzung.
Ob als Flintenweib, Drachen oder aufgetakelte Diva, stets
läuft sie den Charakterdarstellerinnen der nachfolgenden Generation,
ob Sally Field oder Meryl Streep, den Rang ab, und demonstriert,
wie man als Frau in Hollywood würdevoll altert, ja sogar Heulkrämpfe
kriegt ohne zu nerven. Stets kann man sicher sein, daß sie
alles auf ihre Weise regelt. Als sie in CHILDREN'S HOUR am
Tiefpunkt angelangt ist, wirft ihr die Tante ein "Gott wird
dich dafür bestrafen!" an den Kopf. "He's doin allright" antwortet
Shirley knapp, schmeißt die Tante aus dem Haus und hängt sich
auf. Mit dem Herrgott kommt sie schon alleine klar.
Auf der diesjährigen Berlinale brauste die aufgekratzte Diva
höchstselbst all ihren Begleitern vorauseilend ins Astor-Kino
am Kudamm, wo ihre alten Filme in einer Retrospektive gezeigt
wurden, und wirbelte so ungestüm im Foyer herum, daß dem Herrn
Schifferle ein "Da kriagt ma ja Angst" entfuhr. Im Saal saß
das von IRMA LA DOUCE noch selig ermattete Publikum herum
und bekam den Mund nicht mehr zu, als sich plötzlich die Hauptdarstellerin
vor der Leinwand aufpflanzte und "Irgendwelche Fragen?" rief.
So blickte sie denn den mutigen Fragern fest in die Augen
und schwatzte fröhlich ein paar Ankedoten über ihren klassischen
Haarschnitt, ("Den hab ich seit Jahrzehnten.") über Billy
Wilder (" Der war hier in Berlin Zuhälter. Wißt ihr das überhaupt?")
und über den Lebenswandel des "Rat-Pack" ("Kein Wunder, daß
keiner von denen über neunzig geworden ist."). Als eine Sekunde
lang keine Frage mehr zu hören war, sagte die Dame kurz "O.K.
- Goodbye!" und düste davon. Es dauerte ein bißchen, bis sich
die Münder wieder schlossen. Warum die Männer in ihren Filmen
immer so spät merken, daß diese Shirley MacLaine eine Wucht
ist, wird allen Anwesenden ewig unerklärlich bleiben.
Richard Oehmann
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