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Die wilden Augen, der fast weibliche Mund - was ist es, woran
man bei Klaus Kinski als erstes denkt? Jedenfalls seine exaltierten
Gesten, die zwar lange in die Zeit passten, aber schon in jungen
Jahren den Rahmen der Wirtschaftswunderrepublik sprengten. Wer die
jetzt im Deutschen Theatermuseum in München eröffnete Ausstellung
aus Anlaß von Klaus Kinskis (1926-1991) 75.Geburtstag am 10.Oktober
besucht, der wird den Verdacht nicht los, dass Kinski tatsächlich
so war, wie er sich gab - obwohl doch seine Posen ganz
offensichtlich sind. Ganz sanft wirkt er noch auf den ersten
Photographien der 50er Jahre, hält eine Zigarette recht stilisiert
zwischen den Fingern, zeigt sein sanftestes Lächeln, dass man erst
viel später als "dämonisch" interpretierte - kaum ein Hauch von
damals zeittypischer Existentialisten-Coolness ist in diesem
Gesicht zu sehen, aber unverkennbar ist, dass es sich um Auftritte
handelt, um Selbstinszenierungen eines jungen Schauspielers, der
früh zum Star einer hungrigen Öffentlichkeit wurde.
"Ich bin so, wie ich bin" - einen besseren Titel hätte man nicht
wählen können, um das Leben Klaus Kinskis darzustellen, des
Egomanen, der seine Exzesse schamlos auslebte, des Außenseiters von
Anfang an. Vor allem mit einer Unmenge an Photographien, von
privaten Bildern über journalistische Aufnahmen bis hin zu
Filmstills und Plakaten, lässt man Kinskis öffentliches Leben hier
Revue passieren. Gefeiert wird sein Charisma, die intensive Wirkung
von Kinskis Person, die die Ausstellungsmacher auf sein
"authentisches" Künstlertum zurückführen.
Die Frage ist spannend: War Kinski tatsächlich einer "der größten
Schauspieler Deutschlands"? Am Anfang stehen die frühen
Theatererfolge, die aus ihm schnell den Markenartikel "Kinski"
werden ließen. Vor allem in München, Berlin und Wien spielte er
Shakespeares Romeo, aber moderne heute längst vergessene Stücke.
Goethes "Tasso" am Burgtheater war vielleicht seine größte
Bühnenrolle. Auch persönlich bediente Kinski schon in den ersten
Jahren gern den alten Geniekult, die Verschmelzung von Kunst und
Leben, die in ihrer damaligen pathetischen Form heute immer etwas
piefig und akademisch wirkt, obwohl sie, schaut man genauer hin,
auch heute in neuer Form ganz zeitgemäß ist.
Früh auch bemerkt man auffällige Unruhe. Kinski schrieb eine
eigene Bühnenfassung von Dostojewskis "Schuld und Sühne" spielte
dort selber den Raskolnikow. Zum Star wurde er nicht weniger durch
seine öffentlichen Rezitationen von Klassikermonologen, von
Brecht-Gedichten und Villon, Wilde und Nietzsche, mit denen er
tausende von Zuschauern anlockte. Kinski wurde zum Phänomen.
Immer wieder ertappt man sich beim Psychologisieren, beim
Nachdenken darüber, wo Kinski aus dem Rahmen der typischen
Verhaltensschemata seiner Generation herausbricht, deren Schicksal
er doch in vielem teilte. Denn auch der als Nikolaus Günther Karl
Nakszynski bei Danzig geborene, in Berlin Aufgewachsene kämpfte
noch in der deutschen Armee, verbrachte eineinhalb Jahre in
Gefangenschaft. Aber im Gegensatz zu seinen Altergenossen reagierte
er zurück im zivilen Leben nicht durch Anpassung, die immer auch
ein Moment der Verdrängung enthält, sondern durch immer neue
Überschreitungen und Provokationen. So rutschte er fast
unmerklich hinein in seine neue Rolle des - oft genialen, manchmal
wahnsinnigen - Filmbösewichts. Eine seiner ersten Rollen spielte er
1957 in Douglas Sirks Zeit zu leben, Zeit zu sterben, schon da
Repräsentant des Schurkischen, allerdings hier des faschistischen
Deutschlands. Anders ist es in den zahllosen Edgar Wallace-Filmen,
in denen er bis heute im kollektiven Gedächtnis blieb. Hier
erscheint Kinski fast wie die Inkarnation der düsteren Seite eines
Deutschlands, dass Scham und Schuldgefühle hinter der lauten Feier
seiner neuen weißen Weste verbarg. Viele dieser Auftritte, die weit
weniger maniriert erscheinen, als anderes, was man früher wie
später von Kinski zu sehen bekam, sind wie ein kurzer Blick hinter
den Vorhang, ein knappes Herunterreißen der manierlichen Maske
einer Gesellschaft, die anderenorts schon kleine Ausbrüche wider
die Verdrängung nicht dulden wollte.
Umgekehrt bediente er damit bald auch Erwartungen und das
Verlangen einer (spieß)bürgerlichen Gesellschaft, die ihre
begrenzte Entlarvung ebenso sehr verlangt, wie sie sie fürchtet.
Indem Kinski bald auf den "Schurken" und "Amoralischen" abonniert
war, und in den B und C-Movies der 60er alles spielte - von de Sade
über Poe bis zu Jack the Ripper -, machte er aus sich selbst auch
ein Klischee. Zwei, drei Gesten und ein Hauch von
Spätexpressionismus trugen ihn weit, machten ihn auch international
bekannt, verschafften ihm lukrative Aufträge im europäischen
Ausland, aber selten Rollen, die seinem Talent gerecht wurden. Ein
paar Spaghetti-Western bleiben in Erinnerung, ein Auftritt bei Will
Tremper, und viel guter Trash, den man mit Vergnügen sieht - aber
auch nicht mehr. Sein 1968 erlebte er 1971 mit seinen
aufsehenerregenden Auftritten, in denen er als "Jesus der Erlöser"
das Neue Testament rezitierte. Filmaufnahmen zeigen heute einen
schreienden, spuckenden Kinski, der mit weitaufgerissene Augen
Veitstänze auf der Bühne vollführt - offenbar aus dem Gefühl sein
Publikum letztlich nicht zu erreichen. Nach dem zweiten Auftritt
wurde die geplante Tournee abgebrochen. Das entsprach dem Bild der
Illustrierten und Boulevardblätter, das Kinski eifrig bediente: "4
Ehen, 1000 Affairen" titelte BILD, andere Gazetten faselten immer
wieder von Genie und Wahnsinn. Auf den Münchner Bildern der
späteren Jahre wirkt er unsicherer, ein bisschen hilflos nach etwas
suchend, das er nicht kennt.
Dann kam Werner Herzog. Erst im vergangenen Jahr hat der
Regisseur in seiner Dokumentation MEIN LIEBSTER FEIND ausführlich
über die Zusammenarbeit mit Kinski berichtet, die beiden ihre
künstlerischen Höhepunkte bescherte. Auch hier wieder bedient
Kinski in gewissem Sinn nur das immergleiche längst bekannte Bild
des genialisch-verrückten Einzelnen. In Nosferatu konnte noch
einmal in neuer Form dem Stummfilmexpressionismus Referenz
erweisen, bald danach hatte sich auch diese Zusammenarbeit
erschöpft. Und kaum etwas charakterisiert die Ambivalenz von Klaus
Kinskis Schaffen besser, als die Tatsache, dass er auch diese in
vielem prägnanteste Rolle später hemmungslos verriet, als er sich
sieben Jahre später für den C-Abklatsch Nosferatu in Venedig
hergab. So bleibt auch am Ende bei aller Begeisterung für
viele Auftritte dieses Schauspielers die Frage nach seiner Größe
offen. Faszinierender ist der facettenreiche Eindruck eines
unvergleichlichen Typen, eines wunderbar Unbeherrschten und
großartig Eitlen, einer hochgradig nervösen Diva, die sich immer
unter Beobachtung sieht, weil sie offenbar nur vor Publikum zu sich
selbst finden konnte - um sich ebenso oft wieder zu verlieren.
"Ich bin so, wie ich bin" Bis zum 2.September
2001 im Deutschen Theatermuseum München, Galeriestraße
4a 16. September 2001 – 6. Januar 2002 im
Reiss-Museum Mannheim; als weitere Stationen sind geplant: Berlin,
Düsseldorf und Wien. Der Katalog (288 Seiten, 350 Fotos)
von Peter Reichelt und Ina Brockmann ist in der Ausstellung
erhältlich und ist bei dtv erschienen, zum Preis von 49 Mark.
Rüdiger
Suchsland
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