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"Impossible" = das erste Wort, das Isabelle Huppert in ihrem
ersten Kinofilm sagt. Wo ? Natürlich bei ihrem Entdecker Otto
Preminger, in "Rosebud", einem zu Unrecht vielgescholtenen
Politithriller.
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Nur ein Narr könnte glauben, bei den Berliner Filmfestspielen
ginge es tatsächlich darum, Filme anzusehen. Vielmehr geht es
natürlich ums Geschäft, und vor allem – um Partys. Und damit das
eine nicht unter dem anderen leidet, schließt das Business Center
auf der Berlinale pünktlich um 18 Uhr, denn etwas Zeit zum Umziehen
braucht man natürlich auch noch.
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Wettbewerb am Mittwoch: "Keiho" von Yoshimitsu Morita ist eine
positive Überraschung, schon wegen seiner kühlen, sehr exacten
Bilder. Ein Kino des Schweigens. Ein detektivisch angelegtes
Gerichtsdrama. Es geht nicht um Psychologie des Opfers, sondern um
die Psychologin, die die Gewalttat des Anfangs aufklären soll. Mit
ständig gebückter, demütiger Haltung, die Handtasche vor sich her
tragend, tritt die junge Frau auf. Aber: Durch ihre Passivität,
durch ein sich-zum-Opfer-machen bekommt sie mehr heraus, als ihre
Vorgänger. Der Film fragt nicht nach der Tat, sondern nach den
Beweggründen. Und weil die nicht rein persönlich-psychlogisch zu
erklären sind, geht es hier eigentlich um eine Anklage der
japanischen Gegenwartsgesellschaft: dummdreist, autoritär und
patriarchalisch bis ins Mark, selbstzufrieden, immer den einfachen,
schnellen Weg gehend – so zeigt Morita uns sein Land. "Simon
Magus" von Ben Hopkins, eine Allegorie über Judentum und
Antisemitismus in der Tonlage eines Kindermärchens ist dagegen
völlig mißglückt. Ein naiver Plot, eine unerträgliche Musik machen
diesen peinigend schlechten, lahmarschigen Europudding komplett.
Ein- bis zweimal pro Berlinale muß man so etwas überstehen.
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Die entscheidende Frage ist, ob man auf der richtigen Party
eingeladen ist. "Richtig", das sind natürlich nicht die
Stehempfänge der Fernsehsender und Förderverbände (und auch nicht
wirklich das Treffen mit Michael Naumann im "Porzellanzimmer" des
Hotel Kempinski), sondern nur die Einladungen zu den großen
Premierenpartys, vor allem der Wettbewerbsfilme. Oft entpuppen die
sich dann zwar auch nur als ein weiterer Stehempfang (freilich mit
besserem Essen), aber manchmal sind es ausgefeilte Events. Vor
allem die Wahl des Ortes ist dabei zu beachten. Vor zwei
Jahren hatte man den Shakespeare-Pop "Romeo & Juliet" sogar in
einer ausrangierten Kirche gefeiert. "eXistenZ", der
Wettbewerbsfilm des Kanadiers David Cronenberg wählte ein
Bankgebäude aus den zwanziger Jahren, das auch von Innen noch viel
alten Charme versprüht. Damit wollte man etwas von der
düster-neosachlichen Atmosphäre des Films aufgreifen, der in
manchen Momenten an alte US-Krimis erinnert. Cronenberg und seine
Hauptdarstellerin Jennifer Jason Leigh waren auch gekommen,
verschwanden aber schon nach einer guten Stunde: Am nächsten Tag
standen Interviews an, da wollte man ausgeschlafen sein.
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"Ich habe einfach eine sehr gute Nase für passende Drehbücher.
Und für gute Regisseure." - trotzdem sie unbestritten ein Star ist,
wirkt Meryl Streep anders, als viele, die sich in Berlin zeigen.
Ihr Auftreten scheint gedämpft, zurückhaltender, ihre Eitelkeit
–ohne die kein Star ganz auskommt, sonst wäre er keiner- ist
versteckter, als bei vielen ihrer Kollegen: "Mit diesen kalten und
spektakulären Filmen, die heute oft gemacht werden, habe ich nichts
im Sinn." Sie selbst, das läßt sie ihren Gesprächspartner in
solchen Sätzen wissen, steht für das Wahre, Schöne und vor allem
das Gute im Kino, für Rollen, die Menschlichkeit und große Gefühle
bis an die Grenze zum Kitsch ausreizen, ohne diese Grenze je zu
überschreiten.
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Im Kino ist die Zeitdifferenz zu alten Filmen kleiner, als im TV.
Vieles wirkt hier nicht so alt, wie dort. Kino vereint über die
Zeiten, stellt –bei guter Bildqualität- Nähen her. Distanz kommt
erst über schlechte und deutlich alte Bilder.
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Überall trifft man spätestens an der Bar auf die üblichen
Verdächtigen: Eine nicht mehr ganz junge Dame mit großem grünen
Hut, die man vor etwa 8 Jahren etwas öfter im Fernsehen gesehen
hatte, den Mitfünfziger in Jeans und Turnschuhen, der sich über
eine leichtbekleidete Actrice beugt, die seine Tochter sein könnte,
die Photographin, die mit allen Stars per Du ist, und sich immer
nur auf dem Weg von einem Festival zum nächsten befindet, nie dort
wo sie gerade ist, oder den schmächtigen Jüngling mit Anzug und
Kravatte, der eine dicke Zigarre nach der anderen raucht, und
sichtlich gern 20 Jahre älter aussähe – vielleicht hat er eine
Produktionsfirma, die Sitcoms fürs Privatfernsehen produziert.
Zur späteren Stunde träumen sich alle zusammen die neue Hauptstadt
zur Filmmetropole schön, und sich selbst sehen sie natürlich mitten
in deren Zentrum. Elf Tage und elf Nächte lang könnte man das auch
beinahe glauben. Aber am Sonntag wird der rote Teppich vor dem
Zoopalast wieder eingerollt, die letzten Stars reisen ab, und
Berlin versinkt wieder in seinen Alltagstrott. Vielleicht wird ja
im nächsten Jahr alles anders. Dann ziehen die Festspiele aus dem
alten Westen in die neue Mitte – ins Multiplex am Potsdamer
Platz.
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Im Gespräch mit Helmut Dietl: Auf die Frage, warum er seinen
neuen Film "Late Show" nicht auf der Berlinale zeigt, bekomme ich
zu hören: "Ich bin noch nie auf die Berlinale gegangen.
Traditionell ist es ja so, daß deutsche Filme auf der Berlinale
kaum eine Chance haben. "Aimée & Jaguar" ist sehr gut dafür
geeignet, das ist ein richtiger Festivalfilm. Meine Filme sind das
nicht, dafür sind sie viel zu polarisierend. Und ich habe einfach
keine Lust, mich da im Vorfeld anpinkeln zu lassen. Darum bin ich
mit "Schtonk" nicht hingegangen, und jetzt auch nicht. Ich war
letztes Jahr in der Jury: Da habe ich mir zehn Tage lang so einen
Dreck anschauen müssen, daß es höher nicht ging. Unter anderem
übrigens auch einen wirklich schlechten deutschen Film: "Das
Mambospiel" von Michael Gwisdek, furchtbar. Aber ein gewisses Maß
an Fairneß muß herrschen. Und das herrscht nicht, darum gehe ich da
nicht hin. Denn ich lebe auch davon. Ich bin ja nicht irgendein
abgehobener Künstler, auch wenn ich meine Sache sehr ernst nehme.
Aber als Geschäftsmann kann ich mir das nicht leisten, so schlicht
ist das. Die Berlinale beeinträchtigt meine Chancen, sie erhöht sie
nicht." Solange fast alle Regisseure sinngemäß das Gleiche
sagen, und ihrerseits die böse Presse anpinkeln, wird sich das
sicher auch nicht ändern.
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"Innocent until proven guilty", eine Dokumentation von Kirsten
Johnson über eine Schule für schwarze Kids mit criminal record. Wie
hilft man der schwarzen Unterschicht zum american dream ? Gute
Frage, und der Film ist auch engagiert und interessant. Aber –
seinen wir mal ehrlich: Neues bringt er auch nicht. Man hat all'
das schon tausendmal und seit Jahren gesehen, stupide Variationen
des Immergleichen. Und das zeigt auch, daß solche Filme
gesellschaftlich nullkommanix bewirken. Sie werden nur gesehen von
denen, die schon immer überzeugt sind, und richten sich eigentlich
auch nicht an andere. Denn argumentiert wird hier kaum. Die
behauptete Provokation verpufft, wenn es sie denn überhaupt
gab. Interessant wären Filme, die Dinge zeigen, die die Leute
nicht sehen wollen: Man möchte einmal einen Film über die Richter
und Polizisten anschauen, die in diesen pro-Underdog-Dokus immer
als böse, vorurteilsbeladene Unholde erscheinen.
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Trotzdem ein guter Satz, der im Gedächtnis bleibt: "Es geht nicht
um Fairneß, denn für Schwarze ging es noch nie um Fairneß, es geht
darum, was man tun kann, um überhaupt zu überleben." Oder ist das
auch zu pathetisch ?
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Pressekonferenz mit Claude Chabrol: Der Regisseur im
Freizeitlook, mit kariertem Hemd, ländlicher Jacke, kalte Pfeife –
ein rundum gemütlicher Mensch, dem man ansieht, daß er mit sich im
Reinen ist, und Kino als Familienbetrieb zum eigenen Vergnügen
betreibt. Auch Sandrine Bonnaire, der Star von Chabrols
Wettbewerbsbeitrag "Au Coer du mensonge" (Die Farbe der Lüge)
flirtet mit dem Publikum, lacht viel, und hält ihre Posen, die so
natürlich wirken professionell für die Photographen. Auch
dieser Film –einer der besseren Chabrols in letzter Zeit- zeigt
Chabrol als einen Schauspielerregisseur, der mehr Kriminalstorys
dreht, als Thriller, weil es ihm nicht um psychologische Wirkung
bei den Zuschauern geht, sondern um die Psychologie seiner Figuren:
"Diese Geschichten sind ein wunderbares Mittel, um zu erzählen, was
man will. Denn in Kriminalgeschichten gibt es viele starke
Elemente: Verbrechen, Verrücktheiten, Lügen, Untersuchungen. Das
ist interessanter, als der allgemeine platte Realismus des
Alltäglichen."
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"Ich weine viel im Kino", erzählt die Bedienung im "delphi". "Ich
weine auch in emergency room'". Auf meine Frage warum, fällt ihr
aber nicht besonders viel ein: "Weil ich gerührt bin, wenn zwei
sich finden." Na dann...
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Bisher habe ich ja die Haßtiraden des Kollegen Willmann gegen
Joel Schumachers Beiträge zur Filmgeschichte eher amüsiert und
skeptisch zur Kenntnis genommen, als wirklich geglaubt. Wer aber "8
MM", Schumachers Wettbewerbsfilm gesehen hat, kann sich Willmanns
Wunsch nur anschließen, diesem Regisseur "eins in die Fresse zu
geben". Ein faschistoider Selbstjustizschmarrn, von Schumacher
filmisch meist so erbärmlich und geschmacklos in Szene gesetzt ist,
daß er auch Hauptdarsteller Nicholas Cage schaden dürfte. Denn man
merkt hier, wie vielleicht zuvor nur in Figgis' LEAVING LAS VEGAS,
daß Cage vielleicht ein guter Schauspieler ist, aber auch ziemlich
dumm, und daher ganz auf die Anleitungen eines Regisseurs
angewiesen. Fehlen die, wirkt er wie eine Knallcharge, der mit
allzuweit aufgerissenen Augen, herunterhängendem Kinn "Ausdruck"
spielt. Hinzu kommt, daß man lange keine so erbärmlichen Dialoge,
keine so peinigend konstruierte Geschichte mehr gesehen hat.
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Immer wieder mäkelt man über den vermeintlich "mangelnden Glamour
der Berlinale. Stimmt schon meint die französische Kollegin
Jacqueline: "Berlin ist kein Palliettenfestival wie Cannes. Die
Berlinale ist zum arbeiten." Und schon wegen des Wetters findet man
hier auch keine Halb- oder Ganznackten die sich für die
Photographen räckeln. Angenehm ist es bei aller Arbeit aber
trotzdem.
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Nicht jeder Film von Robert Altman ist automatisch ein guter
Film. Auch "Cookies Fortune" ist zwar beeindruckend, sehr gut und
wirkungsvoll. Aber man sollte es auch nicht übertreiben. In der
bitterbösen, ironischen Komödie zeigt sich Altman als ein
amerikanischer Chabrol, der Mord, Intrige und Kriminalstory nur
benutzt, um eine Gesellschaft zu entlarven. In diesem Fall jene
des "Good old south", in dem alle so lahmarschig, sind, wie in der
Jack-Daniels-Werbung. "What is wrong with all these people ?" – Die
Frage bleibt haften.
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Chris O'Donnell ist uns bisher nur als junger Hemingway in
Richard Attenboroughs Kitschepos "In Love and War" und natürlich
als engbestrumpfte Gay-Ikone Robin in den beiden letzten
Batman-Verfilmungen in Erinnerung geblieben. Jetzt kommt er im
Cop-Dress bei Robert Altman, und sieht dort –trotz manch geschickt
eingestreuter gay-Referenzen- so derart all american heraus, daß
man sich in der Tat keinen idealeren Schauspieler für die Rolle
dieses jungen gutherzigen Provinztrottels hätte vorstellen
können.
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Premierenparty zu "The Faculty". Männer in langen schwarzen
Mänteln, die Hand um ein Handy gekrallt. Aliens ? Nach dem starren
Blick zu urteilen in jedem Fall. Aber sonst ist die Party amletzten
richtigen Tag der Berlinal ziemlich ausgelassen. Roberto Rodriguez
hat seinen Mama und seinen Papa nach Berlin mitgebracht. Man weiß
ja, diese Südländer sind Familienmenschen. Die beiden werden sich
wahrscheinlich auch ein bißchen einsam fühlen, den wie üblich sind
Normalsterbliche von der Prominenz streng geschieden. Vive la
differénce !
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Eine Freundin, die bei "Players", unter anderem der Agentur von
Maria Schrader und Til Schweiger, arbeitet, und es also wissen muß,
im Gespräch über die beliebte und unvermeidliche Frage, warum es in
Deutschland keine Filmstars gibt: "Die Stars bei uns sind einfach
zu verwöhnt. Die bekommen hier nur immer gesagt, wie toll sie sind,
und glauben das auch. Wenn in Amerika ein Regisseur sagt: Du sollst
Trampolin springen und dabei auf der roten Bällen jonglieren, dann
fragt auch Bruce Willis nur, 'Wie hoch ?'"
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Premingers "anatomy of a murder" ist nicht zuletzt ein James
Stewart-Film. Stewart kann hier idealtypisch den Charakter spielen,
der ihn berühmt machte: Verständnisvoll, soft bis schwach, ein
bißchen verschroben, aber clever bis bauernschlau, genau,
gradlinig, bescheiden, humorvoll, und tugendhaft, im Sexuellen
keusch. Ein Cary Grant hätte die jugendfrische Lee Remick niemals
ausgeschlagen.
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Gleich fünf Kritiker des "Tagesspiegel" ernennen "Cookies
Fortune" zu ihrem Lieblingsfilm, "The Thin Red Line" nennt keiner.
Man ist eben immer ein bißchen chicer und besonderer bei dieser
Lieblingszeitung des Westberliner Bildungsbürgers. So gut Altmans
neuester Film auch ist, fünf von 15 möglich Nennungen ist doch
etwas übertrieben. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, daß
sich die "Tagesspiegel"-Mitarbeiter so gut mit der Lahmarschigkeit
des US-Südens identifizieren konnten. Oder es hat seinen Grund
darin, daß die Hälfte des Feuilletons erst am letzten Tag auf die
Pressevorführungen gehen konnte. Oder daß alle diese
Meisterkritiker so viele Filme gesehen haben, daß nach 12 Tagen nur
noch das Kurzzeitgedächtnis funktioniert. Kann ja vorkommen, wie
wir aus eigener Erfahrung wissen.
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Der eigentiche und einzige Meisterkritiker des "Tagesspiegel"
wählt aber "The Faculty" (von Roberto Rodriguez) zu seinem
Lieblingsfilm. Daß meint er natürlich nicht wirklich ernst, aber
offenbar wollte der Herr einen kleinen feinen Kontrapunkt zu den
Kunstfilm-Vorlieben seiner Kollegen setzen. Verständlich, wenn man
einmal zwei Wochen lang die SZ durch den "Tagesspiegel"
ersetzt.
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"Wo bleibt der deutsche Kriegsfilm ?" fragt –na wo wohl ??- in
der WELT am Sonntag ein unbekannter "Filmproduzent". Aber das
wollen wir heute wirklich nicht mehr wissen.
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Also doch. Mit der Vergabe des Goldenen Bären an "The Thin Red
Line" hat die von Schauspielerin Angela Molina geführte Jury den
Mut bewiesen, das Offensichtliche zu akzeptieren. Terrence Malicks
bewegend-verstörendes Kriegsdrama lag qualitativ deutlich über
allen anderen Beiträgen des diesjährigen Wettbewerbs. Lange Zeit
war kein Berlinale-Sieg so verdient, wie dieser.
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Allenfalls eine Prämierung von Bertrand Taverniers ganz anders
geartetem "Ca commence aujourd'hui" wäre eine logische Alternative
gewesen, hätte die Jury die Absicht gehabt, ein dezidiert
nichtamerikanisches Kino auszuzeichnen, das sich abseits von allem
"Grand Cinema" nicht im Anti-Hollywood-Impuls erschöpft, sondern
auf bestem Niveau eine eigene Geschichte erzählt, und so konsequent
wie in sich perfekt das filmisch umsetzt, worauf es dem Regisseur
ankommt. Soeren Kragh-Jacobsens "Dogma"-Film "Mifune" - mit dem
"Spezialpreis der Jury" zweitplaziert- tut dies nur oberflächlich
betrachtet, und man wird in dieser Preisvergabe eher einen Tribut
an die derzeitige "Dogma"-Mode sehen müssen. Auch die Preise
für David Cronenberg, Maria Schrader und Juliane Köhler sind
nachvollziehbar, während es ein Rätsel bleibt, warum Steven Frears
und Michael Gwisdek ausgezeichnet wurden, während beispielsweise
der gleich in zwei Filmen vertretene Nick Nolte, Charles Dutton,
der Regisseur Robert Altman und eben Bertrand Tavernier leer
ausgingen. Insgesamt bot der Wettbewerb ein durchwachsenes
Bild. Viel völlig Überflüssiges war da zu sehen, und man hatte den
Eindruck, daß allein das Herkunftsland oder offenkundige
Verleihinteressen bei manchen Filmen Grund genug war, sie in den
Wettbewerb aufzunehmen.
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Sucht man nach inhaltlichen Trends, fällt auf, daß die großen
Liebesepen ebenso fehlen, wie kein Sex mehr in den Filmen
stattfindet. Ein neuer Puritanismus deutet sich an: moralische
Korrektheit und der Verzicht auf Witz, Individualismus oder
anarchische Momente prägen fast alle Filme (Ausnahmen: Cronenbergs
"eXistenZ" und der freilich total mißglückte "Breakfast of
Champions"). Höchstens bei den Altmeistern Chabrol und Altman fand
man ironisch Gebrochenes. Wirkliche Innovation boten da eher
manche Beiträge aus den Panorama- und Forum-Reihen. Gerade am Ende
des Festivals fanden sich im traditionell allen Experimenten
offenem Forum noch einige ausgezeichnete Beiträge: Etwa aus
Hongkong "Expect the Unexpected", ein Titel, der Regieanweisung und
Lebensgefühl zugleich ausdrückt. Oder das Dreistundenepos "Dil se",
daß einen furiosen Einblick ins indische Unterhaltungskino bot, bei
dem auch morgens um halb drei kaum ein Zuschauer einschlief.
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Im Panorama begeisterte vor allen anderen "Fucking Amal", ein
Erstling des Schweden Lukas Moodysson, der mittlerweile für den
Oscar nominiert wurde, und unbedingt im Wettbewerb hätte laufen
müssen. Abseits von allen Klischees wird hier bewegend die Liebe
zwischen zwei 14jährigen als Drama des Erwachsenwerdens in der
Provinz erzählt – einer des besten Filme der Berlinale.
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Immer wieder kann man die Frage nach dem Sinn eines solchen
Festivals stellen. Wer es schaffte, jeden Tag 6 Filme anzusehen,
hatte am Ende noch nicht einmal 10 Prozent des Gesamtprogramms
gesehen. Trotzdem hat diese riesige Masse dann ihren guten
Sinn, wenn neben einem Einblick in die Vielfalt des globale
Filmschaffens auch Qualitätsmerkmale gesetzt werden. Es ist
unnötig, Filme noch zusätzlich zu unterstützen, die ihr Publikum an
den Kassen sowieso finden. Ebensowenig kann er in der Feier jenes
Kinos liegen, dem sein Publikum egal ist, oder das bewußt gegen
jeden –angeblichen- "Mainstream" eine hermetisch verstandene
Filmkunst setzt, und in eigener Erfolglosigkeit noch Bestätigung
findet. Ziel müßte sein, Orientierung zu geben,
Qualitätsmerkmale und Maßstäbe von allgemeiner Gültigkeit zu
setzen. Im Gegensatz zu vergangenen Jahren hat die Preisvergabe
beim diesjährige Wettbewerb dieses Wunschziel erreicht. Das
Gesamtprogramm aber besaß nur drei, vier Highlights, hatte einige
gute Filme, aber insgesamt gehört die 49. Berlinale zu den
schwächeren Jahrgängen.
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Zum Jubiläum im nächsten Jahr, bei dem auch der Umzug ins
Multiplex am Potsdamer Platz ansteht, darf man hoffen, daß sich
auch programmatisch einiges ändert. Weniger Taktik, mehr Mut zu
künstlerischen Extremen – das wäre der Berlinale im neuen
Jahrhundert zu wünschen. Mit dem diesjährigen "Goldenen Bär" hat
die Jury immerhin das ihre getan, damit im Jahr 2000 auch die Filme
stimmen.
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Was nicht stimmen wird, das ist jetzt schon klar, sind die
Rahmenbedingungen. Die neue Berlinale wird gesichtslos sein, und
sich in einer verdreckten Wüstenlandschaft zwischen halbfertigen
Gebäuden und Bauruinen befinden. Der neue Festvalhauptsaal ist zwar
wesentlich größer, die anderen Säle aber werden kleiner sein. Die
Stuhlreihen dort sind unbequem und eng, wer zu spät kommt, kann
nicht mehr durch die Reihen gehen – was Wunder auch, denn es
handelt sich ja nicht um ein Kino, sondern um ein Musical-Haus. Was
soll man erwarten ? Wir wußten schon immer, daß es noch schlechter
werden kann,. als es eh schon ist. Eigentlich ist Larmoryanz
Scheiße, aber beim Gedanken an die Zukunft der Berlinale wird einem
halt trotzdem schlecht. Eine Ära geht zuende – Bonjour Tristesse.
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Was der "Tagesspiegel" kann, können wir schon lange: Die ganz
persönlichen Lieblingsfilme des Verfassers sind: "Fucking Amal" und
der kanadische "Emporte-moi", der im Wettbewerb lief, beides zwei
sensible Beobachtungen jugendlicher Selbstfindung und Emanzipation
von der Erwachsenenwelt, sowie "Bunny Lake is missing" und
"eXistenZ", zwei durchgeknallte Traumreisen, bei den Virtualität
und Realität aufs Herrlichste verschwimmen. Und natürlich "The Thin
Red Line".
PS: Weil hier in Berlin soviel (zuviel finden wir) von
"Dogma" geredet wird, machen wir jetzt auch einmal ein Dogma, unser
ganz eigenes Berlinale-Dogma: 1. Keine Filme, in denen geistig
Behinderte in positiven Hauptrollen vorkommen. (Wie wohltuend, als
ein "Fucking Amal" einmal eine Rollstuhlfahrerin einfach strotzblöd
sein darf, und es der egisseur nicht nötig hat irgendeine Gesinnung
zu beweisen). 2. Keine Filme, in denen Frauen Schlaftabletten
nehmen (Haben wir schon einmal Männer gesehen, die Schlaftabletten
nehmen ?). 3. Keine Filme, in denen unmanierlich gegessen wird,
oder Männer dreckige Fingernägel haben (man achte diesbezüglich
einmal auf Joseph Fiennes, dessen ungewaschene Pfoten wohl nur den
Zweck haben, den Kontrast zum weißen Leib von Gwyneth Paltrow noch
zu vergrößern, wenn er denselben kost). 4. Keine
weitaufgerissenen Augen (vgl. Nicholas Cage) 5. Wenn schon
Nackte, dann bitte nur schöne Frauen. 6. Kein Produzent darf
gleichzeitig Regie führen, kein Regisseur gleichzeitig
schauspielen, kein Schauspieler gleichzeitig produzieren. Und
überhaupt. Und umgekehrt. 7. In jedem französischen Film muß
gegessen werden, und muß für mindestens 30 Sekunden der Busen einer
Nebendarstellerin zu sehen sein. Die Nebendarstellerin darf nicht
über 18 sein. 8. In jedem US-Film muß mindestens 38 mal "Fuck"
gesagt werden. Bei historischen Filmen kann dieser Wert reduziert
werden, vorausgesetzt es geschieht mindestens ein Mord und die
Darsteller haben keine dreckigen Fingernägel. 9. In jedem
spanischen Film muß eine Nymphomanin vorkommen. 10. In jedem
italienischen Film muß mindestens eine Familie mit drei oder mehr
kleinen Bambini vorkommen, die auch so heißen, und wahnsinnig süß
sind. 11. "Pas d'Moustaches" (den haben wir von Claude Chabrol
geklaut, aber er hat ihn nur uns persönlich zugeflüstert. Also
bitte nicht weitersagen).
Rüdiger Suchsland
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