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zum abschied in die bretagne -
die hypo-kulturstiftung im wandel

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es geht um überlebenstechnik
- christoph schlingensief

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open art '98
- zum 10-jährigen bestehen

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zum abschied in die bretagne




veränderungen in der hypo-kulturstiftung

Die Bayerische Vereinsbank und die Hypo-Bank haben fusioniert, Peter Ade gibt die Ausstellungsleitung an den Prinz von Hohenzollern ab und die Ausstellungen in den üblichen Räumen sind gezählt: Die Hypo-Kulturstiftung verändert sich.

Seit dem 1. September sind sie nun vereint: die Hypo-Bank und die Bayerische Vereinsbank. Aber auch nach der Fusion beider Banken wird die Hypo-Kulturstiftung bestehen bleiben und von der Bayerischen Vereinsbank auch unterstützt werden. Immerhin ist der Vorstandssprecher der neuen Bank, Dr. Albrecht Schmidt, Mitglied des Stiftungsvorstands. Das ist allerdings nicht die einzige Veränderung in der Hypo-Kulturstiftung. Anläßlich zur 50. Ausstellung, „Paul Gauguin und die Schule von Pont-Aven“, gibt der bisherige Ausstellungsleiter Peter Ade seinen Posten an den Prinz von Hohenzollern ab, der bisher als Konservator in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen tätig war. Peter Ade wird jedoch weiterhin der Kulturstiftung beratend zur Seite stehen.

Seit der Gründung der Kulturstiftung im Jahre 1983 engagiert sich die Hypo-Kulturstiftung auf vielerlei Gebieten. So richtet sie z.B. jährlich aus dem Geld, das ihr zur Verfügung steht, einen Museumsfonds ein, dessen Ziel es ist, Museen beim Ankauf künstlerischer Werke finanziell zu unterstützen. Dabei profitieren gleich zwei: man greift zum einen den Museen finanziell unter die Arme, die oft nur ein sehr geringes Budget haben, zum anderen bringt man die Künstler ans Tageslicht, die bisher nur wenig in den öffentlichen Museen vertreten waren. Diese Art von Förderung wurde in den letzten Jahren auch in den musikalischen Bereich ausgeweitet. Mit dem Klavirzyklus wird jungen Pianisten die Chance gegeben, auf einer Tournée durch einige große Musikstädte Deutschlands wie München, Berlin und Frankfurt am Main ihr Können einem größeren Publikum zu präsentieren. Zusätzlich zur Unterstützung von Ausstellungen, Lesungen, Restaurierungen vergibt die Hypo-Kulturstiftung einmal im Jahr einen Denkmalspreis. Ihn erhalten meist private Personen, die sich für den Erhalt und die Pflege denkmalgeschützter Häuser eingesetzt haben.

Die Ausstellung „Paul Gauguin und die Schule von Pont-Aven“, mit der sich Peter Ade als Ausstellungsleiter verabschiedet, erzählt uns vom Leben in der Bretagne. Pont-Aven, ein Dorf im Süden der Bretagne, war Treffpunkt zahlreicher Künstler, unter ihnen auch Paul Gauguin, Emile Bernard und Paul Sérusier. Neben Landschaftsbildern, Bildern aus dem alltäglichen Leben, Zeichnungen und Radierungen sind Skulpturen und Keramiken zu sehen. Unter den Bildern ist auch das sogenannte „Manifest der Schule von Pont-Aven“. Emile Bernards „Bretoninnen auf der Wiese“ von 1888 brachte Paul Gauguin noch im Oktober nach Arles, wo er Vincent van Gogh traf. Der war so begeistert, daß er sogleich ein neues Aquarell malte - nach Bernards Vorlage. Diese beiden Bilder sind noch bis zum 15. November zum ersten Mal gemeinsam in München zu sehen.

Mit der Ausstellung „Schätze aus Korea“ im Januar 2000 wird die Hypo-Kunsthalle in ihrer bisherigen Form erst einmal für ein Jahr die Pforten schließen. Die neuen Ausstellungsräume mit Seminar- und Videoraum werden etwa 50% größer als bisher sein, teilweise natürliches Oberlicht erhalten und sich über der derzeitigen Bank-Schalterhalle befinden. Das wäre dann die dritte Veränderung für die Hypo-Kulturstiftung - aller guten Dinge sind eben drei.

kathrin klette


es geht um überlebens-
technik



Christoph Schlingensief zur Bundestagswahl

Seit einiger Zeit gelingt dem Film- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief eine einzigartige Verbindung von Pop und Politik. Chance 2000 propagiert Befreiung durch Aggression. Das können mediale Inszenierungen sein, aber auch Benennungen und Umbenennungen der Dinge. Wer alles wörtlich nimmt, hat schon verloren.
Am 21.September trat Schlingensief im Münchner Marstall-Theater auf.
Ein Interview von Rüdiger Suchsland

ARTECHOCK
Macht das eigentlich einen Unterschied, ob Kohl oder Schröder gewinnt ?

SCHLINGENSIEF:
Nix ! Ich hab mit dem Innovationsbegriff von Schröder extreme Schwierigkeiten. Und zu Stollmann: Die Suche nach dem Superchip ist Stillstand. Geld spielt keine Rolle. es geht um Ideen, nicht um Geld. Und das Scheitern Kohls als Chance ist keine mehr. Ist nicht radikal genug. Ist nicht wirklich energisch gewünscht. Ist nicht die Stimmung: Wir wollen es einfach mal probieren; Deutschland will es nicht probieren. Man glaubt nur dem DAX. Es war ganz typisch: Als in Eschede das Zugunglück war, da hat man auf ntv oben die Toten gezeigt, und unten liefen die Börsenkurse über den Ticker. Darum sagen wir: Tötet den DAX. Jetzt fällt der DAX zusammen, und der Börsencrash ist wunderbar, wir sind die ersten, die dafür sind. Das ist aber in Deutschland nicht gewünscht, deshalb habe ich auch im Internet schon öfters gesagt: Helmut Kohl wählen und so weiter. Nicht "Chance 2000" sondern Kohl.

ARTECHOCK
Wir sollen am Sonntag allen Ernstes Helmut Kohl wählen ?

SCHLINGENSIEF:
Ja ! Damit die Kotze aus den Ohren rauskommt. Ich bin überzeugt: Nach zwei Jahren käm' die Kotze raus. Oder wahrscheinlich auch dann noch nicht. Nein, nicht wirklich Helmut Kohl.

ARTECHOCK:
Wenn Schröder die Wahl gewinnen würde, und die fragen würde, ob Du ihm als intellektueller Berater hilfst, würdest Du mitmachen ?

SCHLINGENSIEF:
Ich war vor kurzem am BE [Berliner Ensemble] bei der Kulturveranstaltung der SPD, das hab ich mir angeguckt abends, und wenn Du dann Otto Sander und Katja Epstein siehst, die die Menschenrechte verlesen, und Jean-Michel Jarre auch noch auf französisch, dann bist Du gegen die Menschenrechte. Dann mußt Du einfach dagegen sein, das kann doch nicht so stimmen. Und da wär' der Bogen glaube ich zu weit. Also als Berater weiß ich nicht. Ich finde ja Politiker, also ich bezeichne mich nicht als Visionär, aber Beuys ist für mich so einer gewesen. Und da sind ja auch die Grünen drauf eingestiegen, war ja gut, daß da so einer 'mal ein bißchen rumgesponnen hat. So ein Naumann ist kein Visionär, so ein Stollmann ist kein Visionär, letzten Endes ist das alles weg. Wenn man ne Berufssparte einrichten würde, wo es dann drei vier gibt, die sich erlauben dürfen, so ganz abwegig zu denken, würde man das natürlich gerne machen. Würde man sich gleichzeitig auch dafür schämen, und würde sich selber auch dermaßen in ein Gefängnis einschließen. Denn ich kann nur aus der Selbstüberforderung heraus was Neues bauen. Und genau bei der Überforderung setzt dann der Zweifel ein, und dann kracht das irgendwo gegen. Also wäre das glaube ich ganz schwierig, zumal ich an die Kulturhaltung der Sozialdemokratie noch nie geglaubt habe. Also mir ist die von der CDU/CSU auch zuwider aber sie haben natürlich immerhin einen Background, wo sie dann sagen: Das haben wir aber schon mal gehabt. Während Herr Schröder beim BE sagt: "Ich habe mir die Kunst erarbeiten müssen." Da fängt dann schon das Problem an.

ARTECHOCK:
Weil ich selbst "Chance 2000" noch nicht auf der Bühne gesehen habe, wüßte ich gerne: Das was jetzt überhaupt passiert, was ist das ?

SCHLINGENSIEF:
Also das größte Theaterstück aller Zeiten sagen wir dazu. Mit einer Zirkusvorstellung. Es hat Vorläufer in dem, was wir auf der documenta gemacht haben, und in Hamburg auf der Bahnhofsmission. Da ist die Bewegung entstanden, aus dem Theater mal rauszugehen, sich zu entfernen, und eben auf der documenta im Kunstraum 48 Stunden zu übernachten. Es hatte also einen Anteil von Leben, der auch durch die Behinderten und diesen anderen Menschen, besseren Menschen auftaucht. Und ich glaube daß das die Qualität ist von "Chance".
Jetzt je enger die Wahl ist, versucht man einen Fehltritt zu konstruieren. Ich komm mir dann vor wie der Neben-Clinton, der hat da mit der Zigarre an irgend'ner Levinsky rumgefummelt, und ich hab' mit 6 Millionen Arbeitslosen geschlafen oder gebadet.

ARTECHOCK:
Ja die 6 Millionen sind ja dummerweise nicht gekommen, zum Wolfgangsee.

SCHLINGENSIEF:
Ja, diese Reflexionsebene fehlt aber eben in dem Ganzen: Der Bürgermeister, der das ja verboten hat, das Streichen der gesamten Gelder, die Morddrohung und die Absage von mir, tauchen ja nirgendwo auf. Das ist medial interessant: Man hat das angekündigt, aber das ist es auch.
Die 6 Millionen, davon sind wir inzwischen auch überzeugt, sind autonom, der Masse-Begriff der Linken oder der Rechten geht gar nicht mehr auf, funktioniert nicht, und diese Situation nennen wir eben "Abschied von Deutschland". Wenn man zuwenig Geld hat, und es sich eben nicht leisten kann, wie in den 60ern, 70ern in die Toscana oder Gomera abzuhauen. Selbst mit Geld würde man es wahrscheinlich nicht machen. Man sitzt hier und geht auf Distanz zu dem System.
Das ist das, was ich eben auch medial interessant finde: Das Bild ist tendenziell genial: Die 6 Millionen gehen dann baden, dann steigt das Wasser, und der See läuft über - auf jeder Veranstaltung, wo wir Unterstützungsunterschriften gemacht haben, waren glühende Augen. Aber wenn es dann nicht eingelöst wird, spielen die Umstände weshalb der dritte Weltkrieg nicht begonnen hat, ... keine Umstände, einfach nicht gekommen.
Andererseits ist es aber auch beruhigend, daß es nicht gekommen ist. Ich weiß nicht, was ich da gemacht hätte.

ARTECHOCK:
Hätte es Dich erschreckt, wenn alle gekommen wären ?

SCHLINGENSIEF:
Ja absolut, schon 10.000 oder 1.000. Ja, ich bin da nicht so 'nen Fan von.

ARTECHOCK:
Es war ja so bei Deiner "Tötet Helmut Kohl"-Aktion, daß da plötzlich alle wirklich mitgeschrien haben. Und das hatte Dich doch damals auch ziemlich erschreckt, habe ich gehört.

SCHLINGENSIEF:
Aber es war ja nicht so, ich hab ja nicht im Radio gesagt, wir treffen uns jetzt da morgen im "Prater" und rufen: "Tötet Helmut Kohl". Sondern das war ein auslaufendes Theaterstück, das da nochmal seinen Endpunkt hatte. Und man hat ja den Zuschauern auch die Möglichkeit gegeben und gesagt: "Wer gegen uns ist, läuft links raus, und wer für uns ist, geht rechts raus". Und dann sind eben mehr Leute rechts rausgegangen, 400, und links 150. Der Rest ist dann mitgelaufen.
Ich hatte damals 'ne Wohnung gesucht, und einen superkorrekten Makler, und an dem Abend, als wir die Leute da aufgesammelt haben, um Bretons surrealistisches Manifest zu üben, da tauchte der auf, und hatte so 'nen Hütchen auf und ein DDR-Fähnchen in der Hand, und sagte: "Ich fand's ganz toll, ganz toll". Also einer, der aus 'ner ganz anderen Ecke kam. Das versteh' ich dann auch nicht.
Ja und so ist dieses "Chance 2000"-Ding auf die Straße gegangen, hat dann auch Kontakt aufgenommen, mit Arbeitslosen-Splittergruppen. Und der erste Parteitag endete dann auch gleich in der Spaltung, als ich dann sofort ausgestiegen bin, weil dann die Lobbyisten ausbrachen, das gibt es auch als Hörspiel auf 2 Cassetten, inklusive Spaltung. Das setzen wir jetzt auch in Berlin ein, auf der Kunstbiennale.
Diese ganze Welt, die sich da auftut: diese Splittergruppen, die dann gleich ihre eigenen Plakate und Parolen haben, und dann muß man gleich 10 Forderungen auswendig lernen, sonst kommt man nicht in die Gruppe rein. Da herrscht Mißtrauen hoch 10: "Der will uns nur ausnutzen", und dann sag ich: Versuchts doch mit denen - "Nein, mit der Gruppe wollen wir gar nichts zu tun haben". Also jede Gruppe will mit der anderen gar nichts zu tun haben. Und wenn jetzt einer kommt, der eventuell auch von ihrer Seite aus funktionalisierbar wäre, wie ich, -wenn ich damals die Chance hatte, viel ins Mikrophon zu reden, hätte man das ja echt zusammenkippen können-, dann haben wir erlebt, daß das auch nicht geht.
Dann haben wir Besuch im KaDeWe gemacht, "Belagerungszustand durch Nichtstun", das war hochgradig beunruhigend, sodaß wir da dieses Hausverbot bekamen. Oder wir fuhren rechts die Rolltreppe hoch mit 80 Leuten, und links fuhren dann eben 20 Sicherheitskräfte mit. Also ganz merkwürdige Situationen, die wir auch als "Überprüfung der Marktwirtschaft" bezeichnet haben. Oder das "Hotel Cora", wo man für 30-80 Mark Zelte mieten konnte, und dann übernachten. Mit mir als Hotelleiter und diesen Behinderten als Hotelpagen. Und ich habe dann auch agitiert, auch mal Zelte zerstört und Leute am Schlafen gehindert und solche Sachen.
Das hatte alles einen ganz tollen Versuchscharakter. So wie ich auch "Chance" betrachte: Als Freilandversuch: es einfach zu tun, Argumente zu suchen, daß System auf keinen Fall in dieser Form überleben kann. Und weil man ja Überlebenswillen hat -das hat ja auch der Deutsche, weil er eben doch wieder Kohl wählt-, weil man denkt: Das Ganze muß alles so bleiben, und das werden wir schon retten –sind ja alles jetzt plötzlich kleine Chefärzte geworden-; das man also überprüft: Was kann so ein System aushalten. Und es kann nicht viel aushalten, daß hat man an der RAF gesehen, da dreh'n sie irgendwann durch.
Deswegen sind wir jetzt nicht die Nachfolgeorganisation der RAF, aber wir spielen mit dem Gedanken, aufgrund der Erfahrungen der 90er Jahre und des Medienzeitalters, jetzt einen öffentlichen "Familiären Terrorismus" einzuführen. Damit sind soziologische Krisenexperimente gemeint. Als zum Beispiel: Jeder geht nach Hause, zu seiner Mutter, wo er 20 Jahre lang aufgewachsen ist, und fragt nach dem Essen: "Wo ist hier die Toilette ?" Als ob er nocvh nie dortgewesen wäre. Oder am Sonntag bei der Wahl: wenn Kohl 16 Jahre lang auf seinem Regierungssessel gesessen hat, dann kann man ja wohl einmal 16 Stunden in der Wahlkabine sitzen, und sich für seine Stimmabgabe Zeit nehmen. Also fordere ich alle auf: Nehmt Euch etwas zu essen mit am Sonntag in die Wahlkabine, und bleibt da einfach 16 Stunden lang sitzen. Darum ist der 27.September auch kein Datum mehr, es geht weiter.
Wenn man jetzt wirklich Geld hätte, einen Millionär findet, der einem 20 Millionen gibt, könnte ich jetzt sicher –weil auch Wirtschaftswissenschaftler dazugekommen sind- mit den Erfahrungen, was nicht geklappt hat, was aber klappen könnte, ein fast konzernhaftes Ding aufbauen. Wir versuchen das jetzt im Kleinen, aber man könnte ein Management aufbauen, das ganz klar affirmativ das andere System mittransportiert, überholt, zerstört und die subversive Kraft des Einzelnen fördert.
Das ist ein Erkenntnisprozeß, den man da gemacht hat, und das Wolfgangssee-Abenteuer hat uns dazu gebracht. Wenn da jetzt wirklich 10.000 aufgetaucht wären, oder ne Million, da wäre der Horror im Kopf ausgebrochen.
Jetzt ist aber was anderes passiert. Daß das die Medien nicht zur Kenntnis nehmen können ist auch klar, weil der Selbstzersetzungsprozeß immer interessanter ist. Wir haben 3600 Artikel gesammelt, das ist gigantisch, was das Ding gefahren hat. Selbst "Liberation" oder spanische Zeitungen. Und bei diesem Konkurs: Da haben wir 185 staatstragende Artikel bekommen. Auch der Bundeswahlleiter hat uns geschrieben: "Parteien sind nicht käuflich".
Aber natürlich sind die käuflich, wir haben es ja vorgeführt, im Moment führen wir's auch noch vor. Optionsscheine kann man erwerben, in Hamburg haben wir Stück 50 verkauft. Ist auch nicht schlecht für die Kasse. Die Parteien sollen zugeben, daß sie Konzerne sind. Nach der Wahl sind sie alle käuflich, wir sind schon vor der Wahl käuflich. Die alle sinDie Tour ist so angelegt, daß wir bis 27.September mit 7000 Mark plus aus der Sache herauskommen. Sonst sind wir wirklich verschuldet.
Dieses aufgebaute Wirtschaftssystem ist "ideelles Kapital", das ist letztlich nicht in Geld auszudrücken, und deshalb muß man jeden Einzelnen zu einem Profitcenter machen. Natürlich ist er es nicht, aber wenn er es wäre, könnte er mit seinem Ideal wuchern.
Das materielle Kapital wächst und wächst, und wird dann in immer weniger Hände gelangen. Das fordert auch der Chancist, er sagt: Am Ende soll es nur noch einer haben, dann wissen wir, wen man erschießen kann.
Das ideelle Kapital ist sowieso da.
Eine neue Parole ist: "Macht Fehler", also in die Betriebe zurückkehren, und dort die Fehlerquote erhöhen. Das ist sogar im modernen Management so, daß ie sagen: Fehler sind ganz wichtig für die Betriebe, auch zur Identifikation mit dem Unternehmen.

ARTECHOCK
Auf der einen Seite funktioniert das ja ganz gut, daß man das System -wie Du es nennst- wiederspiegeln kann, auf der anderen Seite wirst Du auch dadurch sein Gefangener, es erweist sich nämlich als sehr elastisch. Wenn man gerade das letzte Jahr beobachtet, wo Du auch ein bißchen zum Medienstar geworden bist, und als Provokateur, Hofnarr -wie man es nennen will- gefeiert wirst: Da bist Du letztlich wieder sehr integriert worden. Wie siehst Du Dich da ?

SCHLINGENSIEF:
Die Integration sieht wie aus ? Wenn Du als Außenstehender draufguckst ?

ARTECHOCK
Die sieht so aus, daß es erstens ganz erstaunlich ist, in welchen Schichten es ganz akzeptabel ist, was Du machst. Leute die sich eigentlich viel mehr gegen Dich wehren müßten und aggressiver reagieren müßten, lachen darüber, finden das ganz lustig. Zum Teil verstehen sie es auch, und können das intellektuell verarbeiten, zum Teil lachen sie vielleicht, weil sie nicht wissen, was sie damit machen sollen.
Und zweitens die schlichte Präsenz in den Medien, und die Art, wie das da behandelt wird, in welche Ecke es geschoben wird: einerseits die Kunstecke, wo eh' alles erlaubt ist; andererseits die Ecke des Polit-Narren, Polit-Clowns. Und dann natürlich: Wenn dann Sachen da sind, die schiefgehen, wird es plötzlich ernst genommen und ausgeweidet: Jetzt die Geldprobleme, der Wolfgangsee, da heißt es dann: Da sieht man's mal wieder.
Ich wüßte gern, wie Du Deine Rolle da definieren würdest, ob es für Dich andere Ebenen gibt, als die genannten ?

SCHLINGENSIEF:
Für mich hat sich das nicht ergeben, richtig von Außen draufzuschauen. Das geht einfach nicht. Und ich merke, wie ich jetzt anfange, destruktiv zu werden, und Leute die sich dann dranhängen.
In Hamburg hätte ich einen famosen Abend haben können: Die haben schon am Anfang gejohlt: Hallo Hamburg. Das wäre ein Wahnsinn geworden, und am Ende dann wieder hochgerissen. Und da hat dann eine Spaltung stattgefunden. Darauf lege ich auch wert.
Sicher kann man mir Eitelkeit vorwerfen und Stolz sowieso, ich bin auch nicht unstolz auf die Sache, aber man kann es nicht nur darauf reduzieren. Es geht für mich auch immer schon am Theater und auch bei Filmen, schon mit Super 8 um Überlebenstechnik.
Und das ist glaube ich das, was ich selber nur herstellen kann, weil ich selber auch das, was ich da mache, unglaublich in Zweifel ziehe, und wenn dann Leute meinen: Der will sich da nur selbst veredeln, dann haben sie was nicht verstanden. Was ich ihnen auch nicht übel nehme.
Ich habe in den letzten Monaten ganz viele Sachen erlebt, die ich noch gar nicht verarbeitet habe, das Unterschriftensammlen, das war ein ganz schwieriger Akt, meine Freundin hat mich wirklich gehaßt.
Ich habe zum Dadaismus keinen so guten Draht, aber irgendeine dadaistische Gesellschaft hat das sehr gut gefunden, weil sie mich auf einer Aktion gesehen haben, und fanden, ich hätte da so verkniffen gestanden. Und als Dadaist darf man nicht lachen. Die Haltung ist eben wirklich ernsthaft. Und das ist auch mein Punkt. Ich habe was Ernstes vor, und das was ich tue, hat für mich einen ernsthaften Charakter. Einerseits ist es lustig, andererseits zerstört es auch, und dann ist es sehr wahr plötzlich.

ARTECHOCK
Funktioniert die Trennung überhaupt: wahr-falsch, lustig-ernst ?

SCHLINGENSIEF:
Nein, das funktioniert gar nicht. Ich betrachte mich selber extrem als Überzeugungstäter. Ich bin jetzt auch viel kraftloser, und suche nach neuen Ideen. Aber ich kann jetzt auch einen Behinderten anbrüllen, und die 6 Millionen die nicht gekommen sind begreifen als "faule Schweine" und vielleicht kommt dann was. Jetzt kommt das rechte Spektrum und sagt: Haben wir ja gleich gesagt. Vorgestern tauchten dann zwei Typen auf: "Super, Arbeitslager". Das passiert dann.
Der Stalinismus: Am Anfang alles schön zu finden, und dann wird plötzlich selektiert. Und man fängt an, an einer Ethik für sich selber zu basteln. Ein Spannungsfeld ist immer dann entstanden –das war immer so in meiner Arbeit- wo die anderen dachten, sie hätten das jetzt im Griff. Der Michael Naumann hat ja jetzt in der Frankfurter Rundschau im Interview gesagt: Chance 2000 - die Partei kennt er nicht, und dann nächster Satz: Das ist eine Partei aus dem Feuilleton, die nur da existiert.
Dieser Kampf darum: Das sind ernsthafte Dinge. Und es stimmt: Es gibt auch ein paar glückliche Arbeitslose, aber ich glaub doch mehr an die anderen. Wenn die Wahl jetzt vorbei ist, wird sich "Chance 2000" ganz anders entwickeln. Dann kommt da diese Aktion: "Künstler gegen Menschenrechte".
Man sagt öfters zu mir: Wenn Kohl weg ist, dann ist's doch für Dich auch vorbei. Und genau das stimmt einfach nicht. So ne Naumann-Äußerung ist doch ne wunderbare Kriegserklärung. Das war ein euphorischer Tag für mich.

Interview Rüdiger Suchsland


open art' 98





die open art - wie es wirklich war

Das Motto war hoch angesetzt, die Realisierung versprach Ambitiöses. Das Galerienmodell der Zukunft sollte anläßlich des zehnjährigen Jubiläums ausgelotet werden.
Ausgangspunkt war die Eröffnung am Donnerstag im Times Square Online Bistro - ein Kunstort abseits des White Cubes. Zwar sollte dort das Erlebnisspektrum des Hauptbahnhofes (zugunsten des Sponsors Deutsche Bahn AG) veranschaulicht werden, doch bot die Lokalität auch die Auseinandersetzung mit dem noch unverbrauchten Kunstmedium Internet (allerdings für DM 4.50 pro Viertelstunde). Dem gegenüber trat die Präsenz von Künstlervideos, ein Zusammenschnitt aus der Sammlung „der spiegel“ sowie ein Band von Frances Scholz, deutlich in den Hintergrund des Publikumsinteresses. Behaupten konnten sich hingegen die Geschmacksverstärker von Matthias Hammer, riesige, amorphe „Plüschdinger“, die wohltuend viel Platz im Getümmel in Anspruch nahmen. Erlebnissteigernd wirkte sich auch die großformatige Plakatkunst von Michel Majerus aus, die sich allerdings, eingereiht neben „normalen“ Werbeplakaten, vor allem dadurch (un-)bemerkbar machte, daß sie nicht beleuchtet wurde. Der Schwierigkeit beizukommen, den Durchgangsort Bahnhof zu bespielen, die sich nicht zuletzt auch bei der dokumenta in Kassel gezeigt hat, läßt sich offensichtlich nur mit megalomanen Ausmaßen lösen.
Kunst an einem Platz am Färbergraben, der sich eher als ungeschmeidige Baulücke bezeichnen läßt, war noch am gleichen Abend das Thema der transferit-Aktion, die von der Bäckerei Richart ausgelobt worden war. Zwar stand sie nicht im unbedingten Zusammenhang mit der open art, war aber dennoch Treffpunkt für Kunstgänger, da die dazugehörige Party auf dem Parkhausdeck eine zauberhafte Örtlichkeit vorstellte. Die Installationen am öffentlichen Platze füllten außerdem eine konzeptionelle Lücke, die bei der open art zu geringe Berücksichtigung gefunden hat.
Die Eröffnung der open art wurden endlich am Freitag in der biederen Rathausgalerie vorgenommen. Dort wurden außerdem skulpturale Werke von zwei jungen Künstlern gezeigt: Frank Maier zeigte mit stalagmitenähnlichen Auswüchsen und fahrbaren Gipsarbeiten eine erfrischend heitere Umdeutung der drückenden Korbbogenatmosphäre. Mit Kunstharz übergossen, schien himbeersirupartiger Ausfluß surreal-schaurige Empfindungen zu bedienen. Die plastikbespannte Verschalung des Brunnens in der Raummitte durch Wolfgang Kaiser gab zu schelmischen Umdeutungen Anlaß: „So plätschert sie dahin, die Kunst in München...“ Ohne derartigen Bosheiten Vorschub leisten zu wollen - aber, was auch im vergangenen Jahr am selben Ort aufgefallen war, ist die ausgesprochen unterschiedliche Qualität der Präsentationsarbeit der einzelnen Galerien, an deren Ständen der Besucher seine Ziele auswählen, oder gar erst zu einem Besuch angeregt werden soll.
Anders ist es traditionell nicht möglich, Herr der jedenfalls erstaunlichen Fülle zu werden. Doch bereits am Angebot war außerdem abzulesen, daß die lobenswerte Diskussionsabsicht des Galerienmodells nicht bis zu den Ausstellern durchgedrungen war. Ein befragter Galerist außerte sich dahingehend, daß neue Ausstellungsmethoden eben erst der praktischen Umsetzung entspringen. Hervorzuhebende Ausnahme bildete lediglich die Dany Keller-Galerie, die ihre Räume zum Salon umgedeutet hat. Nach eigener Aussage hat sich die Galeristin damit einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Da läd eine Couchecke zu leichtherziger Plauderei genauso wie zum Fernsehen oder Lesen ein. Zur freien Verfügung stehen außerdem Quarthefte, deren Etikett mit der Frage „Wie geht es Ihnen?“ auffordert, sich das werte Befinden ins Gedächtnis zu rufen. Eine lange Tafel samt Getränkeangebot läßt den Besucher schnell vom Galerienparcours abkommen, Schokoladenpudding „for free“ tut ein übriges. Aber auch für Aktionisten ist gesorgt: in einer Photoecke lassen sich Porträts per Selbstauslöser anfertigen. An der Wand kann man auf Papier selbst Spuren hinterlassen. Gemäß dem aktuellen Schlagwort „Kunst als Dienstleistung“ weckt der vorgestellte Ansatz Hoffnung auf neue Umgangsformen, auf einen neue Art, an Kunst herantreten zu können. Unterstützung findet dieses Ansinnen durch verschiedene Diskussionsveranstaltungen über aktuelle künstlerische Belange. Am 17. und 18. September findet beispielsweise das Thema „Chancen für außereuropäische zeitgenössische Kunst“ Gehör (jeweils 16-20 Uhr). Doch der Initative nicht genug: Dany Keller verleiht jährlich einen Galeristenpreis, der dieses Mal von der Jury der Produzentengalerie in Hamburg zugesprochen wurde.
Zu guter letzt darf man das Eröffnungsfest im Nachtcafé nicht ungenannt lassen. Das Rahmenprogramm war allerdings kaum zu bemerken. Einzig spektakulär nahm sich das essbare - aber nicht unbedingt genießbare -, zimmertürgroße Bild von Matisse alias Götz Bury aus. Aus Sparmaßnahmen wurde auf das angekündigte Hors d’Ouvre-Bild verzichtet. Man stand, wie zu vernehmen war, unter dem Druck, dem Veranstaltungsort einen Mindestumsatz hereinzuwirtschaften. Unter diesem Aspekt war die Stimmung passabel, doch sollte die Veranstaltung vielleicht auch Anlaß geben, sich über zukünftige Veranstaltungsorte der open art Gedanken zu machen und Parkgaragen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

milena greif


open art' 98 - zum 10-jährigen bestehen





die münchner ausstellungs-szene diskutiert sich und ihre zukunft
spezial-beitrag zur open-art ‘98 (I. teil)

Ein rundes Jubiläum gilt es ausschweifend zu feiern. Nach dem einige einschlägige Galerien in diesem Jahr bereits ihr zehnjähriges Bestehen begossen haben, gilt es nun, eine Institution zu würdigen, die als Initiative Münchner Galerien dem hiesigen Ausstellungsbetrieb zumindest einmal im Jahr medien- und öffentlichkeitswirksames Leben zu spenden versucht. Zehn Jahre ‘open art’ stehen für das Bestreben, die Hemmschwellen gegenüber zeitgenössischer Kunst und ihren Agenten abzubauen. In der Tat ist es traurig, daß das Angebot Kunst und Künstler in den Galerien kennen- und verstehenzulernen, noch immer verhältnismäßig wenig genutzt wird. Fragt man nach den Gründen, so mag die Fülle an Ausstellungsräumen abschrecken, kombiniert mit dem fehlenden Vermögen, die jeweilige Qualität einschätzen zu können. Zuviele populär-kommerzielle ‘Galerien’ verschleiern den Blick der ‘Nichteingeweihten’. Doch selbst an den Orten, an denen man ein Interesse an offener Auseinandersetzung erwarten muß, wird vor Galerienbesuchen zurückgeschreckt. So gibt es an dem Institut für Kunstgeschichte beispielsweise kein Seminar, das sich - notfalls auch außerhalb der festgelegten Unterrichtsstunden - zu den Galerien und Institutionen jenseits der heiligen Staatsgemäldehallen aufmacht. Hier wird deutlich, daß es wohl auch die Verbindung von Kunst und Geld ist, die die hehre Begriffsdefinition von Kunst immer noch und immer wieder zu bedrohen scheint. Mit dieser Begriffsdefinition nur schwer vereinbar scheinen auch die künstlerischen Ausdruckmittel zu sein, die nicht dem klassischen ästhetischen und handwerklichen Urteil entsprechen. Ein paar Anlaufstellen gibt es jedoch auch in München, um ‘multimediale’ Kunst zu sehen. Was muß man tun, um mehr Menschen für das Galerienwesen zu interessieren? Wie darf sich die Ausstellungsstruktur in München verändern, um spannender, bedeutender zu werden?

Der neue Hoffnungsträger der Münchner Kultur, der städtische Referent Julian Nida-Rümelin, wird am Freitag, den 11. September die ‘open art ‘98’ eröffnen, die sich jedoch keineswegs zufrieden selbst feiern wird. Denn das große Thema dieses Jahres betrifft die Zukunft des Ausstellungswesens in München und ist somit ein gehöriges Stück konstruktive Selbstkritik. In Zeiten knapper Haushaltsmittel gepaart mit einer übergroßen Dominanz populär-kulturistischer Erscheinungen stellt sich die Frage nach den Perspektiven des Kunst- und Ausstellungswesens vehement. Konkret muß nach dem Standort München gefragt werden, der sich etwas einfallen lassen darf, um sich gegen die nationale ‘Konkurrenz’ etwa aus Berlin oder Köln behaupten zu können.

Das offizielle Motto der diesjährigen ‘open art lautet 'Modell Galerie'. Die Presseankündigung weckt hohe Ansprüche an das Gesamtkonzept der ‘open art und es bleibt fraglich, ob diese erfüllt werden können. Gespannt jedenfalls darf man auf den "faktenreichen Katalog" sein, der hoffentlich Perspektiven für die Münchner Kunstszene aufweisen und nicht nur ein Rückblick auf zehn Jahre Galerieninitiative sein wird.

Aus diesem Anlaß erscheint bei Artechock die kommenden Wochen eine Reihe, die diese Diskussionen kritisch begleiten will. Schon in dieser Ausgabe findet sich ein weiterer Beitrag zur
open art' 98
sowie eine Auflistung, der an der 'open art '98 beteiligten Galerien

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