Weniges verunsichert die gegenwärtige Gesellschaft tiefer, als
ihre eigenen Kinder. Gerade hat Spielbergs A.I. das vorgeführt: Die
Angst der Erwachsenen vor dem Kind, vor der geheimnisvollen Welt,
in der es sich bewegt, und zu der ihnen kein Sesam-öffne-Dich
Zugang verschafft. Und den Horror, der gerade in der Perfektion
liegt, mag sie auch noch so liebevoll und harmlos grundiert sein -
es scheint der Natur des Kindes zu widersprechen, wenn es auch ohne
Erwachsene auskommt. Zugleich birgt das Motiv des auf sich allein
gestellten Kindes immer auch einen versteckten Traum gerade der
modernen Erwachsenenwelt: Die klammheimliche Hoffnung, aller
Verantwortung ledig zu sein, die Rolle des Beschützers und
Ernährers abwerfen zu können, und wieder ungebunden als Individuum
"sich selbst verwirklichen" zu dürfen, die Freiheitsversprechen
unserer Zeit tatsächlich zu leben.
Filme wie KEVIN ALLEIN ZU HAUS dürfen als unbewusster Ausdruck
solcher Hoffnungen verstanden werden, als Traumspiel einer
Gesellschaft, die immer weniger Zeit und Raum für ihre Kinder hat,
und dies durch immer mehr Geld zu kompensieren sucht. Weil sich die
Defizite nicht einfach leugnen und verdrängen lassen, konstruiert
sich die Erwachsenenwelt im Kino die Gestalt eines
selbstbewusst-wehrhaften Kindes, eines immer optimistischen, nie
wirklich ängstlichen überklugen kleinen Erwachsenen - zahllos sieht
man in jüngeren Filmen diese Kinder, die eigentlich keine sind, und
die eher noch ihren Eltern aus der Not helfen, als ihrerseits Hilfe
zu brauchen (wie das in älteren Filmen zumindest kurz vor Schluß
fast immer der Fall war, und damit die Ordnung der Dinge wieder
zurecht rückte).
Roberto Rodriguez' SPY KIDS knüpft genau an derartige Phantasien
an. Seine Helden sind die 9jährige Carmen und der 7jährige Juni
Cortez, die zwei Kinder eines Paares aus ehemaligen Top-Spionen,
das sich mit der Familiengründung zur Ruhe gesetzt hat. Am Beginn
des Films erzählt Mutter Ingrid das eigene Leben den Kindern in
Form einer Gute-Nacht-Geschichte. Während die Kinder nichts über
die wahre Identität ihrer - nach Außen langweiligen - Eltern ahnen,
ist das Märchen für uns Zuschauer bebildert - ein rasanter, gut
erzählter Auftakt, der bereits viele Stereotypen des Agentenfilms
parodiert und den Takt vorgibt für eine erstaunlich furiose,
überdrehte Komödie, die auch sich selbst keinen Augenblick ernst
nimmt, und der es doch an tieferer Bedeutung nicht fehlt.
Kino heißt, dass alles möglich und alles erlaubt ist. Roberto
Rodriguez zelebriert diesen Freiraum seit jeher; bei ihm wird er
tatsächlich Leinwandwirklichkeit. Dies galt in seinen früheren
Filmen, vor allem jenen, die er innerhalb der US-Filmindustrie
gedreht hat (FROM DUSK TILL DAWN und zuletzt den weit unter Wert
geschätzten THE FACULTY), die vom hochreflexiven Spiel mit den
Genres, der Verweigerung gegenüber Hollywood-Zwängen geprägt sind.
Diesmal also der Agentenfilm. Nach neun Jahren werden die Eltern
Ingrid und Gregorio Cortez vom Geheimdienst reaktiviert. Doch
offenbar sind ihre alten Fähigkeiten etwas eingerostet, schnell
werden sie von dem Glam-Pop-Schurken Fegan Floop gefangengenommen.
Dieser bringt Agenten reihenweise zum Verschwinden und hält sie in
überdimensionalen Kinderpuppen gefangen; die Kinder des Landes
manipuliert er per TV-Show, sein Ziel ist, wie immer in solchen
Fällen, die Weltherrschaft. Erringen möchte er diese mithilfe einer
Armee aus Roboterkindern, das einzige, das ihm dafür noch fehlt ist
das "dritte Gehirn", eine Superwaffe, in deren Besitz sich Gregorio
befindet. Das alles hört sich höchst albern an, und ist es
auch. Aber es handelt sich um eine fröhliche, heitere,
unbeschwerte, immer unaufdringliche Albernheit, die die Zuschauer
trotzdem nie für dumm verkauft. Der Humor von SPY KIDS ist eine
präzise Mischung aus Subtilität und Scherzen der gröberen Sorte,
aus Filmzitaten, Witzen, die nur Erwachsene verstehen und Spässen,
bei denen die Kinder vor Vergnügen glucksen werden, auch wenn die
Erwachsenen mit den Augen rollen.
Dabei ist dieses rasante Spiel mit - vor allem -
James-Bond-Klischees auch noch intelligent. Denn ungeachtet anderer
Aspekte dreht sich alles letztlich in sensibler und anregender
Weise um das Verhältnis von Erwachsenen- und Kinderwelt. So verrät
SPY KIDS in Komödienform etwas über die Träume von Eltern, die gern
in ihren Beruf zurückwollen, den sie für die Familie geopfert
haben. Ebenso geht es aber um Kinder, die über die besorgten
Ratschläge ihrer Eltern längst hinaus sind - oder manchmal nur
glauben, es zu sein. Und die Idee, Erwachsene ausgerechnet in
Kinderpuppen einzusperren, ist eben mehr als nur ein Gag, ebenso
Rodriguez' Kinderroboter - ein auch ohne A.I.-Erfahrung
beklemmendes Bild. Nie verrät Rodriguez hier das Niveau seines
Stoffes: Denn wenn sich die Erwachsenen in der Realität vor den
Zwängen des Alltags mehr und mehr in die künstlichen Paradiese der
Spaßgesellschaft, also in bunt-fröhlich-tumbe Kinderwelten
flüchten, dann müssen die Kinder zwangsläufig in Rollen der
Erwachsenen schlüpfen. Eine Annährung der Welten, die zwar viel
Komödienstoff bietet, darüber hinaus aber ein Stück ernster
Wirklichkeit zum Thema macht: Infantilisierung und parallel das
Wieder-Verschwinden der Kindheit. Am Ende steht gegenseitig
erhöhte Achtung zwischen Kindern und Eltern, "family values", die
aber nie von oben herab oder per erhobenem Zeigefinger gepredigt,
sondern sozusagen durch die Hintertür vermittelt werden.
Jenseits von all dem ist SPY KIDS aber zuallererst eine höchst
erfrischende Pop-Komödie, ein bunter Augenspaß, 90 Minuten
Kinovergnügen pur.
Rüdiger
Suchsland
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