27.11.2025
Cinema Moralia – Folge 368

Ist das echt unecht jetzt?

Udo Kier in The Secret Agent
Udo Kier (1944-2025) in seiner letzten Rolle in Kleber Mendonça Filhos großartigem The Secret Agent...
(Foto: Port-au-Prince / Central Film)

KI-Hoax, SPIO, Udo Kier, Filmförderung und europäischer Filmpreis – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 368. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»People can’t take a joke anymore.« – Salman Rushdie

»Wenn ich eine Rolle spiele die nicht die Haupt­rolle ist möchte ich so spielen dass die Leute sich an mich erinnern. Was ist sonst der Sinn dahinter?« – Udo Kier

KI-Texte und -Bilder fluten das Netz – und sie verändern nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern täuschen auch uns Medien.

Letzte Woche sind wir selbst an dieser Stelle auf so etwas rein­ge­fallen, einen KI-gene­rierten Hoax, also um Fake-News. Stichwort Barbra Streisand. Dazu unsere Anmerkung im betrof­fenen Text.

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Es sagt fast alles über die Bedeutung der Ehren­me­daille der SPIO, dass man kaum wusste, dass es sie gibt, bevor die SPIO in ihrer großen Weisheit jetzt beschloss, sie abzu­schaffen.

Dass ausge­rechnet in der gleichen Woche Andres Veiels Doku­men­tar­film über die bisherige SPIO-Ehren­preis­trä­gerin Leni Riefen­stahl im Fernsehen läuft, ist viel­leicht nur eine Fußnote, das hohe Interesse für den Film und seine Haupt­figur aber bezeich­nend. Anlass genug, nochmal auf unsere Kritiken zum Film hinzu­weisen.

Vor allem die SPIO-Meldung von letzter Woche ist aber Anlass, wieder einmal über die Größen des Nazi-Kinos nach­zu­denken. Die Hamburger Philo­so­phin Mirjam Schaub, die gerade eine bedeu­tende Unter­su­chung über Radi­ka­lität veröf­fent­licht hat, schrieb mir in einem Facebook-Post zum Thema, ihr »Verdacht« sei, »dass nicht die (wenigen) echten Fanatiker und Über­zeu­gungs­täter das Problem sind, sondern die (zahllosen) Mitläufer und Oppor­tu­nisten, die ihnen im voraus­ei­lenden Gehorsam folgen.«
Das trifft unbedingt zu. Und Rühmann war eher genau so ein Mitläufer und Oppor­tu­nist, trotz der großen Nähe zu den Macht­ha­bern und der von ihm insze­nierten Home-Videos für Goebbels.

Wir werden uns darum in den nächsten Wochen genauer und gründ­li­cher mit den lachenden Film-Erben der »Deutschen Diktatur« (Karl Dietrich Bracher) beschäf­tigen.

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Aber Moment mal – Heinz Rühmann ein Nazi? Potzblitz! Na sowas!! Wer hätte das gedacht.

Dass Heinz Rühmann ein Nazi & Oppor­tu­nist übelster Sorte war, kann nur dieje­nigen über­ra­schen, die blind sind für deutsche Film­ge­schichte. Niemals hätte er eine SPIO-Ehren­me­daille überhaupt bekommen dürfen; dass er es trotzdem tat, kann aber auch nur Menschen über­ra­schen, die weder von der Geschichte der SPIO, noch von deutscher Nach­kriegs­zeit irgend­eine Ahnung haben.
Genau deswegen habe ich aber auch ein »blödes Gefühl« mit den Wellen an wohl­feiler Empörung, Ehren­preis­a­b­erken­nungen und Nach­fol­ge­stu­dien, die die verdienst­volle IfZ-Studie über die NS-Belastung der SPIO jetzt auslöst.
Das alles wirkt wie nach­ge­holter Wider­stand, verspä­teter Aktio­nismus und Symbol­po­litik. Aufar­bei­tung ist das Gegenteil von Säube­rungen, erst recht, wenn sie an Toten sich ausagieren.
Viel wichtiger wäre es, den Oppor­tu­nisten heutiger Tage entge­gen­zu­treten, und alle rechts­ra­di­kalen, anti­se­mi­ti­schen und menschen­feind­li­chen Tendenzen unserer Gegenwart zu bekämpfen. Das ist aber natürlich auch viel unbe­quemer, als noch eine Vergan­gen­heits-Studie in Auftrag zu geben und Ehren­preise zu streichen.

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Hans Rühmann und Udo Kier – man möchte diese Namen gar nicht in einem Atemzug nennen. So groß ist der mora­li­sche und poli­ti­sche und ich glaube auch künst­le­ri­sche Abgrund zwischen ihnen. Aber beide waren Schau­spieler, und nun ist Udo Kier leider in dieser Woche gestorben, während Heinz Rühmann weiterhin als Untoter zwischen uns herum­geis­tert und manchmal, so fürchtet man, leben­diger ist, denn je.

Udo Kier wiederum habe ich leider etwas zu spät kennen­ge­lernt. Erst in den letzten fünfzehn Jahren haben wir uns ein paar Male gesehen. Um so dankbarer bin ich ihm dafür, dass er Lust hatte zu einem für ihn sehr seltenen Ausflug in den Doku­men­tar­film, und 2018 die Synchro­ni­sa­tion meines Films »Hitlers Hollywood« übernahm: Auf Englisch mit seiner weichen Stimme und seinem unver­gleich­li­chen German Accent. Hier eine kleine Kostprobe. Ansonsten bleibt ein Berlinale-Lunch in Erin­ne­rung, und vor allem ein Abend in Cannes, gemeinsam mit Sven von Reden und einigen Gläsern Rotwein im »Le Crillon«, das leider wie so vieles jetzt auch schon Geschichte ist. Udo erzählte von seinen Anfängen, von Fass­binder, von Köln. Unver­gess­lich!

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Wir wollen artechock nicht über­schätzen. Es liegt also sicher nicht an unserer Bericht­erstat­tung über die Causa Weimer vor einer Woche, dass Wolfram Weimer am Tag danach angekün­digt hat, seine Anteile an der gemein­samen Firma mit seiner Frau, der »Weimer Media Group«, die auf dem von ihr veran­stalten Tegernsee-Gipfel ihren Kunden gegen Geld Einfluss auf die geladene Polit-Prominenz verspro­chen hat, einem Treuhänder zu übergeben.
Wir glauben natürlich jetzt alle, dass Wolfram Weimer und seine Frau sich künftig am Abend nie mehr fragen werden: »Schatz, wie war Dein Tag?« und dabei auf die netten Kabi­netts­kol­legen des Gatten kommen, die so gern die netten Kunden der Gattin kennen­lernen würden – und nennen es Demo­kratie und »Lobby­con­troll«.

In jedem Fall hat der Kultur­staats­mi­nister damit theo­re­tisch noch mehr Zeit, sich endlich um die über­fäl­lige Reform der Film­för­de­rung und die Einfüh­rung einer Inves­ti­ti­ons­ab­gabe zu kümmern. Hoffent­lich fragen alle inves­ti­gativ enga­gierten Kollegen hier genau so engagiert nach, auch wenn das Thema weniger »sexy« wirkt. Dafür ist es wichtiger.

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»Die Mitglieder der Projekt­kom­mis­sion müssen darauf hinweisen, dass die Förderung des vorlie­genden Projekts aus recht­li­chen Gründen nicht möglich ist, da das Konzept das poten­ti­elle Filmen von Geset­zes­ü­ber­tritten vorsieht. Außerdem wurde in Frage gestellt, ob mit dem zu wenig bekannten Prot­ago­nisten ein breiteres Kino­pu­blikum ange­spro­chen werden kann. Leider konnte dem Projekt daher keine Förder­prio­rität eingeräumt werden.«
Eine Absage aus Öster­reich.
Der Regisseur kommen­tiert dazu ganz zu recht: »GROSSARTIG! Wir sind also in unserer ›freien Gesell­schaft‹ bereits an dem Punkt ange­kommen, wo man als Künstler, Jour­na­list und Filme­ma­cher von der Kultur­för­de­rung vorab krimi­na­li­siert, margi­na­li­siert und verhin­dert wird. Man sollte sich in der Tat Fragen stellen. Man sollte diese Fragen laut stellen. Bloß kein MeToo. Bloß kein Ibiza Tape. Bloß kein George Floyd am Smart­phone-Mitschnitt. Bloß kein inves­ti­ga­tiver Jour­na­lismus. Bloß keine Häss­lich­keit. Bloß keine Makel auf laut machen. Weil: Wir sind die Guten. Wir haben keine Flecken. Wir machen keine Fehler. Alles, was bezich­tigt und hinter­fragt, kann weg. Das sind die Bösen. Inter­es­siert eh keinen. Kennt eh niemand.«

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Wer hat schon gemerkt, dass der Europäi­sche Filmpreis abge­schafft wurde? Jeden­falls in diesem Jahr.
Seit 37 Jahren, seit 1988 wurde der Europäi­sche Filmpreis immer im Dezember zum Abschluss eines laufenden Jahres vergeben. Eine schöne Tradition. In Zukunft soll er immer im Januar vergeben werden, in diesem Fall am 17. Januar 2026 im Berliner »Haus der Kulturen der Welt«. Die Verant­wort­li­chen verspre­chen sich davon, wie es heißt, »eine größere Sicht­bar­keit des Preises.« Ob das wirklich passiert, zwei Wochen nach Silvester und drei Wochen nach Weih­nachten, wenn manche noch im Skiurlaub sind, darüber kann man seine Zweifel haben.

In jedem Fall aber gibt es hinter den Kulissen schon eine ganze Menge Gemecker vor allem von jenen Verlei­hern und Produ­zenten, deren Filme nicht nur für den Europäi­schen Filmpreis, sondern vor allem für den Academy Award, den Oscar Anfang März nominiert sind. Sie fürchten, dass der Europäi­sche Filmpreis nun noch weniger Effekt hat, als er bisher schon hatte und weder Menschen vor Weih­nachten ins Kino bringen noch einen Schub für den Oscar bringen wird, weil die Abstim­mungen für den Oscar ja bereits im Januar statt­finden.

Es ist und bleibt einfach irgendwie verkorkst und unlocker mit diesem Europäi­schen Filmpreis.

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Die ARD verwan­delt sich in ein zweites ZDF. Sie ist nach den neuesten Programm­re­formen nicht mehr ein viel­fäl­tiger Sender mit verschie­denen Stimmen, die unter­schied­li­chen Regionen Deutsch­lands zur Geltung bringen, sondern ein zentra­lis­ti­scher Sender mit verschie­denen Landes­stu­dios, die Teil­seg­mente des Programms verant­worten. In dieser Struktur ist eine immer weitere Zentra­li­sie­rung aber syste­misch und insti­tu­tio­nell bereits angelegt: Denn ähnlich wie bei der Bundes­re­gie­rung, die ja ein paar Teile ihrer Regie­rungs­ge­bäude in Bonn und den Rest in Berlin liegen hat, wird auf Dauer das Argument der Kosten­re­duk­tion und der Effi­zi­enz­stei­ge­rung greifen.