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14.06.2001
 
 
   
 

PEARL HARBOR und die siebte Kunst

 
PEARL HARBOR
     
 
 
 
 

PEARL HARBOR aus allen Rohren und allen Kanälen. Die Berichterstattung zu diesem Film scheint das nachholen zu wollen, was beim originalen Krieg vor 60 Jahren versäumt wurde.
Dass sich publikumsorientierte Medien für diesen Film begeistern, verwundert nicht; that's infotainment!
Dass sich die professionelle Filmkritik damit herumschlagen muss, ist ein leidiges Übel, das diese Profession so mit sich bringt (wobei nicht verschwiegen sei, dass ein Verriss zu einem Unsinn wie diesem oft leichter von der Hand geht als die Würdigung eines guten Films).
Dass sich aber auch das seriöse Feuilleton beinahe ausnahmslos und zum Teil ausschweifend (wenn auch abwertend) mit diesem Film beschäftigt, zeugt davon, in welchem Dilemma die Kunstform Film noch heute steckt.

Kultursendungen in Funk und Fernsehen berichten jenseits der großen Festivals nur selten über Filme und scheinen sich dabei auf gesonderte Filmsendungen zu verlassen. Wie mit ernsthaften Filmmagazinen jedoch umgegangen wird, zeigt sich am Beispiel der Sendung APROPOS FILM, die (scheinbar zu ständig wechselnden Sendeterminen) irgendwann nach Mitternacht ausgestrahlt wird.
Im gedruckten Feuilleton sieht es kaum besser aus, weshalb die Bezeichnung der sogenannten "Filmseite" im Singular meist zutreffend ist.

Wirklich groß berichtet das Feuilleton eigentlich nur noch über Skandalfilme (BAISE-MOI), konsensfähige Anspruchsfilme (DAS PIANO, AMERICAN BEAUTY) oder eben Spektakel à la PEARL HARBOR oder STAR WARS - EPISODE I. Als Grundregel gilt: Wenn sogar die Tagesthemen darüber sprechen, dann hat es wieder ein Film in diese sonderbare Gruppe geschafft.
Natürlich werden von den oben genannten Filmen die einen hoch gelobt und die anderen bitter kritisiert, doch stehen sie in ihrer medialen Allgegenwart auf der selben Stufe. Und das ist die Crux an der Sache.

Film ist gleich Film! Das ist die herrschende Meinung. Zwar sind nicht alle Filme gleich gut, aber schlußendlich ist doch alles nur belichtetes Zelluloid. Ist dem wirklich so? Ist denn Musik gleich Musik? Ist Literatur gleich Literatur?
In der Musik gibt es die ungeliebte Unterscheidung zwischen U- und E-Musik. Vielen scheint diese Trennung unsinnig, da die Grenzen zwischen beiden zu unklar sind. Aber würde hier jemand auf die Idee kommen, die neue CD von Jennifer Lopez als Klassiker der Musikgeschichte zu bezeichnen und deren Gesinge somit neben Bach, Beethoven und Charlie Parker stellen? Nein, natürlich nicht.
Bei PEARL HARBOR dagegen spricht die Werbung und die freundlich gesinnte Presse von einem Filmklassiker, einem Meisterwerk und stellt ihn damit unwillkürlich neben CITIZEN KANE, PANZERKREUZER POTEMKIN und Co. Alleine das Aufstellen einer derart anmaßenden und lächerlichen Behauptung müsste allgemein zu wilder Empörung oder zumindest schallendem Gelächter führen, tut es aber nicht.

Die Grenze zwischen Kunst und Kommerz ist beim Film sicher noch schwieriger zu finden als in der Musik, was schlicht daran liegt, dass Filme viel Geld kosten und somit einen gewissen finanziellen Erfolg brauchen, um ihrer Schöpfer nicht zu ruinieren. Aber muss man deshalb auf einen 100 Mio. Dollar Action-Quatsch aus Amerika den selben Standard wie auf einen bescheidenen Problemfilm aus Frankreich anlegen?

PEARL HARBOR ist Pop, ist Teil der großen, weiten Popkultur zwischen Britney Spears, MTV und FRIENDS. Jeder kennt Popmusik, Pop-Art und Popliteratur. Doch niemand spricht von Pop-Film. Warum nicht? Weil Film a priori Kunst ist?
Das möchten die Produzenten von PEARL HARBOR uns glauben machen und erweitern diese Gleichung dahingehend, dass viel Film auch viel Kunst ist.

Man kann das ganze aber auch umdrehen und fragen: Ist denn Film überhaupt Kunst?
Selbstverständlich! heißt es schnell und es wird darauf verwiesen, dass der Film schließlich als die siebte Kunst bezeichnet wird. Und die Realität?
In der Realität werden Filme (selbst die Klassiker) im Fernsehen als billiges Füllmaterial verwendet und wenn nötig entsprechend verkürzt, verändert, verstümmelt, unterbrochen, verschoben. In der Realität schenken deutsche Verlage dem Kanzler für sein neues Kanzleramt 900 neue Bücher aber keine einzige Videokassette mit deutschen Filmmeisterwerken. In der Realität erntet man mit der Aussage, man gehe jährlich ca. 75-mal ins Kino, befremdete bis mitleidige Blicke, obwohl etwa das Lesen von 50 Bücher, das viel zeitaufwendiger ist, als relativ normal gilt. In der Realität gehören Goethes Gesamtausgabe, Glenn Goulds Bach Einspielungen und einige Dali Poster zur Grundeinrichtung des gehobenen Bildungsbürgers, während das Gesamtwerk von Martin Scorsese auf Video ähnlich Reaktionen wie eine Briefmarkensammlung hervorruft.

Den einen gilt also PEARL HARBOR als Kunst, den anderen dagegen selbst die Filme von Cronenberg und Lynch als schlichte Unterhaltung. Eine offensichtlich absurde Situation. Aber was dagegen tun?
Es wird sich, wie bereits erwähnt, keine exakte Grenze zwischen Kommerz und Kunst im Kino ziehen lassen. Aber wenn in Zukunft ein so offensichtlich finanziell und nicht kulturell motivierter Film wie PEARL HARBOR startet, dann sollte das Feuilleton darüber genau so berichten, wie über das neue Buch von Rosamunde Pilcher, die Welttournee der Backstreet Boys oder die Eröffnung eines Disney Freizeitparks; zehn Zeilen unter "Vermischtes" dürften genügen.

Denn würde im Gegenzug konsequenter über wirklich diskussionswürdige Filme berichtet, dann könnte man es sich als Kulturinteressierter in Zukunft nicht mehr leisten, über das Kino verächtlich die Nase zu rümpfen und sie als bloße Unterhaltung abzutun. Diese Ablehnung wäre dann als das zu erkennen, was es bereits heute ist: schlichte Ignoranz.


Michael Haberlander

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