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16.11.2006
 
 
      Loulou
Forever Louise Brooks!


 
Louise Brooks - Kinoikone und Inbegriff des "Flappers"
 
 
 
 
 

Die Irdische: Eine Hymne auf die tollste Schauspielerin aller Zeiten

Sie war schön und klug, und das war mindestens eine Eigenschaft zuviel. Sie ist die tollste Frau, die man auf der Leinwand je gesehen hat; eine Ikone der Moderne, und damit mehr als ein Star; auf ewig hat sie sich eingeschrieben in die Grammatik des Kinos. Leider und selbstverständlich ganz zu Unrecht ist sie heute ein bisschen vergessen, ungeachtet der kurzen Jubiläumsaufmerksamkeit, die ihr hundertster Geburtstag (14.11.) gerade auf Louise Brooks (1906-1985) wirft.

Gerade in Deutschland sollte man sich aber an Louise Brooks erinnern, denn schließlich hat sie zwei ihrer berühmtesten Filme hier gedreht, nachdem das Girl aus Kansas als Tänzerin der Ziegfeld Follies begann und mit dem Howard-Hawks-Film A GIRL IN EVERY PORT (1928) berühmt wurde. Georg Wilhelm Pabst hatte sie in dem Film gesehen, und gab ihr prompt die Hauptrolle in seinen beiden wichtigsten Filmen: Mit DIE BÜCHSE DER PANDORA (1928/29) und TAGEBUCH EINER VERLORENEN (1929) schrieb die Brooks sich in die Filmgeschichte ein, wurde zu einem Mythos der Leinwand. Ihre Kunst beruhte, so Lotte Eisner, auf einer "seltsamen Mischung aus Passivität und Präsenz." Genau darauf kommt es im Kino an.

In DIE BÜCHSE DER PANDORA, der auf zwei Dramen von Frank Wedekind beruht, spielt Brooks die junge Lulu, deren Ehemann in der Hochzeitsnacht durch einen Unfall ums Leben kommt. Der Verdacht fällt zu Unrecht auf Lulu, die jedoch zunächst nach Paris, später nach London fliehen kann, wo ihr tragisches Schicksal besiegelt wird. "Pabst lässt seinen Film um diese Frau spielen" schrieb Georg Herzberg, "Pabst macht aus der Lulu keinen Vamp, den man hassen soll, sondern eine Frau, die nichts für ihre Wirkung auf Männer kann." Fürs große Unheil war der Flapper Brooks eigentlich nicht vorgesehen, doch bei den Deutschen musste er dann hingemetzelt werden - von Jack the Ripper! Lulu hat ihn selbst in ihr Zimmer gebeten - der Tod ist die Konsequenz ihrer Neugierde. Ein Ende wie eine moralische Geste.

"Die meisten schönen dummen Mädchen halten sich für clever und kommen damit durch - weil die anderen meistens auch nicht viel cleverer sind." - Der schönste, klügste Bubikopf der Welt erwies sich zurück in Amerika dann bald als zu klug für Hollywood: Dass Brooks Stimme für den Tonfilm nicht geeignet sei, war ein Racheakt, von ihrem Studio Paramount verbreitet. In Wahrheit machte Brooks, was sie wollte, lehnte Angebote ab, hielt sich nicht an die strengen Gesetze des Starbetriebs.

Man könnte natürlich auch sagen: Ihre Zeit war vorbei, Flapper-Ära und Jazz Age hatten sich erledigt, und mit ihm die Karrieren der meisten Frauen, die es auf der Leinwand personifizierten, und mit Roosevelts linksliberalem New Deal setzte auch die Amoral des neuen Moralismus ein, die in den rigiden Hayes-Code mündete, der auf der Leinwand sogar das Küssen untersagte.

Brooks angelte sich einen Millionär, ließ sich scheiden, trat im Radio auf und genoss das Leben. Später schrieb sie Filmkritiken und Lebenserinnerungen, bevor ihr auch das Schreiben wie einst das Filmen zu blöd wurde: "Es ist eine nutzlose Übung, für Leser, die sich vom Publicity-Schund füttern lassen, die Wahrheit zu schreiben."
Dann malte sie. Lotte Eisner, mit der sie befreundet war, schrieb darüber: "Louise Brooks macht keine Filme mehr. Sie widmet sich der Malerei, und zwar malt sie in einem sehr direkten Stil, der ein wenig der alten chinesischen Malerei gleicht. Als ich 1960 in ein neues Haus umzog, schickte sie mir eines ihrer Bilder: es zeigt einen Baum, in klaren, starken Linien, in weißen, schwarzen und grauen Tönen, und mit einer roten Signatur, die nach dem Vorbild chinesischer Schriftzeichen gestaltet war. Und sie schrieb, dass dieses Geschenk von einer alten Chinesin komme, von 'Lou Brou'."

Es spricht nicht für unseren Umgang mit der Kinogeschichte, dass auch diese beiden deutschen Filme, geschweige denn anderes, auf DVD bei uns derzeit überhaupt nicht zu haben sind. Dafür ist in Frankreich eine wunderbare 3-er-DVD-Box zu Louise Brooks erschienen. Dieser "Coffret Louise Brooks" enthält nicht nur die beiden Pabst-Filme, und den Film PRIX DE BEAUTÉ (PREIS DER SCHÖNHEIT) von Augusto Genina, der 1931 nach einem Drehbuch von René Clair entstanden ist, sondern darüber hinaus sage und schreibe zehn Dokumentationen und Interviews zu verschiedensten Aspekten der Darstellerin und ihrer Wirkung auf Kino und Kulturgeschichte.

In PRIX DE BEAUTÉ spielt sie eine Sekretärin, die in einem Schönheitswettbewerb zur "Miss Europa" gekürt wird und nun ihr Leben verändert. Als erstes verabschiedet sie sich von ihrem Mann. Ein bisschen spielt sie da ihre eigene Geschichte, greift ihr vor, die noch gar nicht zuende war.

"Diese einzigartige Frau hat unter so verschiedenen Regisseuren wie Howard Hawks, William Wellman, G.W. Pabst und Augusto Genina gespielt. Überall findet man die gleiche Präsenz, den gleichen Magnetismus, die gleiche skandalöse Schönheit wieder. Wenn sie erscheint, zerreißt die Leinwand, das weiße Tuch wird zur Leinwand des Wahnsinns. Sie hat blendenden Glanz." (Ado Kyrou). Auf Fotografien, seien sie auch noch so schön, teilt sich diese unvergleichliche Aura der Louise Brooks nur unvollständig mit. Louise Brooks, die nie in ihrem Leben eine Theaterbühne betrat, ist ganz und gar ein Kind des Kinos. Erst das Wiedersehen ihrer Filmauftritte macht ihre unvergleichbare Wirkung klar: Insbesondere an den Pabst-Filmen wird das deutlich. Faszinierend ist gerade der Kontrast zwischen der Frische und Lebendigkeit der damals 22-jährigen Amerikanerin und dem starren Gehabe der noch vom Expressionismus geprägten deutschen Darsteller. Ihr kluger, kühler Blick durchdringt alle angelernten Gesten und Schauspielermanierismen, die ganze Melodramatik der Inszenierung, und greift aus ins Ewige, Unsterbliche. Die deutsche Filmkritik war, nicht anders als heute, wenn auf der Leinwand die Dinge mal wieder aus dem Trott geraten, mit ihr eher ungnädig.

Die Dokumentationen erzählen dann neben der Biographie vor allem die enorme Wirkungsgeschichte von Louise Brooks. Sie war die Repräsentantin von "Jazz Age" und Art Deco, das "It-Girl" ihrer Zeit - eine Verkörperung der "neuen Frau" der Twenties, der Selbstbewussten, Umtriebigen, Beweglichen, Raucherinnen. Es ist weniger der berühmte, millionenfach nachgeahmte Bubikopf, als das als skandalös empfundene öffentliche Auftreten der Books. Sie war - Lulu hin oder her - weder Femme Fatale, noch kindliche Unschuld. Vielmehr stand die Brooks für einen Hedonismus des Hier und Jetzt, der sich für Moralfragen einfach nicht interessierte, und deswegen jenseits von Verruchtheit und Unschuld stand. Wenn Greta Garbo die Göttliche war, dann war Louise die Irdische. Erst ihr Eigensinn und ihr Stilgefühl machten Louise Brooks zu dem Star, den wir heute noch bewundern. Sie tat was sie wollte. Und sie trug die Konsequenzen. Brooks war schon in jungen Jahren klug genug um das Spiel der Medien- und Männerprojektionen zu durchschauen, und sich nie von ihnen vereinnahmen zu lassen. Genau diese Souveränität, das lustvolle und selbstbewusste Ausschöpfen ihrer Möglichkeiten, machte Louise Brooks' Wirkung aus.

Die hielt auch lange nach ihrem Verschwinden aus der Filmszene an: "Es gibt keine Garbo! Es gibt keine Dietrich! Es gibt nichts als Louise Brooks!" hat einer ihrer leidenschaftlichsten Fans gesagt, Henri Langlois, der mit Retrospektiven an der Cinémathèque Française die Brooks in den 50er Jahren für das moderne Kino neu entdeckte. Er bewunderte ihre "totale Natürlichkeit und totale Einfachheit". Danach hat Godard die Brooks ungemein bewundert: Jean Sebergs Amerikanerin im Paris von AUSSER ATEM geht auf sie zurück, wie Anna Karinas Nana S. in VIVRE SA VIE und Brigitte Bardot trägt in LE MEPRIS irgendwann eine Perücke a la Brooks. Eine der Dokumentationen erzählt diese größtenteils unbekannte Wirkungsgeschichte, zeigt sogar Verbindungen zum Surrealismus und zur aktuellen Comic-Literatur auf. In "Corto Maltese", wo sonst, trifft der unsterbliche Helde von Hugo Pratt in einem alten Palazzo eine junge Frau mit Pagenschnitt. Sie heißt Louise, Louise Brookszowyc.

Interviews mit Jacques Doillon und mehreren Filmhistorikern können dann nur noch bestätigen, was der Zuschauer schon längst am eigenen Leib gespürt hat: In unserem Unbewussten ist Louise Brooks so lebendig, wie eh und je.

 

"Coffret Louise Brooks"; 3 DVD's, Gesamtlänge ca. 550 Minuten, produziert von Carlotta Films/ Allerton Films (www.carlottafilms.com), am Günstigen bestellbar übers Internet, Neupreis ca. 50 Euro [Kenn-Nummern ASIN: B0002Z7TDO; GCT 298]

Im Münchner Filmmuseum beginnt an diesem Freitag eine Retrospektive der Filme mit Louise Brooks.

Das Münchener Filmmuseum widmet der amerikanischen Schauspielerin Louise Brooks
(14.11.1906 – 8.8.1985) eine ausführliche Retrospektive zu ihrem 100.
Geburtstag. Vom 17. November bis 16. Dezember 2006 werden insgesamt 17 Filme mit der Schauspielerin gezeigt, darunter Raritäten aus internationalen Filmarchiven.

Im Berliner Filmmuseum läuft am kommenden Samstag um 19.30 Uhr die Dokumentation LULU IN BERLIN von Richard Leacock (USA 1984). Sie zeigt ein langes Interview, das Brooks kurz vor ihrem Tod mit dem "Direct-Cinema"-Regisseur Leacock führte. In der Kombination mit Ausschnitten aus Filmen mit Louise Brooks bietet der Film einen einzigartig aufschlussreichen wie humorvollen Einblick in die Erfahrungen von Louise Brooks in Europa. www.fdk-berlin.de

Peter Cowie: "Louise Brooks: Lulu Forever"; Schirmer/Mosel 240 S., 49,80 Euro
Günter Krenn/Karin Moser (Hrsg.): Louise Brooks. Rebellin, Ikone, Legende. Filmarchiv Austria. 272 S., 24,90 Euro.

Rüdiger Suchsland

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