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08.01.2004
 
 
       

Die Schlafwandlerin
Sofia Coppola macht Filme wie Tagträume und ist dabei hellwach

 
 
Sofia Coppola
   
 
 
 
 

Die Nase. Sie ist es, die einem als erstes auffällt, wenn man Sofia Coppola begegnet. Wenn sie da so vor einem sitzt, in den zurückhaltend designten, wohl temperierten, dezent anonymisierten Räumen eines Wiener Hotels, rückt der Blick immer wieder weg von den anderen Partien ihres Gesichts, dem vollen Mund, den dunklen, von schweren Liedern bedeckten Augen, zurück zu ihrer Nase. Groß und schön, hakenförmig geschwungen, wirkt sie wie der elegante Schnabel irgendeines exotischen Vogels, und man würde trotzdem kein großes Aufheben um diese Nase machen, stünde sie nicht in so auffallendem Kontrast zum Rest der Person.
"Ich hab auch noch 'nen Jet Lag..." beginnt sie das Gespräch. Will sagen: Ich bin normal, bin auch nicht anders, als Du. Will auch sagen: Vorsicht, fangen wir mal ganz ruhig und langsam an. Und führt doch in gewissem Sinn direkt zu ihrem neuen Film, in dem das Jet-Lag-Gefühl, das Herausgerissen-sein aus der Zeit die Atmosphäre bestimmt, sozusagen das heimliche Grundgefühl bildet. Sofia Coppola wirkt bescheiden, zurückhaltend, sieht einen eher selten direkt an, und in manchen Gesten hat sie fast etwas Verhuschtes, oder besser Verträumtes. Immer wieder beginnt sie ihre Sätze mit einem "Oh...", oder "Yeah...", dann erst mal Pause, bevor die Gedanken sich entschließen, doch noch zum Satz zu werden. Mehr als das aber ähnelt sie noch den unerbittlich-romantischen Mädchen, aus ihrem ersten Film THE VIRGIN SUICIDES, den fünf Lisbon-Schwestern, die so unglaublich verträumt und kreativ, so undurchschaubar und überlegen und letztlich unberührbar sind, dass man nie ganz genau weiß, ob man sich das alles nur einbildet, oder ob diese Wesen wirklich existieren.
Ihre Hände, ihre Arme, der ganze Körper erscheint feiner und zerbrechlicher, irgendwie verletzlicher, als in den Fernsehbildern, auf denen sie in Venedig an der Seite ihrer Hauptdarsteller Bill Murray und Scarlett Johannsson über den roten Teppich ging, bei den Filmfestspielen am Lidostrand, wo ihr neuer Film LOST IN TRANSLATION seine Weltpremiere hatte. "Venedig war schön." meint sie "alle waren so positiv, mochten den Film. Damit hatte ich nicht gerechnet."
Man glaubt, so vieles über sie zu wissen: Sofia Coppola, die Tochter des großen Filmmaniac und New-Hollywood-Helden Francis Ford Coppola; eine der jüngsten Filmautorinnen der Welt, die 1988 mit 17 ein Script für ihren Vater schrieb; die Schauspielerin, die schon als Baby ihren ersten Auftritt vor der Kamera hatte, natürlich in einem Film ihres Vaters, in DER PATE (1972); die dann 1991 im dritten Teil des PATEN eine Hauptrolle als Al Pacinos Tochter spielte, für die sie von der in solchen Dingen nicht gerade zartfühlenden amerikanischen Presse dermaßen überhart und ungerecht kritisiert wurde, dass es von da an mit ihrer Darsteller-Karriere vorbei war; die höhere Tochter, die zwischen Filmsets und Prominenten aufwuchs, die gemeinsam mit ihrer Freundin Zoe Cassavettes, der Tochter des Regisseurs John Cassavettes ein Jahrzehnt später vor allem in den Klatschspalten der New Yorker Partypresse auftauchte, ein nettes nichtsnutziges Glamour-Girl mit zu großer Nase.
Dies und das hat sie probiert, Malerei studiert, Kleider entworfen, als Photographin gearbeitet, irgendwann Mitte der 90er sogar zusammen mit Zoe Cassavettes eine TV-Show moderiert, die in erster Linie daraus bestand, dass beide mit einem Cabrio in L.A. herumfuhren und gemeinsame Freunde interviewten - und diese spätpubertäre ich-weiß-nicht-was-ich-tun-soll-am-liebsten-würd-ich-erstmal-Urlaub-machen-Phase hat bei ihr schon ziemlich lang gedauert. Doch schnell merkt man, dass man das alles trotzdem gleich wieder vergessen kann. Informationen dieser Art bringen einem Sofia Coppola nicht wirklich näher.

Einen besseren Ort, sich mit Sofia Coppola zu treffen, als ausgerechnet ein Hotel, kann es gar nicht geben, denkt man. Denn nicht nur ihr neuester Film spielt zu 80 Prozent in einem Hotel, dem Park Hyatt von Tokio, schon bei ihrem ersten Drehbuch handelt es sich um einen Hotelfilm. LIFE WITHOUT ZOE heißt das Stück dass sie zu dem Episodenwerk NEW YORK STORIES beisteuerte, eine dreiteilige Ode an das Big-Apple-Lebensgefühl, dessen andere Beiträge von Martin Scorsese und Woody Allen stammen. Ihr Vater Francis Ford drehte den Mittelteil nach dem Buch der Tochter. Es lohnt sich, ihn heute wiederzusehen, denn schon in diesem kurzen Film findet man eine ganze Menge Sofia Coppola: Ein kleines, reiches Mädchen, das ihr Leben allein in einer luxuriösen Suite verbringt, während ihre Eltern - der Vater ist Künstler - auf Reisen sind. Vom Butler liebevoll bedient, scheint es ihr gut zu gehen: eine verwöhnte Prinzessin, die mit Chanel-Klamotten in ihre Nobelschule geht, viele Freundinnen hat, und doch irgendwie auch sehr einsam ist. Am Anfang des Films denkt man, dass sie ihre Mutter gar nicht mag, den Vater dagegen anbetet. Am Ende hat sie sich mit der Mutter versöhnt, und verlässt die Suite, geht mit auf Reisen und betritt damit endlich auch die Welt des geliebten Daddy.
Verräterisch? Über den großen Schatten, den ihr Vater wirft, über die Schwierigkeiten, sich als Tochter eines derartigen Regie-Giganten überhaupt in den Filmberuf zu wagen, ist viel geschrieben worden. Viel weniger allerdings darüber, dass ein Schatten auch beschützen kann, dass er einen im Angenehm-Unsichtbaren hält. Von den Vorteilen, Francis Ford Coppola zum Vater zu haben, wollten die Kritiker dann aber wieder nur die schmutzige hässliche Seite zeigen: Als Sofia plötzlich, nach einem Beginn als Kostümdesignerin in zwei anderen Filmen, in den späten 90ern damit begann, selbst auch Regie zu führen, waren die Reaktionen zunächst alles andere, als freundlich: LICK THE STAR hieß ihr erster Kurzfilm. Dass er seine Weltpremiere beim Festival von Venedig hatte, provozierte umgehend böse Gerüchte, der Vater habe seine Finger mit im Spiel gehabt. Dabei hätte es genügt, sich diese 14-minütige Geschichte über eine Gruppe Schulkinder nur einmal anzusehen, um zu wissen, dass der Film einfach viel besser ist als viele andere und seiner Regisseurin ganz verdientermaßen den Weg zum ersten Spielfilm ebnete. "Heute mag ich LICK THE STAR nicht mehr sehr", erinnert sie sich, "er ist unreif und hat viele Fehler. Ich bin nicht wirklich stolz darauf." Aber das es sich um ihre ureigene Kreation handelt, daran läßt sie keine Zweifel. Mag man auch die Unsicherheit der Debütantin sehen, so spürt man doch ebenso eine starke eigene Handschrift, einen Stilwillen, und heute, nach zwei langen Spielfilmen, sieht man sofort, dass es sich um einen Film Sofia Coppolas handelt: Nicht nur weil schon dieses Werk von der gleichen irreal hellen, pastelligen, irgendwie träumerischen und ein bisschen mädchenhaften Stimmung geprägt ist, weil sie hier bereits mit ihrem Kameramann Lance Acord zusammenarbeitete, der seither in allen ihren Filmen die Bildgestaltung übernahm, sondern mindestens ebenso sehr, weil sie schon in LICK THE STAR eine tiefemotionale Geschichte erzählt, in der man die persönliche Anteilnahme der Regisseurin in jeder Kameraeinstellung spürt, in der noch jedes Accessoir eine persönliche Bedeutung besitzt.
Aber wie kam es überhaupt, dass sie plötzlich begann, Regie zu führen? "Ich lasse mich nicht gern herumkommandieren. Darum wollte ich schon vor DER PATE III nie Schauspielerin werden. Regisseurin zu sein, das ist eine der wenigen Möglichkeiten, einfach einmal tun zu können, was man will, zu bestimmen, wie die Welt um einen herum sein soll. Und es funktioniert. Ich liebe das. Und außerdem verbindet es so viele andere Dinge, die ich liebe: Photographie, Design und Musik."
Um ein bisschen mehr als nur um eine angenehme Beschäftigung scheint es sich trotzdem auch für Sofia Coppola schon immer gehandelt zu haben. Als 1999 ihr erster Spielfilm THE VIRGIN SUICIDES zuerst auf Festivals und dann im Kino zu sehen war, war dem eine jahrelange hartnäckige Arbeit voran gegangen: Auch hier bewies Coppola ihren Geschmack: Heute, nach dem Welterfolg seines neuen Romans "Middlesex" kennt Jeffrey Eugenides die ganze Welt, damals, Mitte der 90er, war er nur einer von vielen begabten, jungen US-Schriftstellern, der mit "The Virgin Suicides" ein vielversprechendes Debüt veröffentlicht hatte. Coppola war, nachdem ein Freund ihr das Buch zu lesen gegeben hatte, sofort fasziniert, erkannte das Potential, das in der Geschichte vom Selbstmord der fünf schönen Schwestern lag. Ohne die Filmrechte zu besitzen, schrieb sie einen ersten Drehbuchentwurf. Und als sie den Film dann machen konnte, bewies sie einen erstaunlich treffsicheren Instinkt für die Wahl der richtigen Schauspieler: Kirsten Dunst, bis dahin nur bekannt durch einen intensiven Kuss mit Brad Pitt in INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR, bekam hier ihre erste Hauptrolle, und dem völlig unbekannten Josh Hartnett gab sie den wichtigsten männlichen Part des routinierten Provinzverführers, der plötzlich ins Herz getroffen wird. Und ihre Darsteller gaben das Vertrauen zurück, schwärmten in den höchsten Tönen von der Arbeit mit der damals 28jährigen. James Woods, weißgott kein Darsteller, mit dem die Regisseure es leicht haben, pries sie: "Eine der fünf besten Filmemacher, mit denen ich je gearbeitet habe - neben Sergio Leone, Martin Scorsese, Oliver Stone und Harold Becker."
Was an THE VIRGIN SUICIDES aber vor allem begeistert, und ihn zu einem der merkwürdigsten, auch bemerkenswertesten Filme der Spätneunziger macht, ist sein Ton, seine Atmosphäre, die Tatsache, dass er damit etwas sehr Typisches von der Generationenstimmung der heute Anfang 30jährigen einfängt. Selten war eine Kindheit so traurig wie in diesem Debüt, und trotzdem gelang es Coppola, dass der Film eine Komödie blieb. Es gelang ihr, Leinwandbilder für das Mysterium des weiblichen Erwachsenwerdens zu finden, und dafür, wie Jungs in einem bestimmten Alter auf Mädchen gucken. Ein Film über den Einbruch der Realität in jenen Traum, den man Jugend nennt, lustig, klug, wunderschön. Rosa Melancholie. Und das vielleicht Interessanteste an allem war, dass hier eine junge Frau eine Geschichte über junge Frauen aus der Perspektive einer Gruppe junger Männer erzählt.

Doch viele blieben auch jetzt immer noch reserviert. Wieder holte sie ihr Name ein, als ob es das nicht geben dürfte, dass sich Talent vererbt. Und als ob nicht offensichtlich wäre, dass Sofia Coppola ganz andere Filme macht als ihr Vater, dass sie dort, wo dieser das Schicksal von Generationen und Epochen in epischer Breite, mit nicht weniger als geschichtsphilosophischem Anspruch ins Kino bringt, ganz private, intime Stoffe erzählt, "kleine" Geschichten.
Merkwürdigerweise haben die gleichen Leute, die Sofia immer wieder zu Vaters Tochter machen wollen, nie einen ähnlichen Einfluß ihres Mannes unterstellt. Seit 1999 ist sie nämlich mit Spike Jonze verheiratet, dem Regisseur von BEING JOHN MALKOVICH und ADAPTATION. "Wir sind sehr verschieden, wir unterhalten uns über unsere Filme, aber wir können nicht zusammenarbeiten.", erläutert sie. Auch über diesen Aspekt ihres Lebens erfährt man aus dem Gespräch wenig, um so mehr, wenn man sich verdichtenden Gerüchten glauben darf, aber aus ihrem neuen Film.
Scarlett Johannsson spielt in LOST IN TRANSLATION Charlotte, eine Frau, deren Ehe nach zwei Jahren schon in Routine erstarrt ist. Der Mann, ein Fotograf (Giovani Ribisi), ist ein vor allem abwesender Workaholic, seine Frau verbringt die Zeit dösend, lesend, gelangweilt im Hotelzimmer. Dort mitten in Tokio trifft sie an der Bar auf Bob, und einmal mehr nimmt die nur scheinbar abgegriffene Geschichte vom alten Mann und dem Mädchen ihren Anfang, aber ganz neu und frisch, dabei keusch und in atemberaubend schönem Stil. Komiker Bill Murray glänzt in einer melancholischen Rolle als desillusionierter US-Filmstar, der einen Whiskey-Spot drehen muss, ein trauriger Clown, der sich selbst abhanden kommt.

LOST IN TRANSLATION ist so zart und versponnen, reserviert und scheu, ohne jede Hybris, wie die Regisseurin. Dass sie keine Angeberin ist, zeigt am besten die Anekdote, wie es ihr gelang, den praktisch unerreichbaren Bill Murray für ihren Film zu gewinnen: "Ein Freund hat mir geholfen ihn kennenzulernen", sagt sie, ohne zu erwähnen, dass es sich um Wes Anderson handelt, der auch spätestens seit seinem Spielfilm THE ROYAL TENNENBAUMS ebenfalls zu den angesagtesten Jungregisseuren im US-Filmbusiness gehört. "Als ich das Script schrieb, hatte ich Murray im Kopf. Ich wollte nur ihn. Es hat fünf Monate gedauert." Dann endlich traf sie Murray bei einem Abendessen persönlich - und gewann ihn noch am gleichen Abend. "Kaviar..." sagt sie, und lacht...
Gedreht wurde der Film in Tokio. "Ich habe dort einige Wochen gelebt" begründet sie, "wollte meine eigenen Erfahrungen dieser einzigartigen Fremdheit in Bilder fassen." Das eigentliche Thema ist die Einsamkeit inmitten des modernen Lebens. Wie Schlafwandler verbringen Charlotte und Bob, gequält von Jet Lag und Isolation, ihre Nächte in der Hotelbar, verlieren und verlieben sich. Tokio wird ihnen zum seltsamen Wunderland. "Ich wollte ihre Beziehung genau in der Mitte platonischer Freundschaft und Love-Affair belassen. So etwas passiert doch oft im Leben, oder?"
LOST IN TRANSLATION ist ein Kammerspiel über Ennui, voller Gefühl für die Nuancen der Empfindungen. Der Film beschreibt ein in romantische Melancholie getränktes Lebensgefühl, und amüsiert zugleich, denn er ist in aller Tiefe doch auch eine sehr gelungene Satire auf das Verhältnis des Westens zu Japan. Ein wenig fragt sich der Zuschauer am Ende allerdings, an wen die Regisseurin bei alldem eigentlich mehr denkt? An sich selbst und ihre eigenen Erfahrungen, oder handelt es sich gar um eine romantische Phantasie über das Dasein ihres oft so lange abwesenden Vaters Francis Ford?

Und plötzlich lieben alle die 32jährige. Plötzlich ist sie eine der angesagtesten Regisseurinnen, loben alle die Intelligenz, die Reife und Sensibilität dieser Überfliegerin, und man sieht ihre Filme noch mit anderen Augen: Rückblickend erscheinen sie mit ihren Charakteren, die zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen zögerndem Welt- und Selbstentdecken und den von der Außenwelt auferlegten Verpflichtungen hin- und hergerissen sind, fast als eine metaphorische Autobiographie. Mit schlafwandlerischer Sicherheit, auch darin ihren Figuren verwandt, geht sie ihren Weg. Man freut sich auf die nächsten Etappen.

Rüdiger Suchsland

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