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magazin



 
besprechung
konzentrierte eindrücke

Beton aus Wachs... "log"

eine ausstellung in der artothek und eine Installation auf dem Sebastiansplatz

Das einzige Photo, das zu Lebzeiten des Pariser Photographen Eugène Atget veröfftlicht wurde, zeigt folgende Situation: Eine Passantengruppe starrt einhellig in die Luft. Niemand wird je erfahren, was diese Menschen und der Photograph in diesem Moment gesehen haben, doch nicht umsonst wählten Surrealisten dieses Bild als Titelblatt ihrer Zeitschrift.
Die gleiche Szenerie kann derzeit auf dem Sebastiansplatz beobachtet werden: Vorübereilende zögern, einige starren auf den Boden, andere starren wiederum auf die Bodenbetrachter. Ab und zu verfängt sich ein Pfennigabsatz in einem merkwürdigen Relief... - Nur wer detektivische Aufmerksamkeit walten läßt, kann herausfinden, was sich an dieser Stelle abgespielt hat. Auf einer Fläche von ca. 15 Quadratmetern wird das einheitsgraue Flächenmuster des Bodens nicht jäh unterbrochen, sondern ein wenig gestört. Pflastersteine grenzen ein Carré aus, das auf den zweiten Blick feine Spuren aufweist. Es hat sich etwas abgedrückt in den Betonplatten, man fragt sich wie das möglich sein kann. Genauer besehen offenbaren sich aufschlußreiche Indizien: Flaschenböden haben im Gestein ihr Muster hinterlassen. Wer nun glaubt, daß sich an diesem Ort Beton kurzerhand in nachgiebiges Wachs verwandelt hat, kommt einen großen Schritt voran.

umdeutung des privaten raumes



Kulturelle Aufmerksamkeit führt zu Tatort Nummer zwei: In Sichtweite befindet sich die Artothek am St.-Jakobs-Platz. Dort liegen gerade Stapel von Paraffinplatten aus, genau so groß, wie die, mit denen die Münchener Innenstadt ausgelegt ist, 6 cm dick, mit deutlichen Schmutzspuren, Abdrücken, Einprägungen von Flaschenböden... Albert Weis hatte sie in einer Küche ausgelegt, zwei Monate lang nahmen sie dort jegliche Eindrücke in ihre Oberfläche auf. Sie bewirkten somit eine Umdeutung des privaten Raumes: Vor dem Hintergrund ihres Zweckes hatte das Betreten eine bewußte Manipulation des Untergrundes zur Folge, der Bewohner agierte wie auf einer Bühne. Außerdem führte die veränderte Bodenhöhe zur Veränderung der körperlichen Raumwahrnehmung: Der Tisch war plötzlich zu niedrig, die Lampe hing zu tief. Als man beim Abwasch immer häufiger über Kreuzschmerzen klagte, wurde die Wachsschicht entfernt. Wie bei einer Langzeitbelichtung hatten sich einerseits Bewegungen in das Wachs eingegraben, und andererseits statische Ereignisse manifestiert: die Tiefkühltruhe hat ein Relief von nahezu kosmischer Qualität beigetragen. Während bei einer photographischen Aufzeichnung Bewegungsspuren aber durch Überlagerungen undeutlich werden, nahmen die Platten jeden Abdruck unwiderruflich in sich auf.
Nun veranlaßte der Künstler den Abguß in Beton und die Pflasterung an einem Platz, der wiederum als Schnittstelle zwischen Altstadtring, Parkplatz und „Stadtwohnraum“ darstellt: Der Aufenthalt dort bedingt, diese Qualität wahrzunehmen. Den künstlerischen Eingriff zu erkennen, hängt von der Aufmerksamkeit ab, und von der Bereitschaft, solche im öffentlichen Raum zuzulassen.

dem lebensraum ein spiegel



Albert Weis hat bereits in Laim eine häusliche Situation ins Freie verlegt: Im Innenhof der Tiefbau-Berufsgenossenschaft hat er den Grundriß des Wohnblocks in den Park geholt und damit dem Lebensraum einen Spiegel vorgehalten („Zuhause ist es doch am schönsten“, 1997). Während dort der Bogen assoziativ zu Ausgrabungsstätten altzeitlicher Anlagen gespannt wird, geht das Sebastiansplatz-Relief scheinbar noch weiter zurück: Wie bei Versteinerungen oder handwerklichen Spuren an steinzeitlichen Fundstücken ist man auf das Vorstellungsvermögen angewiesen, um das Wenige mit Leben und Historie zu füllen.
Wieder kann man auf den Vergleich mit der Photographie zurückgreifen, denn kein Medium ist geneigter, privates in die Öffentlichkeit zu tragen. Doch schließt sie in der Regel die Dauer aus, ist nur Ausschnitt dessen, was hier als Gesamtes auftritt. Allerdings leistet sie die Dokumentation der vorübergehenden Installation, deren Verlust man vielleicht erst dann bemerken wird, wenn im Herbst die Platten wieder verschwinden.

milena greif





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