KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
15.04.1999
 
 
   
 

"Oprah Pisses"
Jonathan Demme über MENSCHENKIND

 
Jonathan Demme
     
 
 
 
 

Rüdiger Suchsland und Max Herrmann führten dieses Interview mit einem sehr sympathischen und entspannten Jonathan Demme, dessen neuer Film nach Toni Morrisons Roman MENSCHENKIND (BELOVED) diese Woche in Deutschland anläuft.

Atrechock: Woran liegt es, daß Sie mit fast jedem Ihrer Filme ein neues Genre bearbeiten? Ist das Zufall?

Demme: (durchaus ironisch) Ich bin ein Regisseur, den man anheuert, kein großer Entwickler eigener Projekte. Ein- zweimal habe ich das gemacht, Ich bin sehr neidisch auf Steven Spielberg. Er entscheidet, was er als nächstes machen will, und dann tut er das auch. Er trifft da auch immer exzellente Entscheidungen.
Aber im Ernst: Ich bin von den Skripts abhängig, die man mir anbietet. SILENCE OF THE LAMBS oder BELOVED hat man mir zu meinem Glück angeboten. Das hätte man aber mit oder ohne mich gemacht. Bei STOP MAKING SENSE war das etwas anderes: das wollte ich selbst unbedingt machen, ebenso PHILADELPHIA - es war mir ein Bedürfnis einen Film zu drehen, der den heroischen Kampf der Aidskranken beleuchtet. Also: wenn meine Filme so verschieden sind, dann liegt es am Angebot.
Man wird immer nach seiner letzten Arbeit beurteilt. Und wenn sie eine bestimmtes Ego haben - mir liegt auf der Zunge: großes Ego - und so wahrgenommen werden wollen, daß sie immer das Letzte versuchen, und ihre Fähigkeiten entwickeln, dann werden Sie mindestens so gut sein, wie ihr letzter Film. Wenn ich ein Script umsetze, von dem ich selbst nichts halte, dann wird sich das zeigen. Dann taugt meine Arbeit auch nichts. Ich denke, man muß an den Dingen festhalten, die einem wirklich etwas bedeuten. Man kann schließlich auch zuhause bleiben, und mit seinen Kindern spielen - was ich auch sehr gerne tue, ich bin ein später Vater.

>>Wieviele Kinder haben Sie?

Drei, sie sind 11, 8 und 3, und ich genieße es, Zeit mit ihnen zu verbringen.

>>Was hat sie an BELOVED interessiert? Schließlich haben Sie so viele Jahre dran gearbeitet

BELOVED bietet einem Filmemacher so viele Möglichkeit: Ein großes, episches, menschliches Drama von einer Dimension einer griechischen Tragödie: eine Mutter, gezwungen sich zu entscheiden, ob sie ihre Kinder in die Sklaverei schickt, oder sie zu töten, um ihnen das zu ersparen. Danach ist die Mutter ein psychologisches Minenfeld, niemand kann so etwas tun, ohne sein Leben lang geschädigt zu sein. Zunächst lebt sie jedoch bequem mit dem Geist ihres Kindes, erst durch die Menschwerdung des Geistes kommt ihre Tragödie wieder ans Licht. In einem allgemeineren Sinn ist diese Tragödie ein Teil der Geschichte meiner Heimat - und eine Tragödie, deren Effekte wir in vieler Hinsicht immer noch spüren.
BELOVED war eine Möglichkeit, beides zu tun: Einerseits großes Drama, andererseits einen sehr quälenden Teil der Psyche meines Landes zu beleuchten. Und es war eine Chance einem Film im Stil des "Magischen Realismus" zu machen und mit Bild und Ton wahnsinnig abenteuerliche Dinge in einem Hollywoodfilm zu machen. Und ich konnte mich mit Geisterwelten befassen - was mich sehr interessiert hat. Und als ob das noch nicht genug wäre: BELOVED gab mir schließlich die Chance, eine Art Horrorfilm zu drehen. Das möchte jeder Filmemacher irgendwann einmal tun. So war es eine unwiderstehliche Film-Verlockung für mich.

>>War Ihr Interesse für Apartheid auch ein Grund für den Film?

Ja, das auch. Als einer, der als Hippie aufwuchs, beschäftigen mich Rassenprobleme und Ungerechtigkeiten sehr. So hatte ich die Chance, diese wichtigen Themen zu behandeln. Ich möchte nicht gern zu viel darüber reden. Wenn dieser Film ein Publikum finden wird, dann weil er so engagiert, herausfordernd und emotional ist - kommerziell ist er nicht.

>>Aber der Film ist drei Stunden lang, hat fast nur schwarze Schauspieler und ein ernstes Thema - daraus kann normalerweise kein Filmemacher finanziellen Profit machen. Oprah Winfrey hat alles finanziert. Haben Sie da nicht einfach zusammen einen Film gemacht, der Ihnen beiden gefällt? Wozu brauchen/wollen Sie überhaupt noch das Publikum?

Sollen wir etwa darauf verzichten? Dann haben wir nur Bilder im leeren Raum - nein: Ohne Publikum ist der Film natürlich nicht komplett. Oprah Winfrey gilt in Amerika als Visionärin der Kommunikationsindustrie. Sie ist verbunden mit Disney und ABC. Sie ist zu denen gegangen und hat gesagt: Ich glaube an diesen Film. Ich habe den "Final Cut" bekommen, weil ich ein paar erfolgreiche Filme gemacht habe. Und weil man wußte, daß mein Name dabei hilft, die Refinanzierung zu sichern.
Natürlich wußten wir um die ganzen Hürden: Wir wußten, das ein "schwarzer" Film traditionell nicht gut läuft. Wir wußten, daß wir keine Filmstars hatten. Oprah Winfrey ist in Amerika sehr bekannt, aber kein Filmstar. Die Länge - nun gut, aber das Ticket kostet ja nicht mehr. Ich bin ein Kinogänger, der lange Filme mag. Wenn mir der Film gefällt, ist er dann noch besser. In Amerika hat der Film Geld gemacht. Er war kein großer Erfolg, aber immerhin. Allerdings haben wir noch nicht alles zurück, was er gekostet hat. Er wird kein großer Hit, aber wir sind sehr stolz auf das, was wir gemacht haben.

>>Der Film hat einige skandalöse Details...

Ja, manchmal dachte ich, das würde ein Film über Körperflüssigkeiten werden...

>>Hatten Sie keine Probleme mit der "political correctness" in Hollywood?

Naja, das ist aber genau das, was das Buch so einzigartig macht, und den Film auch: Da gibt es Blut, Pisse, Scheiße, Kotze - alles! Wir sehen so etwas nicht oft im Kino, aber es hat seine Wirkung. Es ist aufwühlend und beteiligt den Zuschauer. Man fühlt sich viel mehr in der Erfahrung drin - ob man es nun mag, oder nicht. Ich mag es. Wir hätten damit werben sollen, so wie zur Zeit, als der Tonfilm anfing: "Garbo talks" hat man da geschrieben; "Oprah pisses" hätte man nun schreiben sollen. Ich finde das sehr witzig, ich weiß nicht, was mit mir nicht stimmt.

>>Warum gibt es kaum Rückblicke? Das Buch basiert zum Großteil darauf.

Ja, das stimmt. Wissen Sie: Eines der Dinge, die ich an diesem Film geliebt habe ist, wie er mit Erinnerung umgeht, und Zeit-Manipulation verlangt. Als Zuschauer liebe ich das. Ich erinnere mich, das ich als ich sehr jung war, Alain Resnais LETZTES JAHR IN MARIENBAD gesehen habe. Das war, denke ich, der erste Film, der die Erinnerung zum Filmthema gemacht hat. Das war „mindblowing, amazing“: Schaut, das kann man machen.
Aber als Filmemacher und Kinogänger weiß ich auch, daß das Filmpublikum das Gefühl braucht, daß es mit der Geschichte vorangeht. Und immer wenn man zurückgeht - auch wenn das die Gegenwart in ein neues Licht taucht - wird dieser Fortschritt unterbrochen. Das ist riskant.
BELOVED hat nun viele Dimensionen: paranormale, geisterhafte, die nicht gerade linear sind. Wenn wir nun auch noch zu viele Flashbacks hinzufügen, hätten wir einen Film ohne jeden Bewegungssinn. Und der Film ist natürlich lang. Und trotzdem haben wir keine Füller, nichts, was die Zuschauer daran erinnert, daß sie einen Film sehen, sondern alles rast von Ereignis zu Ereignis. Wenn wir dann auch noch so viele Flashbacks eingefügt hätten, meine Güte, der Film wäre... - wir würden immer noch filmen.

>>Wie Sie erwähnten sind Sie ein Liebhaber von Horrorfilmen - was ohnehin kein Geheimnis ist. Welche Filme haben Sie wirklich erschreckt?

Ich habe Horrorfilme immer geliebt. Ich kenne und mag sie sehr. Aber heute will ich nicht mehr so erschreckt werden wie früher. Trotzdem will ich selbst andere ebenso das Fürchten lehren, wie ich es früher tat. Darum werde ich das neue Buch von Thomas Harris verfilmen, die Fortsetzung von DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER. Ich freue mich sehr darauf.

>>Ist das nicht sehr riskant: diese Tonnen von Erwartungen?

Lassen Sie mich kurz über Autoren reden. Toni Morrisson ist sehr anerkannt. Thomas Harris nicht. Aber er ist einer der großen lebenden amerikanischen Autoren. Und schon für ihn will ich es tun. Ich habe da überhaupt kein Lampenfieber: Thomas Harris wird den Stoff auf Papier entwickeln, er wird sich noch überbieten, er hat dieses künstlerische Ego. Jodie Foster und Anthony Hopkins werden wieder die beiden Charaktere Clarice Starling und Hannibal Lecter spielen, und ich werde mit meinem Team das Möglichste tun - es wird ein großer Erfolg werden! (Lachen!)

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]