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05.12.2002
 
 
        Happy Times

Kleine Fluchten

Die neuen Filme aus China
 
 
Zhang Yimous HAPPY TIMES
   
 
 
 
 

Zhao ist ein unverbesserlicher Optimist, der grundsätzlich nicht weiter sieht als bis zum Tellerrand - alles andere wäre auch entsetzlich deprimierend. Und so schwindelt der pensionierte Fabrikarbeiter einer geldgierigen Heiratskandidatin ohne mit der Wimper zu zucken vor, er sei ein wohlhabender Mann. Um das Geld für die Hochzeit aufzutreiben, verwandelt er das Wrack eines Autobusses mit viel rosa Farbe in ein romantisches Stundenhotel für Verliebte - in Beijing ein lukratives Geschäft.

Figuren wie Zhao aus Zhang Yimous diese Woche startendem Film HAPPY TIMES sind die neuen Helden des chinesischen Kinos. Wie eine Bombe ist der Kapitalismus ins diktatorische China eingeschlagen, und eine ungeheure Urbanisierungswelle hat das Leben von Millionen Menschen umgekrempelt. Sie hausen in den Armenquartieren der Städte und schlagen sich mit illegalen Jobs oder dubiosen Geschäftsideen irgendwie durch.

Unerhört gesellschaftskritisch kommen Chinas Filmemacher derzeit daher. Bereits nach dem Ende der Kulturrevolution entstanden im günstigen Wind des chinesischen Frühlings Filme, die aktuelle gesellschaftliche Missstände in Geschichten aus der Vergangenheit verpackten. Zu den ersten Absolventen der 1978 gegründeten Pekinger Filmakademie gehören inzwischen weltweit anerkannte Regisseure wie Zhang Yimou und Chen Kaige, die sogenannte Fünfte Generation chinesischer Filmemacher. Bereits 1989 machte das Massaker von Platz des Himmlischen Friedens der neungewonnenen Freiheit ein Ende.

Doch das Autorenkino in China ist nicht so leicht totzukriegen. Während international bekannte Regisseure derzeit ihre Filme überwiegend im Ausland drehen oder finanzieren, profitieren noch unbekannte Filmemacher von der billigeren Digitaltechnik. Und so sind derzeit im Reich der Mitte viele idealistische jungen Filmschaffende am Werk. Statt ihren Landsleuten Kinomärchen als neunzigminütige Fluchten aus der tristen Realität anzubieten, erzählen die neue und die alte Generation chinesischer Autorenfilmer Geschichten von kleinen Leuten, die mit Humor und Phantasie dem bedrückenden Alltag ein Schnippchen schlagen.

Zhao, genial improvisiert von Chinas Starkomiker Zhao Benshan, beispielsweise hat schon bald die Stieftochter seiner Verlobten am Hals, ein blindes junges Mädchen, dem er in seinem Happy Times Hotel einen Job als Masseuse verschaffen soll. Dummerweise wird seine lukrative Einnahmequelle zum Schrottplatz entsorgt. Und so zimmert er mit Hilfe seiner Freunde in einer leeren Fabrikhalle einen fiktiven Massagesalon für Wu Ying zusammen. Obwohl das blinde Mädchen die gutgemeinte Intrige bald durchschaut, spielt sie die Scharade mit, bis sie sich schließlich allein auf den Weg in eine ungewisse Zukunft macht.

Ebenso poetisch wie komisch ist auch der Beitrag 100 FLOWERS HIDDEN DEEP von Chen Kaige, der in dem Kurzfilmreigen TEN MINUTES OLDER - THE TRUMPET zu sehen ist. Kaige erzählt die Geschichte eines freundlichen alten Mannes, der ein Umzugunternehmen engagiert. Doch vor Ort müssen die Männer feststellen, dass das Haus des alten Herren längst dem Boden gleichgemacht wurde - ein Umstand, den der Alte beharrlich ignoriert. Doch dann erweist sich die fiktive Realität des verschrobenen Kunden als höchst ansteckend.

In eine Traumwelt flüchten sich auch CHEN MO UND MEITING, die Protagonisten von Liu Haos erstem Spielfilm, der seit letzter Woche bei uns läuft. Der Blumenverkäufer ohne Lizenz lernt bei der Flucht vor der Polizei eine Friseuse kennen. Als die junge Frau gefeuert wird, schlüpft sie bei ihm unter. In ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit schließen die zwei einen ungewöhnlichen Pakt: Den einen Tag spielt Meiting die liebevolle Mutter für Chen Mo, am nächsten Tag übernimmt er die Rolle des fürsorglichen Vaters. Auch hier wird die bewusste Wirklichkeitsflucht zur positiven Kraft.

Happy Ends sind in den Drehbüchern aus dem Reich der Mitte derzeit jedoch nicht vorgesehen. Gestohlene Momente eines Glücks auf Zeit sind alles, was die kleinen Leute in China derzeit nicht vom Leben erhoffen können. Eine weise Einsicht, die nicht nur in China Gültigkeit hat, sondern vielleicht überall auf der Welt.

Nani Fux

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