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19.07.2001
 
 
   
 

Der liebste Bösewicht
Eine Ausstellung zu Klaus Kinski im Deutschen Theatermuseum München (Galeriestraße 4a)

 
Katalog zur Ausstellung dtv: 49,- DM >>
     
 
 
 
 

Die wilden Augen, der fast weibliche Mund - was ist es, woran man bei Klaus Kinski als erstes denkt? Jedenfalls seine exaltierten Gesten, die zwar lange in die Zeit passten, aber schon in jungen Jahren den Rahmen der Wirtschaftswunderrepublik sprengten. Wer die jetzt im Deutschen Theatermuseum in München eröffnete Ausstellung aus Anlaß von Klaus Kinskis (1926-1991) 75.Geburtstag am 10.Oktober besucht, der wird den Verdacht nicht los, dass Kinski tatsächlich so war, wie er sich gab - obwohl doch seine Posen ganz offensichtlich sind.
Ganz sanft wirkt er noch auf den ersten Photographien der 50er Jahre, hält eine Zigarette recht stilisiert zwischen den Fingern, zeigt sein sanftestes Lächeln, dass man erst viel später als "dämonisch" interpretierte - kaum ein Hauch von damals zeittypischer Existentialisten-Coolness ist in diesem Gesicht zu sehen, aber unverkennbar ist, dass es sich um Auftritte handelt, um Selbstinszenierungen eines jungen Schauspielers, der früh zum Star einer hungrigen Öffentlichkeit wurde.

"Ich bin so, wie ich bin" - einen besseren Titel hätte man nicht wählen können, um das Leben Klaus Kinskis darzustellen, des Egomanen, der seine Exzesse schamlos auslebte, des Außenseiters von Anfang an. Vor allem mit einer Unmenge an Photographien, von privaten Bildern über journalistische Aufnahmen bis hin zu Filmstills und Plakaten, lässt man Kinskis öffentliches Leben hier Revue passieren. Gefeiert wird sein Charisma, die intensive Wirkung von Kinskis Person, die die Ausstellungsmacher auf sein "authentisches" Künstlertum zurückführen.

Die Frage ist spannend: War Kinski tatsächlich einer "der größten Schauspieler Deutschlands"? Am Anfang stehen die frühen Theatererfolge, die aus ihm schnell den Markenartikel "Kinski" werden ließen. Vor allem in München, Berlin und Wien spielte er Shakespeares Romeo, aber moderne heute längst vergessene Stücke. Goethes "Tasso" am Burgtheater war vielleicht seine größte Bühnenrolle. Auch persönlich bediente Kinski schon in den ersten Jahren gern den alten Geniekult, die Verschmelzung von Kunst und Leben, die in ihrer damaligen pathetischen Form heute immer etwas piefig und akademisch wirkt, obwohl sie, schaut man genauer hin, auch heute in neuer Form ganz zeitgemäß ist.

Früh auch bemerkt man auffällige Unruhe. Kinski schrieb eine eigene Bühnenfassung von Dostojewskis "Schuld und Sühne" spielte dort selber den Raskolnikow. Zum Star wurde er nicht weniger durch seine öffentlichen Rezitationen von Klassikermonologen, von Brecht-Gedichten und Villon, Wilde und Nietzsche, mit denen er tausende von Zuschauern anlockte. Kinski wurde zum Phänomen.
Immer wieder ertappt man sich beim Psychologisieren, beim Nachdenken darüber, wo Kinski aus dem Rahmen der typischen Verhaltensschemata seiner Generation herausbricht, deren Schicksal er doch in vielem teilte. Denn auch der als Nikolaus Günther Karl Nakszynski bei Danzig geborene, in Berlin Aufgewachsene kämpfte noch in der deutschen Armee, verbrachte eineinhalb Jahre in Gefangenschaft. Aber im Gegensatz zu seinen Altergenossen reagierte er zurück im zivilen Leben nicht durch Anpassung, die immer auch ein Moment der Verdrängung enthält, sondern durch immer neue Überschreitungen und Provokationen.
So rutschte er fast unmerklich hinein in seine neue Rolle des - oft genialen, manchmal wahnsinnigen - Filmbösewichts. Eine seiner ersten Rollen spielte er 1957 in Douglas Sirks Zeit zu leben, Zeit zu sterben, schon da Repräsentant des Schurkischen, allerdings hier des faschistischen Deutschlands. Anders ist es in den zahllosen Edgar Wallace-Filmen, in denen er bis heute im kollektiven Gedächtnis blieb. Hier erscheint Kinski fast wie die Inkarnation der düsteren Seite eines Deutschlands, dass Scham und Schuldgefühle hinter der lauten Feier seiner neuen weißen Weste verbarg. Viele dieser Auftritte, die weit weniger maniriert erscheinen, als anderes, was man früher wie später von Kinski zu sehen bekam, sind wie ein kurzer Blick hinter den Vorhang, ein knappes Herunterreißen der manierlichen Maske einer Gesellschaft, die anderenorts schon kleine Ausbrüche wider die Verdrängung nicht dulden wollte.

Umgekehrt bediente er damit bald auch Erwartungen und das Verlangen einer (spieß)bürgerlichen Gesellschaft, die ihre begrenzte Entlarvung ebenso sehr verlangt, wie sie sie fürchtet. Indem Kinski bald auf den "Schurken" und "Amoralischen" abonniert war, und in den B und C-Movies der 60er alles spielte - von de Sade über Poe bis zu Jack the Ripper -, machte er aus sich selbst auch ein Klischee.
Zwei, drei Gesten und ein Hauch von Spätexpressionismus trugen ihn weit, machten ihn auch international bekannt, verschafften ihm lukrative Aufträge im europäischen Ausland, aber selten Rollen, die seinem Talent gerecht wurden. Ein paar Spaghetti-Western bleiben in Erinnerung, ein Auftritt bei Will Tremper, und viel guter Trash, den man mit Vergnügen sieht - aber auch nicht mehr.
Sein 1968 erlebte er 1971 mit seinen aufsehenerregenden Auftritten, in denen er als "Jesus der Erlöser" das Neue Testament rezitierte. Filmaufnahmen zeigen heute einen schreienden, spuckenden Kinski, der mit weitaufgerissene Augen Veitstänze auf der Bühne vollführt - offenbar aus dem Gefühl sein Publikum letztlich nicht zu erreichen. Nach dem zweiten Auftritt wurde die geplante Tournee abgebrochen. Das entsprach dem Bild der Illustrierten und Boulevardblätter, das Kinski eifrig bediente: "4 Ehen, 1000 Affairen" titelte BILD, andere Gazetten faselten immer wieder von Genie und Wahnsinn. Auf den Münchner Bildern der späteren Jahre wirkt er unsicherer, ein bisschen hilflos nach etwas suchend, das er nicht kennt.

Dann kam Werner Herzog. Erst im vergangenen Jahr hat der Regisseur in seiner Dokumentation MEIN LIEBSTER FEIND ausführlich über die Zusammenarbeit mit Kinski berichtet, die beiden ihre künstlerischen Höhepunkte bescherte. Auch hier wieder bedient Kinski in gewissem Sinn nur das immergleiche längst bekannte Bild des genialisch-verrückten Einzelnen. In Nosferatu konnte noch einmal in neuer Form dem Stummfilmexpressionismus Referenz erweisen, bald danach hatte sich auch diese Zusammenarbeit erschöpft. Und kaum etwas charakterisiert die Ambivalenz von Klaus Kinskis Schaffen besser, als die Tatsache, dass er auch diese in vielem prägnanteste Rolle später hemmungslos verriet, als er sich sieben Jahre später für den C-Abklatsch Nosferatu in Venedig hergab.
So bleibt auch am Ende bei aller Begeisterung für viele Auftritte dieses Schauspielers die Frage nach seiner Größe offen. Faszinierender ist der facettenreiche Eindruck eines unvergleichlichen Typen, eines wunderbar Unbeherrschten und großartig Eitlen, einer hochgradig nervösen Diva, die sich immer unter Beobachtung sieht, weil sie offenbar nur vor Publikum zu sich selbst finden konnte - um sich ebenso oft wieder zu verlieren.

"Ich bin so, wie ich bin"
Bis zum 2.September 2001 im Deutschen Theatermuseum München, Galeriestraße 4a
16. September 2001 – 6. Januar 2002 im Reiss-Museum Mannheim; als weitere Stationen sind geplant: Berlin, Düsseldorf und Wien.
Der Katalog (288 Seiten, 350 Fotos) von Peter Reichelt und Ina Brockmann ist in der Ausstellung erhältlich und ist bei dtv erschienen, zum Preis von 49 Mark.

Rüdiger Suchsland

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