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07.02.2008
 
 
     
Berlinale 2008
Welcome to the Dollhouse
 
Eröffnungsfilm 2008: SHINE A LIGHT
 
 
 
 
 

Wie eine Party unter guten Freunden - Martin Scorseses Konzertfilm SHINE A LIGHT eröffnet die Berlinale, Kasper Kosslick und zuviel der Synergieeffekte - Berlinale Impressionen, Folge 1

Die Stimmung wird besser sein - das zumindest ist schon klar, nachdem gestern Abend zum 58. Mal die "Internationalen Berliner Filmfestspiele", vulgo: Berlinale, ihre Türen geöffnet haben, und die Hauptstadt für zwölf Tage im Nonstop-Kinorausch abtaucht. Denn zur Eröffnung gelang Festivalchef Dieter Kosslick ein Coup, der dafür sorgen dürfte, dass die Berlinale 2008 nach mehreren schwächeren Jahren nicht zu seinem "verflixten siebten Jahr" wird: Martin Scorsese und die Rolling Stones auf dem Roten Teppich - besser konnte es für Kosslick kaum kommen. Und schon in den letzten Tagen war klar: Scorseses Stones-Dokumentation SHINE A LIGHT tauchte das Festival von Anfang an in die brodelnde Stimmung eines Rock-Konzerts, oder besser noch einer Party unter guten Freunden, die gerade ihren Siedepunkt erreicht hat.

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"Looks like a dollhouse" - "Sieht aus wie ein Puppenhaus" kommentiert Mick Jagger im ersten Bild in der ersten Szene des Films. Vor ihm steht ein Modell des Beacon-Theatres in New York, und die vier Pappkameraden, die da vom Bühnenbildner hin und her geschoben werden, stehen für Mick Jagger, Keith Richards, Ron Wood und Charlie Watts, die "Rolling Stones" also, die Stars dieses Films.
In den ersten zehn Minuten von SHINE A LIGHT sieht man die Vorbereitungen zu zwei Konzerten, die die "Stones" Ende 2006 in New York gegeben haben, in Absprache mit Regisseur Martin Scorsese, der seine Dokumentation über die legendäre Rockgruppe von Anfang an als "Performance-Film", geplant hatte, auf ihren Auftritt selbst konzentrieren wollte. Die Kamera stellt nicht nur die vier Bandmitglieder vor, sie zeigt auch die - offenbar nicht immer einfachen - Vorbereitungen zu den Konzerten: Allein der Versuch, eine klare Abfolge der Lieder festzulegen, die für die Wahl der Kamerapositionen entscheidend war - soll man Keith Richards Hände an der Gitarre aufnehmen, oder sich auf Jagger am Keyboard konzentrieren? - stellte ein großes Problem dar. Zugleich ist dies ein sehr medienbewusster Auftritt vor dem Auftritt - und zwar aller Beteiligten. Zu den Vorbereitungen gehört auch ein Besuch von Bill Clinton dessen Stiftung als Schirmherr der Veranstaltung fungierte, mit Frau Hillary und Familie. Man sieht Clinton, wie er die Stones umarmt und sie ihn, auch alle anderen sind Freunde von Freunden, und man wüsste schon gern, wer sonst so unter den Konzerbesuchern war, und was die Karten wohl gekostet haben - wenn es sie überhaupt im freien Verkauf gab. Worüber man auch rätselt, ist, wer hier letztlich von wessen Glamour mehr profitiert, der Ex-Präsident und die Kandidatin vom Rebellen-Image der Musiker, oder jene von der Nähe zu Macht und Moral.

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Und man fragt ich ja schon, was eigentlich von den Gründungsjahren der Stones übrig geblieben ist - der Film zeigt, einmal ganz ernst genommen, eigentlich auch den totalen Ausverkauf jener Ideen und jener Revolte, für den die Stones vor 40 Jahren einmal standen, und der etwa alte Filme - PERFORMACE von Roeg - oder über - ONE TO ONE von Godard - die Stones prägt.

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Diese ersten zehn Minuten dieses Films unterscheiden sich stark vom Rest, und doch setzen sie den Ton, ordnen das, was der Zuschauer sieht, für ihn ein. Zudem handelt es sich nicht nur darum, dass der Film hier sozusagen über sich selber nachdenkt, sich als Film zum Thema macht, sondern noch um eine weitere Drehung der Reflexionsschraube: Die Vorbereitung für den großen Auftritt und die Begegnung der Clintons mit den Stones, spiegeln das, was in den letzten Wochen in Berlin und kurz zuvor am Abend auf dem Roten Teppich und dann auf der Bühne des Berlinale Palasts geschah: Martin Scorsese und die Stones auf der Bühne mit Dieter Kosslick, da profitiert das Festival vom Starruhm, und die Stars vom Glanz des Festivals. Und die Stones dürften ihren Auftritt zur Eröffnung kaum weniger exakt choreographiert, und doch mit letzter Unsicherheit umgeben haben, wie den in New York. Und die Karten zur Berlinale-Eröffnung sind bei allen potentiellen Gästen in diesem Jahr genauso begehrt gewesen, wie jene im "Beacon" - von den knapp 600 Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die hier seit Kosslicks Amtsantritt Freikarten bekommen, einmal abgesehen.

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Mario Adorf, Natalia Avelon, Ben Becker, Meret Becker, Wolfgang Becker, Senta Berger, Moritz Bleibtreu, Daniel Brühl, Christopher Buchholz, Detlev Buck, Mareike Carrière, Heino Ferch, Veronica Ferres, Hermine Huntgeburth, Julia Jentsch, Vanessa Jopp, Chris Kraus, Thomas Kretschmann, Marco Kreuzpaintner, Alexandra Maria Lara, Heike Makatsch, Barnaby Metschurat, Dieter Moor, Maria Schrader, Esther Schweins, Christian Ulmen, Sönke Wortmann. Das war ein Auszug aus der Gästeliste. "Zu den weiteren prominenten Gästen des Abends gehören" laut Berlinale-Presseabteilung: "Außerdem hat sich zahlreiche deutsche politische Prominenz angekündigt, darunter Außenminister und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin Walter Momper und der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe." Let's rock!

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Und weiter aus der Pressemitteilung: "Berlinale-Direktor Dieter Kosslick wird gemeinsam mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und dem Jury-Präsidenten Costa-Gavras das Festival eröffnen. Die Veranstaltung wird von ZDF/3sat live im Fernsehen übertragen. Die Moderatorin Katrin Bauerfeind führt durch den Abend. Für die Musik der Gala sorgt die deutsche Pop-Rock Band "Wir sind Helden". Als Vorgruppe der Stones auch kein leichter Job.

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"Dass da keiner aufsteht, und den Mund aufmacht, und sagt: 'Dieter, was ist eigentlich aus Dir geworden!', das fass' ich nicht." sagt eine gute Freundin, die auch schon länger dabei ist, zur Berlinale-"Pressekonferenz" vor zehn Tagen. Da konnte man die andere Seite des Showbetriebs Berlinale betrachten: eine Show eher für den Lokalteil. Man kann sie aus meiner Sicht gnädig übergehen. In der Öffentlichkeit gibt Kosslick gern den Kasper und versteckt hinter der Maske des albernen Spaßmachers beides: die Macht, die er tatsächlich hat und wenn es sein muss, auch anwendet, und andererseits die Momente, in denen er wirklich keine Ahnung hat.

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Ärgerlicher das Einverständnis der meisten, "dass so eine Pressekonferenz halt so sein muss". Sprich: Von keinerlei Gedanken und Niveau angefochten. Francesco Rosi mal kurz vergessen.
Warum eigentlich? Weil die Pressevertreter wie Schweine sind und einfach alles fressen? Weil die Berlinale dann am besten läuft, wenn am wenigsten nachgedacht und nur noch gefühlt wird? Dieser Eindruck stellt sich jedenfalls ein.
Am ärgerlichsten ist allerdings die Form der Pressekonferenz, die dieser widerspricht, sie sozusagen aufhebt: Als Gespräch auf der Bühne mit Moderator, zu dem wir noch kommen. Jeder Sektionsleiter sitzt auf einem roten Berlinalesessel, kommt nacheinander dran, dazwischen immer wieder Kosslick. Die wichtigsten am Ende: Marktchefin Becky Probst, davor Forumsleiter Terhechte, davor Panorama. Am Anfang die Kinderfilme, die jetzt modisch-flockig "Generation" heißen.
Die Gesprächsform dient dazu, die Fragen der Journalisten sozusagen zu neutralisieren, indem sie vom Moderator gleich selbst, stellvertretend für die Presse gestellt werden. Der Verlauf beweist: Es gibt auch gar keine Journalistenfragen, und es gibt auch keinen Moment, in dem jemand den Journalisten Gelegenheit zu Fragen gibt. Wenn sie sich solche Gelegenheit nicht nehmen, und einfach aufstehen und reinreden, notfalls gegen Widerstand, aber schon aus Prinzip, sind sie natürlich selber schuld.

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Zum Moderator: Das ist Peter Twiehaus. Der ist so nett und unbedarft wie er aussieht und gibt Kosslick Gelegenheit, ein paar schlechte Witze auf seine Kosten zu machen - als Twiehaus wie ein schlechter Auto-Verkäufer die Frauen in der Jury anspricht, sagt Kosslick: "Das Sie gerade die Frauen ansprechen, hätte ich ja nicht gedacht." um kurz darauf "weil ich ja hier der einzige Hetero in der Runde bin", auf die Männer in der Jury zu kommen. Vor allem aber fehlt ihm auch die geringe Erdenschwere, die nötig ist, um der Programmpräsentation gerecht zu werden: Als Forums-Leiter Terhechte den tollen Tribute für den Japaner Wakamatsu Koji ankündigt, der unter anderem mit seinem Post-Hiroshima-Drama SECRETS BEHIND THE WALL bekannt wurde, freut sich Twiehaus über dieses "Schmankerl aus Japan“.
Der Mann ist also sowieso unmöglich. Bzw. sollte er das sein, wenn sich die Berlinale als Festival noch Ernst nähme.
Schlimmer wiegt: Er ist beim rbb und beim ZDF. was schon merkwürdig genug ist. Der rbb ist aber Sponsor der Berlinale. Wie das ZDF. Die Berlinale stellt sich also einen abhängigen Mitarbeiter des Sponsors als Moderator der Pressekonferenz ein. Und das ZDF beschäftigt einen abhängigen Mitarbeiter eines konkurrierenden Sponsors und des gesponserten Objekts, der Berlinale, als sogenannten "Filmkritiker" im ZDF-Morgenmagazin. Zugegeben: Wir hätten von Twiehaus sowieso nichts Nicht-Unkritisches erwartet. Und, klar: Wir alle müssen sparen. Aber das finden wir wirklich zuviel der Synergieeffekte.

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In SHINE A LIGHT folgten knapp zwei Stunden Nonstop-Konzert, unterbrochen von ganz kurzen, alten Interview-Ausschnitten, aufgenommen von den besten Kameramännern der USA. Das bietet die seltene Chance, ihnen einmal ganz genau bei der Arbeit zuzusehen, die gleichzeitig, so viel sieht man, tiefe Leidenschaft ist und ein bisschen Routine. Wer Scorseses Musikfilme kennt, der kennt auch das Prinzip der Reduktion aufs Wesentliche, auf die Musik, und der erkennt gleichzeitig auch die Mischung aus Leidenschaft - Scorsese sei ein verhinderter Musiker, hat sein Kameramann Robert Richardson einmal gesagt - und Routine, die sich nach so vielen Jahren - das Kino Scorseses ist fast so alt, wie die Musik der Stones - gar nicht vermeiden lässt.
Ein hervorragender Eröffnungsfilm also, mit Spaß, Rhythmus und Intelligenz, der den Ton setzen könnte, für eine gelungene Berlinale.

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Zwei kurzfristige Absagen gibt es in der Jury: Susanne Bier und Sandrine Bonnaire kommen beide nicht. Die Meldung ist ganz frisch. Ob es Ersatz gibt, ist noch unklar. Die Stimmung aber ist da, jetzt müssen die anderen Filme noch das Versprechen einlösen - willkommen im Berlinale-Tollhaus!

Rüdiger Suchsland

 

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