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25.02.1999
 
 
   
 

Kino als Entlarvungsakt
Es gibt Gründe genug, sich die Berlinale-Retrospektive zu Otto Preminger anzusehen

 
Simon Licht und Tatjana Alexander
     
 
 
 
 

Ein Wiener Schlitzohr, ein Zyniker, ein Sentimentaler hinter der Maske des Unbarmherzigen. Und ein großer Ironiker: Als "Mr.Freeze" gönnte er sich zwei kurze Schauspielauftritte in der trashigen Batman-TV-Serie Mitte der 60er Jahre. Dort bringt er alles zum Gefrieren, und treibt auf diese Art sein Spiel mit dem Image, daß ihm als Hollywood-Outsider anhaftete: Der Coole, alleszersetzende Kino-Antom, ein Grausamer, Boshafter, der seine Schauspieler quält und seine Umgebung verachtet. Der Regisseur, dem die diesjährige Retrospektive der Berlinale gewidmet ist, galt zwar in den 50er und frühen 60er Jahren neben Hitchcock, Hawks und Lang als einer der Allergrößten des Kinos. Trotzdem fühlte sich der europäische Flüchtling, der 1905 in Österreich-Ungarn geboren war, und seit 1935 in Amerika lebte, wohl bis zu seinem Tod 1986 in New York verkannt.
Man kann Premingers Erfolge kaum aufzählen. Unter seinen 37 Filmen finden sich Klassiker wie "Exodus", "Porgy und Bess", "Fluß ohne Wiederkehr" und THE MAN WITH THE GOLDEN ARM. Diese Liste verdeutlich bereits erste Kontinuitäten: Häufig erzählt Preminger Melodramen, Geschichten großer Gefühle. Den standardisierten Hollywood-Codes fügen sich seine Storys nur widerwillig. Schwarze, Drogensüchtige, jüdische Flüchtlinge, goldsuchende Outsider – oft sind es Minderheiten und Ungeliebte, die Preminger zeigt.
Und auch wo er sich im Mehrheitsmilieu des weißen Mittelstands bewegt, geht es um das Ungeliebte, Verschwiegene: Depressionen und Laster, Amoral, Gewaltätigkeit, Lügen und andere Kleinigkeiten, die sich alltäglich ereignen, aber – erst recht im damaligen Kino – ungern zur Sprache gebracht werden.

Wer diese Filme wiedersieht, dem drängt sich geradezu auf, sie auch aus Premingers Herkunft zu erklären: Dem Wien der Jahrhundertwende, den Salons eines überspannten, überfeinerten Bürgertums und nicht zuletzt in der Praxis des Dr.Sigmund Freud.
Nicht nur in Hollywood bedeutet Kino immer Mythenproduktion. Wo es wirklich gut ist, wirkt es aber zugleich als Entlarvungsmaschine. Premingers Sicht ist der kühle voyeuristische Blick durchs Schlüsselloch, hinter die Fassaden, hinein in die Seele der Menschen. Mit stupendem Interesse für Details macht er das Unsichtbare sichtbar. Ein "böser Blick" zeichnet Preminger aus. Er schaut genau hin, niemals weg, und entlarvt seine Akteure durch kleine Gesten. Die Zuschauer macht er zu seinen Verbündeten. Wie bei Hitchcock weiß man - nein: sieht man - als Zuschauer oft mehr, als die Protagonisten. Und wie Hitchcock prägt dieses Entlarvungskino eine große Portion sarkastischen Humors. Das dämpft die Härte des Eindrucks und schafft Distanz. Und doch sind es oft peinigende Zumutungen für die Zuschauer, denen Preminger selten eine zurückgelehnte Bequemlichkeit gönnt.
Ohne schlichten Realismus in der Abbildung werden seine Filme authentisch durch die Intensität der Gefühle, die sich in ihnen ereignen. Und so schaut man gebannt auf beklemmende Psychostudien, egal in welchem Genregewand dieser virtuose Sensible agiert.
Welches sind Premingers beste Filme? Ohne "Laura" (1944) wird keine Aufzählung auskommen: Ein mythischer, perfekter Film Noir, ein absolutes Meisterwerk, mit dem Preminger den Durchbruch schaffte, und das bereits alles enthält, was seine Filme bis zum Ende auszeichnen sollte. Die kuriose Story wirkt extrem konstruiert, auch mag sich der Regisseur nicht recht zwischen Polizeifilm und Suspense-Thriller entscheiden, und ändert mindestens dreimal die Erzählperspektive. Doch genau dieses Durchgeknallte, Rauschhafte, das den Zuschauer konsequent im Unklaren hält, und dadurch um so mehr in Bann zieht, war es, was Preminger hieran am meisten interessiert haben dürfte: Man bekommt alles gezeigt, weiß vieles, und versteht doch wenig. So zeigt Premingers Kino eine Welt in der nichts mehr heil ist, und statt Versöhnung hinterläßt er Verstörung und Irritation – hierin viel radikaler als Hitchcock, der – meistens – die Verhältnisse am Ende wieder ins Reine bringt.
Daneben ist "Anatomie eines Mordes" zu nennen. Hier ist nicht nur viel von Premingers antipuritanischer Gesinnung zu spüren, von der Ideologiefreiheit, die diesen Regisseur auszeichnet. Vor allem beweist Preminger, das genaues Hinsehen oft zur schärfsten Anklage wird.
Schließlich natürlich "Bonjour Tristesse", ein weiteres Melodram in dem die unvergeßliche Jean Seberg, die von Preminger für den Film entdeckt wurde, eine Hauptrolle spielt. Und Godard, der Preminger verehrte, adoptierte die Seberg einfach für seinen eigenen "Außer Atem", der unmitelbar danach entstand, und nichts anderes war, als die Fortsetzung von Premingers Zersetzung bürgerlicher Familienverhältnisse.
"Hübsche Mädchen hübsche Dinge machen lassen" – Premingers Sentenz machten Godard und die anderen Franzosen der Nouvelle Vague zur Formel ihrer frühen Filme. Auch in der Konzentration auf feine Unterschiede und dem Willen zur Gegenwärtigkeit lernten sie von ihm.
Noch gegen Ende verweigerte sich Preminger allen Fragen der Filmhistoriker: "Es ist nicht meine Art, zurückzugehen. Ich hätte viel lieber, Sie würden schreiben, wie ich heute bin!" Trotzdem gibt es Gründe genug, sich auch die älteren Filme in der Werkschau dieses Unterschätzten anzusehen.

Rüdiger Suchsland

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