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23.12.2004
 
 
       

Julia Roberts... as herself
Wie man als Superstar in der Rolle des einfachen Menschen zur Ikone wird

 
 
Die Roberts ganz privat... (in OCEAN'S TWELVE)
   
 
 
 
 

Um sich in Steven Soderberghs neuem Film OCEAN'S TWELVE wirklich zu amüsieren, sollte man Spaß am spielerischen Umgang mit Kinomythen haben.
Egal ob Schauplätze, Genres, Handlungsstränge, Standardszenen, filmische Tricks und Mittel; Soderbergh erfindet hier nichts Neues, sondern bedient sich aus dem reichhaltigen Zeichenvorrat der Kinogeschichte, um nach einigen geschickten Variationen und ironischen Brechungen einen rasanten, coolen, formbetonten Film zu konstruieren. Vereinfacht gesagt: cinema reloaded, remastered, remixed.

Einen besonders großen Spaß macht sich (und uns) Soderbergh dabei im Umgang mit seinen Hauptfiguren und ihren Darstellern, die ihrerseits für über 40 Jahre Kinokult(ur) stehen. Bei Legenden wie Carl Reiner, Albert Finney und Elloitt Gould, aktuelle Superstars wie George Clooney und Catherine Zeta-Jones und "Jungstars" wie Matt Damon und Brad Pitt bedient sich Soderbergh, um ihre bisherigen Arbeiten, ihre üblichen Rollenstereotypen und den sie umgebenden Kult zu variieren und zu unterlaufen, dass es eine wahre Freude ist.
Den abwegigsten Witz erlaubt sich Soderbergh dabei mit Julia Roberts, deren Rolle als Tess einen weiteren Schritt in der konsequenten Entwicklung von der einfachen Schauspielerin hin zum Superstar und schließlich zur schwer (be)greifbaren Ikone darstellt.

Naturgemäß ist es schwer zu erklären, warum ausgerechnet Julia Roberts einen solchen Status erreicht hat, da es im internationalen Filmgeschäft zahlreiche Darstellerinnen gibt, die schauspielerisch begabter und/oder attraktiver und/oder künstlerisch ambitionierter sind als sie. Aber in solchen Kategorien zu denken, bringt einem bei der Frage nach einer Ikone nicht weiter. Besser, man wirft einen Blick auf das, was bisher geschah.

Das Mädchen von nebenan

Die Karriere von Julia Roberts begann geradezu typisch. Nach einigen kleineren Rollen kam bald der Durchbruch mit dem immens erfolgreichen PRETTY WOMAN, in dem Roberts einen Typ kultivierte, der zu ihrem ersten Mythos werden sollte.
Es ist dies das Mädchen aus einfachen Verhältnissen, attraktiv aber nicht perfekt, romantisch mit einem Hang zum Burschikosen, im Fall der Fälle aber eine echte Lady. Diese domestizierte Männerphantasie gefiel auch den Frauen, der finanzielle Erfolg war groß, der künstlerische Wert des Films dagegen gering. Auf alle Fälle hatte sich Julia Roberts als Mädchen von nebenan mit dem gewissen Extra in das Gedächtnis der Menschen eingegraben.

Nach diesem ersten Höhepunkt ging es äußerst ambivalent weiter. Der Versuch, gerade nicht auf die PRETTY WOMAN festgelegt zu werden, zusammen mit einer etwas unglücklichen Rollen- und Filmauswahl, führte in der Folge zu einer Reihe belangloser, finanziell mäßig erfolgreicher Filme, in denen Roberts (trotz zum Teil namhafter Regisseure) keine besondere Leistungen zeigen konnte.
Während so ihr kommerzieller Stern langsam wieder zu sinken begann, entdeckten die Autorenfilmer die besondere Faszination, die von ihr ausging. Erstmals nutzte dies Robert Altmann in THE PLAYER, als er sie in einem Cameoauftritt als weiblichen Superstar im schrecklich verhunzten Film im Film (gerettet aus der Gaskammer von Bruce Willis!) einsetzte.
Altmann war es auch, der sie in der sonst so glamourösen Pariser Modewelt von PRÊT-Á-PORTER wieder das allzumenschliche average-girl spielen ließ und zusammen mit Tim Robbins gelangen dabei einige der schönsten Momente des Films.

Nach den mittelmäßigen Historien-/Literaturfilmen MARY REILLY und MICHAEL COLLINS kam (nachdem sie Woody Allen in ALLE SAGEN I LOVE YOU noch schnell zur Frau seiner Träume gemacht hatte) endlich der Karriereumschwung mit der Romantic-Comedy DIE HOCHZEIT MEINES BESTEN FREUNDES.
Da war sie wieder, die quirlige, kumpelhafte Schönheit, der man zwar die Rolle als Restaurantkritikerin genau so wenig abnahm, wie die der Hure in PRETTY WOMAN, was aber irgendwie egal ist.
Das alte Konzept hatte sich wieder bewährt und wurde fortan konsequenter angewendet, so etwa schon zwei Jahre später in RUNAWAY BRIDE, mit dem selben Personal wie bei PRETTY WOMAN.
Der nun wieder kometenhaft steigende Ruhm von Julia Roberts sollte mit ihren nächsten beiden Filmen zum Mythos werden.

Julia Roberts Superstar

Da die Amerikaner nicht die einzigen sind, die es verstehen, ein Erfolgsrezept noch einmal aufzuwärmen, ergab es sich, dass im selben Jahr, in dem Roberts wieder mit Richard Gere zu tun hatte, auch die Macher von VIER HOCHZEITEN UND EIN TODESFALL eine Fortsetzung dieses Erfolgs unter ähnlichen Vorzeichen planten.
NOTTING HILL handelt von einem armen Buchhändler (wieder Hugh Grant), der wieder auf eine attraktive Amerikanerin trifft, natürlich wieder Liebe mit Hindernissen, kulturelle Missverständnisse, skurrile Typen allenthalben, große Gefühle mit britischem Humor, etc. pp.
Wer aber sollte die Amerikanerin Anna Scott, die obendrein ein weltbekannter Filmstar ist, glaubhaft spielen? Im Zweifelsfall der einzige zu diesem Zeitpunkt tatsächlich weltbekannte weibliche Filmstar Julia Roberts, was (absichtlich oder nicht) eine gigantische Verklärung ihrer Person zur Folge hatte.

Ein durchaus renommierter Filmkritiker schrieb damals zu NOTTING HILL: "...nur ein Narr wird bezweifeln, dass Anna Scott Julia Roberts ist" und über der Szene, in der Scott / Roberts von den Schattenseiten des Star-Daseins spricht, "liegt ein Geruch von Wahrheit, der im kommerziellen Kino selten ist".
Angesichts der vorliegenden Situation konnte man schon so ins Schwärmen und Philosophieren geraten: Der Superstar Roberts, bekannt geworden durch die Rolle des netten Durchschnittsmädchens, das sie trotz ihres Starstatus auch immer noch geblieben ist, spielt den Superstar Scott, der sich ebenfalls seine Natürlichkeit bewahrt hat und sich deshalb beim geheimen Einkauf in einen einfachen Buchhändler verliebt.

Das klingt so wunderbar einleuchtend, dass es gar nicht stimmen kann.
Denn das nette Mädchen, das Julia Roberts so gerne spielt und von dem wir uns wohl wünschen, dass sie es privat immer noch geblieben ist, war und ist nur eine Rolle, auch wenn sich in dieser Rolle ein wenig vom echten Menschen Julia Roberts widerspiegelt (es ist nichts anderes wie etwa bei den Rollen von Woody Allen).

Man muss sich fragen, warum der ständig belauerte Star Roberts ausgerechnet einen mit großem Aufwand produzierten Blockbuster nutzen sollte, um der Öffentlichkeit Einblicke in ihr echtes (Gefühls)Leben zu gewähren. NOTTING HILL ist keine Dokumentation (wie schwer es selbst in einer solchen ist, den "echten" Menschen hinter seiner öffentlichen Person zu zeigen, kann man in THE FOG OF WAR beobachten), sondern ein märchenhafter, vollkommen fiktiver Kommerzfilm, der Szenen aus dem Leben eines Superstars nachzeichnet, aber sicher kein glaubhaftes Psychogramm abliefert. Die weniger missverständliche Entsprechung hierzu lieferte wenig später AMERICA'S SWEETHEART, mit Julia Roberts an der Seite von Catherine Zeta-Jones.

Mit NOTTING HILL gelang Roberts aber endgültig das Kunststück, die Welt von dem Paradox zu überzeugen, dass sie einerseits eine entrückte Ikone wie die Dietrich oder Monroe ist, zugleich aber immer noch "erreichbar" geblieben war und es immer die Möglichkeit gab, ihr als Normalsterblicher auf der Straße zu begegnen, spätere Romanze nicht ausgeschlossen.

Dieses Bild war noch nicht ganz trocken, da kam Steven Soderbergh, um es wieder einzureißen und den Mythos dadurch auf eine ganz neue Stufe zu heben.

The Player

Filmproduktionen sind ein langwieriges Geschäft, das oft sonderbare Weg geht, aber rein den Jahreszahlen nach, hat Julia Roberts im Anschluß an RUNAWAY BRIDE und NOTTING HILL in Steven Soderberghs ERIN BROCKOVICH gespielt. Nach zwei nahezu todsicheren Erfolgsfilmen mit gewohntem Schema, nun also ein Film mit dem unberechenbaren Soderbergh, der nach furiosem Start (SEX, LÜGEN,VIDEO) in ein tiefes, kommerzielles (nicht aber kreatives!!) Loch gefallen war, aus dem er sich mit OUT OF SIGHT so halbwegs wieder herausgezogen hatte.
Wie ausgerechnet Roberts zu der Rolle der ERIN BROCKOVICH kam, ist deshalb schwer zu sagen, ist schlußendlich aber auch unerheblich. Entscheidend ist, was daraus entstand.

Steven Soderbergh ist ein äußerst geschickter und mutiger Spieler mit den Mechanismen des Filmgeschäfts, weshalb er das ewige Rollenklischee der "bodenständigen" Julia Roberts einfach überdrehte und sie eine nervtötende, geschmacklose, leicht prollige Mutter am Rande zum "white trash" spielen ließ.
Der Effekt davon: Als Zuschauer ist man hin- und her gerissen zwischen Sympathie und Abneigung gegenüber Erin (was dem Film nur gut tut), Julia Roberts liefert erstmalig eine Schauspielleistung, die man uneingeschränkt als sehr gut bezeichnen kann und ihr ohnehin schon schillerndes Image erhält eine weitere Facette.

Im Wechsel mit kommerziell orientierten Filmen arbeitet Roberts fortan regelmäßig mit Soderbergh zusammen, dem es offensichtlich großes Vergnügen bereitet, weiter mit ihrem Kultstatus zu spielen.
In OCEAN'S ELEVEN nutzt Soderbergh ihre Popularität als Werbeeffekt, in der komplexen Low Budget-Produktion FULL FRONTAL verschenkt er regelrecht jedes kommerzielle Potential und läßt Roberts eine Schauspielerin darstellen, unter der Regie von Soderbergh-Kompagnon George Clooney heißt es in CONFESSIONS OF A DANGEROUS MIND endgültig "no more Mrs. nicegirl" und nun also, wie eingangs erwähnt, erlaubt sich Soderbergh in OCEAN'S TWELVE mit ihr den ultimativen hoax.

Julia Roberts spielt Tess, die Freundin des Gangsters Danny Ocean. Als dieser ernsthaft in Schwierigkeiten gerät, gibt Tess vor, Julia Roberts zu sein und als der Schwindel aufzufliegen droht, telefoniert sie gezwungenermaßen mit ihr, also sich selbst.
Wie so vieles in OCEAN'S TWELVE, schwanken diese Szenen zwischen unterhaltsamen Unsinn und genialer Farce, doch beinhalten sie eine tiefe Wahrheit:
Das Bild, das wir von Julia Roberts haben, ist eine Illusion. Eine Illusion, die vermutlich nur deshalb funktioniert, weil wir daran glauben wollen.
Vielleicht ist das das Geheimnis von Julia Roberts.

Michael Haberlander

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