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Ein Wiener Schlitzohr, ein Zyniker, ein Sentimentaler hinter
der Maske des Unbarmherzigen. Und ein großer Ironiker: Als
"Mr.Freeze" gönnte er sich zwei kurze Schauspielauftritte
in der trashigen Batman-TV-Serie Mitte der 60er Jahre. Dort
bringt er alles zum Gefrieren, und treibt auf diese Art sein
Spiel mit dem Image, daß ihm als Hollywood-Outsider anhaftete:
Der Coole, alleszersetzende Kino-Antom, ein Grausamer, Boshafter,
der seine Schauspieler quält und seine Umgebung verachtet.
Der Regisseur, dem die diesjährige Retrospektive der Berlinale
gewidmet ist, galt zwar in den 50er und frühen 60er Jahren
neben Hitchcock, Hawks und Lang als einer der Allergrößten
des Kinos. Trotzdem fühlte sich der europäische Flüchtling,
der 1905 in Österreich-Ungarn geboren war, und seit 1935 in
Amerika lebte, wohl bis zu seinem Tod 1986 in New York verkannt.
Man kann Premingers Erfolge kaum aufzählen. Unter seinen 37
Filmen finden sich Klassiker wie "Exodus", "Porgy und Bess",
"Fluß ohne Wiederkehr" und THE MAN WITH THE GOLDEN ARM. Diese
Liste verdeutlich bereits erste Kontinuitäten: Häufig erzählt
Preminger Melodramen, Geschichten großer Gefühle. Den standardisierten
Hollywood-Codes fügen sich seine Storys nur widerwillig. Schwarze,
Drogensüchtige, jüdische Flüchtlinge, goldsuchende Outsider
– oft sind es Minderheiten und Ungeliebte, die Preminger zeigt.
Und auch wo er sich im Mehrheitsmilieu des weißen Mittelstands
bewegt, geht es um das Ungeliebte, Verschwiegene: Depressionen
und Laster, Amoral, Gewaltätigkeit, Lügen und andere Kleinigkeiten,
die sich alltäglich ereignen, aber – erst recht im damaligen
Kino – ungern zur Sprache gebracht werden.
Wer diese Filme wiedersieht, dem drängt sich geradezu auf,
sie auch aus Premingers Herkunft zu erklären: Dem Wien der
Jahrhundertwende, den Salons eines überspannten, überfeinerten
Bürgertums und nicht zuletzt in der Praxis des Dr.Sigmund
Freud.
Nicht nur in Hollywood bedeutet Kino immer Mythenproduktion.
Wo es wirklich gut ist, wirkt es aber zugleich als Entlarvungsmaschine.
Premingers Sicht ist der kühle voyeuristische Blick durchs
Schlüsselloch, hinter die Fassaden, hinein in die Seele der
Menschen. Mit stupendem Interesse für Details macht er das
Unsichtbare sichtbar. Ein "böser Blick" zeichnet Preminger
aus. Er schaut genau hin, niemals weg, und entlarvt seine
Akteure durch kleine Gesten. Die Zuschauer macht er zu seinen
Verbündeten. Wie bei Hitchcock weiß man - nein: sieht man
- als Zuschauer oft mehr, als die Protagonisten. Und wie Hitchcock
prägt dieses Entlarvungskino eine große Portion sarkastischen
Humors. Das dämpft die Härte des Eindrucks und schafft Distanz.
Und doch sind es oft peinigende Zumutungen für die Zuschauer,
denen Preminger selten eine zurückgelehnte Bequemlichkeit
gönnt.
Ohne schlichten Realismus in der Abbildung werden seine Filme
authentisch durch die Intensität der Gefühle, die sich in
ihnen ereignen. Und so schaut man gebannt auf beklemmende
Psychostudien, egal in welchem Genregewand dieser virtuose
Sensible agiert.
Welches sind Premingers beste Filme? Ohne "Laura" (1944) wird
keine Aufzählung auskommen: Ein mythischer, perfekter Film
Noir, ein absolutes Meisterwerk, mit dem Preminger den Durchbruch
schaffte, und das bereits alles enthält, was seine Filme bis
zum Ende auszeichnen sollte. Die kuriose Story wirkt extrem
konstruiert, auch mag sich der Regisseur nicht recht zwischen
Polizeifilm und Suspense-Thriller entscheiden, und ändert
mindestens dreimal die Erzählperspektive. Doch genau dieses
Durchgeknallte, Rauschhafte, das den Zuschauer konsequent
im Unklaren hält, und dadurch um so mehr in Bann zieht, war
es, was Preminger hieran am meisten interessiert haben dürfte:
Man bekommt alles gezeigt, weiß vieles, und versteht doch
wenig. So zeigt Premingers Kino eine Welt in der nichts mehr
heil ist, und statt Versöhnung hinterläßt er Verstörung und
Irritation – hierin viel radikaler als Hitchcock, der – meistens
– die Verhältnisse am Ende wieder ins Reine bringt.
Daneben ist "Anatomie eines Mordes" zu nennen. Hier ist nicht
nur viel von Premingers antipuritanischer Gesinnung zu spüren,
von der Ideologiefreiheit, die diesen Regisseur auszeichnet.
Vor allem beweist Preminger, das genaues Hinsehen oft zur
schärfsten Anklage wird.
Schließlich natürlich "Bonjour Tristesse", ein weiteres Melodram
in dem die unvergeßliche Jean Seberg, die von Preminger für
den Film entdeckt wurde, eine Hauptrolle spielt. Und Godard,
der Preminger verehrte, adoptierte die Seberg einfach für
seinen eigenen "Außer Atem", der unmitelbar danach entstand,
und nichts anderes war, als die Fortsetzung von Premingers
Zersetzung bürgerlicher Familienverhältnisse.
"Hübsche Mädchen hübsche Dinge machen lassen" – Premingers
Sentenz machten Godard und die anderen Franzosen der Nouvelle
Vague zur Formel ihrer frühen Filme. Auch in der Konzentration
auf feine Unterschiede und dem Willen zur Gegenwärtigkeit
lernten sie von ihm.
Noch gegen Ende verweigerte sich Preminger allen Fragen der
Filmhistoriker: "Es ist nicht meine Art, zurückzugehen. Ich
hätte viel lieber, Sie würden schreiben, wie ich heute bin!"
Trotzdem gibt es Gründe genug, sich auch die älteren Filme
in der Werkschau dieses Unterschätzten anzusehen.
Rüdiger Suchsland
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