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02.02.2006
 
 
       
Protokolle einer Verunsicherung
SCHLÄFER von Benjamin Heisenberg und PRINZESSIN von Birgit Grosskopf gewinnen beim Saarbrücker Max-Ophüls Preis 2006
     
 
 
 
  Ein Gespräch in einem sonnigen Park steht am Anfang: Johannes, Doktorand für Virologie soll dem deutschen Geheimdienst einen kleinen Gefallen tun, und seinen aus Persien stammenden Kollegen bespitzeln. Der könnte, so wird ihm gesagt, ein terroristischer "Schläfer" sein. Doch als der wahre Schläfer entpuppt sich Johannes selber: Ein junger Mann, der still und schweigend einen zunächst diffusen Zorn in sich hineinfrisst. Mit kühler Konsequenz wächst das Portrait eines langsamen und langweiligen Alltagslebens zum Drama, das die Figuren zur Katharsis zwingt.

SCHLÄFER, das fulminante Regie-Debüt des Münchner HFF-Absolventen Benjamin Heisenberg ist das Protokoll einer Verunsicherung, das subtil ein Gefühl der Paranoia und Bedrohung auch beim Zuschauer weckt. Ähnlich wie Michael Haneke zuletzt in CACHÉ erzählt SCHLÄFER von der Mitte unserer Gesellschaft und von der Rückkehr der Repression hinter der Maske der "Sicherheit". Ein kluger, genau beobachteter Film über Verrat und seine Folgen - und das sensible, ganz gegenwärtige Portrait einer Welt, in der jeder jeden betrügt. Heisenbergs vom Genretypischen weit entfernter Psychothriller gewann gleich drei Auszeichnungen (den mit insgesamt 36.000 Euro hochdotierten Hauptpreis, den mit Drehbuchpreis (13.000 Euro) und den Musikpreis) beim 27. "Filmfestival Max-Ophüls-Preis", das am Sonntagabend in Saarbrücken zu Ende ging. Mit kluger Schwerpunktsetzung vermied die diesjährige Jury (in der unter anderem Hermine Hundgeburth, Christiane Paul und Knut Elstermann saßen) den diffusen Eindruck vieler sonstiger Juryentscheidungen, die oft nur darauf Wert legen, möglichst viele Filme gleichmäßig zu bedenken. Diesmal standen nahezu alle Preisträger für künstlerische Strenge, für den Verzicht an Mainstreamzugeständnisse.

Verunsicherung ist auch das Schlüsselwort bei dem zweiten herausragenden Film des Festivals, PRINZESSIN von Birgit Grosskopf, einer Absolventin der Berliner dffb, die den Regiepreis gewann. Auch PRINZESSIN hätte man den Ophüls-Preis unbedingt gegönnt, denn so einen Film hat man in Deutschland lange nicht gesehen, wenn überhaupt je. Der Film zeigt etwas, das man im Kino sehr selten sieht: Eine Gang aus Mädchen. Sie leben in den trostlosen Trabantenstädten am Rande Berlins ohne Zukunft in den Tag hinein, Drogen werden konsumiert, Partys gefeiert, wer die Girls falsch anguckt, wird zusammengeschlagen - der Machismo ist nicht geringer als unter Jungs. Viele schockte die harte körperliche und verbale Gewalt, die hier gang und gäbe ist und sich kaum von der, im Kino schon vielfach gezeigten einer Jugendgang unterscheidet. Doch hinter der harten Fassade zeigen sich noch andere Seiten, ein etwas anderer Umgang mit Gefühlen, und eine noch größere Verlorenheit - weil zum sozialen Outsidertum auch noch das Hin- und Hergerissensein zwischen Geschlechterrollenbildern kommt. Besonders die Hauptfigur Katharina (Irina Potapenko) sucht ihre Identität zwischen der russischen Familie und ihrer besten Freundin, einer Deutschen in der Gang. "Eine Liebesgeschichte ohne Sex" sei das, sagt die Regisseurin, weil auch hier der Zusammenhalt jenseits aller Krisen im Zentrum steht, und die gegenseitige Selbstaufgabe füreinander.

Noch mehr, als die starke Geschichte und ihre Darsteller beeindruckte der Stil von PRINZESSIN, der in seinem Zusammenspiel von Realismus und Poesie von fern an Werke Michael Kliers erinnert: Nüchtern und intensiv zugleich blickt der Film nie weg, ohne in Verismus abzugleiten, fängt stattdessen den Zauber seiner Figuren ein, und hält bis zum Schluß seine Spannung; nie kann man sicher sein, was als nächstes passiert. Diszipliniert und ökonomisch lebt er vom Sinn für feine Unterschiede und genauer Beobachtung.

Es sind Filme wie dieser, wegen denen sich die Reise nach Saarbrücken immer noch lohnt. Denn PRINZESSIN war, im Gegensatz zu vielen Wettbewerbsbeiträgen, die - wie auch SCHLÄFER - bereits auf mehreren Festivals, auch in Deutschland, gelaufen waren, eine Uraufführung. In den letzten Jahren haben die Probleme für das Filmfestival zugenommen. Gelder wurden gekürzt, und nachdem erst vor drei Jahren mit Boris Pehnt ein neuer Leiter angetreten war, gibt es nun mit Birgit Johnson - die zuvor an der Potsdamer Filmhochschule "Konrad Wolf" Dramaturgie und Drehbuchschreiben lehrte - schon wieder ein anderes Gesicht an der Spitze. Trotz erfolgreicher Arbeit war Pehnt 2005 zurückgetreten - nicht alle schenken den offiziell genannten "rein privaten Gründen" Glauben. Unter der neuen Leiterin ist das Programm noch dichter und auf den ersten Blick auch etwas unübersichtlicher geworden. Eine Diskussion zum Thema "Sind Nazis Pop?" (Ein Mitschnitt der Diskussion wird am kommenden Sonntag, 5.2.06, um 20.04 Uhr im SR2-KulturRadio (91.3mhz) gesendet) gab Gelegenheit zu einer spannenden Kontroverse zwischen Regisseur Romuald Karmakar und Historiker Götz Aly über den öffentlichen Geschichtsgebrauch im deutschen Kino, blieb aber im Programm unbegleitet.

Dort wurden dafür Dokumentationen aufgewertet. Auch diesmal meldete man wieder - wie fast immer fast jedes Festival - höhere Besucherzahlen und mehr Publikum. Doch letzteres setzte sich vor allem aus den gestiegen Schulklassen-Besuchen zusammen - guter Trick! -, und die Zunahme der Akkreditierten ist dem Anstieg der Filme zu verdanken. Und hinter den Kulissen hörte man, dass die Förderung durch die Stadt noch geringer sei, als öffentlich behauptet.

Tja, und dann gab es da noch die Reihe, in die manch' einer erst gar nicht reinging - "weil das ist ja kein Kino.": Digitale Projektionen, "Digital auf Festplatte" hieß es im Katalog. Zumindest einstweilen war dies zum Schaden des Festivals. Denn gerade wenn man neue Techniken zu ihrem Recht kommen lassen will, muss man für optimale Vorführbedingungen sorgen. Hinzu kam, dass auch manche der digitalen Filme einfach der großen Leinwand nicht gewachsen waren.

Überhaupt zeigten die großen Qualitätsunterschiede innerhalb des Wettbewerbs das Kernproblem: Erst drei Monate nach Hof und zwei Wochen vor der Berlinale mit ihrer inzwischen etablierten deutschen "Perspektive", wo immer stärkere Filme zu sehen sind, fällt es dem Festival zunehmend schwer, an gute Filme zu kommen. Gegen Film wie den hübschen und gut gemachten MONDSCHEINKINDER, Manuela Stackes rührendes Melo über einen kleinen Jungen mit Hautkrebs nichts einzuwenden ist, während FUTSCHICATO tolle Musik hatte, und sogar richtig lustig war - ein Film über eine linke WG, die nach 10 Geboten lebt - weil sie kein blödes Klischee ausließ, nur leider nichts für 90 Minuten, weshalb er dann nach einer Stunde auch konsequent aufhörte, gab es anderes, das schnell nur noch nervte: UNTER DER SONNE, ein typischer glatter, latent infantiler Münchner Klischeehochschulfilm, in dem Licht und Sommer und Musik einen Brei wie aus einem Werbefilm bilden, das Gegenteil von Atmosphäre, und der nichts zu sagen hat. Er spielt in spät 70er, früh 80er Jahren. Warum eigentlich? Und warum identifiziert sich einer mit den 12jährigen, nicht mit 15/16jährigen? Oder LADYBUG, so dilettantisch, dass ihn noch nicht einmal passionierte Werkstattkinogänger als Pop feiern können - oder doch? "angenehm naiv" schreibt Schifferle in der SZ, na gut, aber kann man das nicht über zu vieles sagen?

Dem Renomee des Preises dürfte dies auf Dauer schaden, auch wenn es hier nicht immer um Entdeckungen gehen muss. Schließlich war das Festival mal als Summe eines Kinojahres gedacht, nicht als Ort von Neuentdeckungen. Doch schon in der Vergangenheit war dieser Preis nicht mehr immer ein Garant für die Aufmerksamkeit des Kinopublikums. Immerhin merkte man Johnsons Auswahl den Willen zu klaren Schwerpunkten und das Bekenntnis zu Filmkunst an: FALSCHER BEKENNER von Christoph Hochhäusler steht stilistisch, wie in seinen inhaltlichen Interessen, den Filmen Heisenbergs und Grosskopfs nahe. Und Jeannette Wagners zwingendes und überaus berührendes Inzestdrama LIEBESKIND, der mit dem Schauspielpreis für Anna Fischer leider etwas unter Wert prämiert wurde, zeigt, wie PRINZESSIN den Willen, einem weiblichen Blick jenseits von "Frauenthemen" Raum zu geben.

Rüdiger Suchsland

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