Untergangsszenarien, Katastrophenbilder - im Horror scheint
zumindest eine Kontinuität der Filme im Wettbewerb der diesjährigen
Berlinale zu liegen. Nach dem Stalingraddrama zur Eröffnung,
und den Filmen von Soderbergh (TRAFFIC) und Kaufman (QUILLS)
gab es nun mit dem außer Konkurrenz laufenden HANNIBAL, Ridley
Scotts lang und mit Spannung erwarteter Fortsetzung des vor
zehn Jahren oscargekrönten Qualitätsschockers DAS SCHWEIGEN
DER LÄMMER (THE SILENCE OF THE LAMBS) (Regie damals: Jonathan
Demme) eine weitere Erkundung des Grausamen zu sehen.
Allein die Vorgeschichte zeigt, dass man es hier mit einem
schwer vergleichbaren Projekt zu tun hat: Nach jahrelangem
Zögern legte der Schriftsteller (und Rechteinhaber) Thomas
Harris vor gut zwei Jahren seinen dritten Band in jener Reihe
vor, in deren Zentrum der hochintelligente Serienmörder Hannibal
Lecter steht. Mit Bedacht und einem gewissen spielerischen
Ehrgeiz hatte Harris absichtlich ein "unverfilmbares" Werk
geschrieben. Für Unsummen von Hollywood gekauft, setzte man
zunächst David Mamet daran, eine Drehbuchfassung zu erstellen.
Mamet, selbst Regisseur so spannender wie geschmackvoller
Filme, aber auch Autor von Filmen, Romanen und Theaterstücken
von hohem Rang, legte ein Script vor, das zwar von den beiden
Stars des ersten Teils, Anthony Hopkins und Jodie Foster akzeptiert
worden war, nicht jedoch von den Studios. "Zu brutal" hörte
man. Mamet zog zurück. Nachdem sein Script von dem ebenfalls
über alle Zweifel erhabenen Steven Zaillian mit erheblichen
Änderungen versehen war (jetzt befinden sich die Namen beider
Autoren auf dem Abspann), ging es zwar bei den Studios durch,
nicht aber bei der Hauptdarstellerin.
Ersetzt wurde Foster durch Julianne Moore. Das stellt sich
in Scotts Fassung als eine gute Wahl heraus, denn die etwas
herbere Moore gibt der zehn Jahre gealterten FBI-Agentin Clarice
Starling den nötigen resignierten Ernst, ohne aus ihr eine
völlig andere Figur zu machen.
Überhaupt ist Ridley Scotts Film eine angemessene und gelungene
Fortsetzung des Stoffes, gerade weil sie gar nicht erst versucht,
ein "zweiter Teil" zu sein. HANNIBAL ist ein eigenständiger
Film, der zwar mit Kenntnis von SILENCE OF THE LAMBS weit
besser verständlich ist, trotzdem aber jederzeit der Falle
entgeht, bloßes Zitat zu sein. Trotzdem können auch Scott
und der wieder exzellent agierende Hopkins in der Rolle seines
Lebens nicht verhindern, dass jeder neue Auftritt der Figur
des Dr. Lecter automatisch Kommentar aller vorherigen ist.
Seit einem Jahrzehnt gehört sie zum festen Inventar der Popkultur:
ein Zeichen.
Die Struktur der Geschichte ist entsprechend die eines Versprechens
und seiner ständig aufgeschobenen Erfüllung. Zwei Stunden
lang harrt der Zuschauer auf das unvermeidliche Wiedersehen
von Detektiv und Killer. Bis es dazu kommt wird er mit drei
Nebenhandlungen bei Laune gehalten, die allesamt spannend
sind, zusammen den Film aber ein wenig konfus wirken lassen.
Denn zu deutlich geht es um anderes: die unausgesprochene
Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren. Wie sie
sich schließlich erfüllt, darf nicht verraten werden. Leser
des Romans sollten allerdings wissen, dass das letzte Filmdrittel
mit ihm kaum noch etwas zu tun hat, alle anderen Zuschauer
sollten sich auf großartig inszenierten, schlimmen Horror
gefaßt machen.
So ist HANNIBAL ein würdiger Nachfolger geworden, wenn ihm
auch eindeutig der epochale Rang des ersten Teils fehlt. Seine
Fans wird er trotzdem zufriedenstellen.
Rüdiger Suchsland
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