78. Filmfestspiele Cannes 2025
Die Geschundenen |
![]() |
|
Farbtupfer in Dunkelheit | ||
(Foto: Filmfestspiele Cannes | Lav Diaz) |
Von Dunja Bialas
Eine Mitternachtspremiere. Schon die Festivals von Locarno und Berlin hatten dem philippinischen Filmemacher Lav Diaz den roten Teppich ausgerollt, nun ist er auch in Cannes angekommen. Dies jedoch in der Sektion »Cannes Premières«, in der sich Filme versammeln, die es in keine der Wettbewerbssektionen geschafft haben, sich dennoch über die persönliche Selektion von Festivalleiter Thierry Frémaux freuen können. Ein Nischenprogramm also, das mit einiger Aufmerksamkeit ausgestattet ist. Nur findet diesmal die Cannes-Premiere zur Geisterstunde statt, was eine harte Probe ist, ist Lav Diaz doch einer der großen Wegbereiter des Slow Cinema.
M., der Magalhaes schon auf dem Markt begutachten konnte, bemängelt trotzdem, dass der Film viel zu schnell geschnitten sei. Es gebe eine Neunstundenfassung, kolportiert er, und jetzt schon einen zweiten Teil, der dann auf jeden Fall neun Stunden lang vom Leben der Frau Magellans, Beatriz, erzählen soll. Mit 156 Minuten muss man Magalhaes tatsächlich zu den Kurzfilmen von Lav Diaz rechnen.
Dass es überhaupt eine wenn auch halbherzige Cannes-Platzierung gibt – warum nicht wie Pedro Pinhos O Riso e a Faca in »Un certain regard«? –, dazu mag neben der kürzeren Länge womöglich geholfen haben, dass Albert Serra produziert hat, wie auch die Besetzung von Gael García Bernal als portugiesischem Seefahrer Magellan, der unter der spanischen Krone zum »Entdecker« wurde. Mit Amusement entnimmt man dem Cast auch den Namen Roger Koza, Filmkritiker aus Argentinien und Kurator des Filmfests Hamburg, der Afonso de Albuquerque spielt. Er habe geschnitten und geschnitten, weiß F. aus Portugal zu erzählen, deshalb habe es lange gedauert, bis der Film in der Cannes-Fassung vorlag, und da sei es zu spät gewesen für eine andere Sektion. Geschnitten hat Lav nicht nur den Film, sondern auch seine langen Haare. Ein Symbol der Anpassung?
Zumindest nicht, was das Herz seines Films betrifft. Selbst wenn er nun ein kurzer, kino- und festivalkompatibler Film ist, in Farbe und sogar mit einem Star, ist sich Diaz treu geblieben. In all seinen Filmen hat er sich der Historie des Archipels zugewandt, das sukzessive kolonialisiert wurde, zuerst durch die Spanier, dann, im frühen 20. Jahrhundert durch die Amerikaner. Sein Thema ist die geschundene Seele der Philippinen, die tragische Geworfenheit des Volks, das Lav als Dostojewskische Schuld-, Sühne- und Racheplots erzählt, in gedehnten Gangster- und Outlaw-Geschichten. Erzählt hat er von den Freiheitskämpfern, von den gefeierten Nationaldichtern, und auch von den Arrivisten, der Miliz, den Bonzen und den korrupten Maulhelden, aber auch und vor allem von den Verlierern der Geschichte.
Diesmal geht es mitten hinein ins 16. Jahrhundert, in das satte Grün der Insel-Vegetation. Wir sehen die Bewohner, die nur aus der eurohistorischen Perspektive »Indigene« genannt werden sollten, mehr oder minder nackt auf den Feldern arbeiten und mit Macheten im üppigen Dschungel hantieren. Das nimmt sich ethnologisch aus, durch die für Diaz ungewohnte Farbe sehr präsent, fast wie in der Jetztzeit erzählt, ohne das historisierende Schwarzweiß seiner anderen Filme. Von der blutigen Kolonialisierung, die auf diese ersten Bilder folgt, will Diaz in aller Deutlichkeit erzählen.
Ein Segelschiff nimmt Anfahrt auf die Inseln der Kabisayaan, mächtige Segel, knarzende Balken, Magellan blickt aufs Meer. Lav Diaz lässt die Einstellungen lange stehen, hat den Bildern starke Kontraste gegeben. Das Meer und die im Wind krachenden Segel dürfen in ihrer ganzen Präsenz und Wirkmächtigkeit Eindruck schinden. Man sieht bald die grünen Inseln und die in der Landschaft arbeitenden Bewohner aus der Totalen, ein distanzierter Blick, der sich jedoch lange Zeit nimmt. Landnahme mit einem Floß, die Soldaten der spanischen Flotte in Blech-Rüstung. Ein sich anbahnendes Schlachtengemälde, das zwei Stunden später kulminieren wird. Immer wieder erinnern die Aufnahmen diffus an Historienmalerei, Diaz hat seinen statischen Landschaften viel Dunkelheit mit einzelnen Lichtpunkten verliehen, die Wolken türmen sich dramatisch auf, einmal am Ufer vor den Fischerbooten sogar malerisch.
Die filmischen Tableaux nimmt Diaz also diesmal beim Wort. Damit kaum Bewegung generiert wird, bewegen sich die Menschen oft in die Fluchtlinie hinein, wie die Bäuerinnen und Bauern auf den Feldern.
Erzählt wird aus der philippinischen Perspektive von der Christianisierung, von den Vergewaltigungen, vom blutigen Morden, vom Verbrennen der Dörfer und Idole der indigenen Götter. Aber es wird auch davon erzählt, dass beide Seiten eine blutige Schlacht schlagen, die Indigen tragen die abgeschlagenen Köpfe der Soldaten als Todestrophäen durch das Dorf. Und selbst wenn sie auf Kabisayaan am Ende Magellan töten, tragen sie keinen Sieg davon. Aufgereiht, über- und untereinander geschichtet liegen die Toten, Soldaten und Indigenen nebeneinander. Lange. Dann löst sich, ein typischer Move von Diaz, eine unter den Leblosen. Richtet sich auf, tastet sich fort. Es wird, es muss weitergehen. Die geschundene Seele erhebt sich, immer wieder.