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Um sich in Steven Soderberghs neuem Film OCEAN'S TWELVE wirklich
zu amüsieren, sollte man Spaß am spielerischen
Umgang mit Kinomythen haben.
Egal ob Schauplätze, Genres, Handlungsstränge, Standardszenen,
filmische Tricks und Mittel; Soderbergh erfindet hier nichts
Neues, sondern bedient sich aus dem reichhaltigen Zeichenvorrat
der Kinogeschichte, um nach einigen geschickten Variationen
und ironischen Brechungen einen rasanten, coolen, formbetonten
Film zu konstruieren. Vereinfacht gesagt: cinema reloaded,
remastered, remixed.
Einen besonders großen Spaß macht sich (und uns)
Soderbergh dabei im Umgang mit seinen Hauptfiguren und ihren
Darstellern, die ihrerseits für über 40 Jahre Kinokult(ur)
stehen. Bei Legenden wie Carl Reiner, Albert Finney und Elloitt
Gould, aktuelle Superstars wie George Clooney und Catherine
Zeta-Jones und "Jungstars" wie Matt Damon und Brad
Pitt bedient sich Soderbergh, um ihre bisherigen Arbeiten,
ihre üblichen Rollenstereotypen und den sie umgebenden
Kult zu variieren und zu unterlaufen, dass es eine wahre Freude
ist.
Den abwegigsten Witz erlaubt sich Soderbergh dabei mit Julia
Roberts, deren Rolle als Tess einen weiteren Schritt in der
konsequenten Entwicklung von der einfachen Schauspielerin
hin zum Superstar und schließlich zur schwer (be)greifbaren
Ikone darstellt.
Naturgemäß ist es schwer zu erklären, warum
ausgerechnet Julia Roberts einen solchen Status erreicht hat,
da es im internationalen Filmgeschäft zahlreiche Darstellerinnen
gibt, die schauspielerisch begabter und/oder attraktiver und/oder
künstlerisch ambitionierter sind als sie. Aber in solchen
Kategorien zu denken, bringt einem bei der Frage nach einer
Ikone nicht weiter. Besser, man wirft einen Blick auf das,
was bisher geschah.
Das Mädchen von nebenan
Die Karriere von Julia Roberts begann geradezu typisch. Nach
einigen kleineren Rollen kam bald der Durchbruch mit dem immens
erfolgreichen PRETTY WOMAN, in dem Roberts einen Typ kultivierte,
der zu ihrem ersten Mythos werden sollte.
Es ist dies das Mädchen aus einfachen Verhältnissen,
attraktiv aber nicht perfekt, romantisch mit einem Hang zum
Burschikosen, im Fall der Fälle aber eine echte Lady.
Diese domestizierte Männerphantasie gefiel auch den Frauen,
der finanzielle Erfolg war groß, der künstlerische
Wert des Films dagegen gering. Auf alle Fälle hatte sich
Julia Roberts als Mädchen von nebenan mit dem gewissen
Extra in das Gedächtnis der Menschen eingegraben.
Nach diesem ersten Höhepunkt ging es äußerst
ambivalent weiter. Der Versuch, gerade nicht auf die PRETTY
WOMAN festgelegt zu werden, zusammen mit einer etwas unglücklichen
Rollen- und Filmauswahl, führte in der Folge zu einer
Reihe belangloser, finanziell mäßig erfolgreicher
Filme, in denen Roberts (trotz zum Teil namhafter Regisseure)
keine besondere Leistungen zeigen konnte.
Während so ihr kommerzieller Stern langsam wieder zu
sinken begann, entdeckten die Autorenfilmer die besondere
Faszination, die von ihr ausging. Erstmals nutzte dies Robert
Altmann in THE PLAYER, als er sie in einem Cameoauftritt als
weiblichen Superstar im schrecklich verhunzten Film im Film
(gerettet aus der Gaskammer von Bruce Willis!) einsetzte.
Altmann war es auch, der sie in der sonst so glamourösen
Pariser Modewelt von PRÊT-Á-PORTER wieder das
allzumenschliche average-girl spielen ließ und zusammen
mit Tim Robbins gelangen dabei einige der schönsten Momente
des Films.
Nach den mittelmäßigen Historien-/Literaturfilmen
MARY REILLY und MICHAEL COLLINS kam (nachdem sie Woody Allen
in ALLE SAGEN I LOVE YOU noch schnell zur Frau seiner Träume
gemacht hatte) endlich der Karriereumschwung mit der Romantic-Comedy
DIE HOCHZEIT MEINES BESTEN FREUNDES.
Da war sie wieder, die quirlige, kumpelhafte Schönheit,
der man zwar die Rolle als Restaurantkritikerin genau so wenig
abnahm, wie die der Hure in PRETTY WOMAN, was aber irgendwie
egal ist.
Das alte Konzept hatte sich wieder bewährt und wurde
fortan konsequenter angewendet, so etwa schon zwei Jahre später
in RUNAWAY BRIDE, mit dem selben Personal wie bei PRETTY WOMAN.
Der nun wieder kometenhaft steigende Ruhm von Julia Roberts
sollte mit ihren nächsten beiden Filmen zum Mythos werden.
Julia Roberts Superstar
Da die Amerikaner nicht die einzigen sind, die es verstehen,
ein Erfolgsrezept noch einmal aufzuwärmen, ergab es sich,
dass im selben Jahr, in dem Roberts wieder mit Richard Gere
zu tun hatte, auch die Macher von VIER HOCHZEITEN UND EIN
TODESFALL eine Fortsetzung dieses Erfolgs unter ähnlichen
Vorzeichen planten.
NOTTING HILL handelt von einem armen Buchhändler (wieder
Hugh Grant), der wieder auf eine attraktive Amerikanerin trifft,
natürlich wieder Liebe mit Hindernissen, kulturelle Missverständnisse,
skurrile Typen allenthalben, große Gefühle mit
britischem Humor, etc. pp.
Wer aber sollte die Amerikanerin Anna Scott, die obendrein
ein weltbekannter Filmstar ist, glaubhaft spielen? Im Zweifelsfall
der einzige zu diesem Zeitpunkt tatsächlich weltbekannte
weibliche Filmstar Julia Roberts, was (absichtlich oder nicht)
eine gigantische Verklärung ihrer Person zur Folge hatte.
Ein durchaus renommierter Filmkritiker schrieb damals zu
NOTTING HILL: "...nur ein Narr wird bezweifeln, dass
Anna Scott Julia Roberts ist" und über der Szene,
in der Scott / Roberts von den Schattenseiten des Star-Daseins
spricht, "liegt ein Geruch von Wahrheit, der im kommerziellen
Kino selten ist".
Angesichts der vorliegenden Situation konnte man schon so
ins Schwärmen und Philosophieren geraten: Der Superstar
Roberts, bekannt geworden durch die Rolle des netten Durchschnittsmädchens,
das sie trotz ihres Starstatus auch immer noch geblieben ist,
spielt den Superstar Scott, der sich ebenfalls seine Natürlichkeit
bewahrt hat und sich deshalb beim geheimen Einkauf in einen
einfachen Buchhändler verliebt.
Das klingt so wunderbar einleuchtend, dass es gar nicht stimmen
kann.
Denn das nette Mädchen, das Julia Roberts so gerne spielt
und von dem wir uns wohl wünschen, dass sie es privat
immer noch geblieben ist, war und ist nur eine Rolle, auch
wenn sich in dieser Rolle ein wenig vom echten Menschen Julia
Roberts widerspiegelt (es ist nichts anderes wie etwa bei
den Rollen von Woody Allen).
Man muss sich fragen, warum der ständig belauerte Star
Roberts ausgerechnet einen mit großem Aufwand produzierten
Blockbuster nutzen sollte, um der Öffentlichkeit Einblicke
in ihr echtes (Gefühls)Leben zu gewähren. NOTTING
HILL ist keine Dokumentation (wie schwer es selbst in einer
solchen ist, den "echten" Menschen hinter seiner
öffentlichen Person zu zeigen, kann man in THE FOG OF
WAR beobachten), sondern ein märchenhafter, vollkommen
fiktiver Kommerzfilm, der Szenen aus dem Leben eines Superstars
nachzeichnet, aber sicher kein glaubhaftes Psychogramm abliefert.
Die weniger missverständliche Entsprechung hierzu lieferte
wenig später AMERICA'S SWEETHEART, mit Julia Roberts
an der Seite von Catherine Zeta-Jones.
Mit NOTTING HILL gelang Roberts aber endgültig das Kunststück,
die Welt von dem Paradox zu überzeugen, dass sie einerseits
eine entrückte Ikone wie die Dietrich oder Monroe ist,
zugleich aber immer noch "erreichbar" geblieben
war und es immer die Möglichkeit gab, ihr als Normalsterblicher
auf der Straße zu begegnen, spätere Romanze nicht
ausgeschlossen.
Dieses Bild war noch nicht ganz trocken, da kam Steven Soderbergh,
um es wieder einzureißen und den Mythos dadurch auf
eine ganz neue Stufe zu heben.
The Player
Filmproduktionen sind ein langwieriges Geschäft, das
oft sonderbare Weg geht, aber rein den Jahreszahlen nach,
hat Julia Roberts im Anschluß an RUNAWAY BRIDE und NOTTING
HILL in Steven Soderberghs ERIN BROCKOVICH gespielt. Nach
zwei nahezu todsicheren Erfolgsfilmen mit gewohntem Schema,
nun also ein Film mit dem unberechenbaren Soderbergh, der
nach furiosem Start (SEX, LÜGEN,VIDEO) in ein tiefes,
kommerzielles (nicht aber kreatives!!) Loch gefallen war,
aus dem er sich mit OUT OF SIGHT so halbwegs wieder herausgezogen
hatte.
Wie ausgerechnet Roberts zu der Rolle der ERIN BROCKOVICH
kam, ist deshalb schwer zu sagen, ist schlußendlich
aber auch unerheblich. Entscheidend ist, was daraus entstand.
Steven Soderbergh ist ein äußerst geschickter
und mutiger Spieler mit den Mechanismen des Filmgeschäfts,
weshalb er das ewige Rollenklischee der "bodenständigen"
Julia Roberts einfach überdrehte und sie eine nervtötende,
geschmacklose, leicht prollige Mutter am Rande zum "white
trash" spielen ließ.
Der Effekt davon: Als Zuschauer ist man hin- und her gerissen
zwischen Sympathie und Abneigung gegenüber Erin (was
dem Film nur gut tut), Julia Roberts liefert erstmalig eine
Schauspielleistung, die man uneingeschränkt als sehr
gut bezeichnen kann und ihr ohnehin schon schillerndes Image
erhält eine weitere Facette.
Im Wechsel mit kommerziell orientierten Filmen arbeitet Roberts
fortan regelmäßig mit Soderbergh zusammen, dem
es offensichtlich großes Vergnügen bereitet, weiter
mit ihrem Kultstatus zu spielen.
In OCEAN'S ELEVEN nutzt Soderbergh ihre Popularität als
Werbeeffekt, in der komplexen Low Budget-Produktion FULL FRONTAL
verschenkt er regelrecht jedes kommerzielle Potential und
läßt Roberts eine Schauspielerin darstellen, unter
der Regie von Soderbergh-Kompagnon George Clooney heißt
es in CONFESSIONS OF A DANGEROUS MIND endgültig "no
more Mrs. nicegirl" und nun also, wie eingangs erwähnt,
erlaubt sich Soderbergh in OCEAN'S TWELVE mit ihr den ultimativen
hoax.
Julia Roberts spielt Tess, die Freundin des Gangsters Danny
Ocean. Als dieser ernsthaft in Schwierigkeiten gerät,
gibt Tess vor, Julia Roberts zu sein und als der Schwindel
aufzufliegen droht, telefoniert sie gezwungenermaßen
mit ihr, also sich selbst.
Wie so vieles in OCEAN'S TWELVE, schwanken diese Szenen zwischen
unterhaltsamen Unsinn und genialer Farce, doch beinhalten
sie eine tiefe Wahrheit:
Das Bild, das wir von Julia Roberts haben, ist eine Illusion.
Eine Illusion, die vermutlich nur deshalb funktioniert, weil
wir daran glauben wollen.
Vielleicht ist das das Geheimnis von Julia Roberts.
Michael Haberlander
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