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10.12.1998
 
 
   
 

"Da ist ein Mexico, das ihr nicht kennt!"
Ein Interview mit Salma Hayek, Star in "Studio 54"

 
Selma
     
 
 
 
 

Artechock: Salma Hayek, in Ihrem neuen Film STUDIO 54 spielen Sie eine junge Sängerin, die als Garderobenmädchen anfängt, und langsam nach oben aufsteigt. Was ist diese Anita für ein Typ. Sie ist sehr ehrgeizig, nicht wahr?

Hayek: Ja, sehr sehr ehrgeizig. Sie will eine Sängerin werden, und hofft, daß sie eines Tages im "Studio 54" entdeckt wird. Dafür tut sie sehr viel. Sie ist ununterbrochen darauf aus, einen zu finden, der sie entdeckt.
Und sie hat diesen Ehemann, den sie liebt. Aber das hindert sie nicht, mit anderen Männern herumzuziehen. Das ist ihre Philosophie. Sie kommt ja schließlich immer wieder zu ihm zurück. Er stimmt dem zunächst zu, aber als sie verheiratet sind, erträgt er das nicht. Darum gibt es einen Konflikt zwischen ihnen. Aber das Wichtigste für sie bleibt der Wunsch, Sängerin zu werden.

>>Können Sie sich mit dieser jungen Frau identifizieren. Wie war das bei Ihnen am Anfang Ihrer Karriere? Waren Sie da ähnlich ehrgeizig?

Nein, nein. Ich denke, wir sind sehr verschieden. Anita ist einerseits ehrgeiziger, andererseits weniger ehrgeizig als ich es war.
Ich will eine sehr gute Karriere als Schauspielerin machen. Aber ich will mich selbst auf diesem Weg nicht verlieren. Ich will ganz ich selber bleiben. Denn es bringt nichts, an die Spitze zu kommen, wenn man sich selbst am Ziel nicht mehr kennt. Verstehen Sie, was ich meine?
Anita ist viel naiver, als ich es war. Sie ist so enthusiastisch. Sie glaubt, sie weiß, was sie tut, aber sie weiß es nicht. Sie ist im Grunde ein viel größeres Kind.

>>Aber sie ist ja auch erst am Anfang ihrer Karriere. Sie dagegen haben es schon geschafft, sie können viel gelassener sein.

Oh, ich sprach eben auch von mir in meiner Anfangszeit im Filmbusiness.
Als ich in Hollywood angefangen habe, bin ich niemals auf Partys gegangen. Glauben Sie mir, ich wurde auf unheimlich viele Partys eingeladen. Ich war nie so dumm zu glauben, ich würde eine Rolle bekommen, weil ich auf einer Party auftauche. Ich bin nur zu den Vorführungen gegangen, aber ich habe mich immer von der Party-Seite des Filmgeschäfts ferngehalten. Im Gegensatz zu Anita.

>>Wie waren ihre Anfangsjahre? War der Aufstieg zur Spitze sehr schwer, oder hatten Sie von Anfang an Erfolg? Als Sie in die USA kamen, hatten sie bereits in Mexiko ein paar TV-Rollen gespielt.

Ja, aber das nutzte mir wenig. Dort hatte ich zuerst in Kindersendungen gespielt; später dann in einer unwichtigeren Soap-Opera, schließlich irgendwann in einer richtig großen Soap. Da war ich dann sehr glücklich, weil ich mich so erfolgreich gefühlt habe.
In den USA fing ich wieder ganz unten an, zuerst mit richtigen Statistenrollen. In den Credits kam ich selbstverständlich nicht vor. Und dann habe ich gearbeitet, und meinen Weg gemacht. Bei diesen ganz kleinen Auftritten hatte ich vielleicht einen Satz zu sagen. Und irgendjemand sah mich, und fand, daß ich diese Kleinigkeit ganz gut gemacht hätte. Und dann gaben Sie mir etwas, das ein bißchen größer war. Und das machte ich auch gut. Und dann noch etwas Größeres. Ein kleiner Schritt nach dem anderen. Und irgendwann hatte ich etwas erreicht. Das dauerte alles sehr lange.
Bei Anita ist das ganz anders. Sie bekommt einen großen Auftritt im Studio 54, und dann hat sie es geschafft. Schon ist sie auf einem Plattencover. Ich finde das ziemlich unterschiedlich zu meinem Weg.

>>Schon in den vergangenen Jahren haben Sie sich Ihre Regisseure gut ausgesucht. Sie haben mit Roberto Rodriguez und mit Quentin Tarantino zusammengearbeitet, die Ihnen gute Auftritte ermöglichten. Können Sie jetzt selber auch Einfluß auf die Rollen nehmen, oder sich Regisseure aussuchen, mit denen sie zusammenarbeiten?

Tarantino und Rodriguez habe ich nicht wirklich selbst ausgesucht. Ich habe einfach nur Glück gehabt: Sie haben mich ausgewählt. Es wäre toll, wenn ich sagen könnte, es wäre umgekehrt gewesen. Gut, ich hätte deren Angebote auch ablehnen können. Zur Zeit, als Tarantino mir eine kleinere Rolle in FROM DUSK TILL DAWN angeboten hatte, gab es ein anderes Angebot, sogar für eine Hauptrolle. Ich danke Gott, daß ich mich damals für Tarantino entschieden habe. Im Übrigen mag ich es, die verschiedensten Projekte zu machen. Ich mag Independent-Filme sehr gerne, aber ich mag auch manchmal Mainstream-Filme.

>>Hatten Sie am Anfang ihrer Karriere bestimmte Vorbilder? Welcher Schauspielerin möchten Sie ähnlich sein ?

Oh ja, ich hatte sogar sehr viele Vorbilder. Besonders Elizabeth Taylor. Aber auch Meryll Streep, Jessica Lange und Susan Sarandon. Die spielen alle großartig. Aber sie haben auch eine jeweils sehr eigene Note.
Ähneln tue ich selbst vielleicht am ehesten ein bißchen Sophia Loren. Denn sie kam auch aus dem Ausland, und hatte einen Akzent. Da gibt es Paralellen, weil Sophia Loren auch ähnlich besetzt wurde, wie ich, eben als Nicht-Amerikanerin.
Es ist schwierig zu sagen, wem ich wirklich am meisten ähnle. Aber wenn irgendeine, dann Sophia Loren.

>>Sie sind eine der wenigen erfolgreichen lateinamerikanischen Schauspieler in Hollywood. Was sind die speziellen Schwierigkeiten für jemanden aus Amerika ?

Ja, es gibt eine ganze Menge Schwierigkeiten. Das wichtigste ist natürlich, daß in Hollywood jeder, der aus Mexiko kommt, in ganz speziellen Rollen besetzt wird. Das Spektrum ist sehr eingeschränkt. Die Leute, die das Casting verantworten, sind nicht sehr offen. Sie haben von Anfang an ganz bestimmte Erwartungen an Lateinamerikaner und an die Rollen, die man mit ihnen besetzt.
Aber mir ist es gelungen, solche Erwartungen zu widerlegen, und Einschränkungen zu überwinden. Das hat einige sehr verwirrt. Sie verstehen einfach nicht, was ich tue. Aber ich denke, daß ich das mittlerweile sehr gut mache. Ich verstehe mein Geschäft.
Wirklichen Rassismus gibt es aber nicht. Ich denke, letztlich sehen Amerikaner niemanden als "weiß", "braun", "rot", oder "schwarz" an. Sie sehen alle "grün"; also in der Farbe der Dollars.
Am Anfang sehen sie vielleicht, welche Hautfarbe man hat. Aber ich habe inzwischen einigen Erfolg. In Hollywood müssen sie versuchen zu verstehen, wer ich bin, und wie sie meine Qualitäten ausbeuten können.

>>Welche Rolle spielt dabei Ihr spanischer Akzent?

Mein Akzent war ein sehr großes Problem. Anfangs erhielt ich deswegen immer nur die Rolle der Exotischen, südländischen Frau, aber das ist jetzt vorbei. Jetzt stehe ich am Anfang neuer Chancen: Ich habe die Möglichkeit, auch Rollen zu bekommen, die nicht speziell auf eine Mexikanerin zugeschnitten sind.
Jetzt heißt es plötzlich, mein Akzent sei ein "unwesentliches Detail". "Unwesentlich" – stellen Sie sich das vor ! Dieses "unwesentliche Detail" hat mich jahrelang behindert.

>>Und trotzdem arbeiten sie jetzt gerade wieder an einem Projekt, in dem sie als Mexikanerin auftreten. Sie werden Frida Kahlo spielen, die Künstlerikone Ihres Heimatlandes.

Das ist ein sehr interessantes Projekt. Ich bin daran mit meiner eigenen Produktionsfirma beteiligt. Im nächsten Sommer werden wir drehen.

>>War das Ihre eigene Idee?

Um ehrlich zu sein: Da sind mehrere Leute gleichzeitig darauf gekommen. Ich habe schon lange darauf gehofft, einmal Frida Kahlo zu spielen.
Diese Figur ist ein Traum für jede Schauspielerin: Eine starke Frau, eine kontroverse Person, einzigartig und zugleich sehr verwundbar. Dieser Charakter hat so viele Dimensionen.
Das sind meine Gründe als Schauspielerin. Als Frau könnte ich Ihnen noch 1000 Gründe mehr geben. Für mich repräsentiert sie Mexiko: Ihr Körper ist zerstört, aber ihr Geist ist unzerstörbar.
Genau das geschieht auch meinem Land. Ich möchte einmal in der Lage sein, und der Welt sagen: Da ist ein Mexiko, das ihr nicht kennt! Da ist ein intellektuelles Mexiko, ein gebildetes Mexiko, ein Mexiko, das einst zur Welt sprach durch seine Künstler. Und man konnte die soziale, politische und ökonomische Realität des Landes in der Kunst wiedererkennen.
Damals, in der Mitte des Jahrhunderts, war Mexiko Zufluchtsort für viele politische Flüchtlinge aus der ganzen Welt, aus Rußland und Deutschland.
Viele Leute kennen dieses Mexiko gar nicht, die kennen nur Burritos und Tequila. Ich habe das Bedürfnis, auch das andere Mexiko zu zeigen.

>>Obwohl sie in den USA arbeiten, in Los Angeles leben, fühlen sie sich in jeder Hinsicht als Mexikanerin ?

Ja, zu hundert Prozent. Ich habe nur eine Staatsangehörigkeit. Auch wenn ich in Los Angeles arbeite, habe ich Mexiko nie verlassen, ich habe es mitgenommen. Es ist immer in meinem Inneren. Und ich kehre so oft ich kann, nach Hause zurück. Mindestens einmal im Jahr drehe ich ein Projekt in Mexiko, um den dortigen Film zu unterstützen. In diesem Jahr habe ich bei dem Regisseur Arturo Ripstein gespielt, der eine Novelle von Gabriel Garcia Marquez verfilmt hat. Ein absolut phantastischer Film.
Ich unterstütze auch ein Projekt, bei dem es darum geht, mehr spanische Filme zu drehen, und in den Kinos zu zeigen. Aus diesen Gründen denke ich nicht, daß ich Mexiko überhaupt verlassen habe.

Das Intreview fühtre Rüdiger Suchsland

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