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08.07.2004
 
 
       

Der schönste Film-Rebell

Frauenschwarm und Rätsel: Zum Tod des großen Marlon Brando

 
 
Marlon Brando
 
 
 
 
 

"Dieses Gottesgeschenk von einem Stanley..." - der erste Eindruck traf schon ins Schwarze. Der Dramatiker Tennessee Williams war es, der so in einem Brief seine Begeisterung notierte, nachdem er Marlon Brando zum ersten Mal gesehen hatte. Das war im August 1947. Der Regisseur Elia Kazan hatte den jungen unbekannten Darsteller an seiner und Lee Strasbergs "Actors School" entdeckt und sofort ein Treffen mit seinem Freund Williams vermittelt. Schon ein Jahr später spielte Brando am Broadway die Hauptrolle des egomanen, neurotischen Stanley Kowalski in Williams' ENDSTATION SEHNSUCHT. Bis heute wird er mit dieser Rolle identifiziert, die er mehrere hundert Mal auf Bühne verkörperte und die ihn 1951 in Kazans Verfilmung über Nacht zum Weltstar machte. Bis zum Ende, seinem Tod am vergangenen Freitag galt auch Brando selbst als die große Diva des Kinos, ein Mann voller Widersprüche und Empfindlichkeiten, ein genialer Darsteller, der es liebte, Hollywood zu hassen - "Affenkotze in Aspik" sagte er einmal über die Traumfabrik -, dem die Frauen zu Füßen lagen und der sie lange Zeit im vielfachen Dutzend vernaschte, der sich immerzu launisch und unberechenbar gab, an dem nur normal war, das nichts normal war. Wie kein zweiter Darsteller war er - dem der vom Standpunkt mythischer Unversehrtheit aus betrachtet nützliche frühe Tod (James Dean Symptom) versagt geblieben war - schon zu Lebzeiten zur Ikone geworden (erstarrt?), das männliche Pin-Up des Jahrhunderts, das in allen unseren Köpfen und tatsächlich auch als Poster an vielen Wänden hängt - die weibliche Variante einer Marilyn Monroe.

Vor gut 80 Jahren, am 3. April 1924 wurde er in Omaha/Nebraska als Sohn eines Farmers und einer Schauspielerin geboren. Nur 44 Filme hat er in den 53 Jahren seiner Karriere gemacht - andere schufen in gleicher Zeit das Dreifache (Aber was für Filme sind es!).

Dafür existieren mindestens doppelt so viele Anekdoten vom muskulösen Sensibelchen, vom wilden Streit mit Regisseuren - er war der einzige Darsteller, wegen dem Stanley Kubrik je aus einem Film ausstieg -, und von der "wandelnden Hormonfarbrik", einer, der Melonenkerne an die Wand spuckt, und sich das weiße T-Shirt vom Körper streift, um sich die behaarte Brust zu kraulen. Und doch sagte sein väterlicher Freund Elia Kazan von ihm, Brando sei ein "sanfter Mann".

Das, was einem vor allem zu Brando einfällt, ist seine Körperlichkeit, ist Erotik und Sex. Nur wenige hatten diese Ausstrahlung voller Narzissmus und Grandezza, und Brando verstärkte sie noch bewusst, indem er in den prüden 50ern am liebsten mit engem T-Shirt - er war es, nicht James Dean, der diese Mode begründete - und ebenso enger Lederjacke auftrat: Der "eversexed Guy". Zugleich spürte man immer latente Gewaltbereitschaft, die leicht in Selbstzerstörung umkippen konnte.
Dazu kam sein Spiel: Entgegen allen Regeln nuschelte und stammelte er - im Deutschen übrigens lange synchronisiert von Harald Juhnke! -, verachtete die Regeln der klassischen Sprechausbildung so wie seine Figuren die Frauen und die Werte. Die Lässigkeit, mit der er sich bewegte, katzengleich durchs Bild schlich, oder seinen Körper betont schwer zu Boden drückte, dabei manchmal die Augen übertrieben rollte, mit dem Mund grimassierte, und dabei doch immer subtil blieb, ließ ihn endgültig zu einer einzigen Provokation werden. Schon früh erkannten ihn manche als "schwarzen" Weißen, als Darsteller, der zur Zeit des grassierenden Rassismus die Ausstrahlung und den Geschmack des "black america" in seine Rollen einfließen ließ und damit im Kino eine ähnliche Revolution bewirkte wie der Jazz in der Musik.

Seine vielleicht allerbeste Rolle spielte er - ebenfalls unter Kazan - 1954 in ON THE WATERFRONT ("Die Faust im Nacken"). Spätestens hier wurde er zum Modell einer Generation und Prototyp des amerikanischen Rebellen, den alle, schon James Dean, und immer noch Robert de Niro, Al Pacino oder Brad Pitt auf die eine oder andere Art imitieren. Seine größte Zeit hatte Brando in seinen jungen Jahren bis Mitte der 60er, jener Ära, in der man im Kino genau diese "halbstarken" rebellischen Jünglinge sehen wollte, die mit der verklemmten Ordnung der Nachkriegszeit aufräumten und deren Widersprüche auf die Spitze trieben und zerplatzen ließen. Auch in THE FUGITIVE KID ("Der Mann in der Schlangenhaut) spielt er dies 1956 noch einmal ganz groß und voller Charme gemeinsam mit Anna Magnani. Disziplinlos wiederholte er diese Figuren aber bis zur Selbstparodie, nicht zuletzt des schnellen Geldes wegen in schwächeren Filmen wie SAYONARA (1957), ZWEI ERFOLGREICHE VERFÜHRER (1964) und CANDY (1968).

Zu seinen großen Rollen gehören andere Typen: Der Marc Antonius in JULIUS CAESAR (1953), der geniale Part in Bernhard Wickis MORITURI (1959), der Fletcher Christian in MUTINY ON THE BOUNTY (1961). Manch anspruchsvolles Angebot lehnte er aber auch halsstarrig ab: Zum Beispiel LAWRENCE OF ARABIA, BUTSH CASSIDY AND SUNDANCE KID und Kazans THE ARRANGEMENT.

Erst in der kurzen Zeit zwischen 1972 und 1979 erlebte der Darsteller Brando noch einmal eine große zweite Blüte, vielleicht ist sie sogar seine eigentliche: Unvergesslich ist Brando in Bertoluccis LAST TANGO IN PARIS (1973) und zweimal bei Coppola: THE GODFATHER (1973) und der traumatisierte Oberst Kurtz in APOCALYPSE NOW. Danach sah man ihn nur noch in wenigen kurzen Auftritten. Zweimal gewann er den Oscar, beim zweiten, für den PATEN, ließ er sich durch eine Indianerin vertreten. Der Kampf für die Indianer, sein aufrichtiges Engagement für die Rechte vieler Minderheiten, dem er sein Image ebenso in Dienst gestellt hat wie beträchtliche Teile seines Vermögens, war seine letzte Rolle. Auch hier wirkte er wie von einem anderen Stern: "Er hat die Weisheit eines alten Indianers" sagte Bertolucci schon 1973, "Das Tibetanische an ihm und seiner Physis ist außergewöhnlich."

Der größte Schauspieler unserer Zeit? Vielleicht. Der beeindruckendste und unvergesslichste auf alle Fälle.

Rüdiger Suchsland

 

Zwei Bücher zu Brando:
"Marlon Brando. Portraits & Filmstills 1946-1995. Mit einem Essay von Truman Capote." Hrsg. von Lothar Schirmer, Schirmer/Mosel, München 2004, 184 Seiten, 7.80 Euro
"Marlon Brando" Marli Feldvoss/ Marion Loehndorf (Hg.): Bertz Verlag, Berlin 336 Seiten, 19.90 Euro

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