Die Hand, die dem gehetzten Mörder das weiße Kreide-"M" auf den
Mantel klatscht. Die Arbeiterscharen, die in dichtgedrängter
Formation in die Aufzüge marschieren, während auf der anderen Seite
der Moloch ihre Vorgängerschicht verbraucht wieder ausspuckt. Und:
Die Schöpfung der Roboterfrau Hel. Das sind Bilder, die alle
kennen. Selbst wer noch nie einen Fritz Lang-Film gesehen hat, ja,
selbst wer noch nie im Kino war und nur MTV schaut, hat sie als
fast schon archetypische Ikonen im kulturellen Repertoire. Ein
Stück Lang sitzt tief in allen von uns. Und dann die Filme,
deren Einfluss sich weniger in einzelnen Bildern verdichten lässt,
der aber nicht minder stark ist: Langs MABUSE-Reihe; direkt und
indirekt Folie für unzählige Streifen über megalomane
Super-Verbrecher - und in den 60ern Auslöser für eine bis heute
schwer unterschätzte Welle wundervoller deutscher Mabuse-Filme,
deren mutierte Fortsetzung im italienischen Genre-Kino und von dort
wiederum in Hollywood bisher nur vage erforscht sind. Oder seine
Ausflüge ins Exotische - DIE SPINNEN, DER MÜDE TOD, HARAKIRI, DAS
INDISCHE GRABMAL, die als unterirdische Strömung in so vielen
Filmen weiterwirken. Nicht zu vergessen die ungeheure
Bewunderung der französischen Nouvelle Vague für den Meister aus
Deutschland, die teils überdeutliche (LE MÉPRIS, DOCTEUR M), teils
subkutane Spuren hinterlassen hat. Und selbstverständlich sein
umfangreicher Kanon an einflussreichen Werken in Hollywood - gerade
hierzulande im Vergleich zu den frühen deutschen Filmen oft immer
noch etwas stiefmütterlich, etwas reserviert behandelt und doch so
unglaublich reich an großartigsten Kinoerlebnissen: Fritz Langs
Werk ist ein Strom, der sich durch über 40 Jahre Kinogeschichte zog
und aus dem sich unzählige andere gespeist haben.
Jetzt gibt es endlich wieder einmal die Möglichkeit, an die
Quelle zurückzukehren, all die Bilder an ihren Ursprung
zurückzuverfolgen. Bereits auf der Berlinale präsentiert, macht die
große Fritz Lang-Retrospektive nun von März bis Mai im Münchner
Filmmuseum Station - das sich unter Enno Patalas ja einst
allerhöchste Verdienste um die Lang-Pflege erworben hat. Es gibt
alles zu sehen, was vom alten Fritz noch erhalten ist - und mehr:
"Lang & more" zeigt Filme mit, über und um Lang - Interviews,
LE MÉPRIS, Joseph Loseys "M"-Remake, Chabrols DOCTEUR M, JESSE
JAMES als Vorbereitung auf Langs THE RETURN OF FRANK JAMES, und,
und, und... Dabei wird gerade die Wiederbegegnung mit den
altvertrauten Filmen teils sehr spannend: METROPOLIS z.B. zeigt
sich (bisher einzig in München ja immerhin schon in einer der
Urgestalt nahekommenden Fassung zu sehen) in ganz neu und aufwendig
rekonstruiertem Gewand, und auch wer (wie die meisten) M - EINE
STADT SUCHT EINEN MÖRDER nur in der Verleihfassung aus den 50ern
kennt, mit Schnitten und entstellter Tonspur, wird bei der neuesten
Restauration ganz gehörige Überraschungen erleben. Gut ein Viertel
der Filme ist in solch neuen Fassungen zu sehen (darunter auch die
MABUSE-Filme) - die anderen, was auch nicht zu verachten ist, in
bestmöglicher Kopien-Qualität. Mit anderen Worten: Die nächsten
drei Kino-Monate sind gerettet - und ausgebucht.
Über Fritz Langs Filme noch schreiben zu wollen, zeugt mit
einiger Sicherheit von Dummheit, Größenwahn, Eitelkeit oder
Naivität. Es gibt wenig, was da nicht schon (meist mehrfach) gesagt
wurde. Dennoch (und auf die Gefahr hin, in die ein oder andere
dieser Kategorien zu tappen) wollen wir bei Artechock die
Retrospektive hin und wieder mit Texten begleiten - möglichst mit
welchen, die nicht aus dem Impetus der Wahrheitsverkündung und
Belehrung entstehen, sondern aus der persönlichen Getroffenheit bei
einzelnen Filmen, aus purer Liebe zum Kino. Wir hoffen, Sie haben
Lust, da ab und zu reinzuschauen.
Thomas
Willmann
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