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10.02.2005
 
 
         

The Aviator
Auf Erfolgskurs

 
       
 
 
 
 

Anläßlich von Martin Scorseses GANGS OF NEW YORK habe ich an dieser Stelle darüber nachgedacht, dass sich seine Genialität in erster Linie in einzelnen Szenen, die sich regelrecht in unser Gedächtnis einbrennen, zeigt. Jeder seiner Spielfilme enthält diese bemerkenswerten und nachhaltigen Passagen, die zum ewigen Fundus der Kinogeschichte zählen.
Nun ist Scorseses neuester Film THE AVIATOR in unseren Kinos, ein 165 Minuten langes Bio-Pic über den Filmemacher, Frauenheld, Flugzeugpionier, Millionär und krankhaften Exzentriker Howard Hughes, voll gepackt mit Stars, Ausstattungsorgien, rasanten Flugszenen und allem, was man für "großes Kino" braucht.
Was der Film jedoch nicht hat, sind gerade die oben beschriebenen, für Scorsese sonst so typischen Szenen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen würden.

Man verstehe mich nicht falsch. THE AVIATOR ist ein guter Film. Aber er ist sicher kein Meisterwerk, wie mehrfach schon behauptet wurde, und schon gar nicht ist er ein Martin Scorsese Meisterwerk, ja selbst als Scorsese Film ist er kaum zu erkennen.
THE AVIATOR ist aufwendiges Unterhaltungskino, mit deutlich mehr Anspruch und dafür mit viel weniger Pathos als eine durchschnittliche Jerry Bruckheimer-Produktion.

Im Grunde sollte man sich freuen, so gut gemachtes Mainstreamkino, das über fast drei Stunden keine Langeweile aufkommen läßt, sehen zu können. Aber dann ließt man den Namen Martin Scorsese im Abspann und beginnt doch zu überlegen, was dessen bisheriges Oeuvre war und kommt so zu der Frage, warum er diesen Film auf diese Art gemacht hat.
Manche behaupten, Scorsese arbeite hier mit aller Macht darauf hin, endlich einen Oscar für den besten Film zu bekommen. Das klingt zwar logisch, aber wenn man tatsächlich annimmt, dass er unter Zurückstellung des eigenen künstlerischen Anspruchs einen publikumswirksamen Film dreht, um einen Preis zu gewinnen, dessen zweifelhafte qualitative Aussagekraft dem Filmhistoriker Scorsese mehr als bewußt sein müsste, so darf man an dieser Theorie schon zweifeln.

Wahrscheinlicher erscheint es da, dass Scorsese einfach einer kommerziellen Notwendigkeit nachgegeben hat. Denn gute Kritiken für wertvolle Filme führen keineswegs zu positiven Einspielergebnissen (meist ist leider das Gegenteil der Fall). Ohne aber zumindest hin und wieder einen finanziellen Erfolg zu landen, findet sich bald kein Produzent mehr bereit, weiterhin solche Filme zu finanzieren, womit einem als Regisseur nur noch billiges Independent-Kino oder weitgehende Verweigerung (wie z.B. bei Terrence Malick) bleiben würden.
Doch so ganz außerhalb des "Systems" zu bestehen ist auch nicht einfach, weshalb früher oder später fast alle anspruchsvollen Regisseur kommerzielle Filme drehen, die mit ihrem sonstigen Werk kaum in Einklang zu bringen sind. Beispiele aus den letzten Jahren hierfür sind u.a.: Gus van Sants FINDING FORRESTER, Ang Lees HULK, Richard Linklaters SCHOOL OF ROCK, INTOLERABLE CRUELTY von den Coen-Brüdern, Oliver Stones ALEXANDER und Steven Soderberghs OCEAN'S 11 bzw. 12. Dass diese Ausflüge von der Kunst zum Kommerz kein Zuckerschlecken sind, beweist dabei z.B. der Rauswurf von Paul Schrader bei EXORCIST: THE BEGINNING.

Dass Regisseure solche Filme machen, ist keineswegs verwerflich, schließlich wird damit gesichert, dass sie auch in Zukunft wieder unangepasstes Kino machen können. Und ganz nebenbei kommt der Zuschauer ja auch in den Genuß eines gehobenen Mainstreamfilms.
Verhängnisvoll jedoch wird es, wenn die Kritik solche Filme in den Kontext des bisherigen Werks eines Regisseurs stellt.

Wer versucht, THE AVIATOR die klassischen Scorsese Themen und Techniken überzustülpen, leistet dem Film einen Bärendienst, da man ihm so mehr zuspricht, als er in Wirklichkeit sein will und kann, was zwangsläufig zu Enttäuschungen führt.
Denn stellt man THE AVIATOR neben Scorseses bisherige Filme, kann er in keinem Punkt bestehen.
Die von Leonardo DiCaprio gespielte Figur des Howard Hughes erhält nie die tragische Glaubwürdigkeit, die Scorseses verzweifelte "Helden" von MEAN STREETS bis BRINGING OUT THE DEAD auszeichnete. Auch die gewohnt gemischte Besetzung fügt sich hier nicht zu einem stimmigen Ensemble zusammen, sondern bietet zwischen kleinen Bravourstücken und schlichtem Scheitern alles. Die Kameraführung ist so uninspiriert wie selten zuvor, dafür sollen unmäßig eingesetzte Spezialeffekts (vor allem in den Flugszenen) für Dynamik sorgen und bringen doch nur Hektik. Die Leinwand quillt über vor Opulenz und zeigt doch keine bleibende Bilder.

Am stärksten ist Scorsese noch in den kleinen, kompakten Szenen, in denen wenige Menschen auf engem Raum agieren. Ein Taxi, ein Boxring, ein Spieltisch; das war und ist das Format, in dem er sein wahres Talent zeigen kann.
Aber in THE AVIATOR versucht er sich (zu) oft am "big picture" mit weiten Landschaften, riesigen Menschenmengen, enormen Dekors und (am schwächsten) lauten Actionszenen. All das bleibt erstaunlich spannungsarm und zeigt - wie beim Rekordflugzeug im Film - nur eine glatt polierte Oberfläche, ohne jede Unebenheit, ohne jeden Haken.

Man kann es nicht oft genug sagen: THE AVIATOR ist ein guter Film, klar über dem kommerziellen Durchschnitt. Aber wer sich ein intensives und präzises Kunstwerk, wie man es von Martin Scorsese bisher kannte, erwartet, der wird enttäuscht werden.
Wenn man ohne diese Erwartungshaltung in THE AVIATOR geht, kann man sich intelligent unterhalten lassen und darüber hinaus dient jeder Kinobesuch einer guten Sache.
Denn je größer der Erfolg dieses Films ist, um so größer wird die finanzielle und künstlerische Freiheit Scorseses bei seinem nächsten, hoffentlich wieder gewohnt widerspenstigen, Projekt sein.

Michael Haberlander

PS: Wer bei THE AVIATOR Geschmack an der schillernden Welt der historischen Flugrekorde gefunden hat, dem sei an dieser Stelle der ausgezeichnete DER STOFF AUS DEM DIE HELDEN SIND von Philip Kaufman empfohlen.

 

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