26.06.2025

Filme für alle Geschmäcker!

Filmfest München: Filme für alle Geschmäcker
Filmtitel wie Eissorten: Vielfalt ist das Markenzeichen des Filmfest München (Zum Vergrößern hier klicken)
(Zeichnung: Niko B. Urger)

Gut gelaunt geht das Leitungsduo aus Christoph Gröner und Julia Weigl in ihre zweite gemeinsame Ausgabe. Zum Auftakt des 42. Filmfest München

Von Dunja Bialas

Kein Wunder, dass sie bestens gelaunt sind: Im April erhielt das Leitungsduo des Filmfest München für weitere fünf Jahre einen Vertrag. Damit sind Christoph Gröner und Julia Weigl beauf­tragt, das zweit­größte Film­fes­tival Deutsch­lands bis 2030 zu führen, viel Zeit und Planungs­si­cher­heit genug, um dem Festival eine eigene Hand­schrift zu geben. Doch jetzt setzen sie erst einmal auf das, was sie letztes Jahr, ihrem ersten gemein­samen Leitungs­jahr, erprobt haben. In vielem könnten wir jetzt ganz einfach auf unseren letzten Auftakt­text verweisen oder schnell copy­pasten.

Es gibt also wieder: den verschwom­menen Film­fest­be­ginn mit dem Warm-up-Freitag und dem Opening-Samstag. Es gibt immer noch die »Cinewaves«-Preis­tro­phäen. Die Reihen wurden nicht umbenannt und haben noch wie letztes Jahr das Cine-Präfix. Wieder heißt das über­ge­ord­nete Motto »Pack die Badehose ein« bzw. »Bring your swimwear« – zum gemein­samen Planschen in der Isar jeden Morgen gegen 9 Uhr an der Trau­er­weide-Insel.

Keine News, viele Geheim­tipps

Das war nun der erste »artechock«-Geheim­tipp für dieses Festival, das mehr denn je von Geheim­tipps lebt. Denn wo an der Ober­fläche alles gleich­bleibt, ändert sich an der Tiefen­struktur doch einiges – wie natürlich das Film­pro­gramm ein gänzlich anderes als letztes Jahr ist, siehe dazu unserer Empfeh­lungs-Marathon am Ende des Textes. Eine Meldung im Zusam­men­hang mit der News zum Leitungsduo ist, dass es wieder einmal entgegen der Ankün­di­gung vor zwei Jahren, als Gröner zum Inte­rims­leiter berufen wurde, keine Ausschrei­bung für eine Festi­val­lei­tung gab. Dieses Modell macht anschei­nend Schule.

An dieser Stelle können wir uns darüber aber weniger aufregen als vor ein paar Monaten anläss­lich der Neube­set­zung der DOK.fest-Leitung. Auch das Filmfest München ist Mitglied in dem Verein AG Film­fes­tival mit dem strengen Code of Ethics, der vorsieht, dass Leitungen ausge­schrieben werden müssen – eigent­lich. Aber: Selbst wenn Christoph Gröner und Julia Weigl – oder Gröner­weigl, wie wir sie gerne nennen – nach wie vor in allen Pres­se­mel­dungen aus einem Munde sprechen und auch beim persön­li­chen Gespräch mühelos die ange­fan­genen Sätze des jeweils anderen beenden, sind sie weder verwandt noch verschwä­gert.

Das Film­festduo Gröner­weigl hat so auch im zweiten Jahr ihrer Zusam­men­ar­beit Skandale und Fett­näpf­chen nicht zu befürchten. Das zeigt auch, wie geschickt und trans­pa­rent sie in ihrer Kommu­ni­ka­tion sind. Auch wenn für unser Dafür­halten hin und wieder noch zu viele Pres­se­mit­tei­lungs­sprech­blasen im Raum stehen, definiert sich der neue Filmfest-Stil durch Indi­vi­dua­lität, Leben­dig­keit und Persön­lich­keit. Die Leitung reprä­sen­tiert nicht zwingend »Glamour« und verkün­s­telt sich dabei (wie es bei Iljine der Fall war), sondern sie lebt das Filmfest, rund um die Uhr, und strahlt dabei eine gewisse Sport­lich­keit aus. Pack die Badehose ein!

Koope­ra­tionen: Diese Freunde kann keiner mehr trennen

Die Programm­aus­wahl haben sie neu struk­tu­riert, erzählen Gröner­weigl im Gespräch. Wo es vormalig das Verant­wort­li­chen­prinzip einzelner Programmer für einzelne Reihen gab, gibt es jetzt eine dialo­gi­sche Kuration, bei der das künst­le­ri­sche Leitungsduo auf jeden Fall mitreden und vor allem auch mitge­stalten möchte. Julia Weigl weist außerdem mit Nachdruck auf die Wich­tig­keit der »Kontex­tua­li­sie­rung« hin, will man heute ein Festival erfolg­reich machen. So gehe es immer weniger um Einzel­film-Solitäre, um die herum sich der Erfolg des Festivals quasi von allein ergibt. Sondern mehr um Quer­ver­bin­dungen im Programm und um Koope­ra­tionen mit anderen Insti­tu­tionen in der Stadt. So dieses Jahr mit dem »Festival der Zukunft«, bei dem XR präsen­tiert wird, mit den Münchner Kammer­spielen und dem CSD mit einem »Abend zu ukrai­ni­scher Folklore« mit dem Stummfilm Erde von Oleksandr Dowschenko. Auch die »guten Freunde« Museum Brand­horst und Filmfest »kann niemand mehr trennen«, wie es in der Festival-Programm­zei­tung heißt: Wie schon in den Vorjahren werden hier Arbeiten bildender Künstler in den filmi­schen Kontext gestellt. Zu sehen sind Werke von John Cage, Merce Cunningham, Cy Twombly und anderen. Empfohlen sei in diesem weit­schwei­figen Ausflug in andere Künste die Schla­ger­pa­rade zu Fass­binder. Zum 80. Geburts­tags des »noto­ri­schen Filme­ma­chers« (Programm­zei­tung) präsen­tiert das Filmfest im Pavillon 333 in der Türkenstr. 15 eine Ausstel­lung zum Einsatz der Schla­ger­musik bei Fass­binder. Täglich wird zum gemein­samen Hören und Reflek­tieren seines Hörspiels »Ganz in Weiß« einge­laden, das Fass­binder zusammen mit seinem Kompo­nisten Peer Raben 1970 reali­siert hat (Listening Sessions 13:00-18:30 Uhr).

Empfeh­lungs­ma­ra­thon: Filme für alle Geschmä­cker

Nicht nur Seiten­blicke, auch Filme gibt es »für alle Geschmä­cker«, wie auf der Filmfest-Website gedichtet wird. Endlich eine Steil­vor­lage für unseren Auftakt-Cartoon! In der Tat ergibt sich beim Durch­blät­tern des Programms der Eindruck, dass einfach alles vertreten ist, dass dies aber noch nicht einmal von Nachteil ist. Denn so ist tatsäch­lich große Varianz und Vielfalt garan­tiert. Achtung, es folgt ein Empfeh­lungs­ma­ra­thon!

Es gibt Gewin­ner­filme und Starfilme der wichtigen Festivals. So Joachim Triers Senti­mental Value, Mascha Schi­lin­skis In die Sonne Schauen, Oliver Laxes Sirât oder Richard Link­la­ters Nouvelle Vague.

Es gibt Geheim­tipp­filme, die nicht breit rezipiert wurden, aber Garanten für ein cine­as­ti­sches Film­erlebnis sind. Darunter zwei Filme des phil­ip­pi­ni­schen Meisters des Slow Cinema Lav Diaz (Magellan, Phan­to­smia) und den epischen Must-See-Film O riso e a faca (I Only Rest In The Storm) des Portu­giesen Pedro Pinho.

Außerdem gibt es viele Wieder­sehen mit alten Bekannten: einen neuen Film von Christian Petzold mit Paula Beer (Miroirs No. 3, Filmfest-Abschluss­film), einen neuen Film des Mexi­ka­ners Nicolás Pereda (Lázaro de noche), gleich zwei Filme des US-Inde­pen­dent Alex Ross Perry (Video­he­aven, Pavements), François Ozons Quand vient l’automne (Wenn der Herbst Naht), und, spek­ta­kulär und hoch­gradig über­ra­schend, umwerfend komisch und dabei dennoch tief­traurig: Hard Truth von Mike Leigh. Unsere besondere Empfeh­lung unter vielen Empfeh­lungen!

Als außer­ge­wöhn­liche Filme zu empfehlen sind die kolum­bia­ni­sche Melan­cholie in Un Poeta von Simón Mesa Soto, die israe­li­sche Natio­nal­hymnen-Satire Yes von Nadav Lapid und Daniel Hoesls Kapi­ta­lismus-Kritik Un Gran Casino. Auch der Kroko­dil­wil­derer-Doku­men­tar­film Al oeste, en Zapata des Kubaners David Bim sei erwähnt, selbst wenn er nicht zu unseren Lieb­lings­filmen zählt. Wer Musicals mag, kommt bei Anne Bonnins Partir un jour (Nur für einen Tag) auf seine Kosten, dem dies­jäh­rigen Eröff­nungs­film von Cannes.

Newcomer haben dieses Jahr ihre großen Auftritte, so auch beim Filmfest: Lilith Kraxner und Milena Czer­novsky kommen mit ihrem Film Bluish (Gewinner FIDMar­seille 2024), Alexandra Makarová kommt mit Perla und Ehemann Simon Schwarz, einem sehr tollen Migra­ti­ons­film, der bis in die Zeit des Kalten Krieges zurück­reicht. Dieses Jahr feiern außerdem etliche Schau­spieler:innen ihr Regie­debüt, so auch Harris Dickinson mit der Obdach­losen-Ballade Urchin.

Und dann gibt es natürlich noch das Neue Deutsche Kino mit Welt­pre­mieren, das Aushän­ge­schild des Filmfest München, das sich mit dieser Reihe zum wich­tigsten Festival Deutsch­lands macht. Das Kura­to­rium aus Gröner­weigl und Urs Spörri achtet auch hier auf ästhe­ti­sche Diver­sität, die als Marken­zei­chen der neuen Leitung gelten darf. Wir empfehlen blind: Unterwegs im Namen der Kaiserin von Glamour-Femi­nistin Jovana Reisinger und Das Glück der Tüchtigen vom mutigen Franz Müller, eine Art Sequel zum gran­diosen (und gesehenen!) Die Liebe der Kinder.

42. Filmfest München
27.6.–6.7.25

»artechock« berichtet täglich vom Filmfest München, mit Kurz­kri­tiken, Lang­texten, Inter­views und Podcasts!