22.05.2025
78. Filmfestspiele Cannes 2025

Die Geschundenen

Magellan
Farbtupfer in Dunkelheit
(Foto: Filmfestspiele Cannes | Lav Diaz)

Lav Diaz’ »Magalhaes« zeigt in »Cannes Premières« den Horror der gewaltvollen Kolonialisierung der Philippinen im 16. Jahrhundert – und erhebt das filmische Tableaux zur Historienmalerei

Von Dunja Bialas

Eine Mitter­nachts­pre­miere. Schon die Festivals von Locarno und Berlin hatten dem phil­ip­pi­ni­schen Filme­ma­cher Lav Diaz den roten Teppich ausge­rollt, nun ist er auch in Cannes ange­kommen. Dies jedoch in der Sektion »Cannes Premières«, in der sich Filme versam­meln, die es in keine der Wett­be­werbs­sek­tionen geschafft haben, sich dennoch über die persön­liche Selektion von Festi­val­leiter Thierry Frémaux freuen können. Ein Nischen­pro­gramm also, das mit einiger Aufmerk­sam­keit ausge­stattet ist. Nur findet diesmal die Cannes-Premiere zur Geis­ter­stunde statt, was eine harte Probe ist, ist Lav Diaz doch einer der großen Wegbe­reiter des Slow Cinema.

M., der Magalhaes schon auf dem Markt begut­achten konnte, bemängelt trotzdem, dass der Film viel zu schnell geschnitten sei. Es gebe eine Neun­stun­den­fas­sung, kolpor­tiert er, und jetzt schon einen zweiten Teil, der dann auf jeden Fall neun Stunden lang vom Leben der Frau Magellans, Beatriz, erzählen soll. Mit 156 Minuten muss man Magalhaes tatsäch­lich zu den Kurz­filmen von Lav Diaz rechnen.

Dass es überhaupt eine wenn auch halb­her­zige Cannes-Plat­zie­rung gibt – warum nicht wie Pedro Pinhos O Riso e a Faca in »Un certain regard«? –, dazu mag neben der kürzeren Länge womöglich geholfen haben, dass Albert Serra produ­ziert hat, wie auch die Besetzung von Gael García Bernal als portu­gie­si­schem Seefahrer Magellan, der unter der spani­schen Krone zum »Entdecker« wurde. Mit Amusement entnimmt man dem Cast auch den Namen Roger Koza, Film­kri­tiker aus Argen­ti­nien und Kurator des Filmfests Hamburg, der Afonso de Albu­querque spielt. Er habe geschnitten und geschnitten, weiß F. aus Portugal zu erzählen, deshalb habe es lange gedauert, bis der Film in der Cannes-Fassung vorlag, und da sei es zu spät gewesen für eine andere Sektion. Geschnitten hat Lav nicht nur den Film, sondern auch seine langen Haare. Ein Symbol der Anpassung?

Zumindest nicht, was das Herz seines Films betrifft. Selbst wenn er nun ein kurzer, kino- und festi­val­kom­pa­ti­bler Film ist, in Farbe und sogar mit einem Star, ist sich Diaz treu geblieben. In all seinen Filmen hat er sich der Historie des Archipels zugewandt, das sukzes­sive kolo­nia­li­siert wurde, zuerst durch die Spanier, dann, im frühen 20. Jahr­hun­dert durch die Ameri­kaner. Sein Thema ist die geschun­dene Seele der Phil­ip­pinen, die tragische Gewor­fen­heit des Volks, das Lav als Dosto­jew­ski­sche Schuld-, Sühne- und Rach­e­plots erzählt, in gedehnten Gangster- und Outlaw-Geschichten. Erzählt hat er von den Frei­heits­kämp­fern, von den gefei­erten Natio­nal­dich­tern, und auch von den Arri­visten, der Miliz, den Bonzen und den korrupten Maul­helden, aber auch und vor allem von den Verlie­rern der Geschichte.

Diesmal geht es mitten hinein ins 16. Jahr­hun­dert, in das satte Grün der Insel-Vege­ta­tion. Wir sehen die Bewohner, die nur aus der euro­his­to­ri­schen Perspek­tive »Indigene« genannt werden sollten, mehr oder minder nackt auf den Feldern arbeiten und mit Macheten im üppigen Dschungel hantieren. Das nimmt sich ethno­lo­gisch aus, durch die für Diaz unge­wohnte Farbe sehr präsent, fast wie in der Jetztzeit erzählt, ohne das histo­ri­sie­rende Schwarz­weiß seiner anderen Filme. Von der blutigen Kolo­nia­li­sie­rung, die auf diese ersten Bilder folgt, will Diaz in aller Deut­lich­keit erzählen.

Ein Segel­schiff nimmt Anfahrt auf die Inseln der Kabi­sayaan, mächtige Segel, knarzende Balken, Magellan blickt aufs Meer. Lav Diaz lässt die Einstel­lungen lange stehen, hat den Bildern starke Kontraste gegeben. Das Meer und die im Wind krachenden Segel dürfen in ihrer ganzen Präsenz und Wirk­mäch­tig­keit Eindruck schinden. Man sieht bald die grünen Inseln und die in der Land­schaft arbei­tenden Bewohner aus der Totalen, ein distan­zierter Blick, der sich jedoch lange Zeit nimmt. Landnahme mit einem Floß, die Soldaten der spani­schen Flotte in Blech-Rüstung. Ein sich anbah­nendes Schlach­ten­ge­mälde, das zwei Stunden später kulmi­nieren wird. Immer wieder erinnern die Aufnahmen diffus an Histo­ri­en­ma­lerei, Diaz hat seinen stati­schen Land­schaften viel Dunkel­heit mit einzelnen Licht­punkten verliehen, die Wolken türmen sich drama­tisch auf, einmal am Ufer vor den Fischer­booten sogar malerisch.

Die filmi­schen Tableaux nimmt Diaz also diesmal beim Wort. Damit kaum Bewegung generiert wird, bewegen sich die Menschen oft in die Flucht­linie hinein, wie die Bäue­rinnen und Bauern auf den Feldern.

Erzählt wird aus der phil­ip­pi­ni­schen Perspek­tive von der Chris­tia­ni­sie­rung, von den Verge­wal­ti­gungen, vom blutigen Morden, vom Verbrennen der Dörfer und Idole der indigenen Götter. Aber es wird auch davon erzählt, dass beide Seiten eine blutige Schlacht schlagen, die Indigen tragen die abge­schla­genen Köpfe der Soldaten als Todestro­phäen durch das Dorf. Und selbst wenn sie auf Kabi­sayaan am Ende Magellan töten, tragen sie keinen Sieg davon. Aufge­reiht, über- und unter­ein­ander geschichtet liegen die Toten, Soldaten und Indigenen neben­ein­ander. Lange. Dann löst sich, ein typischer Move von Diaz, eine unter den Leblosen. Richtet sich auf, tastet sich fort. Es wird, es muss weiter­gehen. Die geschun­dene Seele erhebt sich, immer wieder.